Am 10. Oktober 2018 wurde Dr. Peter Rásonyi, Leiter der Auslandsredaktion der Neuen Zürcher Zeitung, in Berlin mit dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. In seiner Preisrede beklagt er, dass die Ordnungspolitik heute einen schweren Stand habe. Vielmehr könnte sie hilfreich sein, dem Vertrauensverlust der Bürger in die Politik entgegenzuwirken.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Privileg, hier auf diesem Podium zu stehen, zu Ihnen zu sprechen und diesen wunderbaren und beeindruckenden Preis entgegenzunehmen. Ich hatte bisher noch nie in meinem Leben an die Möglichkeit gedacht, den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik zu erhalten, und das freut mich jetzt ganz besonders. Es freut mich auch besonders im Namen der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Ich habe fast mein ganzes Berufsleben für diese Zeitung gearbeitet.

Die NZZ hat Deutschland immer sehr nahe gestanden, hat sich immer sehr intensiv mit Deutschland beschäftigt. Unsere Korrespondenten – früher in Bonn, heute in Berlin, Frankfurt und München – sind hier auch immer als Stimmen wahrgenommen worden, die sich gründlich, wohlwollend und mit großer persönlicher Leidenschaft für die liberale Sache mit Deutschland auseinandergesetzt haben. Schon die Gründerväter 1780 – als Teil des Zürcher Bürgertums die wichtigsten Träger der Spätaufklärung in der Schweiz – standen damals in einem sehr intensiven Diskurs mit gleichgesinnten Aufklärern in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Das ist also eine sehr lange Tradition, in der wir uns als Teil des europäischen und internationalen Diskurses der Aufklärung und des Liberalismus sehen.

Seit gut einem Jahr haben wir unser Korrespondentenbüro in Berlin stark ausgebaut. Wir werfen unseren „anderen Blick“ – „Der andere Blick“, so heißt ein neuer Newsletter, den wir auch in Deutschland verteilen – ganz gezielt auf Deutschland, und heute in einer viel stärkeren Intensität, wie wir es noch nie gemacht haben. Und das macht uns sehr viel Spaß.

Großartige Lebensleistung Ludwig Erhards

Natürlich war die NZZ auch schon in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts sehr nah an der politischen Entwicklung in Deutschland, und besonders mit Ludwig Erhard schien sie geradezu eine Seelenverwandtschaft der liberalen Geister zu pflegen. So war etwa am 4. Februar 1957 zum sechzigsten Geburtstag des damaligen Bundeswirtschaftsministers in der NZZ zu lesen: „Seine große Leistung besteht darin, dass er in einer Situation, in der selbst Liberale am Liberalismus zu zweifeln begannen, den unumstößlichen Beweis erbracht hat, dass die Marktwirtschaft Energien weckt, die die Zentralverwaltungswirtschaft mit den drakonischsten Mitteln nicht zu mobilisieren vermag.“ – Damals hat man sich noch getraut, sehr lange Schachtelsätze in die Zeitung zu schreiben. – Weiter unten lobt die NZZ das freundschaftliche Verhältnis Ludwig Erhards zur Schweiz. Unter seiner Führung befänden sich die wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik im Einklang mit den Interessen der Schweiz. Weil, so betonte die NZZ damals, „sich beide Länder in ihren Außenhandelsbeziehungen von echten liberalen Gesichtspunkten leiten lassen“.

Das war eine Gemeinsamkeit, die man damals sehr gut pflegen konnte. Ich selbst war auch einmal einer dieser Berliner Korrespondenten der NZZ und habe damals versucht, den Wirtschafts- und Sozialreformen der Agenda 2010 von Gerhard Schröder jene Anerkennung zukommen zu lassen, die sie von deutschen Medien häufig nicht so richtig oder nur sehr sparsam erhalten hatten. Während der nun schon über 20 Jahre, die ich als Journalist für die NZZ tätig bin, habe ich stets einfach nur die Welt beobachtet, über sie nachgedacht und das geschrieben, was ich für richtig gehalten habe. Dass der Jury der Ludwig-Erhard-Stiftung dies aufgefallen ist und sie meine Arbeit offenbar passend zum Sinn des Stiftungsnamens erachtet hat, freut mich besonders.

