Dipl.-Kaufmann Jan von Herff
Experte für Handels- und Industriepolitik bei der BASF SE

Dr. Peter Westerheide
Chefvolkswirt der BASF SE und Research Associate am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim

Die politisch aufgeladene Debatte über das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ist in den Medien allgegenwärtig. Neue Argumente werden nicht diskutiert. Eine Rückbesinnung auf den ökonomischen Kern des geplanten Freihandelsabkommens und eine sachliche Diskussion über die zu erwartenden Effekte finden nicht statt. Der folgende Beitrag soll dieses Defizit verringern.

Die Vorgeschichte

Die Verhandlungen zur Transatlantic Trade and Investment Partnership (kurz: TTIP) wurden 2013 aufgenommen und befinden sich mittlerweile in der 13. Verhandlungsrunde. Die Ursprünge reichen aber viel weiter zurück. Nach vielen Jahren diplomatischer Beziehungen, institutionell aber nicht formalisierter Kooperation zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika wurde 1990 mit der Transatlantischen Erklärung (Transatlantic Declaration) ein solcher Rahmen geschaffen. Bereits 1995 wurde die Kooperation zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten mit der Neuen Transatlantischen Agenda (New Transatlantic Agenda, NTA) auf eine erweiterte und vertiefte Grundlage gestellt. Diese allgemeinen Vereinbarungen enthielten bereits ökonomische Ziele wie die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen und die Förderung des Welthandels. Aber erst mit Etablierung der transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft (Transatlantic Economic Partnership, TEP) 1998 stand die Förderung des Welthandels und des Handels zwischen den USA und der EU im Mittelpunkt eines dezidierten Abkommens. 2007 schließlich wurde in diesem Rahmen der Transatlantische Wirtschaftsrat (Transatlantic Economic Council, TEC) gegründet, der sich unter anderem mit der Schaffung gemeinsamer Normen und Standards befassen sollte. Auf dessen Initiative einigte man sich am 17. Juni 2013 am Rande eines G8-Gipfels darauf, ein umfassendes transatlantisches Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA auszuhandeln.

Bedeutung des transatlantischen Handels

Für die EU sind die USA der wichtigste Handelspartner; dies gilt auch umgekehrt für die Gesamtheit des US-amerikanischen Handels mit Gütern und Dienstleistungen. Für Deutschland waren die Vereinigten Staaten 2015 der größte Handelspartner weltweit und die größte Exportdestination, noch vor Frankreich. Insgesamt belief sich das Exportvolumen der Europäischen Union in die USA im Jahr 2015 auf fast 592 Milliarden Euro; 433 Milliarden Euro wurden von dort importiert.

Die europäische Handelsbilanz mit den USA ist also deutlich positiv. Dies gilt vor allem für den Warenhandel mit einem Handelsbilanzüberschuss von rund 148 Milliarden Euro. Mehr als 40 Prozent des Warenhandels bestehen aus Maschinen und Transportgütern, ein weiteres knappes Viertel aus Chemieprodukten. Agrar-, Ernährungsgüter und Getränke umfassen ungefähr weitere 5 Prozent. In jedem dieser Einzelbereiche erzielte die EU 2015 einen Handelsbilanzüberschuss. In die USA gehen 21 Prozent der europäischen Warenexporte (ohne EU-Intrahandel), von dort kommen 14 Prozent der europäischen Warenimporte.

Die transatlantische Bilanz im Dienstleistungshandel ist mit einem EU-Überschuss von rund 9 Milliarden Euro ausgeglichener. 26 Prozent aller außereuropäischen Dienstleistungsexporte gehen in die USA, und 31 Prozent der Dienstleistungen werden von dort importiert. Der Dienstleistungshandel besteht zu ungefähr einem Drittel aus Dienstleistungen für Unternehmen. Weitere wichtige Positionen sind Transportdienstleistungen, Finanzdienstleistungen, Tourismus sowie Patent- und Lizenzgebühren. Interessanterweise kann die EU sowohl bei den Dienstleistungen im Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologien als auch bei den Finanzdienstleistungen jeweils deutliche Handelsüberschüsse verbuchen.

