Diskursversagen durch Moralkonfusion – so lautet der Befund von Ingo Pies zu den aktuellen umweltpolitischen Debatten. Insofern sei es kein Zufall, dass sich Teile der Umweltbewegung radikalisieren. Dabei müsse man die Marktwirtschaft jetzt ökologisch in den Dienst nehmen.

Das moralische Anliegen, die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit auch für zukünftige Generationen zu erhalten, ist so unstrittig, dass sich niemand ernsthaft dagegen ausspricht. Öffentlicher Streit entsteht erst, wenn man den Weg festlegen will, der zu einer nachhaltigen Entwicklung führen soll. Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der umweltpolitischen Auseinandersetzung betreffen also vornehmlich die einzusetzenden Mittel und nicht das anzustrebende Ziel.

Für den demokratischen Diskurs ist das eigentlich eine komfortable Ausgangslage. Denn es ist viel mühsamer, einen Konsens im Hinblick auf pluralistische Zielvorstellungen zu finden als im Hinblick auf unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Mittel am besten einzusetzen sind, um ein Ziel zu erreichen, auf das man sich geeinigt hat.

Diskussionen über Mittel sind unmittelbar wahrheitsfähig. Bei Diskussionen über Ziele ist dies schwieriger; hier ist normatives Wünschen zulässig. In Diskussionen über Mittel hingegen ist es fehl am Platz. Dort kommt es allein auf die richtige Folgenabschätzung an, um relevante Alternativen zielorientiert und faktenbasiert vergleichen und priorisieren zu können.

Diskursversagen durch Moralkonfusion

Blickt man auf die umweltpolitische Diskussion der vergangenen Jahrzehnte, dann fällt auf, dass die Debatten keineswegs so vernünftig laufen, wie dies möglich und wünschenswert wäre. Der Befund lautet: Diskursversagen durch Moralkonfusion. Anstatt die Moral auf der Ebene der ohnehin längst erfolgten Ziel-Wahl ins Spiel zu bringen und die Mittel-Wahl rein nach Vernunftgesichtspunkten ablaufen zu lassen, erfolgt auf der Ebene der Mittel eine an sich unnötige Moralisierung der Instrumentenwahl.

So wird das moralische Anliegen einer nachhaltigen Entwicklung durch Emotionen immer wieder in den Hintergrund gerückt. Anstatt diejenigen Instrumente zu wählen, die das Ziel am besten erreichen würden, greift man zu Instrumenten, die die Umweltpolitik unnötig teuer und damit am Ende unattraktiv machen.

In Zweifelsfällen setzt man in Deutschland (mit unvermindert gutem Gewissen) immer noch lieber auf Ordnungsrecht statt auf Ordnungspolitik. Man richtet die umweltpolitischen Hoffnungen völlig erfahrungsresistent eher darauf, dass der Staat dirigistisch mit Ge- und Verboten vorschreibt, was die Unternehmen und Konsumenten zu tun und zu lassen haben, anstatt ordnungspolitisch den Anreizrahmen so zu gestalten, dass die wünschenswerten Verhaltensmuster freiwillig gewählt werden. Die paradoxe Folge: Treten Missstände und Widerstände auf, liegt es nahe, mit moralischer Empörung zu reagieren, also die Moralisierung der Mittelebene zu verstärken. Auf diese Weise steigt der öffentliche Adrenalinpegel, während das sachliche Niveau der Debatte sinkt. So entsteht Diskursversagen.

Klimapolitik oder Kapitalismus?

Insofern ist es kein Zufall, dass sich Teile der Umweltbewegung radikalisieren. Sie machen gravierende moralische Vorbehalte geltend: gegen wirtschaftliches Wachstum, gegen Wettbewerb und schließlich gegen unternehmerische Gewinnorientierung. Aktuell läuft das auf den Slogan hinaus: „Klimapolitik oder Kapitalismus“. Vielleicht dient es einer Versachlichung der Debatte, wenn man aus ethischer Sicht drei Aspekte zu bedenken gibt.

(1) In der Öffentlichkeit gibt es zahlreiche Aufrufe zu Postwachstum, Nullwachstum oder Negativwachstum („Degrowth“). Die zugrunde liegende Überlegung ist leicht einsichtig: Auf einem begrenzten Planeten könne es kein unbegrenztes Wachstum geben. Wer Ressourcen schonen wolle, müsse deshalb auf Verzicht setzen: auf eine Absenkung des Wohlstandsniveaus.

Die Alternative zu diesem Denkmodell – und zu den Kalamitäten, in die es unweigerlich führt – ist den meisten Menschen nicht recht bewusst. Sie besteht darin, Ressourcenschonung mit Wohlstandsmehrung zu verbinden. Dies setzt freilich einen anderen Begriff von Wachstum voraus. Wachstum wird dann nicht als extensives, sondern als intensives Wachstum verstanden. Extensives Wachstum folgt der Vorstellung, dass mehr Output durch mehr Input erzeugt wird. Intensives Wachstum hingegen bedeutet, dass man mit einem gegebenen Input mehr Output oder alternativ einen gegebenen Output mit weniger Input erzeugen kann. Extensives Wachstum koppelt, intensives Wachstum hingegen entkoppelt Ressourceneinsatz und Wohlstandsproduktion.

