Im Jahr 1996 wurde Prof. Dr. Juergen B. Donges mit dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. Anlässlich seines Todes am 25. Juni 2021 dokumentieren wir die Rede, die Juergen B. Donges, damals Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität zu Köln, bei der Preisverleihung gehalten hat.

Wenn in der wirtschaftspolitischen Debatte davon die Rede ist, dass die private Investitionstätigkeit hierzulande wieder viel kraftvoller werden muss, damit die Arbeitslosigkeit deutlich sinken kann und die Grundlagen des erreichten Wohlstandes für die Zukunft gefestigt werden, liegt das Hauptaugenmerk auf den Arbeitskosten, der Abgabenlast und der Staatsquote. Sich insoweit Sorgen um die Qualität des Investitionsstandortes Deutschland zu machen, ist völlig richtig, weil in diesen Bereichen die Angebotsbedingungen der Wirtschaft schlecht sind und daher eine Remedur unabweisbar ist. Aber zu guten Angebotsbedingungen gehört auch, dass die Märkte flexibel sind. Märkte sind flexibel, wenn Wettbewerb herrscht. Wir brauchen den Wettbewerb, um bei den Unternehmen Wagnisbereitschaft und Innovationskraft hervorzulocken oder zu erzwingen und um die Anpassung der Wirtschaft an den strukturellen Wandel, der stark von Veränderungen im weltwirtschaftlichen Umfeld geprägt ist, zu erleichtern und zu beschleunigen. Das macht den Rang der Deregulierungspolitik aus, einer Politik also, die für freien Marktzugang sorgt und die Gewerbe- und Vertragsfreiheit respektiert, auch bei den Investitionsentscheidungen und der Preisgestaltung.

In Deutschland wird viel mehr reguliert, als mit marktwirtschaftlichen Ordnungsprinzipien vereinbar ist. Als im Lichte dieser Prinzipien legitimiert sind zwar allgemeingültige, gleichsam konstitutive Regulierungen, die die Funktionstüchtigkeit der Marktwirtschaft als Wettbewerbswirtschaft erst ermöglichen (so das Eigentumsrecht, das Vertragsrecht und das Gewerberecht), aber spezielle Regulierungen nur insoweit, als in den jeweiligen Bereichen ein Marktversagen oder Wettbewerbsversagen vorliegt und daher bei Freiheit des Wirtschaftens das Ergebnis suboptimal wäre. Die Stichworte lauten: externe Effekte in der Produktion und im Verbrauch, natürliche Monopole, ruinöse Konkurrenz, asymmetrische Information zwischen Anbietern und Nachfragern und opportunistisches Verhalten bei langfristigen Verträgen. Solche besonderen Marktkonstellationen werden in unzähligen theoretischen Modellen fokussiert, in der wirtschaftlichen Realität sind sie aber recht selten, auch wenn die Regulierungsanhänger gebetsmühlenhaft das Gegenteil behaupten.

Regulierungen sind protektionistischer Natur

Schon Ludwig Erhard hatte seine Probleme mit dieser Lobby, die es geschickt verstand, den „puren Egoismus“, wie er es nannte, mit Hinweisen auf das Gemeinwohl zu verbrämen; so musste er mit ansehen, wie sein Leitbild von einer funktionstüchtigen Wettbewerbsordnung im politischen Prozess verwässert wurde – man denke zum Beispiel an die großen Ausnahmebereiche im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1957. Bis in die Gegenwart hinein sind die Kräfte, die spezielle Regulierungen für unabweisbar halten, sehr aktiv. Die Debatte um die Ladenschlusszeiten war symptomatisch für die Verbissenheit, mit der Regulierungsanhänger an einer alten Regelung festhalten wollen, die anderwärts seinesgleichen sucht, sich längst überlebt hat und im Alltag phantasievoll umgangen wird (nicht nur an den Tankstellen); in einer freien Gesellschaft sollten Staat und Gewerkschaften nicht vorschreiben wollen, wer wie lange sein Geschäft offenhalten, wer wann was kaufen darf.

In Wirklichkeit sind die bestehenden speziellen Regulierungen protektionistischer Natur, es geht um die Befriedigung partikularer Gruppeninteressen, um die Durchsetzung von Einkommensansprüchen gegen den Markt. Beigemischt werden hier und da regionalpolitische, beschäftigungspolitische und sozialpolitische Zielsetzungen, für deren Verwirklichung aber die marktwidrige Regulierung in aller Regel die schlechteste aller Optionen ist. Oder der Verbraucherschutz wird bemüht, obwohl es dazu gerade nicht der Marktzugangsbeschränkung bedarf, es sei denn, die Gesundheit der Menschen wird bedroht, wie aktuell beim britischen Rindfleischexport wegen des BSE-Problems. Mitunter wird auch in der Sicherung der Versorgung – mit Nahrungsmitteln oder Energie beispielsweise – eine unabweisbare Regulierungsaufgabe gesehen, obwohl ernsthafte Versorgungsstörungen in einer offenen Weltwirtschaft gar nicht zu befürchten sind, auf jeden Fall aber Vorkehrungen für unvorhersehbare Krisenzeiten wettbewerbskonform getroffen werden können. Wie auch immer die speziellen Regulierungen begründet werden. Marktwidrig, wie sie nun einmal meist sind, wirken sie wie eine Steuer auf Investitionen und Arbeitsplätze.