Diese Daten verdeutlichen, welchen Stellenwert der transatlantische Handel für die europäischen Unternehmen hat. Insbesondere Deutschland mit seinen Schwerpunkten im Maschinenbau, in der Autoindustrie und der Chemieindustrie erzielt erhebliche Überschüsse und damit Wohlfahrtsgewinne im Handel mit den USA.

Ökonomische Ratio von TTIP

Vor dem Hintergrund der großen Volumina, die bereits heute im transatlantischen Handel erzielt werden, stellt sich die Frage, ob überhaupt nennenswerte Handelshemmnisse existieren, die Effizienzverluste verursachen und damit gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtseffekte mindern. Dies ist in der Tat der Fall.

Üblicherweise unterscheidet man zwischen tarifären Handelshemmnisse (Zöllen) und nicht-tarifären Handelshemmnissen. Die Höhe der Zölle zwischen den USA und der EU scheint gering, wenn man ausschließlich durchschnittliche handelsgewichtete Zölle heranzieht: Für Industriegüter müssen US-amerikanische Importeure einen handelsgewichteten Zoll von 2,8 Prozent zahlen, Zölle in gleicher Höhe werden für EU-Importe aus den USA fällig. Hier sind allerdings bereits Lenkungseffekte enthalten, die ungewichteten Zölle sind mit durchschnittlich rund 3,5 Prozent des Warenwerts höher. Deutlicher fallen die Unterschiede zwischen ungewichteten und handelsgewichteten Zöllen für US-Agrarimporte aus der EU aus (7,9 Prozent vs. 2,6 Prozent), was im Wesentlichen auf die hohen Zölle für die Warengruppe „Alkoholische Getränke und Tabakwaren“ zurückzuführen ist. Für EU-Importe aus den USA betragen die durchschnittlichen Zölle auf Agrargüter 4,9 (ungewichtet) bzw. 3,9 Prozent (handelsgewichtet).1Alle Angaben basieren auf Gabriel Felbermayr et al., Dimensionen und Auswirkungen eines Freihandelsabkommens mit den USA. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft- und Technologie, München 2013.

Angesichts der hohen transatlantischen Handelsvolumina und der zusätzlich zu berücksichtigenden Bürokratiekosten sind die Zölle als Kostenfaktor aber keineswegs zu vernachlässigen. Zu beachten ist darüber hinaus, dass es sich bei diesen Angaben um Durchschnittswerte handelt und für einzelne Produktgruppen deutlich höhere Zölle fällig werden. Eine wesentlich größere Bedeutung als die Zölle haben allerdings die nicht-tarifären Handelshemmnisse, die im Wesentlichen auf Unterschiede in der Regulierung zurückzuführen sind.

Die durch nicht-tarifäre Handelshemmnisse verursachten Kosten können nur geschätzt werden. Simulationsstudien zur Abschätzung der Handels- und Wohlfahrtseffekte von TTIP weisen eine breite Streuung auf: Es ergeben sich implizite Zölle (Zolläquivalente) von etwas mehr als 10 Prozent bis knapp 40 Prozent für den Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes.2Vgl. Eddy Bekkers/Hugo Rojas-Romagosa, Literature survey on the economic impact of TTIP. CPB Background Document, May 2016, Seite 30. In Einzelfällen sind die angegebenen Werte noch deutlich höher. So nennen Felbermayr et al. für europäische Chemie, Gummi- und Kunststoffexporte aus den USA in die EU ein Zolläquivalent für nichttarifäre Handelshemmnisse von 111,5 Prozent. Die Autoren weisen aber selbst auf die geringe Belastbarkeit dieser Schätzungen hin.3Vgl. Gabriel Felbermayr et al., a. a. O., Seite 44.

Die in Simulationsstudien berechneten Wohlfahrtseffekte eines transatlantischen Handelsabkommens hängen wesentlich davon ab, welche Annahmen für die Reduzierung der nicht-tarifären Handelshemmnisse getroffen werden. Beispielhaft sei hier die Studie des CEPR für die Europäische Kommission genannt, die eine vollständige Abschaffung der Zölle und eine Verringerung der Hälfte der nicht-tarifären Handelshemmnisse um 50 Prozent (insgesamt also nur 25 Prozent) unterstellt. Unter diesen Annahmen ermittelt die Studie eine langfristige Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts in den USA um 0,4 Prozent und in Europa um 0,5 Prozent.4Vgl. Centre for European Policy Research, Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment. An Economic Assessment, London 2013.