Mir ging es bei meinem Tun immer primär um die Freiheit der Menschen, um fairen Wettbewerb und um Wohlstand für alle. Dabei hatte ich ehrlich gesagt die Schriften Erhards noch gar nicht gründlich gelesen. Ich habe dies aber mittlerweile nachgeholt. Und wenn ich Sätze von Erhard wie folgende lese, so spricht er mir voll und ganz aus dem Herzen: „Das erfolgreichste Mittel zur Erreichung und Sicherung jeden Wohlstands ist der Wettbewerb. Es ist darum eine der wichtigsten Aufgaben des auf einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung beruhenden Staates, die Haltung des freien Wettbewerbs sicherzustellen.“ Freiheit, Wettbewerb, Wohlstand für alle – diese Themen haben Ludwig Erhard nicht nur beschäftigt, so wie einen kritischen Schreiber heutzutage vor seinem Computer. Erhard hat dies auch kraft seines Amtes und seiner starken Persönlichkeit in die Realität umzusetzen vermocht. Er hat damit das Wohlergehen von Millionen Menschen gefördert, bis heute. Was ist das für eine großartige Lebensleistung!

Schwerer Stand für die Ordnungspolitik

Wettbewerb ist das beste Mittel für Wachstum und Wohlergehen. Wettbewerb bedarf allerdings der Voraussetzung eines freiheitlichen Ordnungsrahmens, der ihn schützt und allen potenziellen Teilnehmern zu möglichst gleichen und fairen Bedingungen zugänglich ist. Das sind die ordnungspolitischen Grundsätze, die Ludwig Erhard seinerzeit angetrieben haben. Und das sind die Überzeugungen, die mich und gewiss viele von Ihnen heute in diesem Raum auch immer noch überzeugen.

Und doch müssen wir uns eingestehen, dass die Ordnungspolitik heute generell einen schweren Stand hat. Innerhalb der von den angelsächsischen Universitäten dominierten Wirtschaftswissenschaften fristet sie eher noch eine Randexistenz. Unter vielen Wirtschaftsjournalisten gilt sie als altmodisch, überholt, ideologisch oder schlicht hinderlich. Für die Politiker sind ordnungspolitische Grundsätze ohnehin nur unbequem, da sie ihren Handlungsspielraum einschränken. „It‘s the economy, stupid!“, hatte einst der amerikanische Präsident Bill Clinton zu seinem politischen Wahlspruch gemacht. Und tatsächlich, Clinton vermochte in den Neunzigerjahren über eine ungewöhnlich lange Prosperitätsphase in Amerika zu präsidieren. Diese hatte ihn politisch über zwei Wahlperioden und über so manchen persönlichen Sturm hinweg getragen.

Doch so sicher ist diese Devise heute, zehn Jahre nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise, mit all ihren problematischen Nebenwirkungen nicht mehr. 2016 kam es in den USA zum Wechsel von einem demokratischen zu einem republikanischen Präsidenten, obschon die amerikanische Wirtschaft in den vergangenen sieben Jahren unter Präsident Barack Obama mit Raten zwischen 1,6 und 2,5 Prozent kräftig und stetig gewachsen war. Und 2018, im zweiten Jahr der Präsidentschaft von Donald Trump, liegen dessen Popularitätswerte auf rekordtiefem Niveau, obschon sich das Wachstum auf eine Rate von 2,9 Prozent beschleunigt hat. Das Wirtschaftswachstum ist offensichtlich nicht mehr unbedingt das entscheidende Kriterium für Erfolg von Politikern bei den Wählern.

