Wohlstand für alle! – Dieses große Ziel von Ludwig Erhard schien verwirklicht. Jetzt, im Zuge der starken Zuwanderung nach Deutschland, stellt sich diese Forderung neu. Die Ludwig-Erhard-Stiftung möchte mit ihrer Artikelreihe zum Thema Asylpolitik zur Diskussion beitragen, wie Wohlstand für alle wieder erreicht werden kann.

Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise herrscht Notstand: Es fehlt an Unterkünften für den Winter, an Helfern, an organisatorischen Maßnahmen, an wirklichen Wegen der Integration. Aber auch eine Behebung dieser Notstände wäre nur der erste Schritt. 1,5 Millionen Migranten werden im Jahr 2015 nach Deutschland gekommen sein – und ein Ende des Zustroms ist nicht in Sicht. Bis 2025 dürften bedingt durch den Familiennachzug zehn Millionen Menschen mehr im Land leben. Dafür fehlt uns noch jede Vorstellung – politisch, wirtschaftlich, kulturell.

Kulturell und wirtschaftlich ankommen können die Migranten nur, wenn sie zügig Teil der deutschen Arbeits- und Ausbildungswelt werden. Viele der Migranten sind jung, deutlich jünger als die Einheimischen; das könnte helfen, der Überalterung in unserer Gesellschaft zu begegnen – aber nur, wenn die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt. Denn nur dann werden Steuern und Sozialbeiträge gezahlt. Heute sind drei Viertel der Deutschen erwerbstätig. Damit die Zuwanderung nicht zu einer in die Sozialsysteme wird, müssen auch Zuwanderer in den allermeisten Fällen einen Arbeitsplatz finden – und zwar einen, der nicht nur irgendwie, sondern auch gut bezahlt ist, sonst wächst die Gruppe der Armen. Schon heute ist ein großer Anteil von Migranten beruflich nicht aktiv, und dieser Anteil wird sich zunächst vergrößern, vielleicht sogar dramatisch. „SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sieht einen Segen für die Rentenkasse. Wirtschaftsvertreter spekulieren auf Erholung beim Fachkräftemangel. Das alles weckt falsche Hoffnungen, die nur in Enttäuschung und schwindender Akzeptanz enden können“, schreiben Christoph M. Schmidt und Thomas K. Bauer in ihrem Beitrag zu unserer Diskussionsreihe über die Asylpolitik.

Leben aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung – das ist das Ziel!

Die dauerhafte Unterbringung von Migranten in Zelten ist menschenunwürdig. Menschen, die in Sammellagern leben, sind eine Bedrohung für unsere Gesellschaft. Leben aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung – nur das kann das Ziel sein, nicht Zuwanderung in Sozialsysteme und fragwürdige Vollversorgung auf niedrigem Niveau. Die Wirtschaftspolitik spielt hier die zentrale Rolle, und sie muss bei den Menschen ansetzen. Da viele Zuwanderer über keine Berufsausbildung verfügen oder sogar Analphabeten sind, wird es Jahre dauern, bis sie in den Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Das ist zwar nicht ganz aussichtslos, aber eben auch nicht umsonst zu haben oder gar selbstverständlich. Für die meisten der Neuankömmlinge bieten sich von ihrer Qualifikation her ohnehin keine Arbeitsplätze in der Industrie und Zuliefererwirtschaft an, sondern in einfachen bis mittleren Leistungsstufen. Der Einsatz hoch qualifizierter Migranten in der IT-Branche auf dem Weg zur Industrie 4.0 kann erst nach vielen Ausbildungsjahren der jüngsten Zuwanderer erwartet werden.

Informationstechnologie bedeutet in Deutschland heute nicht Apple und Samsung, sondern ihren Einsatz in der industriellen Produktion. Aber wollen wir das auch? „Wenn sich Kommunikationsformen ändern, dann wandelt sich das Fundament einer Gesellschaft. Das wissen wir spätestens seit Gutenberg. In einer neuen Welt, in der immer mehr Menschen private TV-Sender mit globaler Reichweite in der Hosentasche herumtragen, müssen Politiker begreifen, dass auch sie nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Doch für die Mehrzahl der zurzeit amtierenden Politiker ist das Merkel’sche »Neuland« offenkundig noch unbekanntes Terrain – sie leben gedanklich im »Altland«, in einer geradezu irrealen Welt von gestern“, schreibt Ulrich Klotz in seinem Beitrag zu Recht.

Modernität kann unter geänderten Rahmenbedingungen zum „Altland“ werden. Diese Art von Politik wird mehr und mehr zu einer Gefahr für unsere Gesellschaft. Setzt Deutschland seine Politik der De-Industrialisierung fort, gibt es in der nächsten Generation wenig Nachfrage nach IT-Fachkräften, die ja ebenfalls an die Industrie geknüpft sind. Die jobintensive IT-Industrie überlässt Deutschland seit Langem den USA und China.