Diese Werte können nur eine ungefähre Orientierung geben. Die unterstellte Verringerung der nicht-tarifären Handelshemmnisse um durchschnittlich ein Viertel ist eine vergleichsweise konservative Annahme. Die Ergebnisse anderer Simulationen kommen zum Teil zu deutlich höheren Ergebnissen.5Vgl. die Übersicht in Eddy Bekkers/Hugo Rojas-Romagosa, a. a. O., Seite 32.

Allerdings können die verwendeten Simulationsmodelle die Vorteile der langfristigen regulatorischen Kooperation zwischen den beiden größten Wirtschaftsräumen der Welt nur unzureichend widerspiegeln. Hier liegen die eigentlichen Meriten von TTIP. Das geplante Freihandelsabkommen soll dieser regulatorischen Kooperation einen verbesserten institutionellen Rahmen geben. Besondere Bedeutung haben der Informationsaustausch zwischen den Regulierungsbehörden und die Etablierung gemeinsamer regulatorischer Standards für neue Technologiefelder wie zum Beispiel die Nanotechnologie. Diese wichtigen zukunftsorientierten Aspekte werden in der aktuellen öffentlichen Diskussion kaum berücksichtigt. Nicht zuletzt geht es darum, die Vorreiterrolle bei der Setzung globaler Standards einzunehmen.

Zwar wird es nicht gelingen, bereits vorhandene Unterschiede in der bestehenden Gesetzgebung anzugleichen; dazu sind die Systeme im Detail zu unterschiedlich. Selbst eine gegenseitige Anerkennung ist nicht immer möglich. Ein Beispiel stellen die Systeme der Chemikalienregulierung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) und die US-amerikanische TSCA (Toxic Substances Act) dar, die unterschiedlichen Prinzipien folgen. Allerdings könnten auch durch die Angleichung bestehender Gesetzgebung Einspareffekte erzielt werden, zum Beispiel durch die Etablierung einheitlicher Normen für die Klassifizierung und Kennzeichnung von Chemikalien.

Wenn man an dieser Stelle einen Strich ziehen würde, wäre das Fazit eindeutig: TTIP ist ein handelspolitisches Projekt mit unzweifelhaftem ökonomischen Nutzen und sollte schnellstmöglich umgesetzt werden. Aber diverse Umfragen zeigen, dass die Zustimmung zu den Verhandlungen seit deren Beginn in Europa kontinuierlich sinkt. In einer Umfrage von Anfang Mai 2016 meinten 70 Prozent der befragten Deutschen, dass sie von TTIP eher Nachteile für Deutschland erwarten.6ARD-DeutschlandTrend, Bewertung des Freihandelsabkommens TTIP: Eher Vor- oder Nachteile für Deutschland?, 2016 (http://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschlandtrend/2016/mai/, abgerufen am 17.05.2016)

Eine Frage der Transparenz

Aus heutiger Sicht ist es leicht festzustellen, dass bei der TTIP-Kommunikation Fehler gemacht wurden; allerdings müssen diese im Kontext betrachtet werden. Durch den Vertrag von Lissabon 2009 haben sich die Kompetenzen für die EU-Handelspolitik um ausländische Direktinvestitionen erweitert und die Kriterien zum Erreichen einer qualifizierten Mehrheit bei Abstimmungen verändert. TTIP ist eines der ersten Abkommen, die komplett unter diesen veränderten Regeln verhandelt werden. Deshalb erfolgt derzeit eine Grundsatzdebatte über die Einbindung des europäischen und der nationalen Parlamente und darüber, wie die veränderten Kompetenzen in Zukunft gelebt werden und wie weit sie reichen. Damit einher geht die Frage nach der Einbindung der weiteren politischen Stakeholder, insbesondere wenn tiefe und umfassende Abkommen verhandelt werden sollen, die über Zollreduzierungen hinausgehen.