Pragmatische Retter versus ordnungspolitische Mahner

Was ist geschehen? Erinnern wir uns an die Jahre 2008 und 2009, also an den Höhepunkt der Finanzkrise, als die Regierungen in den USA und in Großbritannien, später auch in Deutschland, der Schweiz und in anderen Ländern dazu übergingen, ihre großen Banken mit staatlichen Krediten und Kreditgarantien in ungeahnter Höhe vor einer Insolvenzkrise und dem möglichen Zusammenbruch zu bewahren. Eine Zeitlang tobte damals noch die öffentliche Debatte zwischen den pragmatischen Rettern und den ordnungspolitischen Mahnern. Letztere warnten vor den gefährlichen langfristigen Anreizwirkungen, die solche staatlichen Rettungsaktionen bewirken würden. Die Rettung des Managers vor den Folgen seines eigenen Tuns durch den Staat ist in einer liberalen Marktwirtschaft mit guten Gründen nicht vorgesehen. Denn, wenn dies systematisch praktiziert wird, dann werden kluge Manager zynisch kalkulierend erst recht hohe Risiken eingehen. Wenn es gut läuft, kassieren sie den Gewinn – wenn es schiefgeht, werden die Kosten auf die Gesellschaft überwälzt.

Diese plausible Theorie des „moral hazard“ ist in der Ökonomie seit Jahrzehnten etabliert. Sie wurde aber während der Finanzkrise von den politischen Entscheidern energisch beiseite gewischt. Nach Lehman Brothers ging kein großer Finanzkonzern mehr unter. Kein Bankmanager musste strafrechtliche Konsequenzen für eine verantwortungslose Geschäftspolitik tragen, und auch heute billigen die meisten Ökonomen und Experten in ihren Rückblicken die damaligen Entscheidungen der Aufsichtsorgane. Die bedingungslose Rettung der Banken war richtig und alternativlos, ist heute zumeist zu lesen. Weitere Bankzusammenbrüche hätten der Weltwirtschaft unerträglich schweren Schaden zugefügt. Der Kollaps von Lehman Brothers, das Mahnmal der Finanzkrise, wird heute im Rückblick von den meisten Analytikern als schwerer Fehler bezeichnet – selbst von solchen, die damals noch die Theorie des moral hazard oder der Ordnungspolitik vertreten und schwere Kritik geübt hatten.

Lassen Sie mich nur ein Beispiel zitieren. So schrieb der von mir sehr geschätzte Kolumnist John Gapper am 12.9.2018 in der Financial Times ein regelrechtes Bekenntnis unter dem Titel „Mein naiver Anteil am Sturz von Lehman“. Damals habe er, Gapper, dem amerikanischen Finanzminister kurz vor dem Lehman-Zusammenbruch in seiner Kolumne in der Financial Times geraten, einen Tag frei zu nehmen und seinem Hobby des Vogelbeobachtens nachzugehen, anstatt im Büro zu sitzen und Lehman Brothers zu retten. Heute müsse er aber zu seinem großen Bedauern eingestehen, dass er damals der Theorie des moral hazard gefolgt war und damit falsch gelegen sei. Er habe den Ernst der Lage unterschätzt.

Tiefer Vertrauensverlust in die Politik

Dasselbe Muster ordnungspolitisch sträflicher Rettungsaktionen folgte in den Jahren nach Lehman mit der Eurokrise. Auch hier wurden die von großen europäischen Banken verantwortungslos und durchaus spekulativ gehorteten Staatsanleihen hochverschuldeter südeuropäischer Länder durch europäische Staaten sowie die EZB garantiert oder übernommen. Die Verluste privater Anleger wurden minimiert, Risiken und Kosten in atemberaubenden Dimensionen auf die Steuerzahler überwälzt. Auch hier galt damals und gilt heute der Leitspruch, die Rettungsaktionen seien alternativlos gewesen, um noch Schlimmeres von der Gesellschaft abzuwenden. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“, lautete die simple Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, und Letzteres wollte und will natürlich niemand.

Man kann diese apologetische Haltung teilen. Der Großteil der Journalisten, Ökonomen und Experten tut es heute – wobei ich selbst nicht umhinkomme, für mich eine ordnungspolitisch begründete Skepsis zu bewahren. Klar ist allerdings in den letzten Jahren auch geworden, dass breite Kreise der Bevölkerung in den USA und in Europa diese Expertensicht nicht teilen. Im Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft vor zwei Jahren wurde Hillary Clinton ihre Nähe zur Wall Street als Beleg für die Abhängigkeit von einer moralisch korrupten Finanzelite vorgeworfen – einer Elite, der das Schicksal des normalen Bürgers egal sei. Ausgerechnet dem New Yorker Immobilienmogul und Milliardär gelang es, sich als unverbrauchte und unabhängige Alternative zu diesem angeblich so diskreditierten Establishment anzubieten. Und heute zieht mit denselben Slogans Steve Bannon, der damalige Berater Trumps, durch Europa und berät populistische Parteien und Politiker.

