Dr. Dagmar Schulze Heuling
Habilitandin an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt

Der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft ist unstreitig eng mit der Stadt Bonn als langjährigem Sitz der Bundesregierung verbunden. Doch die Vorstellung, dass mit dem Ort auch die Wirtschaftsordnung fixiert geblieben wäre, greift zu kurz. Dagmar Schulze Heuling zeichnet in einem zuerst 2017 erschienenen Beitrag Entscheidungen und Entwicklungen nach, die bei unverändertem Etikett das deutsche Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell der Sozialen Marktwirtschaft – teils wesentlich – verändert haben.

Bonn und die Soziale Marktwirtschaft, das ist für manche eine so enge Verbindung, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bunderepublik Deutschland etablierte Wirtschaftsordnung sogar den Ausdruck Rheinischer Kapitalismus inspirierte.1Für seinen Schöpfer Albert ist der „Rheinische Kapitalismus“ allerdings kein exklusiv deutsches Phänomen, sondern in unterschiedlicher Ausprägung in Europa verbreitet, einige Aspekte träfen sogar auf Japan zu. Michel Albert: Kapitalismus contra Kapitalismus, Frankfurt am Main 1992. Tatsächlich aber lässt sich die Frage, ob die Soziale Marktwirtschaft ein Bonner Produkt ist, nicht so eindeutig mit Ja oder Nein beantworten, wie es dieses Etikett suggeriert. Wie immer man Soziale Marktwirtschaft definieren mag, mit welchem Datum, Ereignis oder auch Zeitraum man sie verknüpft – die Feststellung, dass die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik nicht die eine, sondern mehrere Geburtsstädte hat, lässt sich schwerlich bestreiten.

Ideengeschichtlich liegt eine starke Wurzel in Freiburg, oder genauer: bei den Ordoliberalen um Walter Eucken, Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth. Der Schöpfer des Namens „Soziale Marktwirtschaft“, Alfred Müller-Armack, stammt aus Essen, war aber immerhin Professor im benachbarten Köln und einige Jahre in Bonn im Wirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard tätig. Erhard, der die Soziale Marktwirtschaft politisch umgesetzt hat und sie wohl bis heute wie kein zweiter verkörpert, war ebenfalls kein Bonner, sondern stammt aus Fürth.

Auch die Schritte auf dem Weg zu einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, die zwischen Kriegsende und Gründung der Bundesrepublik unternommen wurden, hatten nichts mit Bonn zu tun. Die vielleicht wichtigsten Entscheidungen, die weitgehende Aufhebung von Zwangsbewirtschaftung und Preisbindung im Zusammenhang mit der inflationsbekämpfenden Währungsreform in den Westzonen wurden in Frankfurt am Main verkündet. Die ersten Banknoten der D-Mark, die zum Symbol einer Wohlstand für alle ermöglichenden Wirtschaftsordnung werden sollte, wurden gar in den USA gedruckt.

Nichtsdestotrotz, so die These dieses Textes, ist die Soziale Marktwirtschaft nicht zuletzt ein Bonner Produkt. Denn mag sie auch nicht dort ersonnen worden sein, mag die Hauptstadt der jungen Bundesrepublik die wenige Monate nach der Währungsunion und weitgehenden Preisfreigabe einsetzende wirtschaftliche Dynamik2Den weithin etablierten Begriff „Wirtschaftswunder“ hat ausgerechnet der als „Vater des Wirtschaftswunders“ bezeichnete Ludwig Erhard stets abgelehnt: „An Wunder aber vermag ich gerade im Bereich der Wirtschaft nicht zu glauben“, sagte er bereits in seiner Rundfunkansprache am 21. Juni 1948, also einen Tag nach Beginn der Währungsreform. Ludwig Erhard, Rundfunkansprache, 21. Juni 1948, in: Karl Hohmann (Hrsg.): Ludwig Erhard. Gedanken aus fünf Jahrzehnten. Reden und Schriften, Düsseldorf u.a. 1988, S. 123. geerbt haben und mögen ihre Protagonisten keine Bonner im engeren Sinne sein – die Soziale Marktwirtschaft wurde in einem langen Prozess gestaltet, konsolidiert und herausgefordert, je nach Lesart sogar Schritt für Schritt wieder abgeschafft.3Vgl. Horst Friedrich Wünsche: Welcher Marktwirtschaft gebührt das Beiwort „sozial“?, in: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.): Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft, Bd. 2: Das Soziale in der Sozialen Marktwirtschaft, Stuttgart u.a. 1988, S. 21-31, S. 31. Und dieser Prozess spielte sich über Jahrzehnte vorwiegend in Bonn ab. Seine Ergebnisse prägen Deutschland und die deutsche Wirtschaftspolitik auch noch lange nach dem Regierungsumzug nach Berlin, wie der nachfolgende Blick vor allem auf die frühen Jahre der Bundesrepublik und somit auf die Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft zeigt.4Ausführlicher zu dem auch hier schwerpunktmäßig betrachteten Zeitraum: Hans Günter Hockerts, Günther Schulz (Hrsg.): Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, Paderborn 2016.

Historischer Sonderfall

Nun mag man einwenden, dass es nicht gerade überraschend ist, wenn sich in einem neu entstehenden Staat neue Institutionen entwickeln, neue Politiken durchsetzen und neues Personal die politische Bühne betritt. Das ist nicht falsch, doch eine so lapidare Betrachtungsweise würde den außergewöhnlichen Charakter dieser Entwicklung verkennen.

Denn die Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil sie sich gegen die vorherrschende wirtschaftspolitische Mode in Großbritannien und den USA behaupten musste. Dort herrschten mit dem sozialistischen Premierminister Clement Attlee bzw. dem Geist des „New Deal“ sehr viel interventionistischere Überzeugungen vor, und auch von der französischen Idee der „Planification“ war die Soziale Marktwirtschaft weit entfernt. Ironischerweise wiederholte sich dieses Muster später unter umgekehrten Vorzeichen, als die Bundesrepublik mehr und mehr der keynesianischen Lehre folgte, während andernorts liberalere Sichtweisen wieder en vogue waren. Zu nennen ist hier insbesondere Großbritannien unter Premierministerin Thatcher, die nicht nur eine liberale Wirtschaftspolitik betrieb, sondern sich explizit auf den österreichischen Nationalökonomen Friedrich August von Hayek berief.

Doch ein solcher Unterschied, den man in den 1970er und 1980er Jahren wohl registrierte, aber nicht mehr für besonders bedeutungsvoll hielt, war in den ersten Nachkriegsjahren keine Selbstverständlichkeit. Die deutsche Seite hat sich zum Teil Spielräume geschaffen, die gar nicht vorgesehen waren, wie die hübsche Anekdote über den vom amerikanischen Militärgouverneur Lucius Clay einbestellten Ludwig Erhard illustriert. Der Geschichte zufolge musste sich Erhard, nachdem er eigenmächtig das Leitsätzegesetz5Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform. Auch hier zeigt sich wieder eine Verbindung zum Freiburger Ordoliberalismus. Das Gesetz wurde maßgeblich von Leonhard Miksch ausgearbeitet, der 1950 nach Euckens Tod dessen Nachfolger wurde, aber noch im selben Jahr starb. und damit das Ende von Preisfestsetzungen und Bewirtschaftung verkündet hatte, ohne die vorherige Bestätigung der Alliierten abzuwarten, eine Gardinenpredigt von Clay anhören. „Alle meine Berater sind gegen Ihr Vorgehen“, soll der General dem Direktor des Wirtschaftsrats vorgehalten haben. Doch den focht das nicht an, im Gegenteil: „Meine Berater sind auch dagegen“, tröstete Erhard den General.

