Dipl.-Volkswirt Hans-Jörg Naumer
Global Head of Capital Markets & Thematic Research der Investmentfondsgesellschaft Allianz Global Investors, Frankfurt am Main

Immer stärker drängt die Diskussion um die „Monetisierung der Staatsschulden“ in die Öffentlichkeit: Weniger akademisch ausgedrückt, geht es dabei um das Drucken von Geld durch die Zentralbanken zur Finanzierung öffentlicher Haushalte. Nicht zuletzt war es der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, der im Rahmen einer auf die Ratssitzung folgenden Pressekonferenz im März 2016 das sogenannte Helikoptergeld als eine Variante staatlicher Finanzierung durch die Zentralbank „a very interesting concept“ nannte. Dass diese „Geistesverwirrung“ (Otmar Issing) noch nicht vom Tisch ist, zeigt der Vorstoß von 31 Abgeordneten des Europäischen Parlaments vom Juni 2016, die in einem Brief an den EZB-Präsidenten den Einsatz von „Helikoptergeld“ fordern.

Im Herbst 2016 zeigt sich die globale geldpolitische Lage als unverändert expansiv, darüber sollte auch der sich abzeichnende zweite Zinsschritt der US-Notenbank, der Federal Reserve (Fed), nicht hinwegtäuschen. Zwar hat diese zwischenzeitlich die Leitzinsen erstmalig seit 2008 um 25 Basispunkte angehoben und bereits im Herbst 2014 ihre quantitative Lockerung (Quantitative Easing, QE) beendet, aber von einer Normalisierung der Geldpolitik ist sie noch weit entfernt. Gemessen an der „Taylor Rule“1Die „Taylor Rule“ ist eine nach ihrem Erfinder John B. Taylor benannte Regel, welche gerne als Leitindikator genutzt wird, um abzumessen, ob die Zentralbank ihren Leitzins ändern muss. Sie errechnet den Leitzins aus der erwarteten Inflationsrate und der Inflationslücke des Wachstums. müsste ihr aktueller Leitzins, basierend auf ihrer historischen Reaktionsfunktion, über zwei Prozent liegen, um dann bis 2017 auf vier Prozent angehoben zu werden. Davon ist die Fed weit entfernt. Das Aufkaufprogramm wird zwar nicht fortgesetzt, aber die Bilanzausweitung wird auch nicht rückabgewickelt. Im Gegenteil: Auslaufende Staatsanleihen werden durch neue Käufe ersetzt.

Gleichzeitig geht die japanische Notenbank, die Bank of Japan (BoJ), unbeirrt auf ihrem Weg weiter. Sie hat zwischenzeitlich nicht nur einen negativen Einlagezinssatz eingeführt, sondern weitet ihre Bilanz Monat für Monat um 80 Billionen Yen aus. Aktuell entspricht ihre Bilanz rund 70 Prozent des japanischen Bruttoinlandsproduktes. Die EZB hat derweil Ende 2015 ihr QE-Programm über 2016 hinaus verlängert und mit den Beschlüssen vom März 2016 das Maßnahmenpaket noch einmal deutlich ausgeweitet. Aus QE 2 ist damit faktisch ein QE 3 geworden.

Entsprechend sieht die Renditelandschaft aus. Weite Teile der Zinsstrukturkurven der Länder des Euroraums und einiger benachbarter Länder weisen negative Nominalrenditen aus. Weltweit notieren Staatsanleihen im Umfang von über acht Billionen US-Dollar mit negativen Zinsen.

Einsatz von „Helikoptergeld“?

Die Frage ist: Wie soll es weitergehen, wenn die expansive Geldpolitik die angestrebten Ziele nicht erreicht? Vor dem Hintergrund begrenzter fiskalischer Spielräume ist die immer präsenter werdende Debatte zu verstehen: Es geht um die Monetisierung der Staatsschuld, das heißt die Finanzierung bestehender Staatsschulden und laufender Defizite durch die Geldpolitik.

