Der Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ging in diesem Jahr an Dr. Ulf Poschardt, Chefredakteur WeltN24, verliehen. Der Preis wurde am 24. Oktober 2019 im F.A.Z. Atrium Berlin im Rahmen einer Festveranstaltung übergeben. Heike Göbel, Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung und der Jury des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik, hielt die Laudatio.


Eine Video-Aufzeichnung der Rede von Heike Göbel finden Sie hier.


Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr Dr. Poschardt,

wir ehren heute mit dem Chefredakteur der Weltgruppe einen liberalen Journalisten, der seit Jahren unermüdlich und oft unter den ersten zur Stelle ist, wenn es darum geht, die Freiheit mit der Kraft des Wortes zu verteidigen. Dort, wo es unbequem ist. Der Einsatz für gesellschaftliche Freiheiten und gesellschaftlichen Wandel, für das Leben-und-leben-lassen, ist in diesem Land sehr populär. Unpopulärer ist es, wirtschaftliche Freiheit zu verteidigen, den Gewinn des Unternehmers oder die Eigenverantwortung des Einzelnen für sein Leben. Und fast schon riskant ist es bisweilen, Freiheit der Rede einzufordern in der Auseinandersetzung mit Standpunkten, die weiter rechts verortet werden, als dem Mainstream lieb ist. Poschardt gehört zu denen, die sich Freiheit nicht geteilt vorstellen wollen. Er lässt es sich daher nicht nehmen, in den Medien, für die er Verantwortung trägt, einem sehr breiten Spektrum an Stimmen Platz zu geben, sofern diese Grundregeln der Debattenkultur beachten, für die Poschardt immer wieder wirbt.

Hier wollen wir uns heute aber dann doch genauer anschauen, was Ulf Poschardt denn für die Sache Ludwig Erhards getan hat: die Soziale Markwirtschaft. Mit dem nach ihrem Gründer benannten Preis würdigt die Ludwig-Erhard-Stiftung bekanntlich Journalisten, die sich mit ihren Beiträgen in besonderem Maße für die von Ludwig Erhard begründete liberale Wirtschaftsordnung einsetzen: also für unser Wirtschaftssystem, das auf Wettbewerb basiert, und das, nach allem was wir wissen, wie kein anderes zu einer freien, demokratischen Gesellschaft passt und ihr durch seine Leistungsfähigkeit hilft, diese Freiheit bestmöglich zu sichern. Dennoch ist diese Wirtschaftsordnung vielen Bedrohungen ausgesetzt, mal aus ideologischen Gründen, mal aus Unkenntnis ihrer Wirkungsweise oder Missinterpretationen.

Der Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik wurde Poschardt nicht schon an seiner Nürnberger Wiege gesungen. Er komme als 68er-Kind aus einer linken Denkschule, erzählt er gerne. Ein Studium der Philosophie bei Jesuiten in München macht auch nicht aus jedem einen Verteidiger der Marktwirtschaft. In seiner Dissertation ging es um die Kulturgeschichte des Diskjockeys.

Poschardts abwechslungsreicher und wahrlich nicht bruchloser journalistischer Werdegang beginnt folgerichtig in den Feuilletons, führt ihn zunächst an die Spitze des SZ-Magazins, dann zur Welt am Sonntag, danach an die Spitze der deutschen Ausgabe der Mode-Zeitschrift „Vanity Fair“. Nebenher entstehen Bücher über Videoästhetik, Sportwagen, Coolness oder Einsamkeit – nicht über die Soziale Marktwirtschaft. Als „Kultur- und Lifestyle-Journalist“ verorteten ihn Kritiker in jenen Jahren oder auch als „Kulturtheoretiker des Pop“. Offengestanden musste ich den „frühen Poschardt“ nachschlagen, meine Kenntnisse der Popkultur sind leider kläglich.