Die Konzentration auf Bonn sollte folglich den Blick auf die bedeutenden Weichenstellungen vor Gründung der Bundesrepublik nicht verstellen. Ebenfalls darf sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass neben den rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen, auf die die Politik direkt Einfluss nehmen konnte, die Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft zugleich auch eine wirtschaftliche Bildung erfordert. Doch bis heute ist es nur unzureichend gelungen, ein allgemeines Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge zu vermitteln. Die wirtschaftliche Bildung in Deutschland ist katastrophal unterentwickelt.6Vgl. exemplarisch Michael Schuhen, Michael Wohlgemuth, Christian Müller (Hrsg.): Ökonomische Bildung und Wirtschaftsordnung, Stuttgart 2012. Noch immer herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung die Ansicht vor, dass wirtschaftliches Handeln ein Nullsummenspiel sei. Wirtschaftlicher Erfolg entsteht nach dieser falschen Denkweise nicht aus dem Nutzen anderer – also etwa dadurch, die Kundschaft bestmöglich zu bedienen – sondern auf Kosten anderer. Doch das ist, wie die Vertreter der Sozialen Marktwirtschaft nicht müde wurden zu betonen, nicht auf einem freien Markt, sondern im Gegenteil dann der Fall, wenn wirtschaftliche Interessen mithilfe politischer Macht durchgesetzt werden, sei es in der Form staatlich protegierter Kartelle, der Privilegierung von Partikularinteressen oder in einer Planwirtschaft.

Dass die Soziale Marktwirtschaft zugleich immer von mangelndem Verständnis für ihre Prinzipien als auch vom individuell-rationalen Verfolgen von Sonderinteressen bedroht ist, ist keine Einsicht, die erst in der Rückschau gewonnen werden muss. Sie findet sich als Mahnung vor Vermachtung im Werk Walter Euckens,7Walter Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, herausgegeben von Edith Eucken und Paul Hensel, Tübingen 1952, S. 169ff. aber auch Ludwig Erhard etwa hat sie oft formuliert, an prominentester Stelle vielleicht in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler.8Ludwig Erhard: Politik der Mitte und der Verständigung, Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 18. Oktober 1963, in: ders.: Wirken und Reden, Ludwigsburg 1966, S. 117-158. Erhard betont einerseits die Freiheit. Sie sei „ein so hoher und absoluter Wert, daß sich ein Volk selbst preisgibt, wenn es auf sie verzichtet.“ Andererseits warnt er vor Partikularismus. Wir müssen „damit aufhören, unsere Kräfte und Mittel jeweils nur an speziellen und individuellen Forderungen auszurichten, sondern wir müssen das Ganze bedenken“. Höchst aktuell ist auch seine Mahnung, man solle sich hüten, „jedwede Forderung an den Staat […] vorschnell mit dem Wort ‚sozial‘ oder ‚gerecht‘ zu versehen, wenn es in Wahrheit nur zu oft um partikuläre Wünsche geht.“ S. 119f. Beliebt waren solche Maßhalteappelle damals so wenig, wie es entsprechende Mahnungen heute sind. Politische Unterstützung wird seit den Anfangstagen der Bundesrepublik nur zu gern durch wirtschaftlich unvernünftige Versprechen erkauft. Dass der Kuchen, den die Kuchenausschüsse so fleißig verteilen, zunächst gebacken werden muss, ist eine Tatsache, die in Demokratien auf Grund der unvermeidlichen kurzfristigen Erfolgsorientierung der Akteurinnen und Akteure systematisch nicht beachtet wird. Somit weisen also nicht nur die Grundzüge der bundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung, sondern auch die damit verbundenen aufklärerischen Aufgaben und inhärenten politischen Herausforderungen weit über Bonn hinaus.

„Soziale Marktwirtschaft“ und ihre Anfänge

Die Ansichten darüber, was genau unter Sozialer Marktwirtschaft zu verstehen ist, gehen weit auseinander. Das ist nicht allein politisch-weltanschaulichen Differenzen geschuldet, sondern bereits im Konzept selbst grundgelegt. „Die Soziale Marktwirtschaft ist gemäß ihrer Konzeption kein fertiges System, kein Rezept, das einmal gegeben, für alle Zeiten im gleichen Sinne angewendet werden kann. Sie ist eine evolutive Ordnung, in der es neben dem festen Grundprinzip, daß sich alles im Rahmen einer freien Ordnung zu vollziehen hat, immer wieder nötig ist, Akzente neu zu setzen gemäß den Anforderungen einer sich wandelnden Zeit.“9Alfred Müller-Armack: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft. Frühschriften und weiterführende Konzepte, Bern und Stuttgart 1981, 2., erweiterte Auflage, S. 15. Carl Christian von Weizsäcker zählt als bedeutende Kriterien der Sozialen Marktwirtschaft folgende auf: Schutz des Eigentums, Vertragsfreiheit, Wettbewerb, Politik der Geldwertstabilität, gesunde Staatsfinanzen, niedrige Staatsquote, schlankes Sozialleistungssystem sowie ein Einkommensteuersystem, das sowohl Umverteilungs- als auch Anreizaspekte berücksichtigt. Vgl. ders.: Das Gerechtigkeitsproblem in der Sozialen Marktwirtschaft, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 47/3 (1998), S. 258-288.

Diese Offenheit, auf jeweils aktuelle Anforderungen einzugehen, ist nicht nur sinnvoll und notwendig, sondern in der Idee wachsenden Wohlstands und gleichberechtigten Einbezugs aller Menschen grundgelegt. Es wäre schließlich ungereimt, einerseits der Sozialen Marktwirtschaft dieses Potential der Flexibilität zuzuschreiben, andererseits aber an längst überwundenen Problemen wie der Versorgung Kriegsinvalider oder dem Wiederaufbau zerstörter Städte festzuhalten. Zugleich ist die Bestimmung „gemäß den Anforderungen einer sich wandelnden Zeit“ inhaltlich unbestimmt, sodass „die Konkretisierung der ‚sozialen Komponente‘ unterschiedlich verstanden und der Begriff ‚sozial‘ missbraucht werden kann.“10Otto Schlecht: Soziale Marktwirtschaft, in: Wilhelm Korff (Hrsg.) im Auftrag der Görres-Gesellschaft: Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 1: Verhältnisbestimmung von Wirtschaft und Ethik, Gütersloh 1999, S. 289-303, S. 289.

