Dass man Politik in Wahlkampfzeiten nicht besonders ernst nehmen sollte, ist eine Volksweisheit. Insofern fällt dieses Jahr – wegen der Landtagswahlen im kleinen Saarland und im großen Nordrhein-Westfalen sowie der Bundestagswahl – für sinnvolle politische Regelungen schlicht aus.

Der billige Wahlkampfpopulismus ist der unvermeidliche Preis der Demokratie; ihr Ertrag besteht darin, dass nach solchen Phasen neue Köpfe frische Ideen umsetzen – oder bestehende in ihrer überwältigenden Leistungsfähigkeit bestätigt werden.

Wahlkampf wird aber dann schädlich, wenn die Bühne verlagert, das Schlachtfeld in andere Bereiche verlagert wird. Um das zu vermeiden, wurde in Deutschland vor Jahrzehnten die „Ordnungspolitik“ als Teil des marktwirtschaftlichen Prinzips erfunden. Ordnungspolitik soll dafür sorgen, dass die Sphäre der politischen Auseinandersetzung nicht mit der Wirtschaft vermischt wird: Die Politik setzt Rahmenbedingungen; Konsumenten, Unternehmen und Gewerkschaften handeln entsprechend.

Verflechtung von Staat und Wirtschaft

Damit ist Deutschland gut gefahren. Aber Ordnungspolitik zählt immer weniger – und kaum etwas in Wahlkampfzeiten, die von Populismus geprägt sind. Beispiele gefällig? Die für die Wahlkampfzeit als Wirtschafts-Übergangsministerin berufene Brigitte Zypries „verhandelt“ mit ihrem französischen Kollegen über die geplante Fusion von Opel mit der Peugeot-Gruppe. Was verhandeln die beiden da? Ist Opel ein deutscher Staatsbetrieb, der mit einem französischen zusammengelegt werden soll? Natürlich ist nichts dabei herausgekommen. – Wie auch? Aber das Staatstheater erweckte den Eindruck, dass im vereinten Europa die nationalen Regierungen Fabriken eröffnen und schließen, gerade wie es ihrer Planwirtschaft gefällt.

Auch der VW-Konzern ist Anlass für hektische politische Bemühungen. Allerdings geht es dabei nicht um die Aufklärung des Diesel-Desasters oder darum, dass auch deutsche Kunden so großzügig entschädigt werden wie getäuschte US-Käufer. Hier will die Politik die Managergehälter „deckeln“. Nun sind diese tatsächlich obszön überhöht; bei VW verdienen Manager bis zum 141-Fachen des Durchschnittslohns, so eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung im Jahr 2016. Das ist trotz der vergleichsweise hohen Durchschnittslöhne skandalös. Vergleichbare, privatwirtschaftlich freiere Mitbewerber wie Daimler und BMW, haben deutlich geringere Werte. Gefolgt wird Volkswagen übrigens vom ehemaligen Staatskonzern Deutsche Post.

Allerdings ist VW auch etwas Besonderes: Das Land Niedersachsen ist Hauptaktionär und stellt in Person des Ministerpräsidenten Stephan Weil den Aufsichtsratsvorsitzenden. Von ihm, einem führenden Sozialdemokraten, war bislang nicht zu erfahren, was ihn dazu bewogen hat, einer bekennenden Sozialdemokratin im Vorstand für eine nur einjährige Tätigkeit 12 Millionen Euro Gehalt zu bewilligen. Braucht Stephan Weil ein Gesetz, weil er zu scheu ist, persönlich als mächtigster Mann im Unternehmen überzogenen Forderungen entgegenzutreten?

VW ist kein Einzelfall. Die deutschen Großunternehmen unterliegen dem Mitbestimmungsgesetz; danach ist die Hälfte der Sitze im Kontrollgremium Aufsichtsrat für Belegschaftsvertreter vorgesehen, die in der Regel von den führenden Gewerkschaften ausgeübt werden. Faktisch verfügen IG Metall und die Chemiegewerkschaft über den weitreichendsten Einblick in die Chefetagen der Dax-Konzerne.

Schaden an der Sozialen Marktwirtschaft

Eigentlich sorgt die Soziale Marktwirtschaft für den Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Dafür müssen diese sich aber offen und klar gegenüberstehen, damit dann ebenso offen ein Kompromiss gefunden werden kann. Die Interessen von Unternehmenseignern, Mitarbeitern, Gewerkschaften und Staat sind zunächst klar getrennt. Die zunehmende Vermischung hat wenig mit Marktwirtschaft und Kapitalismus zu tun, sondern mit Korporatismus – einer schwer zu durchschauenden Gemengelage zwischen großen Interessengruppen und dem Staat.

Ihr undurchschaubares Zusammenwirken und die offenkundige Bereicherung aus nicht nachvollziehbaren Gründen einzelner Beteiligter schadet der Sozialen Marktwirtschaft, die tatsächlich ein Erfolgsmodell ist. Leider kann man Wahlkampfgetöse nicht nur resigniert und mit der Achsel zuckend ignorieren: Im Wahlkampf wird eben doch vorbereitet, was danach Wirklichkeit wird.

Roland Tichy ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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