Hauptverfechter dieser Denkrichtung ist vermutlich Adair Turner.2Vgl. Adair Turner, Between Debt and the Devil: Money, Credit, and Fixing Global Finance, Princeton 2015. Aber auch Willem Buiter argumentiert in diese Richtung.3Vgl. Willem H. Buiter, The Simple Analytics of Helicopter Money: Why It Works — Always, http://www.economics-ejournal.org/economics/journalarticles/2014-28, 2014. Der Internationale Währungsfonds räumte diesem Thema auf seiner „16th Jacques Polak Annual Research Conference“ vom November 2015 breiten Raum ein, wobei die Befürworter das Bild bestimmten. Die Anhänger dieser radikalen Form der Geldpolitik treten dafür ein, dass die Zentralbanken unter dem Primat der Fiskalpolitik vom „lender of last resort“ auch zum „spender of last resort“ werden.

„Lender of last resort“ („Geldgeber der letzten Instanz) zu sein, gehört zu den konstitutiven Aufgaben einer Zentralbank. Im Kontext der Staatsfinanzierung bekäme dieser Begriff jedoch eine neue Bedeutung: Es ginge nicht mehr darum, dass die Währungsbehörde zum Geldgeber letzter Instanz bei Zahlungskrisen wird, sondern dass sie die letzte Instanz wird, welche die Staatsschulden ganz oder teilweise finanziert. Der Begriff dafür ist „Monetisierung“.

Zum „spender of last resort“ würde die Zentralbank, wenn sie die letzte Instanz würde, welche sogar laufende staatliche Defizite finanziert zum Beispiel mit dem Ziel, Konjunkturpakete zu ermöglichen. Die Fiskaldefizite würden in diesem Fall durch Gelddrucken finanziert. Das entspricht der Vorstellung von „Helikoptergeld“4Der Begriff „Helikoptergeld“ wurde in jüngerer Zeit vom ehemaligen Chef der US-Zentralbank Fed, Ben Bernanke, aufgegriffen, wobei Milton Friedman die Vorstellung von aus einem Helikopter abgeworfenem Geld nicht zur Staatsfinanzierung ins Spiel brachte, sondern als illustratives Beispiel zur Bestimmung der optimalen – inflationsfreien – Geldmenge., einem von Milton Friedman eingeführten Begriff, der beschreibt, dass Geld aus einem Hubschrauber abgeworfen wird, die Wirtschaftssubjekte dieses aufsammeln und nachfragewirksam in Umlauf bringen. Analog spricht man auch von „overt money finance“ oder „monetary finance“.

Helikoptergeld und Monetisierung – technisch betrachtet

Ist die Monetisierung der Staatsschuld überhaupt möglich? Welche Folgen hätte sie, insbesondere für die Geldpolitik, und wie ist sie wirtschaftspolitisch einzuordnen? – Während das Helikoptergeld zur Finanzierung laufender Konjunkturpakete zum Einsatz kommen soll, setzt die Monetisierung an den bereits bestehenden Staatsschulden an. Die Monetisierung könnte in verschiedenen Ausprägungen stattfinden: temporär, zum Beispiel um übergangsweise die Refinanzierungsbedingungen durch günstigere Zinsen zu erleichtern (was der quantitativen Lockerung entspricht), oder permanent. Bei einer permanenten Monetisierung wäre wieder zu unterscheiden, wie weitgehend diese ist. Drei Ausprägungen sind vorstellbar, die bezüglich ihrer bilanziellen Wirkung unterschieden werden müssen:

