Seit zehn Tagen führen wir in Deutschland die zweite Runde der Diskussion über eine „Industrie-Strategie“ der Bundesregierung. Nach Peter Altmeier hat nun auch Robert Habeck eine solche Strategie der Öffentlichkeit vorgestellt. Ludwig Erhard hätte weder die erste Fassung noch die neue grüne Version der Strategie als richtig, sondern vielmehr als unangemessene Einmischung des Staates in die Kreativität und Stärke der Märkte empfunden.
Wenn man dann die am vergangenen Dienstag stattgefundene „Industriekonferenz“ des Bundeswirtschaftsministeriums in Gemeinsamkeit mit Industrie und Gewerkschaften hinzunimmt, dann muss man im Geiste Erhards empört protestieren. Laut FAZ sagte Habeck, „es habe sich gezeigt, dass die Dinge eben nicht alleine laufen, allgemeine Marktwirtschaftspolitik nicht ausreiche, um die Industrie zu erneuern“. Geradezu beflügelt zeigte er sich von der Zustimmung zu seiner vorgelegten Strategie durch Stimmen aus Industrie und Arbeitnehmerschaft.
Die ganze Kulisse ist vernebelt durch das Gieren nach Subventionen beim Strom. Der Schulterschluss dieser Konferenz ist keine sachliche Debatte über die richtigen Schritte zur Stärkung der deutschen Industrie, sondern das Bestreben, Arm in Arm doch noch endlose Milliarden an Subventionen für den sogenannten „Brückenstrompreis“, über den ich vergangene Woche schrieb, zu bekommen. Keine gute Grundlage für die Diskussion über das Vertrauen in Erhards Weg der Ordnungspolitik.
Habecks Analyse ist laute Selbstkritik
Die von Bundeswirtschaftsminister Habeck vorgestellte Industriestrategie ist spannend zu lesen. Sie besteht aus einem Teil Analyse und einem zweiten Teil mit Schlussfolgerungen. Über den Analyseteil gibt es kaum Diskussionen. Er enthält eine weitgehend richtige und durchaus schonungslose Analyse der zunehmenden Schwächen unserer Wirtschaft. Da heißt es zum Beispiel: „Die Wettbewerbssituation für viele Industrieunternehmen und insbesondere für stromintensive Unternehmen gegenüber Unternehmen an anderen Standorten hat sich verschlechtert.“ Das ist uneingeschränkt richtig, aber warum ist da so? Das ideologische Konzept der Elektrifizierung aller Lebensbereiche geht in einem sonnen- und windarmen europäischen Land auf absehbare Zukunft nur auf, wenn zahlreiche Gaskraftwerke ans Netz gehen. Die letzten sechst Kernkraftwerke hätten etwa 10 Prozent der ganzen Stromproduktion problemlos und kostengünstig noch einige Jahre produzieren können. Das alleine wären 25 Prozent des von der Industrie benötigten Stroms.
Zum Thema Bürokratie finden wir in der Analyse des Ministeriums, dass es zurzeit ein „investitions- und wachstumshemmendes Dickicht bürokratischer Regelungen“ gäbe und dieses Dickicht „konnte trotz zahlreicher Bemühungen bisher nicht wirksam eingedämmt werden“. Könnte es auch daran liegen, dass der für Entbürokratisierung verantwortliche Normenkontrollrat aus dem Kanzleramt in das Justizministerium abgeschoben wurde und die Kompetenz für die digitale Erneuerung aus dem Kanzleramt auf viele verschiedene Ministerien verteilt wurde? Die Beseitigung des Dickichts ist in Deutschland auf diese Weise nicht mehr Chefsache.
Diese Beispiele sind in dem Bericht durch viele weitere Beispiele von Facharbeitskräftemangel bis Bildungsmisere ergänzt und sie alle sind handwerkliche politische Fehler. Nichts davon ist zwingend so geschehen, nichts davon hat mit unserem so erfolgreichen System der Sozialen Marktwirtschaft zu tun. Aber wenn man sich die Schlussfolgerungen von Minister Habeck und seinem Bericht anschaut, dann werden nicht die handwerklichen Fehler beseitigt, sondern die Grundlagen der von staatlicher Lenkung freien marktwirtschaftlichen Ordnung in Frage gestellt, wie ja schon in dem eingangs angeführten Habeck-Zitat zu hören war.
Die geförderte Wirtschaft muss „gesellschaftlichen Zwecken“ dienen
Bei den daraus zu ziehenden Konsequenzen muss dann der Staat in die Pflicht. Den ganzen Text durchzieht der Gedanke, dass die Welt leider nicht mitmacht, die Standortbedingungen leider zu schwierig sind und alles nur mit staatlicher Förderung geht. Das schlechte Gewissen bleibt, und deshalb heißt Industriestrompreis auch wider besseres Wissen weiter „Brückenfinanzierung“. Aber man kann dem neuen Strategiepapier nicht vorwerfen, dass es den Gedanken der staatlichen Wirtschaftsplanung verbergen wollte. So heißt es bei den Rahmenbedingungen für die neuen Subventionen: „Die Förderung von Industrieunternehmen, die oft jahrzehntelang hohe Gewinne eingefahren haben, ist kein Selbstzweck, sondern sie muss gesellschaftlichen Zielen wie der Sicherung von guter Arbeit und Wohlstandsteilhabe, dem Klimaschutz oder der Wirtschaftssicherheit unseres Landes dienen. Deshalb muss die Förderung auch an Beiträge zu diesen Zielen gebunden sein. Wir setzen deshalb zum Beispiel auf Garantien für den Erhalt von Standorten und machen – wo möglich – die Bindung an Tarifverträge zur Bedingung unserer Förderung.“
Subventionen in bestehende Industrien verzögern den Wandel und beschädigen die Wettbewerbsfähigkeit. Ein Staat, der nicht mehr in der Lage ist, Unternehmen Rahmenbedingungen für erfolgreichen Wettbewerb zu bieten, kann das durch Subventionen nicht ausgleichen. Das wäre ein Fass ohne Boden. Noch gefährlicher ist es jedoch, wenn mit diesen Subventionen dann „gesellschaftliche Ziele“ erreicht werden sollen und der ökonomische Wettbewerb immer mehr zu einem bloßen Nebenprodukt staatlicher Planung wird.
Eine richtige Analyse mit falschen Konsequenzen
Die Industriestrategie der Bundesregierung zieht aus einer richtigen Analyse die falschen Schlüsse. Anstatt die Fehler in den Rahmenbedingungen anzugehen, wird von einer „transformativen Angebotspolitik“ gesprochen. Der Begriff ist Unsinn. Anstatt dem Bürger mehr Wahlfreiheit durch den marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu geben (was Angebotspolitik eigentlich bedeutet), wird das Angebot der Zukunft staatlich gelenkt.
In einer Demokratie hat eine Mehrheit das Recht, einen solchen Weg zu gehen. Aber die Politik hat kein Recht, die „Fake-News“ zu verbreiten, dass habe noch etwas mit den Ideen Ludwig Erhards zu tun. Das gilt ausdrücklich auch dann, wenn einige Vertreter der von der Regierungspolitik arg gebeutelten Industrie darin einen letzten Strohhalm sehen.
Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.
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