Prof. Dr. Richard Reichel
FOM Hochschule, Essen, und Geschäftsführer des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg

Vielfach wird die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank verteidigt. Zu Unrecht, meint Professor Richard Reichel. Im nachfolgenden Beitrag widerspricht er gängigen Thesen, die eher in den Bereich der Rechtfertigungspropaganda einzuordnen seien.

Weitgehend unbestritten ist, dass die gegenwärtig stark expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) auf der einen Seite die Sparer durch niedrige und gar negative Zinsen schädigt und reflexmäßig auf der anderen Seite die Staatshaushalte entlastet. Letzteres kommt wiederum den Bürgern in Form soliderer öffentlicher Finanzen und damit der Abwesenheit des Drucks zu Steuererhöhungen sowie durch höhere öffentliche Leistungen zugute. So weit, so plausibel. Umstritten hingegen ist, wie man diese Zusammenhänge bewertet.

Zudem werden weitere Argumente zur Verteidigung der gegenwärtigen Geldpolitik vorgetragen – und dies bisweilen derart apodiktisch, dass viele glauben könnten, die Schäden für die Sparer, aber auch für den Bankensektor seien gar nicht so dramatisch. Die mitunter als keynesianisch bezeichneten Argumente lauten – thesenhaft verdichtet – wie folgt:

These 1: Die niedrigen Zinsen fördern Investitionen und Wachstum; sie sorgen damit für sichere Arbeitsplätze. Insbesondere Deutschland profitiert hier.

These 2: Das Inflationsziel der EZB dient dazu, ein Abgleiten in die Deflation zu verhindern. Deflation ist schlecht für Wachstum und Arbeitsplätze.

These 3: Die niedrigen Zinsen sind realwirtschaftlich bedingt. Ursachen sind zu geringe Investitionen und zu hohes Sparen. Die EZB begleitet diesen realwirtschaftlichen Prozess lediglich monetär.

Publizistische Flankierung falscher Thesen

Stellvertretend für die Thesen seien folgende Aussagen von Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), zitiert: „Uns würde es guttun, wenn vor allem die Unternehmen weniger sparen und mehr investieren würden. Die Sparquote ist zu hoch.“ Und weiter: „Uns geht es so gut, auch weil die Zinsen so niedrig sind. Die EZB hilft mit ihrer lockeren Geldpolitik der Wirtschaft. Und wenn ich die Wahl habe zwischen Job verlieren oder hohe Zinsen kassieren, ist glaube ich klar, wie die Entscheidung ausfällt. Was die EZB leistet, wird viel zu wenig gewürdigt.“1https://www.focus.de/finanzen/boerse/aerger-ueber-niedrige-zinsen-top-oekonom-fratzscher-die-wut-der-politik-auf-die-ezb-ist-zynismus-pur_id_10985158.html

Mitunter wird die These vom Übersparen ergänzt um demographische Effekte bei den privaten Haushalten. Diese würden aus Gründen der Altersvorsorge ihre private Ersparnis erhöhen. Je älter eine Gesellschaft würde, desto mehr stiege die Sparquote und das würde bei gleichbleibenden Investitionen zu einem Absinken des Zinses führen. Japan wird als warnendes Beispiel angeführt.

Bei „Spiegel online“ schreibt Stefan Bach, ebenfalls Mitarbeiter beim DIW, in einem Gastbeitrag: „Es gibt kein Grundrecht auf Sparzinsen. Wenn zu viel Kapital im Angebot ist und zu wenig investiert wird, sinken die Zinsen.“2https://www.spiegel.de/wirtschaft/niedrigzinsen-enteignet-mario-draghi-die-deutschen-sparer-a-1111250.html Und in der Zeitung „Die Zeit“ werden die Thesen folgendermaßen publizistisch flankiert: „Und die niedrigen Zinsen haben entscheidend dazu beigetragen, dass in Deutschland so viele Arbeitsplätze entstanden und die Löhne gestiegen sind.“3https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-08/europaeische-zentralbank-mario-draghi-enteignung-sparen-deutschland/komplettansicht Damit seien auch die Renten gestiegen und das sei wichtiger als die Höhe der Zinseinkommen.

