Die Maßnahmen zum Schutz des Weltklimas stehen an diversen Stellen in Konflikt zur Vernunft und allgemein zum Anspruch der Machbarkeit, meinen Alexander Eisenkopf und Rupert Pritzl. In 15 Thesen legen sie ihre Sicht der Dinge dar.
(1) Das Selbstverständnis der Menschheit und das Verhältnis des Menschen zur Natur sind einem fundamentalen Wandel unterworfen. Im Zeitalter des sogenannten Anthropozän erklärt sich der Mensch nicht nur zur dominanten Kraft im Erdsystem und beherrscht faktisch die ihn umgebende Lebenswirklichkeit, sondern schreibt sich auch eine neue, sehr viel größere Dimension der Verantwortung zu: Er muss selbst dafür Sorge tragen, dass die planetarischen Grenzen der Erde nicht überschritten werden (vgl. BPB 2016). Bei diesem Selbsterlösungsprojekt hilft kein Vertrauen auf eine jenseitige göttliche Gnade oder die Exkulpation mit einer vom Zufall beeinflussten und der menschlichen Steuerung entzogenen gesellschaftlichen Entwicklung. Alle Lebensbereiche sind vom neuen Prometheus so zu gestalten, dass die Auswirkungen menschlichen Handelns verträglich sind mit der Stabilität der Ökosysteme. Dies zeigt sich paradigmatisch in der derzeitigen Fokussierung allen politischen und gesellschaftlichen Handelns auf das Ziel der Klimaneutralität.
(2) Im Sinne dieses pseudoreligiösen ökologischen Imperativs fordern politische und gesellschaftliche Akteure nicht weniger als eine gesamtgesellschaftliche Transformation aller Lebensbereiche, die politisch von oben herab zu verordnen und bis ins letzte Detail exakt zu steuern ist. Grundlegende und umfassende Veränderungen erfordern zwangsläufig die absichtliche radikale, konsequente und rücksichtslose Zerstörung des Alten und Bisherigen, um daraus etwas Neues und Eigenes aufzubauen (vgl. Friedrich Nietzsche, 1892/2020, S. 109 ff.). Die mit diesen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zerstörungen konfrontierten Bevölkerungsgruppen reagieren zwangsläufig mit Unverständnis, Sorge und Angst, während die Protagonisten der Welt- und Klimarettung eine höhere gesinnungsethische Moral und ein abgehobenes Sendungsbewusstsein für sich beanspruchen, die sie gegen solche Anwürfe immunisieren.
(3) Die politischen Akteure scheinen zudem von einer Machbarkeits- bzw. Allmachtsillusion erfüllt zu sein: Sie fühlen sind legitimiert und berufen, alle gesellschaftlichen Bedingungen nach ihren Vorstellungen zu gestalten bzw. umzugestalten. Dies geschieht durch staatliche Mikrosteuerung selbst kleinster Details über politisch-bürokratische Vorgaben in nahezu allen Lebensbereichen. Eine solche Politik schafft die Illusion von Selbstwirksamkeit und stellt die Disposition heutiger gesellschaftlicher Ressourcen unter das Fernziel der Weltrettung. Damit macht sie sich selbst alternativlos und rückt jegliche Kritik in die defätistische Schmuddelecke der Klimaleugnung oder sogar „rechter“ Gesinnung. Dabei wird aber grundlegend verkannt, dass moderne Industriegesellschaften „komplexe Systeme“ sind, die sich nicht durch Verbote und Anordnungen einzelner Handlungen von Individuen von oben steuern lassen.
(4) Jedwede Regulierung provoziert unweigerlich Vermeidungs- und Umgehungsaktivitäten der betroffenen Menschen, die im Detail nicht vorauszusehen sind, da die Anreizwirkungen von Einzelmaßnahmen oder Maßnahmenkombinationen ex ante nicht bekannt sind oder nicht bekannt sein können. Die Idee einer klimapolitischen Feinsteuerung menschlichen Handelns auf der Mikroebene bleibt daher eine planwirtschaftliche Illusion. Sie misstraut marktwirtschaftlichen Ansätzen und der im Preissystem geronnenen Information über gesellschaftliche Knappheiten, an das sich die Individuen bestmöglich anpassen, anstatt übergriffigen staatlichen Vorgaben zu folgen, die im Einzelfall nicht angemessen sind, und die die Betroffenen nicht einsehen. So führt allein die Heterogenität der Eigentümer- und Gebäudestrukturen im Gebäudebereich (mit fast 40 Mio. Wohnungen in rd. rd. 19,3 Mio. Gebäuden in Deutschland) die zentralplanerische Illusion ad absurdum, dass die Wärmpumpe die alleinseligmachende Lösung des Wärmeproblems in diesem Sektor sei.
