Beeinflussen politische Konflikte alltägliche Konsumentscheidungen?
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© Ludwig-Erhard-Stiftung
Die Ludwig-Erhard-Stiftung hat den 1. Preis im Dr.-Herbert-B.-Schmidt-Wettbewerb für wissenschaftliche Arbeiten zur Sozialen Marktwirtschaft für das Jahr 2022 an Celina Proffen vergeben. Ausgezeichnet wird ihre Abschlussarbeit im Studiengang "Master of Science in Quantitative Economics" an der Goethe-Universität Frankfurt mit dem Titel "Does Media Reporting Matter for Daily Consumption Choices? – Evidence from the US-China Trade Conflict". Derzeit ist Frau Proffen wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am dortigen Lehrstuhl für Makroökonomie und Entwicklung. – Nachfolgend dokumentieren wir eine Kurzfassung des Forschungsprojekts, in der der methodische Ansatz sowie zentrale Ergebnisse dargestellt werden.
Politische Konflikte zwischen Ländern beeinflussen bekanntlich die öffentliche Meinung. Allerdings gibt es nur wenig Evidenz darüber, ob diese Meinungsänderungen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber ausländischen Staaten auch Einfluss auf ihr Konsumverhalten haben. Wenn es während politischer Konflikte tatsächlich zu einem Boykott ausländischer Produkte oder Dienstleistungen kommen kann, kann dies zu erheblichen Einbußen für Unternehmen führen, die mit dem betroffenen Land in Verbindung stehen. Auf einer höheren Ebene könnte sich dieses kollektive Handeln auch auf wirtschaftliche Gesamtergebnisse und die diplomatischen Beziehungen zwischen Ländern auswirken.
In unserer Studie untersuchen wir, ob und wie amerikanische Konsumentinnen und Konsumenten auf den politischen Konflikt zwischen den USA und China während der Trump-Präsidentschaft reagieren. Wir zeigen, dass der Konflikt zu signifikanten Besucherrückgängen in chinesischen Restaurants geführt hat, und dass demografische Merkmale wie Alter, Rasse, Wahlverhalten und kulturelle Offenheit dabei eine Rolle spielen. Dabei ist zu beachten, dass ein solcher Boykott gegenüber in den USA ansässigen Unternehmen (hier chinesische Restaurants) keine effektive protektionistische Maßnahme ist, sondern eher eine emotionale Reaktion widerspiegelt. Es bleibt unklar, ob die von uns beobachteten Reaktionen in einem Setting, in dem die betroffenen Unternehmen tatsächlich in China steuerpflichtig sind, noch größer wären.
Für unsere Forschung nutzen wir tägliche Besucherdaten zwischen 2018 und 2019 von über 190.000 Restaurants in den USA, deren Namen, Standort und ethnische Küche wir eindeutig zuordnen können. Methodisch messen wir die Intensität des bilateralen Konflikts durch die Negativität in der Berichtserstattung über China in amerikanischen Zeitungen, und schätzen Poisson-Regressionen, um den Effekt der Negativität auf Restaurantbesuche zu erfassen. Für jedes zusätzliche negatives Wort in einem 100-Wort-Absatz über China messen wir eine statistisch signifikante Verminderung in chinesischen Restaurantbesuchen um 1,3 Prozent im Vergleich zu durchschnittlichen nicht-chinesischen Restaurants. Interessanterweise reduzieren Amerikanerinnen und Amerikaner ebenfalls ihre Besuche anderer ausländischer Küchen, während Besuche von amerikanischen Restaurants signifikant steigen. Die untenstehende Grafik illustriert die jeweiligen Effekte zusammen mit ihren 95-Prozent-Konfidenzintervallen.