Da der Begriff Soziale Marktwirtschaft weitgehend positiv konnotiert ist, ist weniger das Etikett als seine „richtige“ Ausgestaltung umstritten. Das ist keineswegs eine neuere Entwicklung, bereits die Väter der Sozialen Marktwirtschaft hatten hier erhebliche Differenzen. Während Alfred Müller-Armack die Sozialpolitik in der Form von Einkommensumverteilung und staatlichen Fürsorgeleistungen betonte, bestand für Ludwig Erhard das Soziale der Sozialen Marktwirtschaft gerade im Aspekt der Freiheit der Marktwirtschaft.11Erhard schrieb von der „freien und gerade deshalb ‚Sozialen Marktwirtschaft‘“. Ludwig Erhard: Zehn Thesen zur Verteidigung der Kartellverbotsgesetzgebung Offener Brief an den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie Fritz Berg, 10. Juli 1952, in: Karl Hohmann (Hrsg.): Ludwig Erhard. Gedanken aus fünf Jahrzehnten. Reden und Schriften, Düsseldorf u.a. 1988 S. 347-355, S. 347f. Dadurch, dass in einer nach diesen Prinzipien gestalteten Wirtschaft und Gesellschaft jeder Mensch sich seinen Platz suchen konnte, gab es keine Klassen und Gegensätze zwischen ihnen mehr, zugleich erlaubte es die unglaubliche Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft, Sozialleistungen zu finanzieren. Aufgabe des Staates war es Erhards Ansicht nach, das Funktionieren dieser Ordnung sicherzustellen. Freie Preise würden so Präferenz- und Knappheitsinformationen transportieren, unternehmerisches Engagement der Motor für, zugleich aber auch Ausdruck von Wohlstandsentwicklung und Fortschritt sein. Über allem thronen die Verbraucherinnen und Verbraucher, die durch ihre Kaufentscheidungen die Wirtschaft in die von ihnen gewünschte Richtung lenken.

Wilhelm Röpke, der Freiburger Ökonom, den der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer anfangs versuchte, gegen die Erhardsche Wirtschaftspolitik in Stellung zu bringen, teilte diese Ansicht. Allerdings konnte für ihn, ähnlich wie für Alexander Rüstow, von Sozialer Marktwirtschaft nur dann die Rede sein, wenn die Marktwirtschaft in eine bestimmte Gesellschafts- und Sozialstruktur eingebettet war. Offenbar waren ihnen viele soziale und gesellschaftliche Veränderungen nicht geheuer, denn sie legten viel Wert auf eine starke Landbevölkerung und die Einbindung der Menschen in vielerlei soziale Systeme wie Familien, Nachbarschaften oder Vereine.

Diese Idealisierung des Landlebens und kleiner Gemeinschaften klingt für heutige Ohren hoffnungslos unrealistisch und nostalgisch. Zudem steht sie in einem Spannungsverhältnis zu den liberalen Grundwerten der Sozialen Marktwirtschaft. Doch in der Frühzeit der Bundesrepublik galt die vermeintliche Überschaubarkeit kleiner Einheiten einigen als ernsthafte Option.

Die Unterschiede im Detail sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zwischen den Anhängern der Sozialen Marktwirtschaft insgesamt mehr Verbindendes als Trennendes gab. Insbesondere ist „bei allen ‚Gründervätern‘ der Sozialen Marktwirtschaft im Anschluss an I. Kant die leitende Idee der ‚Menschenwürde‘ erkennbar, an der sich die Gestaltung der Wirtschaftsverfassung ausrichten soll; dass dies im Kern eine funktionsfähige Wettbewerbs- und Geldordnung sein muss, ist allen Vertretern des Ordo-Liberalismus gemeinsam“.12Wilhelm Korff (Hrsg.) im Auftrag der Görres-Gesellschaft: Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 1: Verhältnisbestimmung von Wirtschaft und Ethik, Gütersloh 1999, S. 500. Freiheit und ungestörte Marktwirtschaft galten ihnen als der Normalzustand, der zwar gegen Angriffe oder „Aushebelungsversuche“ geschützt werden muss, von dem aber nur bei Vorliegen wichtiger Gründe abgewichen werden darf.

Gleichzeitig darf bei einer Beurteilung der konkreten Wirtschaftspolitik nicht übersehen werden, dass die junge Bundesrepublik Rücksicht auf die politischen Vorstellungen der Besatzungsmächte nehmen musste. Auch wenn die bundesdeutsche Politik durchaus einigen Spielraum hatte, so lässt sich der Einfluss der Westalliierten in verschiedenen Fragen deutlich erkennen. Dazu zählen etwa die hohen Belastungen durch alliiertes Steuerrecht, die der Finanzminister Fritz Schäffer nach Kräften zu ändern versuchte oder, wie unten noch deutlich werden wird, das Kartellrecht.

Hinzu kommt, dass die Soziale Marktwirtschaft auch innenpolitisch alles andere als unumstritten war. Nicht nur weite Teile der SPD erblickten im Sozialismus die Lösung für mindestens alle wirtschaftlichen und sozialen Probleme. Auch die CDU hatte sich 1950 mit ihrem Ahlener Programm ganz unmissverständlich zum Kollektivismus bekannt. Ausgerechnet der jahrelange Alleinherrscher der CDU, der sehr viel mehr dem Pragmatismus als der marktwirtschaftlichen Prinzipientreue zuneigende Konrad Adenauer, den mit Ludwig Erhard ein, vorsichtig ausgedrückt, sehr widersprüchliches Verhältnis verband,13Ausführlich dazu Daniel Koerfer: Kampf ums Kanzleramt: Erhard und Adenauer, Stuttgart 1987. machte diesen zum Wirtschaftsminister.

Den Erfolg oder Misserfolg der Sozialen Marktwirtschaft allein anhand ihre Nähe oder Ferne zum jeweils präferierten Ideal zu beurteilen, wird somit der historischen Realität nicht gerecht. Vielmehr muss man in einer solchen Bilanz sowohl die allgemeinen Realitäten von Politik als auch die Besonderheiten der deutschen Situation berücksichtigen. Exemplarisch lässt sich das an zwei politischen „Großprojekten“ illustrieren, die beide 1957 verabschiedet wurden: dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und der Rentenreform.

Der lange Weg zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Ein wirksames Instrument gegen Monopole und Kartelle zu schaffen, war nicht nur ein Anliegen der Ordoliberalen und Sozialen Marktwirtschaftler. Auch für die Besatzungsmächte war die Zerschlagung bestehender Kartelle sowie die Verhinderung ihrer Neubildung ein wichtiges politisches Ziel. Insofern ist es auf den ersten Blick verwunderlich, dass es trotz alliierten Drängens bis 1957 dauern sollte, ehe das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verabschiedet werden sollte.

