Anlässlich des Jubiläums „70 Jahre Wirtschafts- und Währungsreform“ veranstaltete die Ludwig-Erhard-Stiftung am 28. Juni 2018 in Berlin ein Symposion zum Thema „Neue Dynamik für die Digitalisierung von Wirtschaft und Währung“. Peter Altmaier MdB, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, hielt die Festrede. Nachfolgend dokumentieren wir die Transkription seines Vortrags.

Als die Einladung zum heutigen Symposion kam, war schon was los in meinem Büro, weil Herr Tichy ja nun eine bundesweit bekannte Persönlichkeit geworden ist. Dann wurde die Frage aufgeworfen, ob man der Einladung Folge leisten solle, wo er doch auch über die Politik des heutigen Wirtschaftsministers, als er noch Kanzleramtsminister war, das ein oder andere hat verlauten lassen. Ich habe geantwortet: Das hat er alles verlauten lassen in „Tichys Einblick“. Und so oft ich es dort nachlesen wollte, bin ich an der Paywall gescheitert. So habe ich kein einziges negatives Zitat von Herrn Tichy über mich selber gelesen.

Deshalb konnte ich die Einladung mit großer Freude und Dankbarkeit annehmen, weil ich glaube, dass die Ludwig-Erhard-Stiftung auch einen Dank verdient hat – weil Ludwig Erhard eben nicht zu allen Zeiten Konjunktur hatte und hat. Und weil es wichtig ist, dass das Andenken an Politiker, an Ideen, bewahrt wird. Wenn es niemanden gibt, der Plaketten anklebt, Büsten aufstellt, Bilder aufhängt, Artikel in Auftrag gibt, Symposien durchführt, dann ist man irgendwann vergessen – egal, wie wichtig man war. Und das geht heute schneller als vor 100 oder 200 Jahren.

Säle und Büsten im Wirtschaftsministerium

Das war auch der Grund, warum ich im Bundeswirtschaftsministerium anlässlich des Festaktes „70 Jahre Marktwirtschaft“ mit der Bundeskanzlerin, mit dem Bundesfinanzminister und vielen anderen dieses Thema mit den Bildern, mit den Büsten und mit dem Saal aufgegriffen habe. Ludwig Erhard ist jetzt der Namensgeber des größten und des schönsten Festsaales im Bundeswirtschaftsministerium; er kann da nicht übertroffen werden. Außerdem wird es zu meinen Amtszeiten als Minister nicht dazu kommen, dass noch irgendein Saal nach irgendeinem Politiker benannt wird. Vielleicht nach Adam Smith oder David Ricardo, aber jedenfalls ist Erhard als Politiker einzigartig.

Nun hat es sich so gefügt, dass im Eingangsbereich des Ministeriums die Ludwig-Erhard-Büste stand und Sigmar Gabriel, mein durchaus geschätzter Vorgänger, eine genauso große Karl-Schiller-Büste daneben gestellt hat. Das hat in mir zu erheblichen Nachdenkprozessen geführt, weil ich einerseits Karl Schiller aus eigenem Erleben noch sehr gut in Erinnerung habe – genauso wie Franz Josef Strauß. Auf der anderen Seite bin ich der Auffassung, dass Ludwig Erhard von allen Wirtschaftsministern unvergleichlich und unerreichbar ist – egal, wie gut sie sein mögen in fernerer Zukunft oder wann auch immer. Doch Karl Schiller zu entfernen, wäre auch problematisch gewesen, weil er seine Verdienste hat. Er hat immerhin einmal – zu Zeiten der sozialliberalen Koalition 1971, als alle Regeln volkswirtschaftlicher Vernunft außer Acht gelassen wurden, die Staatsausgaben exponentiell anstiegen und die Sozialleistungen erhöht wurden, Schulden gemacht wurden – den Mut gehabt, auf einem Parteitag zu sagen: „Genossen, lasst die Tassen im Schrank!“ Schiller war allein, man hat ihn nicht gehört. Aber es war ungefähr genauso wichtig wie damals, als Helmut Schmidt zusammen mit Hans Apel für die Nachrüstung gestimmt hat, um deutlich zu machen, dass auch in der anderen großen Volkspartei diese Diskussionen stattfinden.

