Anlässlich der Verleihung des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik an Dan McCrum und an Prof. Dr. Wolfgang Reitzle erinnert Roland Koch, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, in seiner Begrüßungsrede daran, dass Ludwig Erhard mutiger war als die Politiker von heute.


ES GILT DAS GESPROCHENE WORT.
Eine Video-Aufzeichnung der Rede von Roland Koch finden Sie hier
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Sehr geehrte Preisträger, liebe Laudatoren, verehrte Gäste,

ich freue mich, Sie heute aus der Hessischen Landesvertretung in Berlin zur Übergabe der Ludwig-Erhard-Preise für Wirtschaftspublizistik begrüßen zu können. Natürlich wäre es sehr viel schöner, könnte ich Sie nun alle hier persönlich begrüßen. Doch unsere Sorge über die aktuelle Situation der Pandemie zum Zeitpunkt der Entscheidung vor acht Wochen hat uns dazu bewogen, eine virtuelle Veranstaltung durchzuführen, zu der ich Sie nun alle an den Computern und Bildschirmen begrüße. Ohnehin hätten wir Dan McCrum, unseren in London lebenden Preisträger des Jahres 2020, noch immer nicht nach Deutschland bringen können. Andererseits war es notwendig, die jetzt schon erforderliche doppelte Preisverleihung durchzuführen. Denn trotz aller Pandemie-Einschränkungen muss das wirtschaftliche, akademische und politische Leben weitergehen.

Nunmehr begrüße ich also zuallererst unsere Preisträger: Herrn Dan McCrum aus London für das Jahr 2020, als er von uns für seine Beiträge zur Aufdeckung des Wirecard-Skandals den Ludwig-Erhard-Preis zugesprochen bekam; ebenso herzlich begrüße ich Herrn Wolfgang Reitzle, der extra zu uns nach Berlin gekommen ist, unseren Preisträger des Jahres 2021, für seine immer wieder mutigen und aufrüttelnden Beiträge zu den Grundsätzen der Wirtschaftspolitik aus den Perspektiven eines erfolgreichen Unternehmers. Weiterhin begrüße ich die Träger unserer Förderpreise 2020: Martin Braml, inzwischen als Research Economist im Global Economic Analysis Team der WTO tätig, und Hans Rusinek, Chefredakteur „transform – Magazin für das Gute Leben“ und freier Journalist. Förderpreisträger für das Jahr 2021 werde ich nicht begrüßen können – es gibt sie nicht. Doch dazu später.

Wir verleihen den Preis in einer grundlegend herausfordernden Situation am Ende einer Pandemie. Wir verleihen den Preis aber gerade heute auch in spannenden politischen Zeiten. In diesen Stunden enden die parlamentarischen Beratungen des Deutschen Bundestages für die aktuelle Legislaturperiode. Manche Entscheidungen wurden im Minutentakt getroffen, manchmal wurden sie lange aufgeschoben; andererseits werden in diesem Jahr wahrscheinlich keine Gesetze mehr beschlossen. Ich hoffe sehr, dass diese Situation uns nicht die nötige publizistische Aufmerksamkeit raubt. Bei persönlicher Begegnung hier vor Ort wäre es reizvoll gewesen, gerade den letzten Abend der parlamentarischen Arbeit mit der Präsenz der Ludwig-Erhard-Stiftung zu verbinden.

Mit der Fähigkeit zum Kompromiss, ohne das eigene Profil zu verlieren, war er ein Fels der Ordnungspolitik und ein Gestalter politischer Mehrheitsentscheidungen zugleich.

Wir haben uns im Herbst des vergangenen Jahres in unserer Stiftung neu aufgestellt. Roland Tichy ist als Vorsitzender aus dem Amt ausgeschieden, und ich habe es übernommen. Das bedeutet keinen Neuanfang, aber ein wenig anders wird es, und jetzt ist ein Vorstandsteam mit fünf Stellvertretern und dem Schatzmeister angetreten, das natürlich neue Ambitionen hat.