Die neueste Variante einer speziellen, auf Schutz vor Wettbewerb zielenden Regulierung bildet das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in der deutschen Bauwirtschaft. Weil diese Branche aus konjunkturellen und strukturellen Gründen in großen Schwierigkeiten steckt und an hohen Arbeitskosten zu tragen hat, sie sich aber schwertut, die gebotenen Anpassungen an veränderte Markt- und Wettbewerbsbedingungen vorzunehmen und in der Tariflohnpolitik Zurückhaltung zu üben, ruft sie nach dem Staat, auf dass Außenseiterkonkurrenz am Arbeitsmarkt unterbunden werde. Stein des Anstoßes sind derzeit Leiharbeiter aus Portugal und Großbritannien, zuvor waren es die Werkvertragsarbeitnehmer aus Polen. Sie arbeiten zu einem niedrigeren Lohn und zeitlich flexibler als die permanent in Deutschland lebenden deutschen und ausländischen Bauarbeiter. Sozialdumping und Lohndrückerei – so lautet das Verdikt, mit dem man auch in der Öffentlichkeit wirkungsvoll um Verständnis werben kann.

Es ist schlicht falsch, in diesem Zusammenhang überhaupt von Dumping zu sprechen. Die Löhne der vorübergehend nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer liegen ja nicht unterhalb der Tariflöhne in ihrem Heimatland. Vom Prinzip der internationalen Arbeitsteilung her gesehen ist es gleichgültig, ob ein Land, das reichlich mit Arbeitskräften ausgestattet ist und ein vergleichsweise niedriges Lohnniveau verzeichnet, seinen komparativen Vorteil dadurch nutzt, dass es arbeitsintensive Güter exportiert, oder dadurch, dass die preiswerten Arbeitskräfte direkt wandern. In beiden Fällen verschärft sich in einem Hochlohnland wie Deutschland unweigerlich der Anpassungsdruck am Arbeitsmarkt. Diese Erfahrung haben viele Unternehmen in anderen Branchen längst gemacht, für viele bedeutete es das Aus: Zigtausende von Arbeitsplätzen sind im außenwirtschaftlich bedingten Strukturwandel dem Rotstift zum Opfer gefallen. Zwar hat sich auch hier der Staat dazu verleiten lassen, durch sektorspezifischen Protektionismus zu helfen, aber mehr als den Anpassungsprozess in die Länge zu ziehen, hat er nicht vermocht. Hinzu kommt der Anpassungsdruck, der in Phasen einer realen Aufwertung der D-Mark zu meistern ist, was auch nicht überall gelingt.

Ein Entrinnen von diesen Anpassungszwängen gibt es nicht, weil nur im Strukturwandel ein angemessenes wirtschaftliches Wachstum erzielt werden kann, zumal bei fortschreitender Globalisierung der Märkte. Darauf sollte sich auch die Bauwirtschaft einstellen. Das Entsendegesetz mag der eine oder andere als Versuch werten, die Übergangsprobleme zu entschärfen. Aber Vorsicht! Befristete staatliche Interventionen haben sich in der Praxis immer wieder als sehr zählebig erwiesen. Das kann sich jetzt wiederholen mit der Folge, dass das Bauen hierzulande teuer bleibt und die Schattenwirtschaft weiter wächst – von dem moralisch fragwürdigen Vor-gang, dass Arbeitslosigkeit aus Deutschland in die ärmeren EU-Länder „exportiert“ wird, ganz abgesehen.

Plädoyer für Deregulierung und Privatisierung

In den letzten Jahren hat erfreulicherweise einiges an Deregulierung stattgefunden, nicht zuletzt aus Brüssel erzwungen in Verbindung mit der Vollendung des europäischen Binnenmarktes. Am weitestgehend ist dies der Fall in der privaten Versicherungswirtschaft, im innerdeutschen Luftlinienverkehr und in der Telekommunikation – alles Bereiche wohlgemerkt, in denen die Regulierungsanhänger über Jahrzehnte hinweg Schutzzäune verteidigt haben, weil angeblich der Markt und die Selektionsfunktion des Wettbewerbs versagten. Nun erweisen sich die Märkte doch als funktionstüchtig, allenthalben ist wirtschaftliche Dynamik freigesetzt worden.