(5) Zu beobachten ist zudem, dass es im Zusammenwirken von politischen Akteuren und mit ihnen verbundenen Lobbygruppen und politischen Beratern zu Selbstverstärkungsprozessen Gutachten und Beratungsaufträge mit absehbaren Ergebnissen und Wechsel über die offenen Grenzen zwischen Politik und Lobbyismus verstärken die Allmachtsillusion der Politik: Alle für die Zielerreichung erforderlichen Technologien und Instrumente sind bekannt und verfügbar, sagen die Gutachten und „die Wissenschaft“ – man muss es nur wollen und machen. Das Machen geschieht gerade vor unseren Augen. So wird z.B. im Gebäudeenergiegesetz eine dekarbonisierte Zukunft planwirtschaftlich auf dem Reißbrett vorgedacht, koste es, was es wolle, anstatt auf marktliche und technologische Innovationen zu setzen und eine offene gesellschaftliche Entwicklung zu fördern, die wirtschaftlich und gesellschaftlich wünschenswerte Neuerungen hervorbringt.
(6) Diese Machbarkeitsillusion kontrastiert mit den historischen Erfahrungen und der praktischen Unmöglichkeit, die zentralen gesellschaftlichen Lebensbereiche bürokratisch-administrativ zu regeln. (Fast) alle zentralplanwirtschaftlich organisierten Systeme sind an ihrer eigenen staatlichen Unfähigkeit, an der ökonomischen Ineffizienz und am Widerstand bzw. der Abwanderung der eigenen Bevölkerung gescheitert. Die zahllosen rechtlichen Verhaltensregeln, die mittlerweile weite Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens umfassend durchdringen, werden trotzdem immer weiter ausdifferenziert und durch zusätzliche flächendeckende Informations-, Dokumentations- und Monitoringverpflichtungen erweitert (hier sei nur an die heraufziehende Nachhaltigkeitsberichterstattung ab 2025 erinnert). Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben wird so immer weiter eingehegt.
(7) Auch wenn „Deutschland mittlerweile vor dem Regulierungsbankrott“ steht (vgl. Schön 2023), scheint dies die gesellschaftlichen Planungsillusionen der Akteure nicht im Mindesten zu einer besseren Einsicht zu bewegen. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis die Akteure als das entlarvt werden, was sie sind: Zauberlehrlinge, die den Folgen ihres Handelns nicht gewachsen sind. Intensivere Regulierung und zunehmende Bürokratie sind zudem ein Preis für (vermeintliche) Sicherheit in einer alternden, staatsoptimistischen und auf Gleichheit setzenden Gesellschaft; die gesellschaftlichen Folgewirkungen sind gravierend: Nach Berechnungen des Normenkontrollrates müssen Unternehmen in Deutschland heute bis zu sieben Prozent ihres Umsatzes – also das Doppelte der durchschnittlichen Gewinnmarge –für Bürokratie ausgegeben.
(8) Die klimapolitischen Steuerungsillusion zeigen sich z.B. in der Energiepolitik, wo mit dem EEG (fast) ausschließlich auf Photovoltaik und Windenergie gesetzt wird. Das geplante Gebäudeenergiegesetz und das Wärmeplanungsgesetz stützen sich vor allem auf elektrische Wärmepumpen und Wärmenetze, und mit dem Verbrennerverbot wird in Zukunft ausschließlich die batterieelektrische Antriebsform propagiert. Aufgrund der Einengung der Handlungs- und Lösungsspielräume beginnen aktuell flächendeckend gesellschaftliche Verteilungskämpfe, d.h. die Kosten der Klimaschutzmaßnahmen werden zum ersten Mal in der Breite der Gesellschaft spürbar. Während ein Verbrennerverbot ab 2035 für viele Bürger heute noch in weiter Ferne liegt, hat ein drohender Wärmepumpenzwang ab dem nächsten Jahr den Menschen die Augen geöffnet. Mehr und mehr werden in der Debatte die immensen Kosten einer rein ideologisch getriebenen Klimapolitik thematisiert.