Worum geht es uns? Wir wollen die außergewöhnliche Aufmerksamkeit nutzen, die der Name Ludwig Erhard nach wie vor hervorruft. Wie kaum ein anderer verkörpert Ludwig Erhard bis heute Prinzipientreue, die Entschlossenheit und den Mut, politische Realität zu gestalten. Mit der Fähigkeit zum Kompromiss, ohne das eigene Profil zu verlieren, war er ein Fels der Ordnungspolitik und ein Gestalter politischer Mehrheitsentscheidungen zugleich. Genau da liegt auch unser Anspruch, an Erhards Grundsätzen haben wir heute Bedarf.

Wahlprogramme werden ausschließlich nach dem Kriterium geschrieben, möglichst keinen durch eine konkrete Forderung zu verletzen. Alle, wirklich alle, sollen hoffen, dass der Staat ihnen eine Erleichterung gewährt, eine Subvention zahlt oder eine Absicherung verschafft. Obwohl alle wissen, dass die Veränderungen unserer Lebensweise zugunsten des Schutzes unseres Planeten wesentliche Veränderungen erfordert, sollen sie schmerzfrei oder zumindest möglichst schmerzfrei ausgeführt werden. Risiken, wo immer sie entstehen könnten, sollen ausgeschlossen, abgefedert oder entschädigt werden. Politiker wollen schon bei der Entscheidung wissen, dass die Ausführung ihres Projektes zu einem gesicherten Erfolg führt.

Das ist eine schöne Welt. Aber es ist eine Traumwelt. Die Veränderung, die aus den unterschiedlichsten Gründen in unserem Land notwendig ist, wird zunächst Verlierer kennen und hoffentlich auch Gewinner. Wenn es gut gemacht wird, können die Verlierer erwarten, dass sie Chancen erhalten, Nachteile wieder aufzuholen, und dass es in einem begrenzten Umfang auch Mittel geben wird, für eine Übergangszeit Nachteile auszugleichen. Das wird die Beteiligten nicht freuen. Dennoch muss die Politik die Verantwortung dafür übernehmen, diese Entscheidungen zu treffen, selbst wenn sie strittig sind – sogar dann, wenn politische Mehrheiten damit zur Disposition stehen. Dass die Grünen sich zu dieser Ernsthaftigkeit nicht wagen, weil sie fürchten, sonst nicht zu gewinnen, und CDU und CSU es ebenfalls daran fehlen lassen – aus Angst, sonst zu verlieren, macht Wahlen einerseits langweilig und andererseits gefährlich. Viel zu viele Menschen wissen, dass schmerzhafte Entscheidungen notwendig sind, und sie misstrauen Parteien immer mehr, die ihnen vorgaukeln, dass es auch ohne schmerzhafte Veränderungsprozesse möglich wäre, Freiheit und Wohlstand für die Zukunft zu erhalten.

Die Schmerzen betreffen das Risiko der Freiheit. Sie betreffen die mangelnde Vorhersehbarkeit. Selbst das Bundesverfassungsgericht ist verunsichert, dass die Bundesregierung nicht alle Maßnahmen für die Beseitigung und Verringerung des CO2-Ausstoßes heute benennen kann. Ob wir es schaffen, die gesteckten Ziele zu erreichen, bleibt ein Risiko. Das ist das Risiko der Freiheit. Dieses Risiko ist unsere größte Chance. Alles, was wir in den letzten Jahrhunderten erfahren durften, spricht dafür, dass nur die Freiheit und der Mut zu wirklich neuen, zukunftsweisenden und wohlstandsfördernden Entwicklungen führen kann.