Als engagierter Teilnehmer im wirtschaftspolitischen Diskurs unseres Landes ist er mir jedenfalls erst vor etwa zehn Jahren aufgefallen. Poschardt heuerte zum zweiten Mal in der Weltgruppe an, als Vize-Chefredakteur der Welt am Sonntag, später als Vize der gesamten Welt-Gruppe, dann als ihr Chefredakteur. Damit rückt nach und nach der Poschardt in den Blick, an dem auch Ludwig Erhard seine Freude gehabt hätte – obwohl ihn Poschardt in seinen Texten fast nie erwähnt oder gar zitiert, fast zu meiden scheint. Unser Archiv spuckt wenige Fundstellen aus. Darunter einen Artikel über „Mut und Eleganz der Bonner Republik“ über den Erbauer des Bonner Kanzlerbungalows Sep Ruf: „Ludwig Erhard hatte einen Bruder im Geiste. Der fränkische Erfinder der sozialen Marktwirtschaft hat in dem oberbayerischen Architekten Sep Ruf einen Mann gefunden, der seine Vision der Bundesrepublik materialisieren konnte. Als das ‚Wohn- und Empfangsgebäude des Bundeskanzlers‘ am 12. November 1964 an Erhard übergeben wurde, erklärte der Kanzler, dass man ihn besser kennenlernen würde, wenn man dieses Haus ansehe, als wenn man ihn eine politische Rede halten sähe. Der selten liebevoll so genannte ‚Kanzlerbungalow‘ radikalisierte die Bescheidenheit der Staatsästhetik der jungen Bonner Republik auf provozierende Art.“

Zur Sozialen Marktwirtschaft findet Poschardt über die Figur des „mündigen Bürgers“. Der fasziniert ihn als Dreh- und Angelpunkt des deutschen und letztlich auch des europäischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells. Für ihn sind der mündige Bürger und die mündige Bürgerin die gemeinhin unterschätzte Basis des wirtschaftlichen Wohlstands des Landes. Der erarbeitete Erfolg müsse ihnen aber auch selbst direkt zufließen, nicht erst in Form mehr oder weniger staatlicher Transfers und Zuschüsse.

Poschardt hat sein Credo letzte Woche in einem Artikel noch einmal sehr schön zusammengefasst in einem Artikel unter der programmatischen Überschrift „Kontinent der Mündigen“. Darin heißt es: „Mündigkeit braucht wirtschaftlichen Erfolg… Das beginnt beim einzelnen Staatsbürger, der nur dann seines Glückes Schmied ist, wenn er ohne Subventionen und Sozialtransfers seinen Alltag und den seiner Familie finanzieren kann. Gestolperten Bürgern beim Aufstehen in die Mündigkeit zu helfen muss Ziel des Sozialstaats sein, aber nicht das Abhängigmachen von Sozialtransfers.“

Genau so dachte sich Ludwig Erhard seine Soziale Marktwirtschaft: Immer wieder warnt er vor dem Weg in den Versorgungsstaat, dem so entmündigten „sozialen Untertan“ und der damit verbundenen Lähmung des wirtschaftlichen Fortschritts in Freiheit.

„Das Menschenbild der Umverteiler kommt ohne die Eigenverantwortlichkeit ihrer Schutzbefohlenen aus“, kritisiert Poschardt 2008. Anlass ist die damalige Debatte über den neuen Armutsbericht: Der belegt für ihn nicht die Notwendigkeit, die Umverteilung auszuweiten, sondern zeigt, dass Sozialpolitik vor allem Bildungspolitik sein muss. Hier sieht Poschardt den Staat gefordert. Aber nicht allein, auch der Einzelne ist dran: Der Wille, sich zu bilden, könne schließlich nicht politisch verordnet werden.

Als gelernter Philosoph schlägt Poschardt zwar gern gelehrte und weltumspannende Bögen, von der Aufklärung zu Hayek, von Hegel zu Heidegger und anderen Denkern. Die meisten seiner Texte klingen dennoch nicht abgehoben, sind nah am Leben und beherzigen den journalistischen Imperativ „Du sollst Deine Leser nicht langweilen“. Bei Poschardt kommt hinzu: Auch der Autor will sich nicht langweilen, er hasst Routine. So verpackt er sein Werben um eine freiheitliche Wirtschaftsordnung stets neu, mal subtil, mal frontal, immer kunstvoll. Fast jeder seiner Texte sucht die Leser zu packen, indem er ihre Erwartungen ein wenig unterläuft, Haken schlägt, sie überrascht. Den einen oder anderen Widerspruch nimmt Poschardt im Eifer des Gefechts in Kauf, er ist schließlich stets in hohem Tempo unterwegs, um das über Online noch einmal beschleunigte Tageszeitungsgeschäft und die sozialen Netzwerke zu bedienen. Doch da Poschardt zumeist kritische Distanz wahrt, gelingt ihm diese Wanderung auf schmalem Grat.