Ludwig Erhard hat ja weder die Marktwirtschaft erfunden – das war eigentlich schon seit vielen Jahrzehnten, seit mehreren Hundert Jahren theoretisch diskutiert worden –, er hat auch nicht den Gedanken des sozialen Schutzes erfunden; das waren im Wesentlichen Ferdinand Lassalle und Otto von Bismarck, der das aufgegriffen hat. Erhard hat auch nicht den Gedanken der staatlichen Ordnungspolitik erfunden; das war im Wesentlichen die Freiburger Schule. Aber er hat aus allen drei Elementen eine Synthese geschaffen, die bis heute unschlagbar ist und die Eingang gefunden hat in die Verträge der Europäischen Union, wo der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft dank des Einsatzes vieler seinen Eingang gefunden hat.

Liberalisierung nach den Zeiten Ludwig Erhards

Diese Synthese muss man sich anschauen, weil sie tatsächlich für alle politischen Parteien Gutes bereithalten kann. Man kann sich wiederfinden und identifizieren. Aber es gibt auch Ärgerliches, je nachdem, wo man im politischen Spektrum steht. Das erste, was Erhard gesagt hat, ist, dass der Markt besser entscheiden kann als jeder Politiker – und jeder Beamte am grünen Tisch. Er hat damals den Mut gehabt, in einer schwierigen Zeit; es ging von 1945, 1946, 1947, 1948 ja nicht stetig bergauf. Wenn Sie die Memoiren von Konrad Adenauer lesen, dann stellen Sie fest, dass es abwärts ging. Nicht in riesigen Schritten, aber die Lage hat sich nicht verbessert. Und die Menschen haben sich gefragt: Bleibt das so? Und dann hatte Erhard den Mut, gegen alle Ratschläge, ohne dass er dafür irgendeine öffentliche Unterstützung hatte, diese Reform durchzusetzen. So etwas darf man nicht jeden Tag machen, weil man ansonsten auch viel Unruhe stiften und viel Falsches entscheiden kann. Aber wenn es notwendig ist, dann muss man solche Leitentscheidungen treffen. Das hat er getan, und seine Entscheidung war richtig.

Der Markt irrt sich natürlich auch. Aber der Unterschied ist: Wenn Günter Mittag sich irrt im zentralen Planbüro, dann mussten das 17 Millionen Bürger der damaligen DDR ausbaden. Wenn sich ein Unternehmer, ein Mittelständler, ein Handwerker, auch ein größerer, irrt, dann verschwindet er vom Markt. Und andere übernehmen sein Geschäftsfeld und seine Umsätze und machen diesen Fehler nicht mehr. Deshalb optimiert der Markt sich im Ergebnis, auch wenn einzelne Marktteilnehmer dafür bisweilen einen hohen Preis zahlen.

Deshalb müssen wir immer die Frage stellen: Haben wir noch diesen funktionierenden Markt, von dem Ludwig Erhard gesprochen hat? Wir haben in vielen Bereichen heute mehr Markt als damals. Denn Ludwig Erhard – so viel er sich getraut hat in den 14 Jahren seiner Tätigkeit – hat nicht den Strommarkt liberalisiert; auch nicht die Nachfolger. Das haben wir erst 1999 geschafft mithilfe der Europäischen Union, die so oft geschmäht ist, und die Strompreise sind dann gesunken. Wir haben sie nachher wieder etwas erhöht durch staatliche Eingriffe bei der Energiewende, da komme ich aber nochmal drauf zurück. Wir haben damals nicht den Mut der Politik gehabt, die Post- und Telekommunikationsmärkte zu liberalisieren. Wir haben damals nicht den Mut gehabt, wichtige andere staatliche Monopole außer Kraft zu setzen. Das alles mussten wir lernen, aber wir haben es gelernt von dem Beispiel Ludwig Erhard, und es hat funktioniert.

Diffamierung des Gewinnstrebens

Umgekehrt glaube ich, dass wir in dieser Marktwirtschaft aber auch Grund haben, darüber nachzudenken, was wir denn tun müssen, weil in anderen Bereichen heute weniger Markt ist. Dazu gehört für mich zum Beispiel, dass wir den Unternehmerinnen und Unternehmern, die die Marktwirtschaft nicht erzeugen kann, von deren Vorhandensein sie aber abhängig ist, weil nur dann die Akteure, nämlich die Produzenten und die Käufer vorhanden sind, um einen funktionierenden Markt abzubilden. Deshalb beunruhigt es den Wirtschaftsminister durchaus, dass wir seit einigen Jahren zurückgehende Gründerzahlen haben. Ich habe das bei dem Festakt im Bundeswirtschaftsministerium so formuliert: Es ist vielleicht auch ein Ausfluss der guten Konjunktur, dass heute Menschen sich nicht mehr selbständig machen, sondern auch tolle Angebote finden bei VW und bei Mercedes, bei Audi und wo auch immer. Aber: Ohne diese Menschen, die bereit sind, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, ein Risiko einzugehen, werden wir die schöpferischen Kräfte der Marktwirtschaft nicht völlig ausnutzen können. Deshalb haben wir ein Interesse daran, dass sich dies ändert.

Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass wir einen Fehler gemacht haben, den Ludwig Erhard nie gemacht hätte. Wir haben nämlich das Gewinnstreben diffamiert. Wir haben das Profitstreben diffamiert. Ich sage das bewusst so hart, weil die Marktwirtschaft davon ausgeht, dass der Einzelne seinen Vorteil nicht nur suchen kann und suchen darf, sondern suchen muss. Nur dann erreichen wir die optimale Ressourcenallokation, die wir brauchen, um ein optimales Wachstum zu erreichen, damit der Kuchen für alle größer wird.

Und dann brauchen wir eine staatliche Ordnungspolitik, die Auswüchse verhindert. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen war das allererste. Das war ein Gesetz, das sich gegen die eigenen Wirtschaftsakteure richtete, ihre Freiheit eingeschränkt hat, damit alle anderen, die nicht so mächtig waren, dann ihre Freiheit behalten konnten – Kartellrecht, Beihilfenrecht, Fusionskontrolle und so weiter und so fort. Ludwig Erhard hat übrigens von Instrumenten wie der Ministererlaubnis wenig gehalten, da er der Auffassung war, dass der Markt und die staatlichen Ordnungsregeln es richten müssen, weil es eben auch ein Vertrauen geben muss, dass alles funktioniert.

Und dann? Es war im Grunde gar nicht so sehr Ludwig Erhard, sondern Konrad Adenauer. Aber Ludwig Erhard hat ihn gewähren lassen. Konrad Adenauer hat dann immer reingefuhrwerkt und hat gesagt: Wenn die Wirtschaft läuft und die Pferde saufen, dann muss es aber auch all denen zuteil kommen, die diesen Kuchen mitbacken. Dann muss Partizipation möglich sein. Nicht nur durch den Schutz der Alten und der Kranken, der Behinderten und der Schwachen, sondern es muss Partizipation möglich sein für den Arbeitnehmer, der am Fließband steht, der in der Fabrik steht, der 10 Stunden am Tag – das war damals noch so – arbeitet, der am Samstag arbeitet. Deshalb hat Ludwig Erhard es geschehen lassen, dass wir nicht nur ein Tarifkartell hatten, sondern dass die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen damals die Verhandlungen darüber geführt haben, wie groß denn der Anteil der Beschäftigten und wie groß der Anteil des Unternehmers ist. Das sind keine einfachen Verhandlungen. Denn wenn Sie in die eine oder die andere Richtung übertreiben, dann landen Sie in der Grütze.

Privilegierung tarifgebundener Unternehmen

Das sind die Voraussetzungen, die geschaffen waren, und die Frage ist heute: Was müssen wir tun, damit es in Zukunft gut bleibt und sich dieses System weiterhin entwickelt? Beispiel Tarifpartnerschaft: Ich habe als Bundesminister seit sechs Jahren erleben dürfen, in der Begleitung der Bundeskanzlerin, welche positiven Wirkungen der Dialog der Tarifpartner hat, der jedes Jahr einmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Meseberg stattfindet. Wo sich die führenden Gewerkschaftler, Arbeitgeber und Wirtschaftsvertreter gemeinsam mit den zuständigen Ministern darüber austauschen, welche Probleme das Land hat und wie man damit umgeht. Und ich glaube, dass eine zurückgehende Tarifbindung nicht nur Vorteile hat.

Aber auf der anderen Seite ist es auch so, dass man für denjenigen, der eine Tarifbindung eingeht, natürlich Verständnis hat, wenn er fragt: Warum soll ich das tun, wenn ich davon nichts habe? Nur um den Staat zu stabilisieren, muss ich es nicht tun. Deshalb habe ich in Meseberg, bei einem dieser Treffen vor zwei Jahren schon den Vorschlag gemacht, dass man möglicherweise Unternehmen, die tarifgebunden sind, auch privilegiert, beispielsweise bei der Arbeitszeit: Wir haben umfangreiche Schutzgesetzgebung für Arbeitnehmer: Arbeitssicherheit, -stunden, die EU-Arbeitszeitrichtlinie, die wir in Deutschland noch verschärfend umgesetzt haben – nicht ich persönlich und auch nicht die Bundeskanzlerin, aber das ist so gekommen. Da stellt sich dir Frage, ob in Unternehmen, die tarifgebunden sind, die einen Betriebsrat haben, die Gefahr eines Missbrauches und eines Über-die-Stränge-Schlagens weniger groß ist als in den Unternehmen, in denen niemand hinschaut und niemand kontrolliert. Kann man dann nicht zulassen, dass von starren Arbeitszeitregelungen auch Abweichungen vereinbart werden?