Die gewachsene Verunsicherung und Skepsis gegenüber den politischen Eliten folgen nicht nur aus der Finanzkrise. Auch die Folgen der Globalisierung, des rasanten technologischen Wandels und der von beiden begünstigten starken Migration hat für viele Menschen Ängste gefördert. Sie befürchten, dass ihnen die wirtschaftlichen Chancen abhandenkommen, dass sie von der wachsenden Konkurrenz der Einwanderer bedrängt werden, dass sie auf der Verliererseite des rasanten Wandels stehen werden. Wesentlich zu diesen oft diffusen Ängsten beigetragen hat das durch die Finanzkrise für viele verletzte Gefühl von Fairness, Verlässlichkeit und Kontrollverlust. Auf diesem fruchtbaren Boden wurde die Sensation von Trumps Wahl möglich.

Ähnliches spielt sich in Europa ab. Die Engländer haben sich im Juni 2016 trotz aller massiven wirtschaftlichen Risiken und Warnungen mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU entschieden. Das Parteiensystem in Frankreich ist 2017 kollabiert. Italien wird heute von Populisten und Rechtsextremen regiert. Und in Deutschland ist vor einem Jahr die AfD in den Bundestag eingezogen – trotz jahrelanger Hochkonjunktur und rekordhoher Beschäftigung. All diese politischen Sensationen folgen nicht einfach aus mangelndem Wirtschaftswachstum oder hoher Arbeitslosigkeit. Sie folgen aus einem tiefen Vertrauensverlust in die Politik.

Die von einigen als einzigartiger Kontrollverlust wahrgenommene Offenhaltung der Grenzen für Migranten in Deutschland im Sommer 2015 hat die Verunsicherung nur noch verstärkt. Dies wurde und wird von rechten Parteien und Politikern geschickt genutzt. Sie versprechen Sicherheit und Geborgenheit für all das Unheil, das angeblich von außen kommt, durch einen Rückbezug auf das Nationale, Abschottung und Alleingänge. „America first“ lautet der Slogan von Trump, „winning back control“ versprechen die Verfechter eines harten Brexits in England.

Das Zusammenwachsen einer Wertegemeinschaft braucht Zeit

Was ist zu tun, um der grassierenden Verunsicherung und dem Vertrauensverlust beizukommen? Antworten fallen nicht leicht. Mit Sicherheit gibt es keine einfachen und schnell wirkenden Rezepte. Eine kräftige Konjunkturspritze wird es aber ganz bestimmt nicht richten, denkt man an Deutschland oder die USA mit ihren boomenden Volkswirtschaften. Eine in Europa weit verbreitete Sichtweise ist, die Mängel im Finanzsystem, welche die Finanz- und die Eurokrise aufgedeckt haben, durch eine Welle neuer Regulierungen und Zentralisierungen innerhalb Europas zu beseitigen. Die Bankenunion soll vollendet, die europäische Einlagensicherung zwecks europaweiter Umverteilung von Bankenrisiken beschlossen werden. Dazu sollen gleich auch noch gemeinsame Kompetenzen in der Steuerpolitik, ein gemeinsamer EU-Haushalt und ein EU-Finanzminister kommen, wie es Emmanuel Macron fordert. Erst wenn die Risiken einer wieder aufflammenden Banken- und Schuldenkrise in Südeuropa durch eine gründlich institutionalisierte europäische Transferunion eingedämmt sind, so diese Theorie, könnten die Bürger wieder ruhig schlafen und Vertrauen in die Politik zurückgewinnen.

Aber ist das plausibel? Haben manche Bürger nicht eher Vertrauen in die Politik verloren, weil sie befürchten, dass solche angeblich unpolitischen rein technischen und alternativlosen, in ihrer Komplexität komplett undurchsichtigen Konstrukte zu irreversiblen wirtschaftlichen Entwicklungen in Europa führen? Zu Entwicklungen, die nie offen dargelegt und zu denen die Bürger nie um ihre Zustimmung gefragt wurden? Befürchten die Bürger nicht zu Recht einen Kontrollverlust ihrer nationalen demokratischen Institutionen, deren Folgen sie nicht abschätzen können?

