Auch in diesem Jahr beanstandet der Bund der Steuerzahler Deutschland in seinem Schwarzbuch unnötige Ausgaben des Staates. Aber auch auf der Einnahmenseite besteht Handlungsbedarf. Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, empfiehlt einen Maßnahmenkatalog, bei dem bereits die Umsetzung einzelner Vorschläge ein Schritt Richtung Steuerbremse wäre.

„Wohlstand für Alle“ – dieser Imperativ hätte es heute schwer. Ludwig Erhard hat diesen Titel für sein Buch 1957 wohlüberlegt. Er beschreibt die Geburt der Sozialen Marktwirtschaft und gibt Orientierung für eine Politik, die den sprichwörtlichen Kuchen größer werden lässt, sodass es leichter ist, jedem Einzelnen ein größeres Stück zu gewähren.

Wohlstand wird heute jedoch umfassender definiert als vor 50 Jahren: Nicht nur der materielle Wohlstand ist entscheidend, sondern auch die Freiheits- und Verwirklichungsmöglichkeiten des Bürgers. Tatsächlich hat sich die Bundesrepublik hinsichtlich des materiellen Wohlstands prächtig entwickelt. Unser Bruttosozialprodukt ist enorm gestiegen, der hohe Exportüberschuss ist Zeugnis einer innovativen und konkurrenzfähigen Wirtschaft, und in vielen Regionen herrscht Vollbeschäftigung.

Dennoch gibt es erhebliche Unzufriedenheit mit dem Steuersystem. Bei repräsentativen Umfragen unseres Verbands beklagen regelmäßig zwischen 79 und 88 Prozent der Bürger eine „zu hohe“ Belastung durch Steuern und Abgaben. Jüngst hat die OECD diese Meinung durch ihren jährlichen Belastungsvergleich gestützt. Nur in Belgien wird ein Single-Haushalt mit 54 Prozent höher belastet. Deutschland ist mit einer Belastung von 49,4 Prozent trauriger Vize-Weltmeister unter den Industrienationen.

Setzt man Steuern, sogenannte Quasi-Steuern wie den Rundfunkbeitrag und die EEG-Umlage sowie die Sozialabgaben ins Verhältnis zum Volkseinkommen, dann errechnet sich für das Jahr 2016 sogar eine Belastung von 52,9 Prozent. Bürger und Betriebe müssen also durchschnittlich mehr als die Hälfte ihrer erwirtschafteten Einkünfte an öffentliche Kassen abführen.

Angriff auf die Freiheit

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof empfindet diesen Zustand zu Recht als Angriff auf die individuelle Freiheit. Auch deshalb ist es an der Zeit für Senkungsmaßnahmen. Denn auch und gerade jenseits der Wahlkämpfe sind strukturelle Reformen zwingend geboten, um die Steuer- und Abgabenlast zu begrenzen. Deutschland braucht eine Steuerbremse – also einen Regelrahmen, der die Möglichkeiten des Staates, seine Bürger zu belasten, beschränkt. Deshalb schlage ich eine Steuerbremse mit zehn Maßnahmen vor:

1. Begrenzung der Steuerarten und der Erhebungsdauer von Steuern: Alle zulässigen Verbrauchsund Verkehrssteuern sollten ausdrücklich im Grundgesetz benannt werden. So würde die Einführung neuer Steuern aufgrund der erforderlichen Zweidrittelmehrheit erschwert werden. Ergänzend sollte die Finanzverfassung um nicht mehr erhobene und veraltete Steuerarten bereinigt werden. Es wird auch Zeit, dass die Anforderungen an die Ergänzungsabgabe – derzeit wird diese als Solidaritätszuschlag bezeichnet – ausdrücklich in der Finanzverfassung erwähnt werden. Die kommunale Steuerfindung muss ebenfalls beschränkt werden, indem die Erhebung und Einführung von Bagatellsteuern erschwert wird. Ergänzend dazu sollten Bund und Länder zu regelmäßigen Berichten über die von ihnen erhobenen Steuern verpflichtet werden. Mehr Transparenz ist nötig!

2. Indexierung des Einkommensteuertarifs: Die ungerechtfertigten und nachteiligen Auswirkungen der kalten Progression müssen dauerhaft unterbunden werden. Deshalb muss der Einkommensteuertarif sprichwörtlich auf Räder gestellt und jährlich an die allgemeine Preisentwicklung sowie die Lebenswirklichkeit angepasst werden.

3. Begrenzung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage: Im Einkommensteuerrecht sollte das Nettoprinzip konsequent umgesetzt werden. Beispielsweise müssen Beiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, Steuerberatungskosten, Erstausbildungskosten sowie der Rundfunkbeitrag das zu versteuernde Einkommen mindern. Bei der Abgeltungsteuer sollte der vollständige Werbungskostenabzug zugelassen sowie der Sparerfreibetrag erhöht werden. Einkommensteuerliche Frei- und Pauschbeträge müssen analog zu den Tarifeckwerten an die Preisentwicklung angepasst werden.