Widerlegung der These 1: Fehlender Zusammenhang zwischen Zinsen und Wachstum

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 hat die EZB ihre Leitzinsen drastisch gesenkt; ein temporärer Anstieg 2011 fällt praktisch nicht ins Gewicht. Dabei kam es zu einem Rückgang des Leitzinses von gut 4 Prozentpunkten. Geld- und Kapitalmarktzinsen zogen entsprechend nach. Die Frage ist nun, wie sich die Investitionen entwickelt haben. Das Schaubild zeigt die Entwicklung der Investitionen in Deutschland und in der Eurozone in den Jahren 2008 bis 2019.

Die Investitionsneigung einer Volkswirtschaft wird üblicherweise an der Bruttoinvestitionsquote (GCF = Gross Capital Formation) gemessen. Man sieht einen relativ konstanten Verlauf der Investitionsquote, der lediglich im Jahr 2009 einen Einbruch aufweist. Zwischen 2013 und 2019 lässt sich ein moderater Anstieg der Werte um etwa zwei Prozentpunkte feststellen. Dass der Anstieg allerdings die Folge der in diesem Zeitraum ins Negative gesunkenen Zinsen ist, ist wenig wahrscheinlich, denn auch in den Jahren zwischen 2000 und 2008 schwankte die Investitionsquote in der Eurozone zwischen 22 und 24 Prozent, bei weit höheren Zinsen.

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Das begrenzte Potenzial der Geldpolitik zur Investitionssteuerung wurde übrigens von keynesianisch orientierten Ökonomen früh erkannt. Aus diesem Grund wurde in der keynesianisch geprägten Nachkriegszeit denn auch die Fiskalpolitik zur Konjunktursteuerung präferiert.4Vgl. auch Pavlina Tcherneva, The Return of Fiscal Policy: Can the New Developments in the NewEconomic Consensus Be Reconciled with the Post-Keynesian View? Working Paper No. 539, The Levy Economics Institute of Barth College, 2008. Auch empirische Studien ermittelten in den 1970er Jahren sehr geringe und statistisch meist insignifikante Zinselastizitäten der Investitionen.5Robert E. Hall, Investment, Interest Rates, and the Effects of Stabilization Policies, Massachusetts Institute of Technology, 1977, https://web.stanford.edu/~rehall/Investment%20Interest%20Rates%20BPEA%201977.pdf Dies hat sich auch in späteren Jahrzehnten nicht geändert.6Agnieszka Gehringer und Thomas Mayer, It’s the WACC, stupid! Economic Policy Note 13/2/2017, https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/fileadmin/user_upload/RI/Studien/files/studie-170213-it-is-the-wacc-stupid.pdf

Aber gibt es einen Zusammenhang zwischen der Investitionsquote und dem realen Wachstum? Auch dieser ist weit weniger eng als gemeinhin angenommen. Frühe empirische Studien7Ernst Dürr, Wachstumspolitik, Bern-Stuttgart 1977. zeigen sowohl im Länderquerschnitt als auch über die Zeit einen positiven, aber nicht sehr engen Zusammenhang. In späteren empirischen Studien wurde dieser positive Zusammenhang bestätigt, aber primär in Querschnittsstudien mit zahlreichen zusätzlichen Variablen unter Einbeziehung von Ländern sehr unterschiedlichen Pro-Kopf-Einkommens. Bei hoch entwickelten Volkswirtschaften (über die Zeitdimension) wird der entsprechende Zusammenhang schwächer und ist teilweise kaum noch zu erkennen. So lässt sich von 2008 bis 2019 zwischen der Investitionsquote und dem realen Wachstum ein leicht positiver (0,22), aber gemessen an einer statistischen Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 Prozent insignifikanter Korrelationskoeffizient ermitteln. Dies gilt auch, wenn längere Zeiträume herangezogen werden.