Wer ihn eben noch nahe bei der FDP glaubte, dem schildert er begeistert die Grünen. Wähnen sich diese nach einem Poschardt-Text schon als die neuen Liberalen, hält er ihnen im nächsten Artikel vor, was ihnen zum Liberalsein alles fehlt. Der SPD bescheinigt er, dass sie gebraucht werde, mit Ausrufezeichen. Um ihr dann eine Standpauke zu halten: „Die SPD ist eine Partei für sozialen Luxus geworden, die Wirtschafts- und Industriepolitik den anderen überlässt. Jeder IG-Metaller weiß, dass es so nicht gehen wird, sondern nur mit Malocher-Mentalität und einem mit Bildung verquickten Aufstiegswillen. Die SPD als Partei des Aufstiegs, des Ehrgeizes, des Mündigmachens und der lustvollen Teilhabe ist unsichtbar geworden.“

Poschardts Ziel ist das Schmieden von Allianzen der Freiheitsliebenden, wo immer diese zu finden sind. 2018 schildert er „die liberale Versuchung“. Er lockt damit, was möglich wäre „wenn das liberale Erbe, das allen Parteien der Mitte mitgegeben wurde, über Parteigrenzen miteinander in Schwingung geriete“, lädt gar ein zur „Freiheitsmeditation“. Und erinnert dann aber nüchtern daran, dass eine freie Gesellschaft das Fundament der freien Wirtschaft benötigt. „Die Freiheit für Unternehmer und Unternehmen, für Forscher und Ingenieure, sichert unsere privilegierte Art zu leben. Die Wirtschaft ist das Standbein, die gesellschaftliche Freiheit das Spielbein.“

Mit dem Kniff, Erwartungen zu unterlaufen, kommt er auch in anderen Formaten weit. Kürzlich Samstagnachmittag hatte der Deutschlandfunk den bekennenden Porsche-Fan und bekennenden Neoliberalen Poschardt zum Streitgespräch gebeten mit einer Anti-Auto-Aktivistin von „Sand im Getriebe“. „Ist das Auto sakrosankt?“, fragt der Moderator. „Nein“, sagt die Aktivistin erwartungsgemäß. „Nein“ sagt Poschardt, nicht ganz so erwartungsgemäß, denn er stellt Pendlerpauschale und Dieselsubvention gleichmal zur Disposition und kann sich ein Leben mit weniger Mobilität vorstellen. „Sie haben mir viel Wind aus den Segeln genommen“, zeigt sich der Moderator überrascht.

Man sollte echte Liberale eben nie unterschätzen. Sie sehen sich die Wirklichkeit an. Und im Verkehr sehen sie da heute viel Stau, schlechte Luft, Lärm und mögliche Klimaschäden, eben das, was die meisten anderen Menschen auch sehen. Liberale unterscheiden sich nicht in der Wahrnehmung der Wirklichkeit von anderen. Sie unterscheiden sich im Lösungsansatz: Wo immer möglich, nutzen sie Markt und Wettbewerb, die Stärke und Flexibilität des Wirtschaftssystems, um Fortschritt zu erreichen, soweit wie möglich ohne Verbote und Verzicht. Poschardt bringt auch hier im Radiostreit am Ende den mündigen Bürger als mündigen Konsumenten ins Spiel, der ein Eigeninteresse habe an einem besseren Leben ohne Stau.

„Beim Gang in den Supermarkt wird die Welt mehr verändert als beim Gang an die Wahlurne“, das ist einer dieser typischen Poschardt-Sätze. Sie bleiben hängen, laden zum Nachdenken ein, schärfen eher nebenbei das Verständnis für das, was die deutsche Wirtschaftsordnung ausmacht und sie so schätzenswert macht. Poschardt zu lesen, macht Lust auf Marktwirtschaft.

In einer Zeit, in der die „Entmarktung der Marktwirtschaft“ – wie es Hans D. Barbier, der frühere Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung ausgedrückt hat – von vielen Seiten betrieben wird, braucht es Journalisten wie Poschardt, die gegenhalten. Die mit „meinungsstarken Kommentaren und Beiträgen mit liberalem Kompass“ und in „pointierter Sprache“ für Eigenverantwortung und Freiheit eintreten, wie es in der Begründung der Jury heißt. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Lieber Herr Poschardt, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich auch im Namen der Jury.

Heike Göbel ist Ressortleiterin Wirtschaftspolitik bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Link zur Dokumentation der Preisverleihung mit Fotos, Videos und Redebeiträgen.

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