Die Gründe, weshalb es trotz scheinbarer Interessenharmonie zwischen der Bundesrepublik und vor allem der amerikanischen Besatzungsmacht so lange dauerte, bis das Gesetz endlich verabschiedet wurde, sind vielfältig. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Überzeugung, dass Kartelle illegitim und wirtschaftlich schädlich sind, in Deutschland zu Beginn der 1950er Jahre vergleichsweise jung war. Anders als in den USA, wo schon 1890 mit dem Sherman Act ein erstes Antitrust-Gesetz verabschiedet wurde, galten Kartelle hier lange Zeit als reguläres Element des Wirtschaftslebens. So hatte das Reichsgericht 1897 in einem Urteil festgehalten, dass Kartellabreden bindend sind und gegen unwillige Kartellbrüder durchgesetzt werden können.14RGZ 38,155ff „Sächsischer Holzstoff-Fabrikanten-Verband“. Franz Böhm spricht vom „Land der Kartelle“, in: Franz Böhm: Das Reichsgericht und die Kartelle, in: Ordo 1 (1948), S. 197-213, vgl. S. 198 und S. 212. Allgemein setzte sich unter den Ordoliberalen die Lesart durch, dass das RGZ-Urteil einer Beschneidung, wenn nicht Abschaffung der Vertragsfreiheit durch die Vertragsfreiheit gleichkam. Darüber hinaus dienten Kartelle der wirtschaftlichen Steuerung und ermöglichten es z.B. den Nationalsozialisten, ihre umfassende Kollektivierung auch auf wirtschaftliches Gebiet auszudehnen und dennoch die Fassade des Privateigentums aufrecht zu erhalten. Doch sowohl der Bezug als auch die Abgabe von Waren konnten nur zu festgesetzten Preisen und Mengen über das jeweilige Kartell erfolgen. Selbst die „Zuweisung“ von Lehrlingen musste über den jeweiligen Branchenverband erfolgen. Die Preis- und Lohnstopps begannen bereits 1936, zugleich wurden Außenhandel und Freizügigkeit abgeschafft – es bildete sich also recht bald nach der Machtübernahme und noch vor Kriegsbeginn eine Struktur heraus, die frappierend der der späteren DDR-Wirtschaft ähnelte.

Kollektivierung jeglicher Art war den Verfechtern der Sozialen Marktwirtschaft ein Greul. Ein Rädchen im Getriebe zu sein oder eine entpersönlichte Nummer, das war für sie mit der Vorstellung eines menschenwürdigen Lebens unvereinbar. Im Wettbewerb sahen sie nicht nur das entscheidende Instrument gegen wirtschaftliche Ineffizienz, sondern auch gegen illegitime Macht. Ein grundsätzliches Kartellverbot schien ihnen daher aus ökonomischen ebenso wie aus außerökonomischen Gründen dringend geboten.

Auch auf Seiten der amerikanischen Besatzungsmacht speisten sich die Dekartellisierungsbestrebungen nicht allein aus ökonomischen Überlegungen. Vielmehr sah man in den Kartellen einen Bestandteil der nationalsozialistischen Herrschaft, der dringend zu zerschlagen war.15Murach-Brand weist auf die Widersprüche der amerikanischen Antitrustpolitik insbesondere unter Präsident Roosevelt hin und interpretiert die Auseinandersetzungen über den richtigen Weg der Kartellpolitik im besetzten Deutschland auch als Neuauflage dieser innenpolitischen Streitigkeiten. Vgl. Lisa Murach-Brand: Antitrust auf deutsch. Der Einfluß der amerikanischen Alliierten auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nach 1945, Tübingen 2004, S. 13-28, insbes. S. 18ff. Frankeich und die Sowjetunion lagen ganz auf der Linie der USA, ein einheitliches Kartellgesetz scheiterte allerdings am Widerstand der Briten im Kontrollrat. Ähnlich wie im deutschen Kaiserreich, der Weimarer Republik und dem nationalsozialistischen Deutschland hielt man dort Kartelle für grundsätzlich nützliche Einrichtungen, was sich etwa auch in der Erlaubnis eines Zement- und Düngekalk-Kartells in der britischen Zone ausdrückte.

Doch auch als die Militärgesetze Law 56 bzw. 78 endlich in Kraft traten, war damit noch nicht viel gewonnen. Für in der deutschen Rechtstradition ausgebildete Juristen schien das Gesetz wegen seiner ungenauen Formulierungen undurchführbar zu sein; unterschiedliche Auffassungen einzelner Behörden, Interessengegensätze und wechselnde Ziele unter den Alliierten verkomplizierten die Situation zusätzlich.16Vgl. Murach-Brand (2004), S. 77, 85ff.

So fiel die Aufgabe, ein Kartellgesetz zu entwerfen, an die Bundesrepublik. Hier wurde die prinzipielle Auseinandersetzung darüber, ob man der deutschen Tradition des Missbrauchsverbots folgen sollte oder, was im Sinne der Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft war, auf ein grundsätzliches Kartellverbot setzen sollte, mit antiamerikanischem bzw. Antibesatzungs-Ressentiment verknüpft. Für die Diskussion über das GWB sind daher Beiträge typisch, die entweder den amerikanischen Charakter des Kartellverbots herausstellen oder aber gerade betonen, das GWB sei mitnichten ein amerikanisches Kind, sondern individuell auf die Situation der Bundesrepublik gemünzt.

Schließlich kann nicht überraschen, dass die Industrie, deren bequemes, dem Wettbewerb enthobenes Dasein von einem Kartellgesetz bedroht wurde, massive und entschlossene Interessenpolitik gegen das GWB betrieb. Vor allem der Bundesverband der deutschen Industrie mit seinem Vorsitzenden Fritz Berg lief Sturm gegen diese Pläne. Vergegenwärtigt man sich, welchen Druck vor allem die USA auf die Bundesrepublik ausübten, endlich ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden und dass bis 1951 bereits vierzehn (!) Entwürfe für ein GWB verfasst worden waren, muss man die erhebliche Verzögerung des Gesetzes aus der Perspektive des BDI als beachtlichen Erfolg werten.

Schließlich wurde 1957 ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verabschiedet. Doch aus der Sicht der Sozialen Marktwirtschaftler war es allenfalls ein Teilsieg. Sie hatten sich von diesem Gesetz eine wirksame Fusionskontrolle erhofft, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. Erst 1973 wurde diese im Zuge einer Novellierung des GWB eingeführt, nach wie vor gibt die Möglichkeit der Ministererlaubnis vom Kartellamt abgelehnter Fusionen jedoch Anlass zur Kritik.

Jahrzehnte später kann man aber immerhin von einem geistigen Sieg der Wettbewerbshüter sprechen. Ungeachtet einzelner kritischer Betrachtungen des deutschen Wettbewerbsrechts hat sich zumindest die grundsätzliche Erkenntnis, dass Kartelle nicht gemeinwohlfördernd sind, sondern ihre Gewinne auf Kosten anderer realisieren, durchgesetzt.