Wir haben das im Entgeltgleichheitsgesetz so gemacht, bei dem der individuelle Anspruch des Beschäftigten auf Auskunft, wo er im Lohngefüge des Unternehmens im Vergleich zu gleichwertig Beschäftigten steht, dass dieser individuelle Anspruch übergeht auf den Betriebsrat. Damit haben wir eine erhebliche Entbürokratisierung erreicht, was von der BDA auch anerkannt ist, weil es nämlich die Anwendung und Umsetzung total erleichtert. Über solche Fragen müssen wir diskutieren.

Der Markt funktioniert nach Gesetzen der Evolution

Wir müssen auch darüber diskutieren, was denn geschehen muss im Hinblick auf die Digitalisierung. Ludwig Erhard, das war vielleicht sein größtes Verdienst, hat gesagt: Das Wichtigste ist, dass der Staat sich raushält. Er darf nur Regeln setzen. Und der Staat muss dann dafür sorgen, dass die Unternehmer ihre Entscheidungen treffen. Mich hat das immer beeinflusst in meiner Zeit als Kanzleramtsminister. Wenn jemand anrief, der CEO eines großen DAX-Unternehmens war, und sagte: Wir wollen die Bundesregierung informieren, wir haben vor, dieses oder jenes Unternehmen zu übernehmen oder zu verkaufen. Dann habe ich gefragt: Na, habt ihr euch das gut überlegt? Was kostet das, ist das nicht ein bisschen viel? Schließlich habe ich gesagt: Ihr müsst es ja wissen.

Ich habe mich in ganz wenigen Punkten eingeschaltet, wenn es politische Konsequenzen hatte, aber ich bin nun einmal der Meinung, dass ein großes Unternehmen viel besser als jeder Minister weiß, welches andere Unternehmen es kaufen oder verkaufen soll – und sei der Minister noch so willig und klug. Aber es gibt eben auch Fälle, in denen das nicht funktioniert. Ich würde mich übrigens davor hüten zu sagen, es sei ein Versagen der Marktwirtschaft. Nein, überhaupt nicht! Aber es führt dazu, dass die nationalen deutschen Interessen oder die europäischen Interessen darunter leiden, dass der Markt funktioniert. Er ist nämlich nicht vernünftig und auch nicht unvernünftig; er ist ja blind für alle Steuerungsideen: Der Markt funktioniert nach den Gesetzen der Evolution.

Franz Josef Strauß, den ich zusammen mit Karl Schiller bewundert habe, hat in den Siebzigerjahren die Frage gestellt: Was ist die größte Veränderung in meinem Leben? Die Antwort war: die exponentielle Zunahme der zivilen Luftfahrt. Die Reaktion von Franz Josef Strauß war ganz einfach: Wenn das so ist, dann braucht Europa ein Flugzeug und Bayern einen Flughafen. Heute ist Bayern ein wohlhabendes Land, aber das Bruttoinlandsprodukt in Bayern geht zu einem ganz erheblichen Teil nicht nur auf BMW, nicht nur auf andere Unternehmen, sondern auch auf den Münchener Flughafen zurück. Wäre er nicht in München gebaut worden, wäre er vielleicht anderswo entstanden. Und so hat Strauß für sein Bundesland Bayern das Beste herausgeholt, durch einen Eingriff. Weil nämlich andernfalls dieser Flughafen nicht in Bayern gebaut worden wäre.

Und erst der Airbus: Es gab damals in Europa keinen Produzenten von großen Flugzeugen. Es gab McDonnell Douglas in den USA, und es gab Boeing in den USA. Dann hat Franz Josef Strauß gesagt: Wenn so viele Flugzeuge gebaut werden und Teil der Wertschöpfungskette sind, dann müssen sie auch in Europa gefertigt werden. Dann hat er ein Unternehmen geschaffen, in dem Flugzeugrümpfe quer durch Europa transportiert werden, weil sie in verschiedenen Ländern zusammengebaut werden, weil es Aufsichtsräte und Vorstände gibt, die höchstkompliziert zusammengesetzt sind – aber: Dieses Unternehmen produziert heute die Hälfte aller Flugzeuge, die weltweit verkauft werden. Deshalb ist die Spiegelseite der Zurückhaltung des Staates in den 99 Prozent die Bereitschaft, auch lenkend einzugreifen in dem einen oder zwei Prozent, wo es notwendig ist.