Die EU-Kommission und die amerikanische Seite haben im Vorfeld der TTIP-Verhandlungen 2012 und 2013 für jedermann zugängliche Konsultationen und Stakeholder-Dialoge abgehalten. Diese Angebote wurden allerdings von der Zivilgesellschaft außerhalb wirtschaftspolitischer Kreise kaum wahrgenommen. Breites öffentliches Interesse zeigte sich erst nach Beginn der Verhandlungen. Die EU reagierte auf die öffentliche Kritik mit umfangreichen Veröffentlichungen von Mandat und Positionen bis hin zu den EU-Verhandlungstextvorschlägen einzelner Kapitel. Insofern ist TTIP in seiner Transparenz heute einzigartig.

Die Veröffentlichung konsolidierter Texte in laufenden Verhandlungen ist ohne die Zustimmung der amerikanischen Seite nicht möglich, da die US-Verhandlungsführer den rechtlichen Rahmen über die Verhandlungsinformation des US-Kongresses einhalten müssen. Allerdings zeigten die Anfang Mai veröffentlichten vertraulichen konsolidierten Textauszüge in allen strittigen Punkten nur eine Gegenüberstellung von bereits bekannten Verhandlungspositionen.

Welche Unternehmen könnten von TTIP profitieren?

Ein gängiges Vorurteil besagt, dass TTIP vor allem Großunternehmen nutze. Der deutsche Außenhandel ist in der Tat vor allem durch Großunternehmen geprägt, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) waren aber 2013 immerhin für ein knappes Fünftel des Außenhandels verantwortlich. Das ist eine substanzielle Größenordnung, die die Bedeutung eines Handelsabkommens für die KMU unterstreicht.

Die jährlichen Untersuchungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) zeigen ein großes Interesse an TTIP seitens der exportorientierten Betriebe. Als wichtigste Ziele werden vor allem Vereinfachungen im Warenverkehr genannt, zuvorderst die Regelungen zur Bestimmung des Warenursprungs.7Vgl. DIHK, „Going International – Erfahrungen und Perspektiven der deutschen Wirtschaft im Auslandsgeschäft“, Berlin 2016, Seite 13 (http://www.dihk.de/ressourcen/downloads/going-international-16.pdf/at_download/file?mdate=1460979390808, abgerufen am 17.05.2016). Komplexe Ursprungsregeln stellen durch ihre Nachweispflichten einen erheblichen Verwaltungsaufwand für exportierende Unternehmen dar, der mit den zunehmend tiefer integrierten globalen Wertschöpfungsketten steigt.8Vgl. Vivian C. Jones/Michael F. Martin, “International Trade: Rules of Origin”, Congressional Research Service Report RL34524, Washington, D.C. 2012 (https://www.fas.org/sgp/crs/row/RL34524.pdf, abgerufen am 17.05.2016). Großunternehmen implementieren diese Vorgaben in zusätzliche Softwaremodule. Die dafür anfallenden Zusatzkosten verteilen sich auf eine große Anzahl an Warenlieferungen und werden so durch Skaleneffekte abgemildert. Für KMU hingegen sind diese Prozesse mit relativ höherem und personalintensiverem Aufwand verbunden. Deshalb ist zu erwarten, dass KMU von Vereinfachungen in diesem Bereich besonders profitieren und sich neue Exportchancen ergeben können. Zudem haben die Verhandlungsparteien sich darauf geeinigt, erstmalig ein spezielles Kapitel aufzunehmen, in dem auf die besonderen Informationsbedürfnisse von KMU eingegangen wird.

Allerdings gibt es im Bereich der Wirtschaft ebenfalls kritische Stimmen zu TTIP, sowohl bei KMU als auch bei Großunternehmen und Verbänden. Oft werden hier Bedenken hinsichtlich der Aufrechterhaltung europäischer Standards und zur Wirkung des Investitionsschutzes genannt. Hier sollte man nicht außer Acht lassen, dass Handelsliberalisierung die Wettbewerbsintensität erhöht und bestimmte Gruppen für ihre individuelle Situation durchaus mehr Nachteile als Vorteile erkennen können. Auch wenn diese eine Minderheit darstellen, müssen sie im politischen Prozess mitgedacht und eingebunden werden.