(9) Der am 28.2.2023 bekannt gewordene Entwurf zum Gebäudeenergiegesetz (GEG) strahlt das Gefühl der staatlichen Machtvollkommenheit der politischen Akteure aus (vgl. Schmid 2023). Der ursprüngliche, auf den damaligen Staatssekretär Patrick Graichen zurückgehende GEG-Gesetzentwurf sah gravierende und in Friedenzeiten noch nie dagewesene staatliche Eingriffe in die Eigentums-, Freiheits- und Verfügungsrechte der Gebäudeeigentümer vor, die weitreichende wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Auswirkungen sowie entsprechende finanzielle Belastungen nach sich gezogen hätten. Der monatelange Kulturkampf in der Öffentlichkeit und der Koalitionskrach in der Regierung hat in aller Deutlichkeit gezeigt, wie die Politik ihre Vorstellungen auch gegen heftigen Widerspruch der Mehrheit der Bevölkerung durchzuboxen bereit ist. Der Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in den Gesetzgebungsprozess zeigt zudem, dass die aktuellen Akteure in ihrer Hybris auch grundlegende Regeln des demokratischen und rechtsstaatlichen Aushandlungsprozesses missachten.
(10) Jenseits der Verwerfungen der derzeitigen klimapolitisch motivierten Gesetzgebungshysterie stellt sich die Frage nach vernünftigen Ansätzen für eine nationale und europäische Klimapolitik. Ökonomen weisen immer wieder darauf hin, dass der Goldstandard der Klimapolitik ein alle Emittenten umfassender CO2-Emissionshandel ist, der im Gegensatz zu kleinteiligen ordnungsrechtlichen Eingriffen effektiv und effizient zu den gewünschten Emissionsminderungen führt. Politische Akteure misstrauen aber in der Regel einem solchen marktbasierten Instrument, da sie die Wirkung eines anonymen Preismechanismus nicht verstehen (wollen), und setzen auf Impact und politische Sichtbarkeit ihrer ordnungsrechtlichen Eingriffe.
(11) Aber auch im Zuge der Nutzung des Emissionshandels kommt es zu einem Endgame, wenn bereits in naher Zukunft Klimaneutralität erreicht werden soll. Die Reduktion zulässiger Emissionen bis auf Netto-Null führt auch bei einem solchen ökonomisch effizienten Ansatz dazu, dass die Kosten ins Unermessliche steigen, wenn bereits in 20 Jahren ein Nullemissionsszenario auf nationaler Ebene angestrebt wird, und gleichzeitig Negativemissionen durch CO₂-Abscheidung und -speicherung und bestimmte Energiequellen wie die Kernenergie tabuisiert werden. Die Klimaökonomie definiert grundsätzlich eine umweltpolitisch effiziente Lösung dort, wo (marginale) Nutzen und Kosten der Politik im Ausgleich sind; Nullemissionen stellen aber eine Randlösung dar und sind daher einer ökonomischen Betrachtung nicht zugänglich. So dürften die wirtschaftlichen Kollateralschäden einer schnellen und vollständigen Dekarbonisierung Deutschlands (und wahlweise Europas) bis zur Mitte des Jahrhunderts beträchtlich sein und den Wohlstand in unserer Gesellschaft auf breiter Front bedrohen, wenn willkürlich Alternativen wie die Kernenergie oder CO2-Abscheidung ausgeschlossen werden und kostensenkende Innovationen ausbleiben.
(12) Dabei bleibt eine national fokussierte Klimapolitik, was das Weltklima angeht, ohnehin weitestgehend wirkungslos. Bedauerlicherweise wurde der Kern der Klimafrage, das internationale Kooperationsproblem, von der deutschen Politik bisher entweder nicht verstanden oder bewusst ausgeblendet. Den globalen Klimawandel durch eine große nationale Transformation der Gesellschaft bekämpfen zu wollen, dürfte sich als Illusion erweisen und schon bald zu Ernüchterung führen. Allerdings ist die kleinteilige Steuerung der Gesellschaft mit allerlei „Wenden“, wie es bereits beschrieben wurde, politikökonomisch attraktiv. Sie nährt in Politik und Bürokratie die suggestive Vorstellung, alle Bereiche einer anonymen Gesellschaft über Verbote, Grenzwerte und Subventionen in Richtung Klimaneutralität transformieren zu können.