Künstliche Intelligenz

Vor einer solchen Situation stehen wir auch heute wieder. Hier wurde die Künstliche Intelligenz erwähnt. Sie ist nicht irgendeine Innovation. Künstliche Intelligenz wird dazu führen, dass die Computer, die wir dann immer noch Computer nennen, etwas ganz anderes sind, als die Geräte, die wir heute im Smartphone oder auf dem Schreibtisch oder in verschiedenen Anwendungen kennen. Das ist so ähnlich wie damals, als der Fernseher die große Bildschirmröhre verloren hat und die Bildschirme plötzlich ganz flach waren mit einer völlig neuen Technologie. Die alten Fernseher funktionieren heute noch. Ich habe mir damals einen der letzten gekauft, bei ALDI, ein Röhrengerät, mit unglaublichen technologischen Features und Leistungen. Aber ich wurde verlacht von all meinen Kollegen und Gästen, und es gibt heute niemanden mehr, der einen solchen Fernseher produziert, weil so etwas nicht mehr wettbewerbsfähig ist im Vergleich zu all den neuen Geräten, die wir heute kennen.

Bei der Künstlichen Intelligenz wird es genauso sein. Sie können ein Auto so programmieren, dass es zu jedem Parkplatz in Berlin den Weg alleine findet. Der Fahrer kann schon einkaufen gehen und das Auto findet den Weg. Wenn dann ein neues Parkhaus gebaut wird, muss die Software aktualisiert werden, dann kann man das Auto wieder programmieren und dann geht es wieder. Sie können aber auch ein Auto mit Künstlicher Intelligenz ausstatten, beim autonomen Fahren. Dann wird dieses Auto lernen: Es wird sich im Internet die neuesten Pläne suchen, von anderen Fahrzeugen lernen. Es werden Hunderttausende von Autos sich gemeinsam entwickeln und dazu beitragen, dass es weniger Unfälle und mehr Sicherheit gibt. Natürlich wird man niemals Unfälle und Risiken völlig ausschließen können, aber die großen Versicherungen rechnen bereits damit, dass sie ihre Geschäftsmodelle anpassen müssen, weil die Umsätze im Versicherungsgeschäft zurückgehen, wenn es weniger Schadensfälle gibt. Wenn ein mit Künstlicher Intelligenz ausgestatteter Medi-Roboter imstande ist, Krebsscans und Untersuchungen, Bilder und Aufnahmen besser zu analysieren als die besten Ärzte der Welt, weil er eben maschinell lernt, dann wird es halt eben so sein, dass in jedem Krankenhaus ein solcher Roboter eingesetzt wird. Das ist die Lage.

Ordnungspolitische Debatten

Nun frage ich Sie: Wo sind wir denn mit der Künstlichen Intelligenz in Deutschland? Wir haben eine Forschungslandschaft, die sich sehen lassen kann; der Staat hat in die Forschung investiert. Aber Eric Schmidt von Google hat mir – und zwar schon vor drei Jahren – gesagt, dass Google 60 Prozent aller führenden Experten in Sachen Künstliche Intelligenz weltweit unter Vertrag hat. Es gibt heute nur drei Stellen, an denen in großem Stil in Künstliche-Intelligenz-Anwendungen investiert wird. Die eine ist Google, die zweite ist Uber, die dritte ist China. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir das gut finden, dass in Zukunft ein Drittel der Wertschöpfung unserer Autos, von denen wir glauben, dass sie mit zu den besten der Welt gehören, dass also ein Drittel der Wertschöpfung stattfindet in Ländern außerhalb der Europäischen Union, dann müssen wir das sagen und akzeptieren. Ich akzeptiere es nicht!

Ich bin überzeugt, dass es im nationalen Interesse dieses Landes und der EU liegt, dass das erste System, das autonomes Fahren mit Künstlicher Intelligenz verkehrssicher ermöglicht, eben nicht aus China oder von Google kommt, sondern aus Europa und wenn es irgendwie geht, aus Deutschland. Und über diese Fragen müssen wir diskutieren.