Die Rentenreform

Für das andere große Gesetzesvorhaben des Jahres 1957, die Rentenreform, lässt sich von einem Sieg der Sozialen Marktwirtschaft bis heute nicht sprechen. Die massive Anhebung der Renten, ihre Kopplung an das Lohnniveau und eine Umwertung der Rente von einer Versicherungsleistung gegen absolute Armut in eine Art arbeitsloses Einkommen für ein ganzes Lebensdrittel belasten durch die Beitragsfinanzierung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der bundesrepublikanischen Gesellschaft stark. Hinzu kommt, dass Sozial- und Wirtschaftspolitik einander zunehmen widersprechen, was sich darüber hinaus negativ auf die Leistungsanreize auswirkt – auch das ein politisches Erbe, das sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht weit über Bonn hinausweist.

Anders als in der Wirtschaftspolitik gab es für die Sozialpolitik der Bundesrepublik keinen grundlegenden Neuanfang. Weder die Alliierten noch die erste Bundesregierung brachen mit den vorgefundenen Strukturen der deutschen Sozialpolitik. Doch zweifelsohne stellten die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, die Folgen des Kriegs sowie der darüber hinaus durch Inflation, Preiskontrollen und andere Zwangsmaßnahmen der Nationalsozialisten gestörte Wirtschaftsprozess die Sozialpolitik vor ungekannte Herausforderungen.

Beispielsweise waren 1945 rund 40% der Wohnungen in den Westzonen zerstört oder stark beschädigt. Zugleich strömten allein in den ersten fünf Nachkriegsjahren Millionen Vertriebene und Flüchtlinge in die Bundesrepublik, die zusätzlich untergebracht werden mussten.17Nach Angaben von Hockerts waren nur etwa zwei Drittel des notwendigen Wohnungsbestandes vorhanden, rund 5 Mio. Wohnungen fehlten. Hans Günter Hockerts: Der deutsche Sozialstaat. Entfaltung und Gefährdung seit 1945, Göttingen 2011, S. 25. Insofern überrascht es nicht, dass Wohnungsbauprogramme des Staates und Subventionen für privaten Wohnungsbau auch aus Sicht der Sozialen Marktwirtschaft geboten waren. Der Wohnungsmangel konnte bereits in den 1950er Jahren behoben werden, in diesem Jahrzehnt entstanden über 5 Mio. neue Wohneinheiten. Daher wurde 1960 begonnen, die von den Alliierten 1946 eingeführte Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum schrittweise zu beenden. Mindestens 1,5 Mio. Kriegsversehrte waren zu versorgen, die nur teilweise wieder in das Erwerbsleben integriert werden konnten. Bis 1955 kamen noch einmal ähnlich viele Spätheimkehrer aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft dazu. Auch wenn der Hunger der ersten Nachkriegsjahre bald überwunden war, blieben Not und Mangel für den Alltag vieler Menschen noch über einige Jahre prägend.

Vor diesem Hintergrund kann es kaum überraschen, dass auch Rentenerhöhungen seit Gründung der Bundesrepublik ein Thema waren. Nach wie vor waren Renten getreu der Bismarckschen Konzeption der Rentenversicherung knapp bemessen. Daher ließ jeder Anstieg der Verbrauchspreise das Thema akut werden, denn er brachte viele Rentenbezieher in starke wirtschaftliche Bedrängnis.18Noch im Frühjahr 1957 – die Rentenreform war im Januar des Jahres verabschiedet worden, die neuen Renten wurden erstmals im Mai ausgezahlt – beschäftigte sich die Bundesregierung mit der Preisentwicklung von Gütern wie Margarine oder Mehl und diskutierte, ob eine Preisstützung notwendig sei. Vgl. Hartmut Weber für das Bundesarchiv (Hrsg.): Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 10, bearbeitet von Ulrich Enders und Josef Henke, München 2000, 180. Sitzung, 30. April 1957 (S. 237, S. 242), 181. Sitzung, 7. Mai 1957 (S. 249). Schon vor der Rentenreform von 1957 waren Wortungetüme wie Rentenzulagengesetz, Teuerungszulagengesetz und Grundbetrags-Erhöhungsgesetz fester Bestandteil des politischen Vokabulars, und waren sowohl der Rentenversicherungsbeitrag von 5,6% auf 10% erhöht als auch Teile der Rentenzahlungen aus dem Bundeshaushalt vorgenommen worden. Allerdings fehlte es an belastbaren Daten über die Rentenbezieher, sodass die Politik dem öffentlichen Druck und ihrer eigenen Angst vor sozialer Unruhe nurmehr Vermutungen entgegensetzen konnte. Dass die meisten Menschen in einer solchen Situation eine Präferenz für das Handeln haben, auch wenn völlig unklar ist, ob damit etwas verbessert oder verschlechtert wird, ist nicht logisch, aber eine Tatsache. Von deren verhängnisvollen Konsequenzen ist die Politik nicht ausgenommen.

Parallel dazu entwickelte sich mit der Verbesserung der Versorgung und der Entspannung der vielfältigen sozialen Probleme auch der Wunsch nach einer rationaleren Gestaltung der Sozialpolitik. Durch das Bestreben, die Kriegsfolgen sozialpolitisch „in den Griff“ zu bekommen, war die Konsistenz in diesem Regelungsbereich vernachlässigt worden. Die Idee einer allgemeinen Sozialreform erschien daher angebracht.

Bekanntlich kam es dazu nicht. Vielmehr wurde mit der Rentenreform eine weitere Eigenheit etabliert. An die Stelle der Idee einer kapitalgedeckten Versicherungsleistung trat der Erwerb von Ansprüchen durch Rentenbeiträge, deren Erfüllung anderen, nämlich den dann Erwerbstätigen aufgebürdet wurde. Damit änderte sich auch die Berechnung der Rentenhöhe. Diese war nicht mehr, wie vorher, allein an die Beiträge gekoppelt, sondern sollte sich mit den Arbeitslöhnen entwickeln. Auf diese Weise sollten auch die Rentnerinnen und Rentner von den während Ihrer Rentenzeit erzielten Produktivitätszuwächsen profitieren.19Der Sozialbericht 1958 enthält erste Zahlen zu den veränderten Renten. Demnach stiegen die durchschnittlichen Renten zwischen 41,1% (Waisenrente, Arbeiter) und 95% (Witwenrente, Angestellte), die Versichertenrenten stiegen um 59,1% (Arbeiter) bzw. 65,7% (Angestellte). Vgl. Bericht über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der Rentenversicherungen (Sozialbericht 1958), BT-Drucksache 3/568, S., 22f.

An dieser Stelle kommt Bonn nicht nur als Entscheidungsort ins Spiel, weniger bekannt ist, dass die Idee zu dieser Form der Rentenversicherung von einem Bonner stammt. Wilfrid Schreiber hatte 1955 im Auftrag des Bunds katholischer Unternehmer einen Reformvorschlag vorgelegt,20Wilfrid Schreiber: Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft, Köln 1955. dessen zentrale Elemente Umlagefinanzierung und Dynamisierung die spätere Rentenreform kennzeichnen sollten.