Zusammenfassend kann man sagen: Der behauptete Zusammenhang zwischen Zinsen und Wachstum lässt sich nicht bestätigen. Weder gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen Zinsen und Investitionen noch einen solchen zwischen Investitionen und Wachstum. These 1 der EZB-Verteidigung ist somit nicht haltbar. Dieser Befund ist besonders hervorzuheben, denn zahlreiche Vertreter der Wirtschaftspresse sind im Verein mit manch keynesianisch orientierten Ökonomen der Ansicht, man könne sich mit besonders niedrigen Zinsen Wirtschaftswachstum erkaufen. Diese Behauptung ist falsch.

Widerlegung der These 2: Es gibt gute und schlechte Deflation

Die Erfahrungen mit der Deflation der frühen 1930er Jahre sind unter Ökonomen und Wirtschaftshistorikern wohl bekannt. Damals gab es stark negative Wachstumsraten und eine extrem ansteigende Arbeitslosigkeit. So sank beispielsweise in Deutschland das Volkseinkommen zwischen 1929 und dem Tiefpunkt der Rezession 1932 kumuliert um etwa 30 Prozent. Der Konsumentenpreisindex fiel kumuliert um fast 25 Prozent,8http://personal.lse.ac.uk/ritschl/interwargermanydata.html und die Arbeitslosigkeit stieg von 2 Millionen auf 5,6 Millionen.9https://de.statista.com/statistik/daten/studie/277373/umfrage/historische-arbeitslosenzahl-in-der-weimarer-republik/

Das zweite Beispiel ist Japan seit den 1990er Jahren. Hier wird behauptet, die – sehr milde – Deflation sei für das schwache Wachstum verantwortlich gewesen. Vor diesem Hintergrund müsse die EZB konsequent gegen die Gefahr einer auch nur geringen Deflation ankämpfen, weil sonst die Tendenz zur Selbstverstärkung einer deflationären Spirale bestehe. Ich habe diese These bereits an früherer Stelle kommentiert.10Vgl. Richard Reichel, Politik gegen die Sparer, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 143, Juni 2016. Angesichts der Befunde in der Literatur lässt sich zu dieser These festhalten:11https://www.fom.de/newsroom/meinungen/das-oekonomische-statement.html#!acc=28-01-2015-richard-reichel-der-kampf-gegen-die-deflation/accid=9349 Eine generell negative Wirkung von Deflation auf das reale Wachstum existiert nicht. Dies gilt insbesondere für geringe Deflationsraten, wie sie auch in der Realität meist beobachtet werden, also Inflationsraten zwischen 0 Prozent und -2 Prozent. Nur stark negative Inflationsraten haben negative Wachstumswirkungen, so wie sie in der Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er beobachtet werden konnten. Solche stark negativen Inflationsraten sind gegenwärtig aber nirgends auf der Welt zu beobachten. Es ist unstrittig, dass diese in den 1930er Jahren primär durch eine falsche Geldpolitik verursacht wurden.

Zweitens muss man zwischen „guter“ und „schlechter“ Deflation unterscheiden. Gute Deflation resultiert aus positiven makroökonomischen Angebotsschocks und ist nie wachstumsschädlich, weil ex definitione mit mehr Wachstum verbunden. Ein Beispiel wäre die drastische Senkung des Ölpreisniveaus von etwa 110 US-Dollar pro Barrel (2015) auf circa 60 US-Dollar in den Jahren danach. Schlechte Deflation resultiert demgegenüber aus negativen makroökonomischen Nachfrageschocks, also beispielsweise einem abrupten Rückgang der staatlichen Nachfrage oder einem durch verdüsterte Zukunftserwartungen ausgelösten Rückgang der privaten Nachfrage. In diesen Fällen wird bei jedem beliebigen Preisniveau eine geringere Menge nachgefragt. Theoretisch ausgedrückt entspricht das einer Linksverschiebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve. Dann sinken im neuen Gleichgewicht Preise und Outputmengen, Inflationsrate und reale Wachstumsrate sind negativ. Eine solche Linksverschiebung lässt sich empirisch daran fest machen, dass mehr oder weniger alle Güter in ähnlichem Ausmaß billiger werden. Das war in den frühen 1930er Jahren der Fall. Für die Eurozone in den 2010er Jahren trifft dies aber nicht zu.