Das Gleiche gilt im Übrigen für Batteriezellfertigung. Ich weiß, das kommt bei Marktwirtschaftlern gar nicht gut an, aber Elon Musk hat mir gesagt: Es wird eines Tages alles mit Batterien funktionieren; sogar Flugzeuge, nur nicht Raketen, weil die Speicherdichte dafür zu begrenzt ist, wenn man die Erdanziehungskraft überwinden will. Wenn das so ist, dann wird ein großer Teil der Wertschöpfung unserer Volkswirtschaft von der Produktion von Batterien übernommen werden, die in der Bohrmaschine, im Auto, im Flugzeug, überall zum Einsatz kommen und dann zum Stand der Technik werden. Die Frage ist: Wollen wir zusehen, dass diese Batterien aus Asien kommen oder wollen wir den Wettbewerb aufnehmen, weil wir glauben, dass es eine Hoch-Technologie ist? Wir werden die nächste und übernächste Generation von Batterien, da bin ich fest überzeugt, nur entwickeln können, wenn wir auch im Bereich der Lithium-Ionen-Batterien jetzt einen Fuß in die Tür bekommen. Diese ordnungspolitischen Debatten müssen wir führen.

Fehler bei der Energiewende

Ich komme zur Umweltpolitik. Die umweltpolitischen Ziele werden mit der Marktwirtschaft alleine nicht erreicht, weil nämlich die Umwelt ein Gut ist, das man dadurch belasten kann, dass man bestimmte Kosten externalisiert. Sie können also ihre ungefilterten Abgase im Kohlekraftwerk in die Umgebung blasen. Dann werden die Seen sauer, der Regen wird sauer, die Bäume sterben. Das ist dann nicht Ihr Verlust und Ihre Kosten, sondern Sie haben günstig ihren Strom produziert. Die Unternehmen in der Kohlekraftwerksindustrie haben sich in den Siebzigerjahren nicht zusammengerottet und gesagt, wir schützen jetzt die Umwelt, sondern da musste erst Klaus Töpfer kommen. Und seither produzieren wir den Gips für unsere Gipsplatten in den Rauchgasentschwefelungsanlagen der Kohlekraftwerke, und wir haben erreicht, dass unsere Wälder wieder gesund und unsere Seen wieder klar geworden sind. Das alles ist staatliche Ordnungspolitik, aber das ist der entscheidende Punkt, wenn wir solche Eingriffe tun müssen. Dann müssen wir aber immer auch darauf achten, dass sie möglichst marktwirtschaftlich sind. Das waren der größte Fehler und das größte Versagen der Energiewende. Die Energiewende war richtig. Denn seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, seit Deng Xiaoping in China, geht der Siegeslauf der Marktwirtschaft weltweit weiter – mit enormen Erfolgen, insbesondere in Asien, zunehmend auch in Lateinamerika und irgendwann auch in Afrika.

Wenn dann eines Tages acht Milliarden Menschen ein ähnliches Niveau an Lebensstandard haben wie in den USA oder hier bei uns in Europa, wäre die ökologische Tragfähigkeit dieses Planeten nicht mehr darstellbar. Dann hätten wir nicht nur im Klimawandel, sondern in vielen anderen Bereichen Schäden, die niemand mehr reparieren kann. Deshalb wird die Marktwirtschaft nur solange funktionieren können, wie auch das ökologische Basissystem intakt ist. Deshalb ist Umweltschutz richtig und wichtig. Aber bei der Energiewende haben wir folgenden Fehler gemacht: Wir haben Subventionen eingeführt, ohne sie zu begrenzen und ihr Auslaufen zu regeln. Ich habe in meiner VWL-Vorlesung im Rahmen des Studium generale – ich bin leider nur Jurist – gelernt, dass Subventionen nicht schlecht sind, wenn man sie für ein Phasing-in oder ein Phasing-out braucht. Aber sie müssen von vorneherein begrenzt sein, damit es nicht zu einem Dauerzustand wird.

Ordnungspolitische Fragen bei der Digitalisierung

Das haben wir damals nicht berücksichtigt. Trotzdem ist es uns gelungen, in den letzten drei Jahren die Energiewende so marktwirtschaftlich zu machen wie zu Zeiten Ludwig Erhards das Energieversorgungssystem niemals war. Wir haben uns nämlich entschieden, ein Knappheitssignal zu senden, indem wir einen verbindlichen Ausbaupfad für Erneuerbare Energien festgelegt und gesagt haben, wer zum Zuge kommt, bestimmt nicht das Windhundprinzip, sondern mit einem Ausschreibungsprinzip, mit Versteigerungen. Das hat dazu geführt, dass wir die Windparks, die wir 2014 noch für 16 bis 19 Cent die kWh Strom vergeben haben, dass wir die ausgeschrieben haben und dass die letzten Ausschreibungen so gelaufen sind, dass zwei Windparks für 0 Cent Einspeisevergütung und einer für 1 Cent Einspeisevergütung versteigert worden ist. Das heißt: Die Marktwirtschaft kann funktionieren – wenn man sie richtig organisiert. Deshalb haben wir uns auch dafür entschieden, einen Energy-Only-Markt zu machen, weil wir glauben, dass dann der Markt auf das Demand-Side- und Supply-Side-Management besonders viel Einfluss hat.

