Ernst Ulrich von Weizsäcker plädiert für eine auf lange Zeiträume angelegte, regelgebundene Verteuerung der Klimaschädigung, etwa eine Treibhausgas-Steuer. So ist eine Synergie zwischen Klimaschutz und Kapitalismus möglich.

Die Umweltpolitik nahm ihren ernsthaften Anfang in den 1960er-Jahren. Schon im Dezember 1952 erlebte London die Smog-Katastrophe mit Sichtweiten von weniger als einem Meter und Tausenden von Todesopfern. Die Hauptursache war das Verbrennen billiger, schwefelhaltiger Braunkohle in den Heizöfen der Wohnungen. Es dauerte vier Jahre, bis der Clean Air Act den Haushalten und der Industrie scharfe Beschränkungen auferlegte.

Das war nur das Vorspiel. 1962 veröffentlichte die amerikanische Biologin Rachel Carson das Buch „Der stumme Frühling“, in dem insbesondere Pestizide und Herbizide als Verursacher flächendeckender Zerstörung von Kleintieren, Pflanzen und dann auch Vögeln und Vierbeinern ausgemacht wurden.

Das Buch war ein Weckruf. Auf einmal wurden auch die Luftqualität in Pittsburgh oder Los Angeles, das buchstäbliche Brennen der Oberfläche des Flusses Cuyahoga im Staat Ohio und die entsetzliche Abfallsituation in den Großstädten zum Politikum in den USA. Gleichzeitig gab es in Japan Schwermetallvergiftungen, am bekanntesten die durch Quecksilber ausgelöste Minamata-Krankheit, und dann noch die enorme Luftverschmutzung in den Großräumen von Tokio und Osaka. In Deutschland waren die Luftverschmutzung im Ruhrgebiet und das vergiftete Rheinwasser die spürbarsten Umweltprobleme.

Überall, wo die Umwelt sichtbar krank war, gingen Menschen zu Tausenden auf die Straße und verlangten Verbote oder zumindest Grenzwerte für die Gifte. Und die Politik reagierte genau so: durch Verbote (etwa des Insektizids DDT) und die Festlegung von Grenzwerten und Qualitätsstandards.

Ordnungspolitik für die Umwelt

Diese frühe Umweltpolitik war „Ordnungspolitik“. Die Industrie musste folgen und tat dies überraschend erfolgreich: durch Filtern von Abluft und Abwasser, Ausmustern persistenter Gifte, Erfinden von sauberen Verfahren. In Deutschland entstand eine regelrechte Umweltindustrie, deren Produkte und Leistungen zu einem lukrativen Exportschlager wurden. Für Industrie, Landwirtschaft und Handel wurde die Befolgung der Umweltgesetze jedoch auch zu einem erheblichen Kostenfaktor. Das rief die akademische Ökonomie auf den Plan. Die „Umweltökonomie“ suchte nach Möglichkeiten, das Preis-Leistungs-Verhältnis zu verbessern.

Zum Lieblingsthema wurden „ökonomische Instrumente“, die die saubere Produktion von vornherein kostengünstiger machen würden als die ständige Kontrolle von Abgasen, Abwässern, Abfällen und Produkten. Als ideal wurden handelbare Emissionslizenzen entworfen und angepriesen. Bloß merkte man bald, dass auch diese nicht ohne Kontrolle der tatsächlichen Emissionen auskamen. Eine dritte Option waren freiwillige oder rechtlich gebotene Umweltkennzeichnungen, etwa der „Blaue Engel“ und zahlreiche Labels der Energieeffizienz, der ökologischen Landwirtschaft und der ökologischen Fußabdrücke. Auch hier fallen Kontrollkosten an, aber eher geringe.

In der Tat hatten die armen Länder nicht das Geld, um sich den teuren Umweltschutz leisten zu können. Also war das erklärte Ziel der Entwicklungsländer Wohlstand durch Industrialisierung.

In den 1960er- und 1970er-Jahren erlebte die westliche Welt einen systemkritischen Aufbruch, oft mit dem Stichwort der Studentenrevolte assoziiert. Es war nicht unüblich, dass sich Umweltschützer mit politisch linken Kritikern verbündeten, die „die geldgierige Industrie“ oder „den Kapitalismus“ als Verursacher der Umweltkrise anprangerten. Gleichzeitig geisterte das verführerische Schlagwort der damaligen indischen Ministerpräsidentin Indira Gandhi durch die Welt: „Poverty is the biggest polluter.“

In der Tat hatten die armen Länder nicht das Geld, um sich den teuren Umweltschutz leisten zu können. Also war das erklärte Ziel der Entwicklungsländer Wohlstand durch Industrialisierung. Und die marktwirtschaftlich organisierten Länder waren sowohl in der Industrialisierung wie in der Entwicklung sauberer Technologien viel erfolgreicher als die staatswirtschaftlich organisierten. Insofern brach die frühe ökologische Kapitalismuskritik in sich zusammen.