  • Die Staatsanleihen werden im Rahmen der quantitativen Lockerung durch die Zentralbank gekauft und durch fortgesetzte Aufkäufe neu emittierter Staatsanleihen prolongiert. Die Kupons werden folglich direkt von der Zentralbank und nicht aus dem öffentlichen Haushalt bedient. Diese Entwicklung ist bei der Bank of Japan bereits zu beobachten.
  • Die Staatsanleihen bleiben pro forma auf der Aktivseite der Zentralbankbilanz stehen. Laufzeiten und Kupons würden aber so verändert, dass sie faktisch kaum noch eine Verpflichtung für die Staaten darstellen. Die Laufzeiten könnten deutlich verlängert werden bis hin zu sogenannten „perpetuals“, und Kupons könnten reduziert oder ganz auf null gesenkt werden. Dieses Prozedere käme im Ergebnis einem Schuldenschnitt gleich, da der Barwert der Anleihen gegen Null sinken würde. Es würde aber – zumindest wenn die allgemein gängigen Bilanzierungsregeln nicht angewendet werden – die Zentralbanken davor schützen, dass sie Abschreibungen vornehmen müssen.
  • Die Staatsanleihen werden „ausgebucht“, was einem selektiven Schuldenschnitt („haircut“) auf die eigenen Aktiva gleich käme, aber eben nicht einem generellen Haircut, bei dem auch weitere Schuldner außer der Zentralbank in Mitleidenschaft gezogen werden.

Aus der Perspektive der Bilanztechnik stellt sich die Frage: Ist diese Form der fiskalisch induzierten Geldpolitik überhaupt möglich, und – falls ja – wie könnte sie aussehen?

Im Fall der Monetisierung, in dem ein „Exit“ in Form eines Verkaufs der erworbenen Wertpapiere ausbleibt und lediglich der Bestand an Staatsanleihen unverändert gehalten wird (Option 1), bliebe die Zentralbankbilanz in Relation zum BIP zwar zunächst aufgebläht, würde sich aber entlang des nominalen Wirtschaftswachstums nach einiger Zeit normalisieren. Die Zentralbank hätte erreicht, dass sie die Marktrenditen gesenkt und damit dem Staat die Finanzierung erleichtert hat.

Wenn die Staatsanleihen zu „Perpetuals“ (Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit, Option 2) werden, gegebenenfalls bei gleichzeitiger Absenkung oder Aussetzung der Kuponzahlungen vonseiten des Staates, müsste es eigentlich bilanztechnisch zu einer Abschreibung kommen, was zu Verlusten oder gar zu negativem Eigenkapital führen würde. Da es sich bei einer Zentralbank aber nicht um eine Geschäftsbank handelt, muss diese nicht zu Marktpreisen bewerten. Die Aktiva, auch wenn sich ihr Wertgehalt drastisch verändert hat, können unverändert in der Bilanz stehen bleiben.

Bleibt Option 3, bei der die Staatsanleihen stillgelegt werden. Wenn die Zentralbank Staatsanleihen des eigenen Staates hält, hat der Staat, so Turner5Vgl. Adair Turner, Debt, Money, and Mephistopheles: How Do We Get out of This Mess?, http://www.modernmoneynetwork.org/?q=content/debt-money-and-mephistopheles-how-do-we-get-out-mess, London 2013, abgerufen am 18 November 2015., faktisch nur Forderungen gegen sich selbst. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich betrachtet die Zentralbankbilanz entsprechend als eine Einheit mit der Bilanz des Staates. Aus dieser Sicht wären die von der Zentralbank gehaltenen Staatsanleihen nichts anderes als Aktiva, die auf fiskalischer Seite als Passiva bilanziert werden. Werden beide saldiert, kommt es zu einer Verkürzung der Bilanzsumme.6Vgl. David E. Lebow, The monetisation of Japan’s government debt, BIS Working Papers (September 2004, (161)), http://www.bis.org/publ/work161.pdf.

So betrachtet ist es in der Folge unerheblich, ob der Staat seinem Schuldendienst nachkommt, also ob er zum Beispiel die fällig werdenden Kupons an die Zentralbank auszahlt oder nicht. Die Kuponzahlungen fallen bei der Zentralbank als „Seignorage“ („Münzgewinn“) an, die an den Fiskus überwiesen werden – nachdem dieser sie zuerst an die Zentralbank gezahlt hat. Rein schematisch betrachtet ist dies ein Linke-Tasche-rechte-Tasche-Ergebnis, das in der Summe Null ergibt.