Bei der Digitalisierung, da brauchen wir Ihre Unterstützung. Denn die Antwort ist gar nicht so einfach. Wir haben uns im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, dass wir den Ausbau von Gigabit-Netzen in ganz Deutschland flächendeckend wollen: 5G-Mobilfunk und Glasfaseranschlüsse. Jeder, der von Wirtschaft Ahnung hat, sagt uns, dass es die Voraussetzung dafür ist, dass Deutschland auch in den nächsten 20 bis 30 Jahren Schritt halten kann. Ich hatte in Bonn alle Betreiber von Netzen, Masten und Kabeln eingeladen, von der Telekom über Vodafone bis hin zu den kleineren Kabelgesellschaften, und wir haben darüber diskutiert. Jeder hat seine Interessen vertreten. Aber keiner hatte eine Idee, wie man diesen Ausbau marktwirtschaftlich – schnell, effizient und bezahlbar – hinbekommt.

Dann stellen sich zum Beispiel Fragen. Fast überall in Deutschland liegen Leerrohre, da kann man Glasfaserleitungen reintun. Aber kaum einer weiß, wo diese Rohre liegen, außer diejenigen, denen sie gehören. Können die selbst entscheiden, wann etwas in die Rohre kommt? Und was? Oder gibt es einen Anspruch, dass auch andere in diesen Rohren, gegen Entgelt natürlich, ihre Leitungen verlegen können? Soll man erreichen, dass die Rohre gemeinsam genutzt werden können? Oder soll man sagen: Es reicht, wenn eine Leitung liegt, aber diese Leitung muss dann reguliert werden? Dann müssen andere ihre Inhalte über diese Leitung verbreiten. Antworten auf diese Fragen finden Sie bei Ludwig Erhard nicht auf den ersten Blick. Es ist aber eine entscheidende Frage, nicht nur für das Gelingen der Digitalisierung, sondern für die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes.

Charta der Sozialen Marktwirtschaft

Noch einen letzten Gedanken: Wir haben nach Ludwig Erhard auch viele Erfahrungen gemacht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es möglich war, einen Sozialstaat aufzubauen und auszubauen. Wir haben aber auch nach der deutschen Einheit die Erfahrung gemacht, dass überbordende Regulierung, dass überbordende Staatsquoten, dass überbordende Verschuldung dazu führt, dass das Engagement des einzelnen Unternehmers erlahmt, weil das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit nicht vorhanden ist. Deshalb haben wir uns zum Beispiel im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass die Quote an Sozialabgaben nicht wieder über 40 Prozent steigen soll. Weil wir durch die Erfahrungen der letzten 70 Jahre festgestellt haben, dass es irgendwo eine Grenze gibt – die kann man nicht trennscharf auf 0,5 Prozent festlegen –, aber wenn der Staat zu viel nimmt und verteilt, dann wird das Interesse an der Produktion und an der Erschaffung von Mehrwert zu gering. Umgekehrt: Wenn der Staat überhaupt nichts nähme, wäre die soziale Stabilität des Landes in Gefahr. Deshalb muss dies immer wieder in Einklang gebracht werden.

Es war für die junge Bundesrepublik Deutschland wichtig, dass sich die Sozialdemokratie auf ihrem Godesberger Parteitag 1959 gegen die Verstaatlichung von Produktionsmitteln ausgesprochen hat und ihren Frieden mit der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards gemacht hat. Es war wichtig, dass wir den Mut hatten, die Agenda-2010-Reformen durchzuführen und dass sie im Konsens durchgeführt wurden, nämlich zwischen der damaligen rot-grünen Bundesregierung und der Opposition unter Führung von Angela Merkel, die sagte: Wenn die Reformen in die richtige Richtung gehen, muss man sie unterstützen im Interesse des Landes, weil alles andere unverantwortlich wäre. Wir haben dann erlebt, dass es wichtig war, dass wir uns in den letzten vier Jahren dazu verpflichtet hatten, keine Steuern zu erhöhen. Das hat vielen Mittelständlern Mut gemacht. Es war wichtig, dass wir die schwarze Null eingehalten haben. Und dass wir uns verpflichtet haben, sie auch in den nächsten vier Jahren einzuhalten.