Aber es folgte eine zweite Phase der Umweltbesorgnis, in welcher sich die Frage ganz anders stellte als in der ersten. Die zweite Phase basierte auf dem Schlagwort der Grenzen des Wachstums, aufgebracht 1972 durch den Club of Rome mit seinem gleichnamigen Buch.

„Die Grenzen des Wachstums“

Allerdings war für die Entwicklungsländer schon dieser Ausdruck extrem unpopulär. Und die Energiekrise nach 1973 führte der ganzen Welt vor Augen, dass wirtschaftliche Stagnation doch noch ein Stück unerfreulicher war als die vage Furcht vor einer Erschöpfung der irdischen Rohstoffe. Der Club of Rome geriet nach den politischen Siegen von Margaret Thatcher und Ronald Reagan ins Abseits.

Das war die Sachlage, bis ab 1985 ein neuer Dämon auftauchte, der die Grenzen des Wachstums schlagartig wieder glaubwürdig machte: die Gefahr der globalen Erwärmung. Jetzt kam der Kapitalismus wieder auf die Anklagebank, gerade weil er bezüglich des mit der CO2-Steigerung verknüpften ökonomischen Wachstums so erfolgreich war. Hieraus entwickelt sich zwangsläufig die Frage, ob das marktwirtschaftliche System auch klimafreundlich werden kann, so wie es bewiesen hatte, dass es die Verschmutzung der 1960er überwinden konnte.

Die erste Antwort ist negativ. Der globalisierte Kapitalismus, wie er sich besonders nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nach 1990 entwickelt hatte, wurde immer mehr ein Finanzkapitalismus. Die Finanzmärkte fingen an, die Realwirtschaft zu dominieren. Die Steigerung der Kapitalrendite wurde zum gnadenlosen Imperativ für die Geschäftswelt.

Die Kapitalrendite profitierte von globalen Zuliefererketten. Die Transportintensität der Wirtschaft nahm rasant zu. Der Flugverkehr wurde zu einem der großen Verursacher von Treibhausgasen: nicht nur CO2, sondern auch Wasserdampf und Stickoxide (NOx). Ferner profitiert die Kapitalrendite von Skaleneffekten. Wenn ein Gut millionenfach verkauft wird, ist es pro Stück entscheidend billiger, als wenn es nur tausendfach verkauft wird. Und Produzenten und Händler können entsprechend höhere Gewinne abgreifen. Also hat der Investor riesiges Interesse an hohen Stückzahlen.

Klimafreundlicher Kapitalismus

Die zweite Antwort fällt besser aus. Wenn die Emission von Treibhausgasen einen politisch beschlossenen Preis auferlegt bekommt, hat der Geldgeber ein Interesse daran, die Emissionen zu vermindern, also zum Beispiel von Kohleverbrennung auf erneuerbare Energien umzusteigen. Und die Erhöhung der Energieeffizienz sowie der Rohstoffrückführung (Kreislaufwirtschaft) kann ebenfalls die Kapitalrendite verbessern.

Für die Vertreter der Marktwirtschaftslehre ergibt sich daraus die Aufforderung, politische Maßnahmen zu entwickeln, die einen klimafreundlichen Kapitalismus schnell verwirklichen. Es muss darauf geachtet werden, dass die in einem Land eingeführten Maßnahmen keine oder nur geringe negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Produktion im betreffenden Land haben.

Eine Maßnahme halte ich persönlich für die attraktivste: die auf lange Zeiträume angelegte, aber jährlich nur geringfügige Verteuerung der Klimaschädigung. Investoren würden es zu schätzen wissen, dass sie auf Jahrzehnte hinaus kalkulieren könnten, ab wann sich eine Dekarbonisierungsmaßnahme rentiert. Das Land oder die Region (zum Beispiel die Europäische Union), wo ein solches Anreizsystem etabliert wird, würde zum Magneten für Investoren in klimafreundliche Innovationen. Dann würden sich Klimaschutz und Kapitalismus synergistisch ergänzen.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Ehrenpräsident des Club of Rome und Honorarprofessor an der Universität Freiburg.


Dieser Beitrag ist zuerst im Heft „Wohlstand für Alle – Klimaschutz und Marktwirtschaft“ aus dem Jahr 2020 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

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