Zur Zeit ihrer Einführung war die Rentenreform beliebt, der CDU bescherte sie bei den anschließenden Bundestagswahlen die absolute Mehrheit. Die schweren Versäumnisse dieser Reform, auf die Kritiker von Anfang an hingewiesen hatten, wurden erst später akut. An erster Stelle ist hier die demographische Veränderung zu nennen, die ganz offensichtlich Adenauers Diktum, Kinder bekämen die Leute immer, nicht mehr folgen will.

Aus der Perspektive der Sozialen Marktwirtschaft sind weitere Aspekte kritisch zu betrachten. So müsste nach der ursprünglichen Konzeption die Rente mit den Löhnen nicht nur steigen, sondern auch sinken. Das erwies sich jedoch als politisch nicht durchsetzbar. Zudem bedeutet die Mischfinanzierung aus Beiträgen und Bundeszuschüssen eine Verschleierung der Kosten, in den Worten Wilfrid Schreibers handelt es sich um „Gaukelei“. Schließlich bleibt grundsätzlich zu fragen, inwiefern die verpflichtende Bindung an ein Kollektivsystem, auf dessen Angebot das Individuum keinerlei Einfluss hat, nicht eine ungebührliche Beschränkung der Freiheit ist. Dieses Problem ist allerdings kein exklusives der Rentenreform.

Insofern geht es auch zu weit, in der Rentenreform bereits das Ende der Sozialen Marktwirtschaft zu erblicken. Bei allen wahltaktischen und interessenspolitischen Motiven ist das grundsätzliche Ziel, auch nicht erwerbstätige Menschen an den enormen Wohlstandszuwächsen zu beteiligen, durchaus ehrenwert und im Sinne des sozialen Aspekts auch und gerade der Sozialen Marktwirtschaft. Es lässt sich jedoch nicht von der Hand weisen, dass die Ausgestaltung der Rentenreform eine Interventionsspirale in Gang gesetzt hat und sich so für die Soziale Marktwirtschaft als eine zerstörerische Saat erwiesen hat.

Die Rolle Bonns

Was bedeutet dies nun für die Rolle Bonns? Trotz der eingangs geschilderten vielfältigen Wurzeln und Wegmarken der Sozialen Marktwirtschaft dürfte bis hierher deutlich geworden sein, dass die Rolle Bonns für die Soziale Marktwirtschaft eine erhebliche war.

Auch wenn die Anfänge der Umsetzung der Sozialen Marktwirtschaft in die Zeit vor der Gründung der Bundesrepublik zurückreichen, so war 1949 keinesfalls ausgemacht, dass die Bundesrepublik weiter auf diesem marktwirtschaftlichen Kurs bleiben würde. Ganz im Gegenteil ließ der Zeitgeist das als eher unwahrscheinlich erscheinen. Insofern gebührt Bonn das Verdienst, der jungen Bundesrepublik wirtschaftlich desaströse Experimente erspart zu haben, über deren politische Folgen an dieser Stelle gar nicht spekuliert werden soll.

Andererseits blieb auch Bonn nicht verschont von der Einflussnahme von Interessengruppen oder der Versuchung, die Staatskasse zum Stimmenkauf zu nutzen – den üblichen Problemen einer Demokratie. Ganz gleich, ob man den Anfang vom Ende der Sozialen Marktwirtschaft an der Rentenreform festmacht oder ihn einem anderen Ereignis oder Zeitraum zuordnet – die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland sich bereits zu Bonner Zeiten von einer Sozialen Marktwirtschaft in Richtung eines Wohlfahrtstaates zu entwickeln begann, lässt sich nicht übersehen.

Insofern muss man Bonn also eine ambivalente Rolle bei der Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft zuschreiben. Das Fazit bleibt jedoch ein positives: Gegen alle Wahrscheinlichkeit gelang es unter schwierigen Umständen, in der Bundesrepublik ein zwar mit Ausnahmen versehenes, aber insgesamt sehr freiheitliches Wirtschaftssystem zu etablieren. Auch wenn sich seither nicht nur die Wirtschaftsstruktur, sondern auch die Gesellschaft verändert hat, so sind die Ideen und der Wohlstand der Sozialen Marktwirtschaft nach wie vor eine Erfolgsgeschichte. Eine Erfolgsgeschichte, an der Bonn keinen geringen Anteil hatte.

Der vorliegende Text ist zuerst erschienen in: Tilman Mayer, Dagmar Schulze Heuling (Hrsg.): Über Bonn hinaus. Die ehemalige Bundeshauptstadt und ihre Rolle in der deutschen Geschichte, Baden-Baden 2017.

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, herausgegeben von der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn, ISSN 2366-021X