(13) Neben dem Gebäudesektor ist der Verkehr ein Musterbeispiel für die große Transformation über bürokratisch-ordnungsrechtliche Vorgaben. Bei seiner Dekarbonisierung stehen klassische sektorbezogene Lösungsansätze im Vordergrund. Die geplante „Mobilitätswende“ stellt auf die generelle Vermeidung von (motorisiertem) Verkehr, die Verlagerung von Verkehren sowie technologische Innovationen zur Reduzierung der spezifischen Emissionen ab. Nimmt man die Sektorziele des deutschen Klimaschutzgesetzes ernst – auch wenn diese demnächst ihre unmittelbare Bindungswirkung verlieren –, ist der Weg zu weniger Mobilität sowie zu harten Restriktionen für Güterverkehr und Logistik vorgezeichnet. Grünes, CO2-freies Wachstum dürfte eine Illusion bleiben, da angesichts des energiepolitisch eingeschränkten Lösungsraums, der Fokussierung auf batterieelektrische Antriebe und des in der Gesamtbetrachtung produktivitätssenkenden Modal Shifts Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Mobilitätsangebote immer weniger gegeben sein werden.
(14) Die Klimapolitik tobt sich nicht allein im Verkehrs- und Gebäudesektor aus. Mit der geplanten Dekarbonisierung wichtiger energieintensiver Industrien wie der Stahlindustrie, der Chemischen Industrie oder auch der Umstellung der Automobilindustrie auf batterieelektrische Antriebe startet die Politik ein umfassendes Transformationsprojekt mit ungewissem Ausgang. Es steht zu befürchten, dass nicht nur der Aufbau der entsprechenden wasserstoffbasierten Infrastrukturen, sondern auch die laufende CO2-freie Produktion ohne massive Subventionen international nicht wettbewerbsfähig ist. Letzteres trifft in jedem Fall auf den „Hochlauf“ der „Erneuerbaren“ zu; die angedachten energiepolitischen Autarkielösungen führen absehbar in eine neue Energiearmut, deren hässliche Fratze sich in einer flächendeckenden industriellen Nutzung von Natur und Landschaft zeigt. Gleichzeitig dürfte die Landwirtschaft weiter zurückgedrängt werden; massive Rückbaupläne insbesondere der Tierhaltung zur Erfüllung von Klimaschutzzielen werden bereits aus anderen EU-Ländern berichtet.
(15) Eine Klimapolitik, die den skizzierten Steuerungsillusionen folgt, beeinträchtigt entscheidend die Leistungsfähigkeit komplexer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Systeme, die unsere Gesellschaft prägen. Nationale Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand werden untergraben, die gesellschaftliche Problemlösungskompetenz wird systematisch reduziert. Es wird daher Zeit für ein Umdenken, das den Allmachtsphantasien klimapolitischer Akteure den Spiegel vorhält und eine Besinnung auf marktwirtschaftliche Instrumente der Klimapolitik mit sich bringt. Nur so lassen sich die berechtigten klimapolitischen Ambitionen zu für die Gesellschaft tragbaren Kosten realisieren. Darüber Degrowth- oder Verzichts-Phantasien, welche die Aktivitäten in Wirtschaft und Gesellschaft unter eine bindende klimapolitische Schranke setzen und die noch zulässige Wertschöpfung dann planwirtschaftlich oder sogar im Sinne einer Kriegswirtschaft organisieren wollen, sollte dagegen kein Raum gegeben werden.
Literatur
Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) (2016): Anthropozän. Der Mensch als Pilot im Raumschiff Erde?. https://www.bpb.de/themen/umwelt/anthropozaen/216922/der-mensch-als-pilot-im-raumschiff-erde/.
Nietzsche, Friedrich (1892/2020): Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, München.
Schmid, Thomas (2023): Das Gefühl der Machtvollkommenheit, in: Welt am Sonntag, Nr. 21, vom 21.5.2023, S. 3.
Schön, Wolfgang (2023): Überbordende Bürokratie – Deutschland steht vor dem Regulierungsbankrott, in: F.A.Z. vom 22.6.2023.
Prof. Dr. Alexander Eisenkopf ist Inhaber des Zeppelin-Lehrstuhls für Wirtschafts- und Verkehrspolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.
Dr. Rupert Pritzl ist seit 1997 im Bayerischen Wirtschaftsministerium tätig und seit 2021 Lehrbeauftragter an der FOM Hochschule München. Er gibt seine persönliche Meinung wieder.