Japan als Beleg für die wachstumshemmende Wirkung von Deflation heranzuziehen, ist irreführend. Die Ursache des geringen Wachstums seit 1990 ist nicht die Deflation, sondern die stark rückläufige Investitionsquote. Auch wenn der Zusammenhang zwischen diesen Variablen im Zeitverlauf nicht sehr eng und oft nicht statistisch signifikant ist, so schlägt im Falle Japans der Rückgang der Investitionsquote doch zu Buche. Er ist dramatisch: Die Quote sank von Werten um 34 Prozent (Anfang 1990er Jahre) auf Werte um 24 Prozent (gegenwärtig). Die Sparquote sank von über 33 Prozent auf circa 28 Prozent. Entsprechend stieg die japanische Konsumquote stark an. Von „Übersparen“ und daraus resultierender Deflation kann also keine Rede sein. Damit zeigt sich auch das zweite Argument, das zur Verteidigung der Zinspolitik der EZB angeführt wird, als nicht stichhaltig.

Widerlegung der These 3: Realwirtschaftlich bedingter Zinsrückgang eher gering

Die oben referierte Begründung von Stefan Bach für einen realwirtschaftlichen Zinsrückgang (zu viel Sparen, zu wenig Investieren) klingt zunächst einmal plausibel, zumindest auf diesem eher elementaren Niveau – von der Beantwortung der Frage, was „zu viel“ und was „zu wenig“ ist, einmal abgesehen. Die Realität ist aber um einiges komplizierter. Fragt man sich, was den Zins im realwirtschaftlichen Sinn bestimmt, so lassen sich zwei Erklärungsstränge anführen.

Zum einen reflektiert der Zins im realwirtschaftlichen Sinne die Produktivität des Kapitals, im keynesianischen Terminus die „Grenzleistungsfähigkeit“ des Kapitals. Zum anderen resultiert er aus der systematischen Minderschätzung zukünftigen Konsums gegenüber gegenwärtigem Konsum, der positiven Zeitpräferenz. Sie ist Grund dafür, dass Kreditnachfrager bereit sind, einen Zins zu zahlen, um zukünftigen Konsum via Kredit in die Gegenwart vorziehen zu können. Alle wesentlichen Zinserklärungen lassen sich auf diese beiden Faktoren zurückführen.

Die Produktivität des Kapitals lässt sich relativ einfach ermitteln: Sie lässt sich im Prinzip an der Produktivitätssteigerung messen. Bereits hier wird deutlich, warum Zinsen und Wachstumsraten der Produktivität in einer ähnlichen Größenordnung liegen. Die Messung der Zeitpräferenz ist hingegen schwierig und nur über Umwege möglich. Allerdings kann man vereinfacht festhalten, dass sich der beobachtete Zins immer aus einer Produktivitätskomponente und einer Zeitpräferenzkomponente zusammensetzt. Deshalb ist der Realzins immer größer als der Produktivitätszuwachs, was verschiedentlich auch bei Ökonomen für Verwunderung gesorgt hat.12Vgl. Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, 2014.

Die Produktivitätszuwächse beliefen sich in den Ländern der Eurozone auf

  • 1,7 Prozent (1996–2000),
  • 1,0 Prozent (2001–2005),
  • 0,8 Prozent (2006–2010),
  • 1,0 Prozent (2011–2015),
  • 0,6 Prozent (2016–2018).