Konsumentenschutz

Das bekannteste Beispiel in der Debatte um den Verbraucherschutz in TTIP ist das Chlorhuhn als Synonym für aus hiesiger Sicht zu niedrige amerikanische Lebensmittel- und Verbraucherschutzstandards. Umgekehrt befürchtet man in Amerika eine Aufweichung der hohen amerikanischen Schutzstandards durch Import von Rohmilchkäse oder von in Europa zugelassenen Autos, die nach den gegenwärtigen amerikanischen Regelungen nicht als sicher eingestuft werden. Jede Seite hält ihre Standards für die besten.9Vgl. Pew Research Center, „Support in Principle for U.S.-EU Trade Pact“, 2014, Seiten 14 f. (http://www.pewglobal.org/files/2014/04/Pew-Research-Center-Bertelsmann-Foundation-U.S.-Germany-Trade-Report-FINAL-Wednesday-April-9-20142.pdf, abgerufen am 18.05.2016). Es fehlt das gegenseitige Vertrauen, dass die andere Seite eine vergleichbare Sorge um ihre Sicherheit umtreibt, selbst wenn der Weg dahin unterschiedlich ist.

Das Beispiel Chlorhuhn zeigt, wie sich die Wahrnehmung von der Realität unterscheidet.10Vgl. Petra Erler, „Chlorhühnchen-Debatte: Das Problem sind die europäischen Hühner“, in: EurActive, 2014 (http://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/opinion/chlorhuhnchen-debatte-das-problem-sind- die-europaischenhuhner/, abgerufen am 18.05.2016). Die Infektionsraten in Europa durch die von Geflügelverzehr ausgelösten gefährlichen Salmonelleninfektionen sind höher als in den USA, auch kann der hierzulande bevorzugte stärkere Einsatz von Antibiotika in der Tiermast negative Folgen haben. Aus Sicht des Konsumentenschutzes wäre es sicher wünschenswert, wenn sich die zuständigen Behörden auf beiden Seiten des Atlantiks regelmäßig über ihre Regulierungsansätze und Maßnahmen austauschen, um so gemeinsam Lösungen für Fragen dieser Art zu finden.

Ähnlich verhält es sich bei der bereits erwähnten Chemikaliengesetzgebung. Das europäische REACH als ein umfassendes Regelwerk ist nicht direkt vergleichbar mit dem amerikanischen System, denn neben TSCA gibt es eine Vielzahl weiterer gesetzlicher Regelungen in den USA, die den Umgang und Einsatz von Chemikalien beschränken. Eine einfache Beurteilung als „besser“ oder „schlechter“ ist hier nicht möglich.

Wenn Schutzstandards nicht technologieoffen formuliert werden, bergen sie die Gefahr, dass ein scheinbares Verbraucher- oder Umweltschutzinteresse Protektionismus Vorschub leistet. TTIP kann dabei helfen, bereits bestehende transatlantische Mechanismen weiterzuentwickeln, um durch klare, offene gemeinsame Regeln und Standards die bereits aufgezeigten möglichen gesellschaftlichen Wohlfahrtseffekte zu realisieren – bei gleichzeitig adäquatem hohen Schutz von Umwelt und Verbrauchern. Dafür sind Mechanismen für eine regelmäßige Kooperation in handelsrelevanten Bereichen sinnvoll.

Förderung und Schutz von Investitionen

Der EU-US-Handel bildet nur einen Teil der wirtschaftlichen Integration der beiden Wirtschaftsräume ab. Die beiden Volkswirtschaften sind darüber hinaus eng miteinander durch gegenseitige Investitionen verbunden: Der Umsatz von EU-Tochterunternehmen in den USA und von US-Tochterunternehmen in der EU war mit mehr als 5 Billionen US-Dollar vier bis fünf Mal so hoch wie das transatlantische Handelsvolumen. Aktuell stellen beide Seiten jeweils mehr als 4,2 Millionen Arbeitsplätze im Partnerland bereit.