Umweltwunder statt Beschäftigungswunder?

Deutschland muss daher Industrieland bleiben. Das ist leichter gesagt als getan, denn mittlere und einfache Jobs stehen nicht im Zentrum der derzeitigen Politik. Sie hat sich leise auf den Weg gemacht, nur hochqualifizierte und damit letztlich wenige Jobs zu ermöglichen. Das war nicht falsch vor dem Hintergrund einer schrumpfenden und alternden, immer besser ausgebildeten Bevölkerung. So drängen Energiewende und weiter steigende Umweltauflagen die job-intensive und leider oft „schmutzige“ deutsche Wirtschaft außer Landes zugunsten weitgehend menschenleerer, hoch automatisierter Spezialprodukte. Setzt Deutschland die De-Industrialisierung fort, kann es nicht einmal mehr die Windkrafträder und Solardächer selbst herstellen, die es für die gewünschte Energiewende braucht. Nicht ein Beschäftigungswunder steht im Zentrum der derzeitigen Politik, sondern das Umweltwunder einer sonst gesättigten Gesellschaft, die sich das auch leisten kann. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hält daher seit Ende 2001 „einen – sozial abgefederten und rechtzeitig eingeleiteten – Strukturwandel weg von den energieintensiven Altindustrien für langfristig ohnehin sinnvoll“.

Aber wo bleiben die neuen Industrien, die Beschäftigten mit niedrigerer Qualifikation Chancen auf Arbeitsstellen bieten? Es gibt sie nicht, außer vielleicht für Paketboten und in den Lagern der Logistikzentren. Aber auch dort werden die Stellen abgeschafft – zugunsten billigerer Roboter oder Verteilzentren in Osteuropa. Wir brauchen Deregulierung, denn nur so entstehen Arbeitsplätze und nicht durch Verbote der Möglichkeiten. Da hat Isabel Mühlfenzl in ihrem Beitrag zur Diskussionsreihe völlig Recht, wenn sie schreibt: „Natürlich müssen wir deregulieren und auch den Menschen wieder die Gelegenheit bieten, sich frei zu entfalten und nicht unentwegt durch veraltete Gesetze und Reglementierungen an Grenzen zu stoßen.“ Das gilt auch für das Baurecht: Noch vier oder fünf Kältewinter, bis die erste neue Wohnung gebaut ist? – Das kann nicht die Lösung sein. Frank Schäffler schlägt in seinem Beitrag neben einer Liberalisierung des Mietrechts eine Entbürokratisierung der Bauordnungen vor.

Grundsätzliches Umdenken ist erforderlich

Die deutsche Politik hat nicht formuliert, welche Industrie sie langfristig will, sondern nur, welche nicht. Genau dies muss in den nächsten Monaten geschehen. Die Ergebnisse dieser Politik waren schon vor Beginn der großen Migrationswelle bekannt. Aber angesichts der großen Herausforderung von Millionen Zuwanderern drohen die Folgen der De-Industrialisierung in einen Verdrängungswettbewerb zwischen gering qualifizierten Einheimischen und Zuwanderern auszuarten. Dagegen helfen keine Versprechen und auch keine garantierten Mindestlöhne, sondern nur eine Neuorientierung. Auch die Industrie ist gefordert: Große Teile der Wirtschaft haben es vorgezogen, den politischen Auflagen zu folgen, ohne eine offene und öffentliche Debatte über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des deutschen Sonderweges durchzusetzen. Sie bejubelt neue Arbeitskräfte, aber es kommen Menschen mit ihren ganz eigenen Wünschen und Voraussetzungen. Dem müssen wir Rechnung tragen; das erfordert ein grundsätzliches Umdenken. Die Not der kalten Tage zu lindern, ist dabei nur ein erster Schritt.

Die Migrationskrise bringt nicht nur die Probleme an den Tag, sie ist auch eine besondere Chance. Die große nationale Anstrengung ist auf das Zusammenwirken aller angewiesen und auf alle Kräfte, die dafür freigesetzt werden können. Schritt eins muss eine nüchterne und vorurteilsfreie Prüfung sein, was in kommenden Jahrzehnten Vorrang hat und was nicht, Schritt zwei die Entscheidung, welche Ressourcen für welche Ziele vorrangig konzentriert werden müssen, und Schritt drei die Feststellung, wer was zu tun bereit ist. Die Ludwig-Erhard-Stiftung will dazu beitragen und in den nächsten Wochen ein Arbeitsprogramm entwickeln. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Wohlstand für alle wieder Realität wird.

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