4. Anpassung der Steuerschätzung bzw. der mittelfristigen Finanzplanung: Solange ein „Tarif auf Rädern“ nicht umgesetzt ist, müssen zumindest die ungerechtfertigten Mehreinnahmen explizit in der Steuerschätzung ausgewiesen werden. Diese Mehreinnahmen müssen dann später für automatische Steuerentlastungen verwendet werden.

5. Vermeidung von „Steuern auf die Steuer“: Eine Steuerkumulation bei speziellen Verbrauchs- und Verkehrssteuern sollte durch eine Änderung der EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie verhindert werden. Steuern und Abgaben dürfen nicht zur Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer gehören.

6. Abbau von Fehlanreizen zu Steuererhöhungen im Finanzausgleich: Im Rahmen des Finanzausgleichs sollten bestehende Fehlanreize zu Steuererhöhungen korrigiert werden. Hierzu sind die Landessteuern in einer geeigneten Art und Weise im Finanzausgleich zu berücksichtigen. Gerade die Erhöhungsorgien bei der Grunderwerbsteuer offenbaren die Fehlanreize des Systems, denn sie führen zu einem Steuererhöhungswettbewerb. Deshalb muss der Länderfinanzausgleich so reformiert werden, dass grundsätzlich wieder die tatsächlichen Grunderwerbsteuereinnahmen berücksichtigt werden.

7. Fiskalischer Wettbewerb im Inland: Fiskalischer Wettbewerb bzw. Steuerwettbewerb kann in Zusammenhang mit einer Dezentralisierung von staatlichen Aufgaben ebenfalls zur Begrenzung der Steuerbelastung beitragen. Daher müssen auch hier vor allem auf kommunaler sowie auf Landesebene geeignete Rahmenbedingungen für einen solchen Wettbewerb geschaffen werden. Insbesondere ist die Finanzautonomie der Kommunen und Länder zu stärken. Es ist deshalb Zeit für eine grundsätzliche Reform der Steuerverteilung mit starken Wettbewerbselementen.

8. Internationaler Steuerwettbewerb: Von der EU vorgegebene Mindeststeuersätze für Verbrauchssteuern sind abzuschaffen, weil sie tendenziell zu einem Anstieg der Steuerbelastung führen bzw. eine weitgehende Reduzierung der Steuerbelastung verhindern. Zudem muss einer eigenen Steuererhebungskompetenz der EU entgegengetreten werden.

9. Verdeckte Zusatzlasten begrenzen: Es muss verhindert werden, dass Bund und Länder gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf Parafisci auslagern und durch sogenannte Quasi-Steuern – wie die EEG-Umlage oder den Rundfunkbeitrag – finanzieren. Bund und Länder sollten deshalb zu einer regelmäßigen Berichtspflicht über alle Quasi-Steuern verpflichtet werden. Ergänzend dazu muss der Staat die Belastung der Bürger und Unternehmen durch alle staatlichen Abgaben und staatlich veranlassten Preisregelungen beziffern und als erweiterte und vollständige Abgabenquote veröffentlichen.

10. Direktdemokratische Entscheidungsverfahren und steuerliche Spürbarkeit: Theoretische und empirische Erkenntnisse zeigen, dass direktdemokratische Entscheidungsverfahren die Steuerlast begrenzen können. Daher sollten vor allem auf kommunaler Ebene, aber auch auf Bundes- und Landesebene die Rahmenbedingungen für Volksentscheide verbessert werden – gerade bei fiskalischen Entscheidungen. Zudem werden die Verantwortlichen angehalten, die Entstehungs- und Folgekosten bei Projekten transparenter aufzuzeigen. Besteht dann auch noch eine direkte Wirkung auf die Belastung der Bürger, diszipliniert das die politischen Entscheidungsträger enorm.

Alle diese Maßnahmen würden zu einer Begrenzung der Steuer- und Abgabenbelastung beitragen. Sie alle umzusetzen bedarf eines längerfristigen politischen Prozesses. Die Empfehlungen sind daher als Maßnahmenkatalog zu verstehen; bereits die Umsetzung einzelner Empfehlungen wäre ein Schritt in Richtung einer Steuerbremse.

Neben der verfassungsmäßigen Schuldenbremse würde eine Steuerbremse die Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben wahren, die Soziale Marktwirtschaft stärken und somit den Wohlstand in Deutschland mehren.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Publikation der Ludwig-Erhard-Stiftung „Wohlstand für Alle – Geht’s noch?“ aus dem Jahr 2017 erschienen.

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