Wirtschaftliche Abhängigkeit von Autokratien soll man beenden, sagt Roland Koch. Der Staat soll sich aber nicht anmaßen, der Wirtschaft den Weg vorzuschreiben. Eine Antwort auf Staatssekretärin Franziska Brantner.

Staatssekretärin Franziska Brantner hat sich an dieser Stelle (Anmerkung: FAZ) am 11. Mai über die neuen Aufgaben der Wirtschaftspolitik mit dem Ziel der Unabhängigkeit von Autokratien geäußert. Der Artikel zeigt leider ein sehr staatsgläubiges Wirtschaftsverständnis, das uns nicht helfen wird, die Abhängigkeit von Autokratien ohne große Wohlstandsverluste zu verringern.

Die Skepsis gegenüber der jahrzehntelangen Doktrin des „Wandels durch Annäherung“ wird ja seit dem 24. Fe­bruar zu Recht von sehr vielen geteilt. Das bringt die Politik zurzeit in die missliche Lage, die aus vergangenen Fehleinschätzungen entwickelten Risiken beherrschbar machen zu müssen.

Das Beunruhigende an den Thesen der grünen Wirtschaftsstaatssekretärin aber ist ihr engagierter Glaube an die Auflösung dieser Abhängigkeit durch vielschichtige Interventionen des Staates in den Wirtschaftskreislauf, den Markt. Wahrscheinlich werden manche Beobachter diesen Impetus teilen, sieht es doch so aus, als sei der Staat und damit der Steuerzahler wieder einmal nichts anderes als ein Versicherungs- und Reparaturbetrieb für gewinnsüchtige Übertreibungen.
Freiheit vor regulativer Gängelung und Respekt vor dem Gewinnstreben der Einzelnen sind jedoch die Grundpfeiler einer effizienten und damit den Wohlstand der Menschen und der ganzen Völker schaffenden Wirtschaftsordnung. Das unterschätzt Brantner.

Marktwirtschaft beruht auf dem Gedanken, dass einzelne Teilnehmer mit ihrem Vermögen Risiken eingehen, im negativen Fall alles verlieren und im positiven Fall sehr reich werden können. Die staatliche Bürokratie würde ebenso denken. Aber die Entscheider dort tragen nicht das Risiko, erzielen bei Erfolg nicht den Gewinn und sind einsame Spieler ohne wirkliche Kenntnisse der Märkte. An unseren täglichen ökonomischen Entscheidungen sind unzählige selbständige Individuen beteiligt. Konsumenten, die auf Innovation, Preis und Qualität reagieren. Aktionäre, die das oft schnelle Springen der Börsenkurse initiieren, und natürlich unruhige Unternehmer, die ihre Chance suchen.

Eine solche Ordnung benötigt einen starken Staat. Alle Beteiligten müssen die Spielregeln kennen. Für die Formulierung und Durchsetzung dieser Regeln ist die Politik verantwortlich. Die politischen Instanzen haben sehr lange den Eindruck erweckt, Handel sei auch mit Autokratien risikoarm möglich, ja, die Politik hat die Hoffnung genährt, dass je intensiver der Handel, umso regelbasierter das Umfeld. Dem haben Unternehmen vertraut, ihre Risikopreise angepasst und Abhängigkeiten von externen Märkten entstehen lassen. Mit dem Wissen von heute wird das gegenüber Russland und auch China nicht mehr geschehen. Die Signale der Politik werden gehört. Aktionäre, Kreditgeber, Arbeitnehmer und die ihr Eigentum riskierenden Unternehmer werden Lieferketten diversifizieren, seltene Rohstoffe zu ersetzen versuchen und Klumpenrisiken neu bewerten. Mit der richtigen staatlichen Risikobewertung braucht es keine weitere Detailsteuerung.

Schon gar nicht rechtfertigt die neue Sensibilität gegenüber Abhängigkeiten neue Monstren der Gängelei. Die aktuellen Diskussionen über eine weitere Öko-Design-Richtlinie der EU ist pures Gift für eine sich modernisierende Wirtschaft. Ludwig Erhard, dessen Büste hoffentlich weiterhin einen ehrenvollen Platz im Wirtschaftsministerium hat, beschrieb das in einer Rede 1954 (vor der deutsch-belgisch-luxemburgischen Handelskammer in Antwerpen) mit der notwendigen Härte: „Es zeugt aber von grenzenlosem Illusionismus, von der Verblendung planwirtschaftlichen Denkens, wenn von Rohstoffbilanzen und anderen statistischen Grundlagen her das Schicksal eines Volkes für längere Zeit vorausberechnet wird. Diese planwirtschaftlichen Dirigisten haben nicht die geringste Vorstellung von der dynamischen Kraft, die entzündet wird, wenn ein Volk sich wieder des Wertes und der Würde der Freiheit bewusst wird.“

Die staatlichen Fähigkeiten liegen im Zeichnen großer Linien und nicht im Mikromanagement. Für die Reduzierung geopolitischer Risiken reichen klare Analysen und Ansagen. Die Wirtschaft wird sie – wie bisher – berücksichtigen. Für die Rücksicht auf die Umwelt braucht man vor allem klare Preissignale, etwa beim CO2-Preis, und keine besserwisserische Detailsteuerung. Und für das wichtigste Ziel, die Schaffung alternativer globaler Wachstumspotentiale benötigt die Wirtschaft sichere Partnerschaften, etwa Handelsabkommen mit Kanada, mit Südamerika oder besonders dringend mit den USA. Da ist politische Kraft gefragt.

Vieles in den Vorstellungen von Franziska Brantner ist einzeln fast harmlos. Zur Befreiung von Autokraten klingt vieles sehr gut. Es ist der einschmeichelnde Dirigismus, der so pragmatisch daherkommt. Felbermayr und Kooths haben das vor Kurzem das „Gulliver-Syndrom“ genannt. Kein einzelner Faden ist stark genug, die Kraft des Marktes zu zerstören, aber die Summe der harmlosen kleinen Fäden hält am Ende den großen Gulliver, die überwältigende Kraft der Sozialen Marktwirtschaft, am Boden.


Der Artikel erschien am 19. Mai 2022 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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