Am 4. Februar wäre Ludwig Erhard 125 Jahre alt geworden. Sein Vermächtnis an uns ist die Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft. Allein der enorme und langfristige Wohlstand und der soziale Frieden, die seine ordnungspolitische Konzeption unserem Land beschert haben, wären Grund genug, seinen Geburtstag zu feiern. Von manchen wird Erhard musealisiert, damit er nicht stört. Es genügt aber nicht, Büsten aufzustellen oder einen Saal im Wirtschaftsministerium nach Ludwig Erhard zu benennen. Es kommt darauf an, eine Politik in seinem Geiste zu machen. Wir können noch heute jeden Tag von ihm lernen.

So populär sein Buch „Wohlstand für alle“ 1957 bei seinem ersten Erscheinen auch war, so wenig wettbewerbs- und freiheitsfreundlich war das mehrheitliche wirtschaftspolitische Denken in der frühen Nachkriegszeit. Als Erhard zusätzlich zu der von den Alliierten gewollten Währungsreform eine Wirtschaftsreform anschob, um die freie Preisbildung zu ermöglichen und von der Warenbewirtschaftung – der staatlichen Preisfestsetzung – wegzukommen, musste er erstmal wider den Zeitgeist handeln. Das war eine Art kompromissloser, früher Bürokratieabbau und entzog dem Schwarzmarkt den Boden. Viele dachten, dass der Staat besser geeignet sei, die Verwaltung des Mangels, also die richtige Verteilung der knappen Güter in der Not zu organisieren. In ihrem Ahlener Programm von 1947 misstraute übrigens auch die CDU der Freiheit und dem Wettbewerb als leitende Prinzipien und dem ordnungspolitischen Modell für Deutschland.

Auch heute erleben wir ernste Kampfansagen gegen die Marktwirtschaft und konzertierte Angriffe gegen das Privateigentum als Freiheitsrecht. Die Herausforderungen im Zuge von Klimawandel und Pandemie wirken wie ein Verstärker für ein verbreitetes Misstrauen gegenüber Markt, Wettbewerb und Gewinnstreben. Dabei ist Gewinnerzielung notwendig, um überhaupt Innovationen und Soziales finanzieren zu können. Das Soziale an der Sozialen Marktwirtschaft ist keine Einschränkung, sondern eine Eigenschaft derselben. Sie ermöglicht durch den Wettbewerb eine gute Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen in großer Auswahl und zu günstigen Preisen. Das ist im höchsten Maße sozial und eine Art Demokratie der Verbraucher.

Dass das solidarische Ergebnis der Marktwirtschaft unabhängig von solidarischen Motiven zustande kommt, ist zunächst einmal kontraintuitiv. Die Marktwirtschaft setzt auf Gewinnstreben, auf Anstrengungs- und Risikobereitschaft des Einzelnen. Das stellt eine besondere Schwierigkeit für unser Verständnis ihrer moralischen Qualität dar. Die Leistungen der Marktwirtschaft sind nicht das Ergebnis menschlichen Planens, wohl aber menschlichen Handelns. Die Faszination für plan- und staatswirtschaftliche Ideen beruht demgegenüber auf einem Fehlschluss: Unvollkommenheiten der real existierenden Wirtschaft werden einfach mit dem wider jede historische Erfahrung und damit (sic!) wissenschaftliche Erkenntnis idealisierten Bild eines Reißbrett-Sozialismus verglichen. Was schlecht läuft, legt man der Marktwirtschaft zur Last; die Vorzüge werden als voraussetzungslos gegeben abgehakt.

Wer behauptet, die Marktwirtschaft würde in der Krise versagen, will sie aus anderen Gründen diffamieren. Sie beweist gerade in der Krise ihre Leistungs- und Anpassungsfähigkeit. Wozu würde Ludwig Erhard also heute raten? Zu solider Haushaltspolitik und einer verantwortungsbewussten Währungspolitik. Zu besseren Bedingungen für Eigentums- und Vermögensbildung, damit Leistung sich für jeden und jede lohnt. Zu einer Beschränkung des Staates auf seine eigentliche ordnende Rolle als Regelsetzer und Rechtsdurchsetzer, der Freiheit und Wettbewerb gewährleistet. Zu möglichst günstigen Preisen für alle durch Wettbewerb und Technologieoffenheit statt immer neuer Zuschüsse und Transfers für immer mehr Zuschuss- und Transferempfänger. Zu mehr Demut und Bescheidenheit im Hinblick auf staatliche Innovations- und Steuerungsfähigkeit und mehr Vertrauen auf Leistungswillen und Verantwortung jedes Einzelnen.

Frei nach Johannes Gross ist das Schlimme an Opportunisten ihr mangelnder Sinn für Opportunität. Die Freunde der Sozialen Marktwirtschaft sollten sich das nicht nachsagen lassen. Einige stellen die Systemfrage, und diese gilt es klar zu beantworten: Wir setzen auf die Eigenverantwortung der Menschen und auf Wettbewerb und Privateigentum als Grundlage von Freiheit und Wohlstand. Für sozialen Ausgleich und Investitionen zum Beispiel in Bildung und Klimaschutz gibt es nur durch die Effizienz der wettbewerblich organisierten Wirtschaftsordnung Verteilungsspielraum, oder es gibt ihn eben nicht. Die Soziale Marktwirtschaft ist die bessere Marktwirtschaft, aber sie muss auch die bessere Markt-Wirtschaft bleiben. Dafür braucht sie leidenschaftliche Verteidiger in Gegenwart und Zukunft.


Die Autorin ist Mitglied des Deutschen Bundestages (FDP) und stellvertretende Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

Der Artikel wurde in der Welt am 4. Februar 2022 publiziert und ist online über diesen Link aufrufbar.

DRUCKEN
DRUCKEN