Allerdings müssten die Zentralbanken dann eine Abschreibung vornehmen, die je nach Höhe auch zu negativem Eigenkapital führen könnte. Historisch betrachtet wäre das jedoch kein Novum. In der Vergangenheit hatten verschiedene Zentralbanken über mehrere Jahre negatives Eigenkapital oder wiesen zumindest infolge Verluste aus und waren trotzdem weiter operativ tätig. Besonders bei Zentralbanken der aufstrebenden Staaten war das zu beobachten, da diese gelegentlich Abschreibungen auf Währungsverluste vornehmen mussten. Die chilenische Zentralbank beispielsweise verbuchte Verluste über 20 Jahre hinweg, bis ihr Eigenkapital aufgebraucht war.7Vgl. Claudia Helene Dziobek/John W. Dalton, Central Bank Losses and Experiences in Selected Countries, IMF Working Papers WP/05/72, 2005, http://www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2005/wp0572.pdf. Die Schweizer Notenbank musste 2015 starke Verluste auf ihren Devisenbestand infolge der Freigabe des Franken hinnehmen und sah sich genötigt darauf hinzuweisen, dass eine Zentralbank auch negatives Eigenkapital haben könne. Ein „rechtlicher Zwang zur Liquidation“ bestehe nicht.8Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. Mai 2015, Seite 29, Schweizer Notenbank macht Milliardenverlust.

Alan Greenspan, der frühere Chef der Fed, stellte ebenfalls heraus, dass die Zentralbank selbst bei negativem Eigenkapital unbegrenzt eigenes Geld schöpfen könne, worin ihn sein Nachfolger im Amt, Ben Bernanke, bestärkte:9Vgl. Peter Stella/Åke Lönnberg, Issues in Central Bank Finance and Independence, IMF Working Paper WP/08/37, 2008, https://www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2008/wp0837.pdf. „In short, one could make an economic case that the balance sheet of the Central Bank should be of marginal relevance at best to the determination of monetary policy.“10Ben Bernanke, Some thoughts on monetary policy in Japan: Remarks by Governor Ben S. Bernanke Before the Japan Society of Monetary Economics. http://www.federalreserve.gov/BOARDDOCS/SPEECHES/2003/20030531/default.htm, 2003, abgerufen am 18. November 2015.

Bilanztechnisch wäre eine permanente Monetisierung demnach kein Hindernis. Gegebenenfalls würde über die Jahre der Münzgewinn zum Aufbau von Aktiva genutzt und könnte nicht an die Finanzminister überwiesen werden – was aber unter dem Aspekt „Linke Tasche – rechte Tasche“ von untergeordneter Bedeutung wäre. Kurz gesagt: Eine Zentralbank „cannot go bankrupt in the sense that a private firm can.“11Ebenda und vgl. Gustavo Adler/Pedro Castro/Camilo Ernesto Tovar, Does Central Bank Capital Matter for Monetary Policy?, IMF Working Paper WP/12/60, 2012, www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2012/wp1260.pdf.

Ordnungspolitische Bewertung der Monetisierung von Staatsschulden

Die Monetisierung der Staatsschuld mag technisch durchführbar sein, sie stößt aber auf eine Reihe erheblicher Probleme. Nicht zuletzt müsste – mit Blick auf den Euro – geklärt werden, ob diese Form staatlicher Finanzierung mit der sogenannten „No-bail-out-Klausel“ (Art. 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) vereinbar wäre.