DRUCKEN

Fussnoten

  • 1
    Für seinen Schöpfer Albert ist der „Rheinische Kapitalismus“ allerdings kein exklusiv deutsches Phänomen, sondern in unterschiedlicher Ausprägung in Europa verbreitet, einige Aspekte träfen sogar auf Japan zu. Michel Albert: Kapitalismus contra Kapitalismus, Frankfurt am Main 1992.
  • 2
    Den weithin etablierten Begriff „Wirtschaftswunder“ hat ausgerechnet der als „Vater des Wirtschaftswunders“ bezeichnete Ludwig Erhard stets abgelehnt: „An Wunder aber vermag ich gerade im Bereich der Wirtschaft nicht zu glauben“, sagte er bereits in seiner Rundfunkansprache am 21. Juni 1948, also einen Tag nach Beginn der Währungsreform. Ludwig Erhard, Rundfunkansprache, 21. Juni 1948, in: Karl Hohmann (Hrsg.): Ludwig Erhard. Gedanken aus fünf Jahrzehnten. Reden und Schriften, Düsseldorf u.a. 1988, S. 123.
  • 3
    Vgl. Horst Friedrich Wünsche: Welcher Marktwirtschaft gebührt das Beiwort „sozial“?, in: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.): Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft, Bd. 2: Das Soziale in der Sozialen Marktwirtschaft, Stuttgart u.a. 1988, S. 21-31, S. 31.
  • 4
    Ausführlicher zu dem auch hier schwerpunktmäßig betrachteten Zeitraum: Hans Günter Hockerts, Günther Schulz (Hrsg.): Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, Paderborn 2016.
  • 5
    Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform. Auch hier zeigt sich wieder eine Verbindung zum Freiburger Ordoliberalismus. Das Gesetz wurde maßgeblich von Leonhard Miksch ausgearbeitet, der 1950 nach Euckens Tod dessen Nachfolger wurde, aber noch im selben Jahr starb.
  • 6
    Vgl. exemplarisch Michael Schuhen, Michael Wohlgemuth, Christian Müller (Hrsg.): Ökonomische Bildung und Wirtschaftsordnung, Stuttgart 2012.
  • 7
    Walter Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, herausgegeben von Edith Eucken und Paul Hensel, Tübingen 1952, S. 169ff.
  • 8
    Ludwig Erhard: Politik der Mitte und der Verständigung, Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 18. Oktober 1963, in: ders.: Wirken und Reden, Ludwigsburg 1966, S. 117-158. Erhard betont einerseits die Freiheit. Sie sei „ein so hoher und absoluter Wert, daß sich ein Volk selbst preisgibt, wenn es auf sie verzichtet.“ Andererseits warnt er vor Partikularismus. Wir müssen „damit aufhören, unsere Kräfte und Mittel jeweils nur an speziellen und individuellen Forderungen auszurichten, sondern wir müssen das Ganze bedenken“. Höchst aktuell ist auch seine Mahnung, man solle sich hüten, „jedwede Forderung an den Staat […] vorschnell mit dem Wort ‚sozial‘ oder ‚gerecht‘ zu versehen, wenn es in Wahrheit nur zu oft um partikuläre Wünsche geht.“ S. 119f.
  • 9
    Alfred Müller-Armack: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft. Frühschriften und weiterführende Konzepte, Bern und Stuttgart 1981, 2., erweiterte Auflage, S. 15. Carl Christian von Weizsäcker zählt als bedeutende Kriterien der Sozialen Marktwirtschaft folgende auf: Schutz des Eigentums, Vertragsfreiheit, Wettbewerb, Politik der Geldwertstabilität, gesunde Staatsfinanzen, niedrige Staatsquote, schlankes Sozialleistungssystem sowie ein Einkommensteuersystem, das sowohl Umverteilungs- als auch Anreizaspekte berücksichtigt. Vgl. ders.: Das Gerechtigkeitsproblem in der Sozialen Marktwirtschaft, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 47/3 (1998), S. 258-288.
  • 10
    Otto Schlecht: Soziale Marktwirtschaft, in: Wilhelm Korff (Hrsg.) im Auftrag der Görres-Gesellschaft: Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 1: Verhältnisbestimmung von Wirtschaft und Ethik, Gütersloh 1999, S. 289-303, S. 289.
  • 11
    Erhard schrieb von der „freien und gerade deshalb ‚Sozialen Marktwirtschaft‘“. Ludwig Erhard: Zehn Thesen zur Verteidigung der Kartellverbotsgesetzgebung Offener Brief an den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie Fritz Berg, 10. Juli 1952, in: Karl Hohmann (Hrsg.): Ludwig Erhard. Gedanken aus fünf Jahrzehnten. Reden und Schriften, Düsseldorf u.a. 1988 S. 347-355, S. 347f.
  • 12
    Wilhelm Korff (Hrsg.) im Auftrag der Görres-Gesellschaft: Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 1: Verhältnisbestimmung von Wirtschaft und Ethik, Gütersloh 1999, S. 500.
  • 13
    Ausführlich dazu Daniel Koerfer: Kampf ums Kanzleramt: Erhard und Adenauer, Stuttgart 1987.
  • 14
    RGZ 38,155ff „Sächsischer Holzstoff-Fabrikanten-Verband“. Franz Böhm spricht vom „Land der Kartelle“, in: Franz Böhm: Das Reichsgericht und die Kartelle, in: Ordo 1 (1948), S. 197-213, vgl. S. 198 und S. 212. Allgemein setzte sich unter den Ordoliberalen die Lesart durch, dass das RGZ-Urteil einer Beschneidung, wenn nicht Abschaffung der Vertragsfreiheit durch die Vertragsfreiheit gleichkam.
  • 15
    Murach-Brand weist auf die Widersprüche der amerikanischen Antitrustpolitik insbesondere unter Präsident Roosevelt hin und interpretiert die Auseinandersetzungen über den richtigen Weg der Kartellpolitik im besetzten Deutschland auch als Neuauflage dieser innenpolitischen Streitigkeiten. Vgl. Lisa Murach-Brand: Antitrust auf deutsch. Der Einfluß der amerikanischen Alliierten auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nach 1945, Tübingen 2004, S. 13-28, insbes. S. 18ff.
  • 16
    Vgl. Murach-Brand (2004), S. 77, 85ff.
  • 17
    Nach Angaben von Hockerts waren nur etwa zwei Drittel des notwendigen Wohnungsbestandes vorhanden, rund 5 Mio. Wohnungen fehlten. Hans Günter Hockerts: Der deutsche Sozialstaat. Entfaltung und Gefährdung seit 1945, Göttingen 2011, S. 25. Insofern überrascht es nicht, dass Wohnungsbauprogramme des Staates und Subventionen für privaten Wohnungsbau auch aus Sicht der Sozialen Marktwirtschaft geboten waren. Der Wohnungsmangel konnte bereits in den 1950er Jahren behoben werden, in diesem Jahrzehnt entstanden über 5 Mio. neue Wohneinheiten. Daher wurde 1960 begonnen, die von den Alliierten 1946 eingeführte Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum schrittweise zu beenden.
  • 18
    Noch im Frühjahr 1957 – die Rentenreform war im Januar des Jahres verabschiedet worden, die neuen Renten wurden erstmals im Mai ausgezahlt – beschäftigte sich die Bundesregierung mit der Preisentwicklung von Gütern wie Margarine oder Mehl und diskutierte, ob eine Preisstützung notwendig sei. Vgl. Hartmut Weber für das Bundesarchiv (Hrsg.): Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 10, bearbeitet von Ulrich Enders und Josef Henke, München 2000, 180. Sitzung, 30. April 1957 (S. 237, S. 242), 181. Sitzung, 7. Mai 1957 (S. 249).
  • 19
    Der Sozialbericht 1958 enthält erste Zahlen zu den veränderten Renten. Demnach stiegen die durchschnittlichen Renten zwischen 41,1% (Waisenrente, Arbeiter) und 95% (Witwenrente, Angestellte), die Versichertenrenten stiegen um 59,1% (Arbeiter) bzw. 65,7% (Angestellte). Vgl. Bericht über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der Rentenversicherungen (Sozialbericht 1958), BT-Drucksache 3/568, S., 22f.
  • 20
    Wilfrid Schreiber: Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft, Köln 1955.
DRUCKEN