Wenn wir alle Restaurants in unserer Stichprobe zusammen betrachten, schätzen wir, dass ein zusätzliches negatives Wort in einem 100-Wort-Absatz über China zu insgesamt 2,6 Prozent weniger Restaurantbesuchen pro Tag führt. Die Substitution hin zu typisch amerikanischem Essen kompensiert also nicht die Abnahme an Besuchen zu ausländischen Küchen. Unsere Ergebnisse sind robust gegenüber verschiedenen Modellspezifikationen. Wir replizieren diese Analyse und schätzen ähnliche Effekte für die Beziehung zwischen den USA und Mexiko.
Insgesamt unterstützen unsere empirischen Ergebnisse die Hypothese, dass politische Konflikte Verbraucherethnozentrismus auslösen, d.h., eine allgemeine Diskriminierung gegenüber ausländischen Produkten (Shimp and Sharma, 1987). Unsere Ergebnisse stimmen mit der Vorstellung überein, dass politische Spannungen die Bindung der Konsumenteninnen und Konsumenten an ihre nationale Identität stärken (Nardotto and Sequeira, 2021; Shayo, 2020). Diese Ergebnisse, also Verschiebungen in den Konsummustern zugunsten von Waren, die mit einer bestimmten nationalen Identität verbunden sind, können durch einen erhöhten Ingroup-Bias, verstärkte Einhaltung sozialer Normen oder beides erklärt werden.
Unsere Ergebnisse haben Relevanz für Unternehmen und Entscheidungsträger. Auf der einen Seite stellen sie ein relevantes Risiko für Unternehmen dar: Produkte, die mit einem politischen Konflikt in Verbindung gebracht werden, können plötzlich einen Nachfragerückgang erfahren, selbst wenn sie nicht Gegenstand des Konflikts sind, sondern lediglich als ausländisch wahrgenommen werden. Auf der anderen Seite beeinflusst Verbraucherethnozentrismus die wirtschaftlichen Ergebnisse von Ländern während internationaler politischer Konflikte. Indem er die Wettbewerbsposition lokaler Unternehmen auf ungewollte Weise verzerrt, verringert er die Effizienz der Ressourcenallokation.
Referenzen
Nardotto, M., and S. Sequeira (2021), Identity, Media and Consumer Behavior. CEPR Press Discussion Paper No. 15765. https://cepr.org/publications/dp15765
Shayo, M. (2020). Social identity and economic policy. Annual Review of Economics 12, 355–389.
Shimp, T. A., and S. Sharma (1987), Consumer ethnocentrism: Construction and validation of the CETSCALE. Journal of Marketing Research, 24 (3): 280–289.
Hinweise
Der Originaltitel der Forschungsarbeit lautet: „Do Political Conflicts Influence Daily Consumption Choices? Evidence from US-China Relations“. Sie ist im Volltext verfügbar unter https://papers.ssrn.com/abstract_id=4402601. Frau Proffen und Co-Autor Lukas Jürgensmeier, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Goethe-Universität Frankfurt, Abteilung Marketing, haben zu gleichen Teilen zu diesem Projekt beigetragen. Für die mit dem Dr.-Herbert-B.-Schmidt-Preis 2022 ausgezeichnete Arbeit „Does Media Reporting Matter for Daily Consumption Choices? – Evidence from the US-China Trade Conflict“ zeichnet gleichwohl allein Celina Proffen verantwortlich.
Der Dr.-Herbert-B.-Schmidt-Preis wurde von der Ludwig-Erhard-Stiftung zu Ehren ihres Gründungs- und Ehrenmitglieds Dr. Herbert B. Schmidt erstmals im Jahr 2021 ausgelobt und richtet sich an Hochschulabsolventen der wirtschaftswissenschaftlichen und -historischen Fakultäten im deutschsprachigen Raum.
Näheres zur Begründung der Jury für die Preisvergabe 2022 und zu den anderen ausgezeichneten Arbeiten finden Sie >>hier oder >>hier als PDF.
Die Ausschreibung zum Dr.-Herbert-B.-Schmidt-Wettbewerb 2022 finden Sie hier als PDF.
Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, herausgegeben von der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn, ISSN 2366-021X