Eine permanente Monetisierung bliebe nicht ohne Verteilungswirkungen innerhalb der jeweiligen Volkswirtschaft beziehungsweise der Währungsgemeinschaft:

  • Während die Schuldner von der zu erwartenden, höheren Inflation profitieren, verlieren die Gläubiger.
  • Investoren mit höherer Risikoneigung können sich eher der Inflationswirkung entziehen, da sie eine Risikoprämie über der nominalen Vergleichsrendite von Staatsanleihen erwarten können oder Teile ihres Vermögens in stabileren Währungen anlegen.
  • Einkommensbezieher mit einer hohen Konsumneigung oder geringer Verhandlungsmacht am Arbeitsmarkt verlören stärker. Während die Preise für den Konsumbedarf steigen, können sie die Inflationswirkung durch Investitionen in Anlageformen mit zumindest Inflationsausgleich weniger gut ausgleichen beziehungsweise weniger gut durch Lohnsteigerungen neutralisieren.

Bei Bestehen einer Währungsunion käme es zu zusätzlichen Verteilungswirkungen zwischen den Teilnehmerländern:

  • Hochverschuldete Staaten würden am meisten von der permanenten Monetisierung profitieren, während eine höhere Inflation infolge des Glaubwürdigkeitsverlusts der Geldpolitik alle gleichermaßen träfe.

Wird Monetisierung als Ausweg aus der staatlichen Verschuldung genutzt, sinken die Anreize für eine stabilitätsorientierte Fiskalpolitik. Die Verschuldung dürfte in der Folge schneller steigen, während die Anreize der sparsameren Länder, auch sparsam zu bleiben, sinken. Wenn sie ohnehin den Preis der Inflation zahlen, warum dann sparsam bleiben? Die Länder der Währungsgemeinschaft befinden sich in einem sogenannten Gefangenendilemma, das umso mehr dafür spricht, dass auch eine Regelbindung – wie zum Beispiel „Helikoptergeld: aber nur als ganz große Ausnahme!“ – für den Regelbruch nicht glaubwürdig ist.

Die Bonitätsprämien sollten sich in der Folge zwischen den Teilnehmerstaaten angleichen, wobei die guten Bonitäten verlieren: Wenn die Wahrscheinlichkeit einer gemeinsamen Schuldenreduktion per Federstrich besteht, dann gibt es keinen Grund, von schlechten Schuldnern eine höhere Bonitätsprämie bei den Anleihen zu fordern, denn sie werden ja auf dem gleichen Weg entlastet wie alle anderen Schuldner. Im Gegenteil: Je schlechter die Schuldenkriterien, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Entschuldung mittels Gelddrucken, da der politische Druck auf die Zentralbank steigt.

Fraglich wäre auch, wie das Vertrauen in eine stabile Geldpolitik wieder hergestellt werden könnte, nachdem eine Monetisierung erfolgte. Rationale Investoren dürften – selbst wenn auch nur die Wahrscheinlichkeit einer Monetisierung besteht – ihre höheren Inflationserwartungen in entsprechend höhere Renditeforderungen einpreisen. Die Folge: Die Zinsstrukturkurve verschiebt sich auf ein höheres Niveau. Die Kosten der staatlichen Refinanzierung steigen. Mit steigenden Refinanzierungskosten steigt wiederum die Erwartung, dass es zu einer Monetisierung kommt, da die Schuldentragfähigkeit sinkt. – Es entsteht ein Teufelskreis.

Der Anfang des Helikoptergeldes ist das Ende der Unabhängigkeit der Zentralbank

Bei der Übersicht über die hier zitierte Literatur fällt auf, dass die Finanzierung staatlicher Ausgaben durch die Zentralbank als machbar und scheinbar frei von Konsequenzen geschildert wird, wenngleich es in Nuancen Unterschiede gibt. Die Einheit von Zentralbankbilanz und dem Haushalt der Zentralregierung wäre aber faktisch das Ende der Zentralbankunabhängigkeit, was gegen die Maastrichter Verträge verstieße. Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat auf das Problem der „fiskalischen Dominanz“ bereits 2013 hingewiesen, indem er die Frage aufwarf, wer letztlich die Oberhand über die Geldpolitik habe: die Zentralbank oder die Fiskalpolitik? Fiskalische Dominanz führe zu höherer Inflation12Vgl. Jens Weidmann, Wer hat die Oberhand? Das Problem der fiskalischen Dominanz: Reden. https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Reden/2013/2013_05_24_weidmann.htm, 24. Mai 2014, abgerufen am 18. März 2016. Jens Weidmann, 2014 und Deutsche Bundesbank, „Finanzielle Dominanz“ als mögliches Problem für die Geldpolitik, in: Bundesbank Monatsbericht, Jg. 67, Heft 3, März 2015, Seiten 69–77, https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichte/2015/2015_03_monatsbericht.pdf?__blob=publicationFile.. Die Geldpolitik würde zum Erfüllungsgehilfen der Fiskalpolitik.

Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek hat dies in dem im 1960 erschienenen Buch „Die Verfassung der Freiheit“ wie folgt ausgedrückt: „Eine von der Finanzpolitik unabhängige Geldpolitik ist möglich, solange die Staatsausgaben nur einen verhältnismäßig kleinen Teil aller Ausgaben bilden und die Staatsschulden (und insbesondere die kurzfristigen Verschuldungen) nur einen kleinen Teil der Kreditmittel ausmachen. Heute ist diese Bedingung nicht mehr gegeben. Infolgedessen kann eine wirksame Geldpolitik nur in Koordination mit der Finanzpolitik der Regierung durchgeführt werden. Koordination bedeutet aber hier unvermeidlich, dass, sofern nominell unabhängige Währungsbehörden noch bestehen, sie ihre Politik tatsächlich der Regierung anpassen müssen.“13Friedrich August von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, Tübingen 1991 (1960), Seite 412.

Die Inflationserwartungen müssten steigen mit dem Risiko einer unkontrollierbaren Inflationsentwicklung infolge eines Vertrauensverlustes, wie sie in Weimar oder in jüngerer Zeit in Venezuela, Sambia und Zimbabwe zu beobachten ist.14Vgl. Stephen G. Cecchetti/M S Mohanty/Fabrizio Zampolli, The future of public debt: prospects and implications, Bank for International Settlements Working Paper 300, Basel 2010, http://www.bis.org/publ/work300.pdf.

Bereits 1948 hat Milton Friedman auf die Gefahr der Inflation hingewiesen: Wenn Geld explizit dazu geschöpft würde, um die Defizite des Staatshaushalts zu finanzieren, so könnte dies ein Klima fördern, das eine unverantwortliche Fiskalpolitik und in der Folge Inflation fördert.15Vgl. Milton Friedman, A Monetary and Fiscal Framework for Economic Stability, in: American Economic Review 38 (1948), Seiten 245–264. Mit dem faktischen Ende der Zentralbankunabhängigkeit müsste auch das Vertrauen in die Geldwertstabilität Schaden nehmen. Es würde deutlich, dass das sogenannte „fiat money“ – also Geld, das anders als an Gold oder andere Sachwerte gebundene Währungen selbst keinen intrinsischen Wert hat – zur Finanzierung staatlicher Nachfrage gedruckt werden kann und dass die Geldwertstabilität zu einem untergeordneten Ziel fiskalischer Vorgaben würde.

Das Glaubwürdigkeitsproblem der Geldpolitik

Wenn die konjunkturelle Wirkung des Helikoptergeldes fragwürdig und die Auswirkungen eines damit verbundenen Schuldenschnittes auf die Staatsfinanzen nur begrenzt sind, ergibt sich ein Moral-Hazard- und ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dies umso mehr, als die Unabhängigkeit der Geldpolitik aufgehoben wurde.

Anders als Willem Buiter, der davon schreibt, dass „it works – always“, sieht Adair Turner deshalb zum Beispiel im Geld, das im Dienste der Fiskalpolitik gedruckt wird, noch ein „Tabu“ und versucht, die Folgen des Tabu-Bruchs durch eine Regelbindung für den Fall des Regelbruches zu begrenzen. Er schlägt unter anderem vor, dass die Zentralbank alleine über den Einsatz von Helikoptergeld bestimmen soll und die Höhe durch das zyklische, staatliche Defizit begrenzt werden könnte. Man muss sich aber die Frage stellen, warum die Wirtschaftssubjekte glauben sollten, dass der Regelbruch einmalig ist, da der Anreiz, öffentliche Ausgaben durch Zentralbankgeld zu finanzieren, ein starker ist und eine einmalige Monetisierung nicht ausreichen würde?