Fussnoten

  • 1
    Für seinen Schöpfer Albert ist der „Rheinische Kapitalismus“ allerdings kein exklusiv deutsches Phänomen, sondern in unterschiedlicher Ausprägung in Europa verbreitet, einige Aspekte träfen sogar auf Japan zu. Michel Albert: Kapitalismus contra Kapitalismus, Frankfurt am Main 1992.
  • 2
    Den weithin etablierten Begriff „Wirtschaftswunder“ hat ausgerechnet der als „Vater des Wirtschaftswunders“ bezeichnete Ludwig Erhard stets abgelehnt: „An Wunder aber vermag ich gerade im Bereich der Wirtschaft nicht zu glauben“, sagte er bereits in seiner Rundfunkansprache am 21. Juni 1948, also einen Tag nach Beginn der Währungsreform. Ludwig Erhard, Rundfunkansprache, 21. Juni 1948, in: Karl Hohmann (Hrsg.): Ludwig Erhard. Gedanken aus fünf Jahrzehnten. Reden und Schriften, Düsseldorf u.a. 1988, S. 123.
  • 3
    Vgl. Horst Friedrich Wünsche: Welcher Marktwirtschaft gebührt das Beiwort „sozial“?, in: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.): Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft, Bd. 2: Das Soziale in der Sozialen Marktwirtschaft, Stuttgart u.a. 1988, S. 21-31, S. 31.
  • 4
    Ausführlicher zu dem auch hier schwerpunktmäßig betrachteten Zeitraum: Hans Günter Hockerts, Günther Schulz (Hrsg.): Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, Paderborn 2016.
  • 5
    Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform. Auch hier zeigt sich wieder eine Verbindung zum Freiburger Ordoliberalismus. Das Gesetz wurde maßgeblich von Leonhard Miksch ausgearbeitet, der 1950 nach Euckens Tod dessen Nachfolger wurde, aber noch im selben Jahr starb.
  • 6
    Vgl. exemplarisch Michael Schuhen, Michael Wohlgemuth, Christian Müller (Hrsg.): Ökonomische Bildung und Wirtschaftsordnung, Stuttgart 2012.
  • 7
    Walter Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, herausgegeben von Edith Eucken und Paul Hensel, Tübingen 1952, S. 169ff.
  • 8
    Ludwig Erhard: Politik der Mitte und der Verständigung, Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 18. Oktober 1963, in: ders.: Wirken und Reden, Ludwigsburg 1966, S. 117-158. Erhard betont einerseits die Freiheit. Sie sei „ein so hoher und absoluter Wert, daß sich ein Volk selbst preisgibt, wenn es auf sie verzichtet.“ Andererseits warnt er vor Partikularismus. Wir müssen „damit aufhören, unsere Kräfte und Mittel jeweils nur an speziellen und individuellen Forderungen auszurichten, sondern wir müssen das Ganze bedenken“. Höchst aktuell ist auch seine Mahnung, man solle sich hüten, „jedwede Forderung an den Staat […] vorschnell mit dem Wort ‚sozial‘ oder ‚gerecht‘ zu versehen, wenn es in Wahrheit nur zu oft um partikuläre Wünsche geht.“ S. 119f.
  • 9
    Alfred Müller-Armack: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft. Frühschriften und weiterführende Konzepte, Bern und Stuttgart 1981, 2., erweiterte Auflage, S. 15. Carl Christian von Weizsäcker zählt als bedeutende Kriterien der Sozialen Marktwirtschaft folgende auf: Schutz des Eigentums, Vertragsfreiheit, Wettbewerb, Politik der Geldwertstabilität, gesunde Staatsfinanzen, niedrige Staatsquote, schlankes Sozialleistungssystem sowie ein Einkommensteuersystem, das sowohl Umverteilungs- als auch Anreizaspekte berücksichtigt. Vgl. ders.: Das Gerechtigkeitsproblem in der Sozialen Marktwirtschaft, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 47/3 (1998), S. 258-288.
  • 10
    Otto Schlecht: Soziale Marktwirtschaft, in: Wilhelm Korff (Hrsg.) im Auftrag der Görres-Gesellschaft: Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 1: Verhältnisbestimmung von Wirtschaft und Ethik, Gütersloh 1999, S. 289-303, S. 289.
  • 11
    Erhard schrieb von der „freien und gerade deshalb ‚Sozialen Marktwirtschaft‘“. Ludwig Erhard: Zehn Thesen zur Verteidigung der Kartellverbotsgesetzgebung Offener Brief an den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie Fritz Berg, 10. Juli 1952, in: Karl Hohmann (Hrsg.): Ludwig Erhard. Gedanken aus fünf Jahrzehnten. Reden und Schriften, Düsseldorf u.a. 1988 S. 347-355, S. 347f.
  • 12
    Wilhelm Korff (Hrsg.) im Auftrag der Görres-Gesellschaft: Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 1: Verhältnisbestimmung von Wirtschaft und Ethik, Gütersloh 1999, S. 500.
  • 13
    Ausführlich dazu Daniel Koerfer: Kampf ums Kanzleramt: Erhard und Adenauer, Stuttgart 1987.
  • 14
    RGZ 38,155ff „Sächsischer Holzstoff-Fabrikanten-Verband“. Franz Böhm spricht vom „Land der Kartelle“, in: Franz Böhm: Das Reichsgericht und die Kartelle, in: Ordo 1 (1948), S. 197-213, vgl. S. 198 und S. 212. Allgemein setzte sich unter den Ordoliberalen die Lesart durch, dass das RGZ-Urteil einer Beschneidung, wenn nicht Abschaffung der Vertragsfreiheit durch die Vertragsfreiheit gleichkam.
  • 15
    Murach-Brand weist auf die Widersprüche der amerikanischen Antitrustpolitik insbesondere unter Präsident Roosevelt hin und interpretiert die Auseinandersetzungen über den richtigen Weg der Kartellpolitik im besetzten Deutschland auch als Neuauflage dieser innenpolitischen Streitigkeiten. Vgl. Lisa Murach-Brand: Antitrust auf deutsch. Der Einfluß der amerikanischen Alliierten auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nach 1945, Tübingen 2004, S. 13-28, insbes. S. 18ff.
  • 16
    Vgl. Murach-Brand (2004), S. 77, 85ff.
  • 17
    Nach Angaben von Hockerts waren nur etwa zwei Drittel des notwendigen Wohnungsbestandes vorhanden, rund 5 Mio. Wohnungen fehlten. Hans Günter Hockerts: Der deutsche Sozialstaat. Entfaltung und Gefährdung seit 1945, Göttingen 2011, S. 25. Insofern überrascht es nicht, dass Wohnungsbauprogramme des Staates und Subventionen für privaten Wohnungsbau auch aus Sicht der Sozialen Marktwirtschaft geboten waren. Der Wohnungsmangel konnte bereits in den 1950er Jahren behoben werden, in diesem Jahrzehnt entstanden über 5 Mio. neue Wohneinheiten. Daher wurde 1960 begonnen, die von den Alliierten 1946 eingeführte Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum schrittweise zu beenden.
  • 18
    Noch im Frühjahr 1957 – die Rentenreform war im Januar des Jahres verabschiedet worden, die neuen Renten wurden erstmals im Mai ausgezahlt – beschäftigte sich die Bundesregierung mit der Preisentwicklung von Gütern wie Margarine oder Mehl und diskutierte, ob eine Preisstützung notwendig sei. Vgl. Hartmut Weber für das Bundesarchiv (Hrsg.): Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 10, bearbeitet von Ulrich Enders und Josef Henke, München 2000, 180. Sitzung, 30. April 1957 (S. 237, S. 242), 181. Sitzung, 7. Mai 1957 (S. 249).
  • 19
    Der Sozialbericht 1958 enthält erste Zahlen zu den veränderten Renten. Demnach stiegen die durchschnittlichen Renten zwischen 41,1% (Waisenrente, Arbeiter) und 95% (Witwenrente, Angestellte), die Versichertenrenten stiegen um 59,1% (Arbeiter) bzw. 65,7% (Angestellte). Vgl. Bericht über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der Rentenversicherungen (Sozialbericht 1958), BT-Drucksache 3/568, S., 22f.
  • 20
    Wilfrid Schreiber: Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft, Köln 1955.