Ein langfristiger Rückgang ist hier durchaus erkennbar, korrespondierend zum Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Realzinsen. Allerdings hält sich der Rückgang des Produktivitätswachstums doch in relativ engen Grenzen. Gegenüber den beiden ersten Perioden – die man als Normalzinsperiode bezeichnen könnte – liegt er bei etwa einem halben Prozentpunkt. Dies ist in etwa die Größenordnung, in der ein Zinsrückgang liegen dürfte. Betrachtet man die tatsächlichen Zinsrückgänge, so fällt auf, dass diese weit größer ausgefallen sind. Argumentiert man konservativ und richtet sich nach dem Rückgang der Langfristzinsen (Durchschnittswerte) für deutsche Staatsschulden13https://www.bundesbank.de/resource/blob/768956/050b5d2d0b5b7b4b9b7d9240f1c97f89/mL/urbwp-data.pdf – dieser fiel geringer aus als bei anderen Euro-Mitgliedsländern –, so betragen die Werte etwa

  • 4,9 Prozent (1996–2000) [1,1 Prozent],
  • 4,0 Prozent (2001–2005) [1,6 Prozent],
  • 3,5 Prozent (2006–2010) [1,6 Prozent],
  • 1,3 Prozent (2011–2015) [1,5 Prozent],
  • 0,2 Prozent (2016–2018) [1,3 Prozent].

Die Inflationsraten sind in eckigen Klammern wiedergegeben.14Datenquelle: IMF, World Economic Outlook, April 2019, Database. Nominal ergibt sich ein Rückgang um 4,7 Prozentpunkte und damit weitaus mehr als der Produktivitätsrückgang von etwa 0,5 Prozentpunkten. Auch die Realzinsen sind in vergleichbarem Umfang gefallen, da sich die Inflationsrate nicht wesentlich vermindert hat. Wäre dieser Zinsrückgang realwirtschaftlich zu erklären, müsste bei Wegfall des Risikoparameters die Zeitpräferenzrate negativ geworden sein. Dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Damit ist anhand einiger wachstumstheoretischer Grundüberlegungen gezeigt, dass der Zinsrückgang am Kapitalmarkt zwar auch realwirtschaftliche Gründe hat, diese aber nur einen kleinen, zu vernachlässigenden Teil des Rückgangs erklären können. Der Hauptanteil am Zinsrückgang liegt bei der Politik der Notenbank. Damit ist auch These 3 der EZB-Verteidigungsargumente falsch.

Rechtfertigungspropaganda

Eine Zusammenfassung fällt nicht schwer: Alle vorgebrachten Argumente zur Verteidigung der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank sind entweder vollständig oder größtenteils falsch. Sie sind eher in den Bereich der Rechtfertigungspropaganda einzuordnen. Man muss sich bei der EZB und ihren akademischen Unterstützern allerdings noch auf einiges gefasst machen. Kürzlich ist ein Beitrag von Katrin Assenmacher-Wesche, Abteilungsleiterin für die geldpolitische Strategie der EZB, über die Frage erschienen, wie man auch bei Bargeld negative Zinsen realisieren könnte.15Katrin Assenmacher/Signe Krogstrup, Monetary Policy with Negative Interest Rates: Decoupling Cash from Electronic Money, IMF Working Paper No. 18/191, 2018. Ganz unverblümt wird dabei die Schwundgeldtheorie von Silvio Gesell als Referenz angeführt.

Das verwundert sehr, war Gesell doch kein professioneller Nationalökonom, sondern Autodidakt. In der Wissenschaft wurde Gesell bisher als „Sonderling“ betrachtet; seine Ansichten sind regelmäßig nicht Gegenstand von Lehrbuchdarstellungen. Eine positive Rezeption fand sich lediglich bei Irving Fisher und teilweise bei John Maynard Keynes. In jüngerer Zeit haben sich Befürworter von Negativzinsen verständlicherweise positiv über Gesell geäußert.16https://www.silvio-gesell.de/oekonomen.html#AxelLeijonhufvud Allerdings war und ist es unüblich, bei wissenschaftlichen Aufsätzen professioneller Ökonomen auf die Werke von Hobbywissenschaftlern zurückzugreifen und diese dann zum Bestandteil einer eigenen „Theorie“ zu machen.

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