Es ist jetzt wichtig, die Deregulierungspolitik fortzusetzen und den Wildwuchs über-flüssiger und schädlicher Regulierungen zu beseitigen. Einige Beispiele: Überfällig ist der Abbau des kostspieligen europäischen Marktordnungssystems in der Landwirtschaft; wenn die Einkommen der Landwirte gestützt werden sollen, dann über direkte Transfers und produktionsneutral, nicht mehr über administrative Preis-festsetzungen, Absatzgarantien, Importbeschränkungen und Exportsubventionen. Für die Beibehaltung der teuren deutschen Kohlevorrangpolitik und den damit verbundenen Regulierungen des Primärenergieeinsatzes in der Eisen- und Stahlindustrie und in der Stromerzeugung gibt es keine soliden Gründe, ebenso wenig wie für die seit Jahrzehnten hohen Bergbausubventionen. In der Elektrizitätswirtschaft gehören die Gebietsmonopole auf den Prüfstand: Stromerzeugung und Stromhandel können wettbewerblich organisiert werden, beim überregionalen Stromtransport sind Durchleitungsrechte für Dritte das Mindeste, was an Marktöffnung herbeigeführt werden sollte und was nach den jüngsten Beschlüssen des EU-Ministerrates vielleicht nun doch in absehbarer Zeit erreicht wird.

Nötig ist auch, in der Handwerksordnung den Großen Befähigungsnachweis als Voraussetzung für die selbständige Tätigkeit abzuschaffen; den Meisterbrief soll nur haben müssen, wer auch ausbildet, wie in der Schweiz. In der Wohnungswirtschaft brauchen wir ebenfalls mehr Markt mit knappheitsgerechten Mieten und abgemilderten Kündigungsschutzregelungen, sollen Angebot und Nachfrage besser als bislang in Einklang kommen; die Subjektförderung über das Wohngeld hätte Vorrang zu haben vor der Objektförderung à la sozialer Wohnungsbau. Auch bei der staatlichen Wirtschaftstätigkeit kann mehr als bisher geschehen dereguliert, sprich privatisiert werden. Die konkreten Vorschläge zur Deregulierung in allen diesen und anderen Bereichen sind Legion. Es liegt an den Politikern, zuzugreifen und daraus Reformen zu machen.

„Konkurrenz belebt das Geschäft“ – Eine Volksweisheit

Das Gleiche gilt für den Arbeitsmarkt, an dem wir ganz dringend Deregulierung brauchen. Die gravierenden lohnpolitischen Fehlentwicklungen in Ostdeutschland und die hohen Arbeitskosten im Westen, dazu die hartnäckig hohe Arbeitslosigkeit in ganz Deutschland zwingen die Tarifvertragsparteien, eingefahrene Gleise zu verlassen und die Tarifautonomie so zu nutzen, dass die Arbeitsmärkte flexibler werden, ganz wie es die internationalen Wettbewerbsbedingungen verlangen. Eine Politik der Lohnzurückhaltung ist das eine, was nottut. Das andere ist die Einsicht in die Notwendigkeit, die vielfältigen institutionellen Funktionsstörungen auf den Arbeitsmärkten zu beseitigen – angefangen beim Flächentarifvertrag, der von Grund auf überholungsbedürftig ist und betriebsnahe Entscheidungen über Lohn und Arbeitszeiten ermöglichen muss, über die Starrheit der Tarifverträge, die durch Öffnungsklauseln (einschließlich der Revision des Günstigkeitsprinzips) aufgebrochen werden muss, damit situationsgerechte Anpassungen erleichtert werden, bis hin zu den überzogenen Sozialplanpflichten und dem rigiden Kündigungsschutz, wo Fehlanreize abgebaut werden müssen. Die staatliche Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die zur Tarifautonomie ohnehin schlecht passt, darf nur in Betracht kommen, wenn wirklich ein öffentliches Interesse daran besteht, was beim erwähnten Entsendegesetz eben nicht der Fall ist.

Die Gewerkschaften meinen, die Deregulierung am Arbeitsmarkt verhindern zu müssen, doch sie werden, wie jetzt schon, immer wieder die Erfahrung machen, dass sich die Marktprinzipien letztlich doch durchsetzen, im Zweifel über ihre Köpfe hinweg. Wäre es da nicht besser, konstruktiv eine vorwärtsschauende Deregulierungspolitik mitzugestalten?

Marktdynamik überall dort freizusetzen, wo dies möglich ist, zahlt sich gesamtwirtschaftlich allemal aus: Monopolrenten würden verschwinden, es würde effizienter produziert, das Kostenniveau könnte sinken, die Staatsquote zurückgehen. Es gäbe mehr Unternehmensneugründungen, die Investitionstätigkeit wäre schwungvoller (auch die ausländischer Unternehmen), die Erwerbs- und Beschäftigungschancen würden größer, das Angebot an Waren und Dienstleistungen wäre vielseitiger und attraktiver, wodurch die Konsumentensouveränität gleichsam zu ihrem Recht käme. „Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt der Volksmund, und genau diese Volksweisheit gilt es, in der Deregulierungspolitik zu befolgen. Dabei mit Entschlossenheit zu Werke zu gehen, wäre im Rahmen einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik das richtige Signal für die Stärkung des Standortes Deutschland im internationalen Wettbewerb.

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