Ein erfolgreicher Klimaschutz ist ohne das Ineinandergreifen von Innovations- und Imitationswettbewerb gar nicht zu denken.

Was bedeutet das für den globalen Klimaschutz? Wenn die Menschheit die Klimaerwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts unter zwei Grad Celsius halten will, benötigen wir ab Mitte des Jahrhunderts Negativ-Emissionen. Wir müssen also in einer Nettobetrachtung der Atmosphäre mehr Treibhausgase entziehen, als wir ihr zuführen. Das ist durch Verzichtsleistungen – selbst, wenn man es ernsthaft versuchen wollte – gar nicht zu bewirken. Durch Einsparungen kommt die Menschheit nicht einmal in die Nähe von Null-Emissionen, geschweige denn in den negativen Bereich.

Insofern kann man nur sagen: Wer angesichts des Klimaproblems als ökologische Strategie „Degrowth“ und mithin den Verzicht auf extensives Wachstum propagiert, hat die Ernsthaftigkeit dieses Problems und die mit ihm verbundenen Herausforderungen noch nicht richtig verstanden.

(2) Intensives Wachstum beruht auf Innovation, also darauf, dass neues Wissen erzeugt und eingesetzt wird, um mit verbesserter Technologie beziehungsweise mit verbesserter Organisation eine produktivere Wertschöpfung zu erzielen. Negative Treibhausgas-Emissionen erfordern nicht nur neue Formen der Energieerzeugung, sondern auch eine weitgehende Dekarbonisierung der gesamten wirtschaftlichen Produktion einschließlich neuartiger Verfahren zur Treibhausgas-Einlagerung.

Für eine solch umfassende Transformation der bisherigen Produktionsweise – und dies auch noch im globalen Maßstab (!) – sind radikale Innovationen nötig. Hierfür benötigt man ein Zusammenspiel von staatlich finanzierter Grundlagenforschung und unternehmerischer Anwendungsforschung.

Innovation und Imitation

Ferner benötigt man Wettbewerbsmärkte, um gewinnorientierte Unternehmen zu veranlassen, zwei Systemleistungen zu erbringen, die man als Innovationsdynamik und Produktionseffizienz bezeichnen kann. Unternehmen werden unter Konkurrenzdruck gesetzt, um neue – das heißt: wirtschaftlich riskante – Ideen auszuprobieren und ressourcenschonende Produkte sowie Produktionsverfahren auf den Markt zu bringen.

Durch Innovationswettbewerb werden Unternehmen ermutigt – und sogar gezwungen –, ins Risiko zu gehen, Neues zu wagen und mit Pionierleistungen aufzuwarten. Komplementär hierzu ist der Imitationswettbewerb. Durch ihn werden Unternehmen unter Konkurrenzdruck gesetzt, erfolgreiche Neuerungen möglichst schnell zu adaptieren und flächendeckend zu verbreiten. Ein erfolgreicher Klimaschutz ist ohne das Ineinandergreifen von Innovations- und Imitationswettbewerb gar nicht zu denken, und diese wettbewerblichen Steuerungsleistungen wirtschaftlicher Dynamik und Effizienz wiederum sind nur zu haben, wenn Unternehmen sich aufgrund von Gewinnerwartungen auf die damit verbundenen Risiken einlassen.

(3) Nachhaltiger Klimaschutz erfordert, die Märkte nicht – ordnungsrechtlich – außer Kraft zu setzen, sondern sie – ordnungspolitisch – besser in Kraft zu setzen. Das moralische Anliegen des Klimaschutzes wird sich nur dann verwirklichen lassen, wenn es gelingt, neue Eigentumsrechte zu definieren, sodass Treibhausgas-Emissionen ein Preisschild umgehängt wird. Emissionen müssen teuer werden. Die Logik lautet: Sobald Emissionen teuer sind und Unternehmen folglich mit Klimaschutz(-innovationen) Geld verdienen können, muss man sich um dieses ökologische Problem keine größeren Sorgen mehr machen.

Fazit: Sofern das Klimaproblem überhaupt gelöst werden kann, kann es nur durch intensives Wachstum gelöst werden. Folglich kommt alles darauf an, die Marktwirtschaft – mitsamt Wettbewerb und Gewinnorientierung – ökologisch in Dienst zu nehmen. Sie ist das Mittel zum Ziel. Und genau darin liegt ihre moralische Legitimation.

Prof. Dr. Ingo Pies ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.


Dieser Beitrag ist zuerst im Heft „Wohlstand für Alle – Klimaschutz und Marktwirtschaft“ aus dem Jahr 2020 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

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