Deshalb frage ich mich, ob es nicht vielleicht auch eine gute Idee sein könnte, dass wir alle diese Erkenntnisse aus den letzten 15 Jahren in einer Charta der Sozialen Marktwirtschaft noch einmal festschreiben und dass wir dafür werben, dass die staatstragenden Parteien – zu denen ich nicht nur meine eigene und die Schwesterpartei derselben zähle, sondern auch die SPD, den Koalitionspartner, aber auch die FDP und die Grünen –, wenn diese staatstragenden Parteien bereit wären, sich dazu zu verpflichten, dass sie alle diese Errungenschaften auch in künftigen Koalitionen, egal, wer in ihnen vertreten ist, nicht wieder aufs Spiel setzen werden. Das wäre ein klares Zeichen. Das steht nicht in der Verfassung, das steht nicht im Gesetz, aber es wäre eine Selbstbindung der politischen Akteure, die vielen in der Wirtschaft Mut machen würde.

Der Albtraum eines Wirtschaftsministers

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es waren einige Gedanken, die ich Ihnen zugemutet habe. Ich habe auch bewusst und lustvoll an der einen oder anderen Seite provoziert. Aber ich habe einmal im Rahmen meines Studium generale einen wunderbaren Spruch gesehen: rerum cognoscere causas. Und das ist für Politiker besonders wichtig, bevor man ein Gesetz verabschiedet. Bevor man eine Entscheidung trifft, sollte man versuchen, die Wirkzusammenhänge zu verstehen. Als ich damals über Ricardo gelesen habe und das Prinzip des komparativen Vorteils – dass sogar zwei Länder erfolgreich miteinander Handel treiben können, wenn das eine Land in allen Produkten schlechter und teurer ist als das andere, aber die Arbeitsteilung und Spezialisierung dazu führt, dass ein Mehrwert entsteht –, da habe ich verstanden, worin der Reiz und der Charme von offenen Märkten liegen.

Lassen Sie mich damit schließen: Wenn Sie mich fragen, was der Albtraum ist, den ein Wirtschaftsminister manchmal hat, dann lautet die Antwort: Der Albtraum ist, dass wir das, was wir an Liberalisierung, an Öffnung von Märkten, an Abschaffung von Monopolen, an Zollsenkungen erreicht haben, durch die Europäische Union und die Zollunion, durch die Hereinnahme der Länder des Europäischen Wirtschaftsraumes, durch die Welthandelsrunden, durch den Abschluss von Freihandelsabkommen, dass wir dies alles wieder in einem Zollkonflikt mit höheren Zöllen und Maßnahmen und Gegenmaßnahmen aufs Spiel setzen könnten und dass wir uns dann in 20 oder 30 Jahren fragen, wie es geschehen konnte, dass wir uns eingemauert und damit allesamt unsere Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit eingebüßt haben. Ich verspreche Ihnen, dass ich als Minister nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treibe; das hat Ludwig Erhard auch nicht gemacht. Ich verspreche Ihnen nicht, dass ich Zigarren rauchen werde, aber ich verspreche Ihnen, dass ich meine Rolle als gewichtigstes Mitglied der Bundesregierung auch in Zukunft verteidigen werde, damit der Wirtschaftsminister sichtbar ist.

Lieber Herr Steltzner, wir beide haben einmal ein kleines Stück Geschichte geschrieben, als wir ein Interview gemacht haben über die Kosten der Energiewende. Das war damals, als ich verzweifelt versucht habe, die marktwirtschaftlichen Reformen durchzusetzen. Da habe ich gesagt, wenn wir nichts tun, kostet das bis zum Jahr 2040 eine Billion Euro. Diese Zahl finden Sie heute noch bei allen Interessierten in den Köpfen, obwohl es nur dieses eine große Interview war. Aber es hat uns geholfen, die Energiewende so marktwirtschaftlich auszurichten, dass sie gelingen kann. Und ich habe daraus die Zuversicht gewonnen, dass es möglich ist, Politik zu gestalten, wenn man den Mut hat, im entscheidenden Augenblick auch ein Risiko einzugehen und entschlossen zu handeln. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit, alles Gute für die Zukunft!

Hier geht es zur Dokumentation des Symposions mit Fotos und den anderen Redebeiträgen.

Foto: Dirk Hasskarl

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