Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier plant eine neue Industriepolitik. Mit Sozialer Marktwirtschaft hat das nichts zu tun. Wir dokumentieren einen offenen Brief von Thomas Mayer, Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung und Mitglied der Jury des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik.

Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister Altmaier,

in Ihrem neuen Jahreswirtschaftsbericht loben Sie die Erfolge der Sozialen Marktwirtschaft. Dort sorge der Staat für verlässliche Rahmenbedingungen für fairen internationalen Wettbewerb und innovationsstarke Grundlagenforschung. Das stimmt. Neu war für mich in Ihrem Bericht aber, dass zur Sozialen Marktwirtschaft auch eine „zeitgemäße Industriepolitik“ gehöre, mit der der Staat Schlüsseltechnologien gezielt stärken und technologische Souveränität in zentralen Technologiebereichen wahren solle. Das habe ich bei Ludwig Erhard, dem Vater der Sozialen Marktwirtschaft, nicht gefunden. Sie entdecken in Ihrem Bericht besondere Potenziale im Aufbau einer europäischen Batteriezellfertigung, bei der Künstlichen Intelligenz und in der Bioökonomie. Glückwunsch! Dann sollten Sie sich aus der Politik verabschieden und als Unternehmer diese Potenziale heben. Wie Sie ja selbst sagen, braucht das Land dringend mehr Unternehmer.

Und was meinen Sie mit der Wahrung nationaler Souveränität im Technologiebereich? Wenn es Ihnen darum geht, deutsche Privatunternehmen vor der Verstaatlichung durch die chinesische Regierung zu bewahren, dann bin ich bei Ihnen. Wenn Sie aber wollen, dass der deutsche Staat dem chinesischen Staat die Unternehmen wegschnappen soll, dann muss ich Ihnen leider widersprechen. Der chinesische Staat kann da mehr als der deutsche. Chinesische Verhältnisse wären mir zum Beispiel bei der Deutschen Bahn oder dem Berliner Flughafen lieber als deutsche, wenn Sie wissen, was ich meine.

Sie nennen als zentrale Orientierung der deutschen Energiepolitik ein Zieldreieck aus Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Bezahlbarkeit. Das hört sich gut an. Aber wie kommen Sie darauf, dass man diese Ziele in einem Dreieck verbinden könne? Wenn die Regierung, der Sie angehören, in den nächsten Jahren alle Atom- und Braunkohlekraftwerke abschalten will, dann können Sie keine Linie mehr von der Umweltverträglichkeit zur Versorgungssicherheit ziehen. Beide Ziele liegen an den entgegengesetzten Enden einer Geraden. Denn wo der Strom herkommen soll, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, ist mir unklar. Und wenn es doch mal windig ist, wie sollen wir dann den Strom aus dem Norden in den Süden bekommen, wo es doch hinten und vorne an den Leitungen fehlt? Vielleicht könnten wir den fehlenden Strom aus französischen Atom- und polnischen Kohlekraftwerken ersetzen, aber wie kommen wir dann zum Ziel der Umweltverträglichkeit? Oder soll uns NordStream2 klimafreundlich die Versorgung sichern? Und wie steht’s mit der Bezahlbarkeit, wenn wir die Braunkohleregionen teuer wieder aufpäppeln sollen, nachdem wir sie erstmal niedergemacht haben? Aus meiner Zeit in den Vereinigten Staaten kenne ich das Konzept der „Voodoo Economics“. Möglicherweise lässt sich Ihr Zieldreieck ja damit konstruieren.

Sie teilen die Auffassung, dass die CO2-Emission möglichst global mit einem Preis belegt werden soll und sind für den Emissionshandel, wie ihn die Europäische Union eingeführt hat. Bravo! Warum wollen Sie die deutschen Bürger dann aber mit teuren staatlichen Auflagen bis 2050 zu einer zusätzlichen Treibhausgasreduktion um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zwingen? Unsere Einsparungen sind ja bekanntlich lächerlich im Vergleich zu den Erhöhungen in China und Indien, wo die Kohlekraftwerke kräftig ausgebaut werden. Deshalb sind Sie doch für den globalen CO2-Preis, nicht wahr?

Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie wollen eine doppelte Haltelinie für das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent und dem Beitragssatz bei maximal 20 Prozent einführen. Aber haben Sie denn auch mal an eine Haltelinie für den Steuerzahler gedacht? Oder setzen Sie wie bei der Energiepolitik auch hier auf „Voodoo“, um ein Zieldreieck aus wachstumsfreundlichem Steuersystem, gut ausgebautem Sozialsystem und ausgeglichenem Haushalt zu erreichen?

Ach, da fällt mir zum Schluss noch ein: Haben Sie von Mrs. Jellyby gehört? Diese hilfsbereite Dame verwendet im Roman „Bleak House“ von Charles Dickens jede Minute darauf, die Rettung Afrikas zu planen. Darüber vernachlässigt sie die Kinder und treibt ihren Mann an den Rand des Selbstmords. Aus der Rettung wird zwar nichts, aber Mrs. Jellyby lässt sich nicht beirren. Sie stürzt sich unverzüglich auf die nächste Guttat. Mrs. Jellyby kam mir in den Sinn, als ich in Ihrem Bericht die 17 Ziele zur Weltrettung sah, zu deren „ambitionierter Umsetzung“ die Bundesregierung „sich“ – Pardon, es muss wohl „uns“ heißen – verpflichtet hat.

Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Mayer

Prof. Dr. Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute und Professor an der Universität Witten/Herdecke.

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