Risiko bedeutet aber, dass man gewinnen oder verlieren kann. Das Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft lautet, dass niemand in existenzielle Not geraten oder seine Chance zur Teilnahme an unserem gesellschaftlichen Leben verlieren soll. Es bedeutet nicht, dass keiner etwas verliert und alle umgehend gewinnen. Von jedem, der diese Gesellschaft voranbringen will, wird erwartet, dass er auch für sich selbst ein Teil dieses Risikos auf sich nimmt. Man kann nicht davor den Vorteil dynamischer Entwicklungen genießen, wenn man nicht das Risiko von Rückschlägen auch persönlich zu tragen bereit ist.

Eine freiheitliche Politik, die mit dem Verweis auf Ludwig Erhard in eine gute Zukunft führen will, erfordert diesen Mut an vielen Stellen. Demokratie erfordert Transparenz, Freiheit der Meinungsäußerung und Unabhängigkeit des Denkens. Ludwig Erhard war davon überzeugt, dass Politik im Rahmen einer liberalen Wirtschaftsordnung nur erfolgreich sein kann, wenn es dafür auch eine sachverständige und unabhängige mediale Begleitung gibt. Diese Aufgabenstellung ist nicht Journalisten allein vorbehalten, das wäre zu einfach. Jeder von uns hat eine Stimme, und jeder von uns kann diese Stimme erheben. Gerade von Wirtschaftsführern muss man erwarten, dass sie das Vertrauen, das sie als einzelne Persönlichkeit häufig in der Öffentlichkeit genießen, insbesondere wenn sie erfolgreich sind, auch einsetzen, um Rat und Mahnung zu geben.

Sachverständiger Journalismus und mutige Unternehmensführung: Unsere beiden Preisträger repräsentieren diese beiden Kategorien vorbildlich: einerseits der unabhängige Journalist, der mit mutigen Artikeln und fleißiger Recherche dafür gesorgt hat, dass einer der großen Wirtschaftsskandale unseres Landes ans Licht kam; andererseits der langjährige erfolgreiche Unternehmer, der immer wieder kein Blatt vor den Mund nimmt, um die politischen Instanzen darauf aufmerksam zu machen, welche Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Erfolg in einer globalisierten Wirtschaft gesetzt werden müssen.

Die Laudatoren werden darauf im Detail zu sprechen kommen. Wir werden den Vorsitzenden unserer Jury Herrn Thomas Mayer hören, obwohl er heute Abend nur durch ein Video zu uns sprechen wird. Er wird darauf eingehen, warum wir für das Jahr 2021 keine Förderpreise verliehen haben. Dieses laute Schweigen bei der Preisverleihung ist ein gewolltes Signal. Ja, wir sind unzufrieden mit der Motivation junger Journalisten, über marktwirtschaftliche Ordnung zu schreiben. Wir sind unzufrieden mit der Einschätzung in Chefredaktionen, dass nur noch kurze Event-Stücke nachgefragt werden und jede grundlegende Orientierung die Auflagenzahl reduziert. Wir wollen den Preis wieder verleihen – und wir hoffen, dass der Weckruf gehört wird.

Frau Linda Teuteberg, eine meiner Stellvertreterinnen im Stiftungsvorstand, hat es übernommen, einige ausführlichere Bemerkungen zu den Förderpreisträgern des Jahres 2020 zu machen.

Ich hoffe sehr, dass diese Preisverleihung auch unter den besonderen Umständen, in denen wir stehen, ein Erfolg wird. All diejenigen, die die Beiträge des Abends an Dritte empfehlen wollen, können gern auf den YouTube-Kanal der Ludwig-Erhard-Stiftung verweisen. Dort wird die Veranstaltung ab morgen – neben anderen interessanten Veranstaltungen der Stiftung aus der Vergangenheit – zu sehen sein.

Nun wollen wir mit der Preisverleihung beginnen.


Die digital übertragene Preisverleihung fand am 24. Juni 2021 in der Hessischen Landesvertretung in Berlin statt. Hier geht es zur Dokumentation der Preisverleihung mit Fotos, Videos und Redebeiträgen.

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