Deshalb scheint es sinnvoll, in einer transatlantischen Partnerschaft Investitionsfragen nicht außen vor zu lassen. Moderne Investitionsabkommen sollen Investitionen in bisher geschlossenen Märkten ermöglichen und das Eigentum eines ausländischen Investors vor dem politisch motivierten Risiko einer entschädigungslosen Enteignung schützen. In völkerrechtlich verbindlichen bilateralen Investitionsverträgen (BIT) soll ein Minimum an rechtsstaatlichen Grundsätzen in Eigentumsfragen festgelegt und bei möglichen Streitfragen ein für beide Parteien faires Verfahren an einem neutralen Ort sichergestellt werden. Die grundsätzliche Bedeutung dieses Instruments der Außenwirtschaftsförderung belegen unterschiedliche Studien: In einer 2009 durchgeführten Umfrage gaben 80 Prozent der befragten deutschen Unternehmen an, dass BITs für die Investitionsentscheidung von grundsätzlicher Bedeutung sind.11BMWi/BDI/PWC, „Unternehmensbefragung zum Thema: Investitionsschutz nach Lissabon“, in: AGA-REPORT NR. 187, Hamburg, Februar 2010, Seiten 3 f. (http://www.agaportal.de/pdf/aga-report/ar187.pdf, abgerufen am 23.05.2016). Eine Studie der KfW zur Internationalisierung des deutschen Mittelstandes von 201212KfW Economic Research, Internationalisierung im deutschen Mittelstand – Step by step zum Global Player –, Frankfurt am Main 2012, Seiten 36 f. (https://www.kfw.de/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Studien-und-Materialien/Nr.-3-Internationalisierung-im-deutschen-Mittelstand-LF.pdf, abgerufen am 18.05.2016). zeigt, dass fehlende Rechtssicherheit im Ausland für KMU eine große Hürde für Auslandsinvestitionen ist.

Mit Blick auf die EU und USA gibt es Investitionsrestriktionen, deren ökonomische Sinnhaftigkeit hinterfragt werden kann. Beispiele aus den USA sind zum Beispiel die Vorgaben für Betreiber von Fluggesellschaften oder Beschränkungen bei maritimen Dienstleistungen (Jones-Act). Das Risiko von politisch motivierten entschädigungslosen Enteignungen erscheint zumindest derzeit im transatlantischen Raum gering, wobei es mit Blick auf einige neuere EU-Mitglieder auch in dieser Hinsicht Zweifel gibt.13Vgl. hierzu die einschlägigen Indikatoren zum Beispiel in den World Governance Indicators der Weltbank unter http://info.worldbank.org/governance/wgi/index.aspx#reports. Man sollte bei der Konzeption eines Investitionskapitels aber nicht nur die rechtliche Situation bei den derzeitigen Verhandlungspartnern im Blick haben: Wenn die EU und die USA gegenseitig ihre Märkte öffnen und sich auf ein gemeinsames System einigen, das ausländischen Direktinvestitionen einen robusten Schutz gewährt, ist dies ein wichtiges Signal für den Investitionsschutz weltweit.

Die oft geäußerte Sorge, dass Staaten durch einen robusten Investitionsschutz ihre Regulierungshoheit verlieren und in Zukunft Klagewellen drohen, lässt sich empirisch nicht belegen.14Vgl. BDI, „Investitionsschutzabkommen und Investor-Staat-Schiedsverfahren: Mythen, Fakten, Argumente“, 2015 (http://bdi.eu/media/presse/publikationen/globalisierung-maerkte-und-handel/Investitionsschutzabkommen_und_ISDS.pdf, abgerufen am 17.05.2016) Selbst eine präventive Abschreckungswirkung für Regulierung („regulatory chill“) können Christian Tietje und Freya Baetens in ihrer Untersuchung für die niederländische Regierung nicht erkennen.15Vgl. Christian Tietje/Freya Baetens, The Impact of Investor-State-Dispute Settlement (ISDS) in the Transatlantic Trade and Investment Partnership, 2014 (https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/documenten/rapporten/2014/06/24/the-impact-of-investor-state-dispute-settlement-isds-in-the-ttip/the-impact-of-investor-state-dispute-settlement-isds-in-the-ttip.pdf, abgerufen am 23.05.2016). Derzeit gibt es weltweit über 3.000 Investitionsförder- und -schutzverträge. Klagen auf Basis von BITs gegen Staaten sind dagegen vergleichsweise selten: Bis Ende 2013 gab es gerade einmal 568 bekannte Verfahren, über 50 Prozent ausgehend von EU-Investoren. Deutschland hat mit 129 Staaten weltweit die meisten Verträge dieser Art abgeschlossen. Die Bundesrepublik wurde trotz intensiver Weiterentwicklung des wirtschaftlichen Rahmens in mehr als 50 Jahren erst drei Mal verklagt, davon zwei Mal erfolglos. Noch offen ist die Entscheidung über die von Vattenfall vorgebrachte Klage zur rechtlichen Umsetzung des Kernenergieausstiegs. Dieses kann insgesamt als Beweis für ein funktionierendes deutsches Rechtssystem gewertet werden.