Auch auf gesellschaftlicher Ebene stößt die Vision einer immer engeren Union, wie sie noch in der Präambel des Maastricht-Vertrags steht, zusehends an Grenzen. In Ost- und Mitteleuropa fühlen sich immer mehr Menschen von den Anforderungen einer im Westen definierten europäischen Wertegemeinschaft überfordert oder gar kolonisiert. Das Zusammenwachsen dieser Wertegemeinschaft braucht einfach Zeit. Wenn diese den jüngeren Mitgliedsländern nicht gewährt wird, gibt es politische Gegenreaktionen, von denen wiederum Populisten profitieren, wie dies in mehreren Staaten zu beobachten ist. Mehr zentrale Steuerung in Europa ist kaum ein Erfolg versprechender Lösungsansatz für das Problem schwindenden Vertrauens. Die Widerstände vieler Mitgliedstaaten sind einfach zu groß.

Im Koalitionsvertrag ist nichts von Ludwig Erhard zu finden

Vielleicht könnte die gute alte Ordnungspolitik einen Hinweis auf alternative Lösungswege geben: Freiheit, Selbstverantwortung, Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und Wettbewerbsregeln – Werte, die für alle gelten, die den meisten Europäern vertraut sind. Sie folgen dem common sense der Bürger und lassen sich deshalb vergleichsweise leicht auf das Gemeinwesen übertragen. Genau solche Werte hat Ludwig Erhard seinerzeit propagiert. Der Schutz des freien Wettbewerbs, ein Ausgabenstopp des Staates, Steuersenkungen, das Prinzip der Selbstversorgung in der Sozialpolitik, die Warnung vor einer zu weitgehenden Harmonisierung sozialer Regeln im europäischen Markt – das alles findet sich in den Schriften Ludwig Erhards und in der Politik, die er damals vertreten hat.

Und was tut die gegenwärtige Bundesregierung? Ich möchte hier nicht in die Tiefe gehen, ich nenne nur ein paar Stichworte. In ihrem Koalitionsvertrag versprechen die Regierungsparteien mehr Geld für die wirtschaftliche Stabilität und die soziale Konvergenz in der Eurozone. Unter dem Begriff der Strukturreform wird eine weitere Verflechtung der finanziellen Risiken in Europa verfolgt. Mehr Geld soll es auch für Familien geben, Eigenheimkäufer, Rentner, und viele andere mehr. Steuerliche Entlastungen sind trotz sprudelnder Steuereinnahmen einer im internationalen Vergleich extrem hohen Belastung der Arbeitseinkommen höchstens marginal vorgesehen.

Von Ludwig Erhard ist in diesem Regierungsprogramm kaum etwas zu finden. Dass durchaus ein Ruck durch die Gesellschaft gehen könnte, erwartet niemand. Einfache Auswege und Rezepte zum überall blühenden Vertrauensverlust und Populismus in der Politik gibt es wirklich nicht. Einige Hinweise auf mögliche Quellen neuer Zuversicht und Orientierung könnte auch eine Rückbesinnung auf die liberalen Grundsätze bringen, die das deutsche Wirtschaftswunder geprägt hatten und die seither ein wenig in Vergessenheit geraten sind. Ein Blick in die Schriften und Reden Ludwig Erhards wäre ein guter Start. – Ich danke Ihnen!

Neben Dr. Peter Rásonyi wurde Zanny Minton Beddoes, Chefredakteurin der Zeitschrift „The Economist“, mit dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik 2018 ausgezeichnet. Lesen Sie hier die Preisrede von Zanny Minton Beddoes. Hier geht es zur Dokumentation der Preisverleihung.

Eine kürzere Fassung der Rede von Peter Rásonyi finden Sie auch in der Neuen Zürcher Zeitung vom 20. Oktober 2018 und hier:  https://www.nzz.ch/meinung/kopie-von-zurueck-zum-wirtschaftswunder-ld.1428150.

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