Eine „Einmal-ist-keinmal“-Erwartung der Marktteilnehmer wäre durchaus rational, zumal diese – im Fall der EZB – darauf verweisen könnten, dass die Verträge von Maastricht vorsätzlich gebrochen wurden. Wie sollte man auf eine spätere Einhaltung noch vertrauen?

“Taxation without legislation“

Interessanterweise werden die Auswirkungen auf die Inflation bei keinem der Befürworter von Helikoptergeld berücksichtigt. Die Überlegungen finden auf einer rein modellhaften Ebene statt, bei der es vor allem um technische Fragen der Durchführung und die vermeintlich positiven Folgen für das Wirtschaftswachstum geht. Rationale Wirtschaftssubjekte sollten aber den Regelbruch erkennen.

Die in Gang gesetzte Inflation verschärft die Verteilungswirkung zwischen Gläubigern und Schuldnern und entwertet Vermögensbestände. Sie kann als „Inflationssteuer“ angesehen werden und dies umso mehr, als die Geldpolitik die Renditen der Anleihen drückt, eine Überwälzung also kaum möglich erscheint. Aus den negativen Nominalrenditen werden negative Realrenditen. Das wäre eine Form der Vermögenssteuer, die von der Zentralbank eingeführt würde. Auch bei diesem Eingriff in die Eigentumsrechte sollte der Leitspruch gelten: „No taxation without representation“.

Es kann nicht die Aufgabe der Zentralbank sein, Steuern, auch wenn diese anderes benannt werden, zu erheben. Schon bei negativen Zinsen stellt sich die Frage, ob hier nicht von „Zinssteuern“ gesprochen werden muss, und bei einer Inflationssteuer, die einer (zumindest billigend in Kauf genommenen) Verletzung der Geldwertstabilität gleichkäme, umso mehr. Die fiskalisch dominierte Geldpolitik nimmt fiskalische Aufgaben war – ohne Legitimierung durch die Parlamente.

Der Preis des Geldes

Eine Zentralbank, die mit ihrer Geldpolitik nicht nur in die Preisbildung an den Geld- und Kapitalmärkten eingreift, sondern auch die Ausgabenrestriktion der öffentlichen Hand aufhebt, greift auch in die Preissignale an den Gütermärkten ein. Die Verzerrung des Preises des Geldes – namentlich des Zinses – fördert die Flucht in Sachwerte und damit das Risiko von Vermögenspreisblasen. Gleichzeitig werden öffentliche Investitionen und öffentlicher Konsum an den Gütermärkten wirksam, ohne dass die Allokation der Knappheit an Geld unterliegt.

Die Folgen der Monetisierung sind fatal: Sie wirken gesamtwirtschaftlich, greifen in Verteilungsprozesse ein, verzerren Anreizmechanismen zwischen Gläubigern und Schuldnern, beenden faktisch die Unabhängigkeit der Zentralbank, während gleichzeitig die Preisstabilität gefährdet wird, und setzen den Preismechanismus als Mechanismus der Allokation knapper Güter nicht nur an den Kapitalmärkten, sondern auch in der Realwirtschaft außer Kraft. Damit werden Weichen gestellt, die an die Warnungen Walter Euckens erinnern: So, wie nicht zwei Orchester im gleichen Raum spielen können, können auch nicht zwei Wirtschaftssysteme nebeneinander funktionieren. Am Ende würde sich eines von beiden durchsetzen.16Vgl. Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen 1952 (2004). – Zentralbankgeld ist Vertrauenssache. Der Einsatz von Helikoptergeld ist ein Tabu, das nicht gebrochen werden darf!17In diesem Beitrag vertritt der Autor seine persönliche Meinung.

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