Um den Sorgen über die bisher bewährte Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit bei Streitfällen zwischen Investoren und ihren Gaststaaten Rechnung zu tragen, hat die EU-Kommission im Herbst 2015 eigene Vorschläge für ein möglichst multilaterales öffentliches Investitionsschiedsgericht (ICS) publik gemacht. Hierbei sollen anstelle der bisherigen Ad-hoc-Praxis eine ständige Institution geschaffen und die rechtlichen Grundlagen vereinheitlicht werden. Dieser Vorschlag soll nach Vorstellung der EU-Kommission Eingang in TTIP finden. Während die Initiative grundsätzlich begrüßt wurde, ist der konkrete Vorschlag von vielen Seiten kritisch aufgenommen worden, sowohl von wirtschaftlichen16Vgl. Hans von der Burchard, „EU faces tough sell on TTIP compromise“, in: politico, 10. Februar 2016 (http://www.politico.eu/article/eu-faces-tough-sell-on-ttip-compromise-malmstroem-froman/, abgerufen am 19.05.2016). als auch von anderen Akteuren der Zivilgesellschaft.17Vgl. Pia Eberhardt, „The zombie ISDS – rebranded as ICS, rights for corporations to sue states refuse to die“, 2016 (http://corporateeurope.org/sites/default/files/attachments/the_zombie_isds_0.pdf, abgerufen am 19.05.2016). Die amerikanische Verhandlungsseite zeigt sich zurückhaltend und hinterfragt die Notwendigkeit von umfassenden Veränderungen in einem aus ihrer Sicht gut funktionierenden System, ganz abgesehen von der grundsätzlich eher skeptischen Grundhaltung zu internationalen Gerichtshöfen in den USA. Jeder vertraut dem eigenen Rechtsprechungssystem am meisten.

Vor diesem Hintergrund scheint es unsicher, ob eine Einigung in diesem Bereich möglich sein wird. Ähnliche Initiativen wie das Multilateral Agreement on Investment (MAI) unter Federführung der OECD Mitte/Ende der 1990er Jahre, bei der WTO um die Jahrtausendwende oder auch Reformvorschläge des an die Weltbank angeschlossenen Sekretariates der Streitbeilegungsstelle ICSID waren bisher nicht von Erfolg gekrönt.

Fazit

Auch wenn die Wohlfahrtseffekte eines Freihandelsabkommens mit den USA schwer zu quantifizieren sind, bevor die endgültige Fassung des Abkommens vorliegt: Die Erfahrung zeigt, dass Freihandel ohne unnötige Barrieren langfristig Wachstum und Wohlstand steigert. Das Vorzeichen vor der TTIP-Variable ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit positiv, die Vorteile der langfristigen regulatorischen Kooperation zwischen den USA und der EU können kaum hoch genug eingeschätzt werden. Allerdings gilt es, die vor allem im deutschsprachigen Raum weitverbreiteten Sorgen gewissenhaft zu analysieren und in den Verhandlungen sorgfältig abzuwägen. Dann sollte am Ende auch ein Vertragstext über eine umfassende transatlantische Partnerschaft den nötigen gesellschaftlichen Rückhalt finden.

DRUCKEN

Fussnoten

DRUCKEN

Fussnoten