Wie lässt sich der Fortschritt mit der Bewahrung der Schöpfung vereinbaren? Dieser Frage geht Wolfgang Ockenfels nach. Sozialer Verantwortungsethik entspricht dabei die Abwägungsregel: Sind die Folgen technischer Innovationen besser oder schlimmer als die Folgen ihrer Unterlassung?

Anfang der 1970er-Jahre, als der Club of Rome auf die „Grenzen des Wachstums“ aufmerksam machte, meldeten sich verstärkt auch christliche und sogar päpstliche Stimmen, welche die mit der Industrialisierung verbundene Ausbeutung und Schädigung der Natur beklagten. Ein Thema, das sich mit der „Bewahrung der Schöpfung“ auch den konservativen Parteien anbot, die es jedoch den grün-ideologischen Kräften überließen, es auszuschlachten.

Seitdem stellte sich den Christen beider Konfessionen die Frage, wie sich Fortschritt mit der Bewahrung der Schöpfung vereinbaren ließe? Die Hauptfrage war, wie weit menschliche Eingriffe in die Natur, die als göttliche Schöpfung verstanden wurde, erlaubt sind. Durch die Gentechnik war es ja sogar möglich geworden, neue Lebewesen zu konstruieren.

Die biblischen Schöpfungsberichte des Alten Testaments, denen sich die des Neuen anzupassen haben, lassen zwei Perspektiven erkennen: In Genesis 1,28, dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht, heißt es „Macht euch die Erde untertan“; dagegen lautet es im jahwistischen Bericht von Genesis 2,15, dass man die Erde „bebauen und bewahren“ solle. Beide Linien müssen von Christen beachtet werden, auch wenn sie widersprüchlich erscheinen.

Gott ist ein menschenbezogener Gott, der den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat. Die Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf weist auf ein Merkmal hin, das der Mensch mit allem Geschaffenen teilt: die Mitgeschöpflichkeit. Die Ähnlichkeit allen Seins mit Gott gebietet dem Menschen Ehrfurcht vor der Schöpfung. Dem Menschen sind Grenzen gesetzt, er ist Kreatur und damit zur Bescheidenheit aufgerufen.

Abwägung mit Zukunftsblick

Was bleibt verbindlich für Christen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik? Es sind vor allem jene Grundwerte und Sozialprinzipien, die sich aus dem christlichen Menschenbild ergeben, dabei aber keineswegs exklusiv christlich sind: Personalität und Menschenwürde, Menschenrechte und entsprechende Pflichten, Gemeinwohl und Gerechtigkeit, Liebe und Solidarität, Freiheit und Subsidiarität. Diese Werte und Prinzipien sind integriert in eine göttliche Schöpfungsordnung, in der auch die Verantwortung für die Umwelt verankert ist.

Im Neuen Testament finden sich nur wenige Anhaltspunkte für Umweltschutz, die über die des Alten hinausgehen. Als theologischer Referenzpunkt wird in jüdisch-christlicher Tradition aber auf den Schöpfungsbericht verwiesen. Damit wird eine christliche Partei durch die Schöpfungstheologie motiviert, die Natur als Gottes Schöpfung zu bewahren, ohne sie pantheistisch zu verklären oder zu divinisieren.

Der ökologische Streit entwickelt sich zu einem Streit um die richtige Technik. Sein Ausgang hängt auch davon ab, ob es sozialethische Maßstäbe gibt, die der technischen Entwicklung Sinn geben, ihr aber auch Grenzen setzen. Konkret geht es um Fragen der Güter- und Übelabwägung, also um eine soziale Verantwortungsethik. Die Regel lautet, dass wir uns für das geringere Übel entscheiden sollen: Ist die zu erwartende Nebenfolge einer technischen Innovation weniger schlimm als die Folge bei Unterlassung? Diese Abwägungsregel klingt leicht – ihre Anwendung in der Realität ist schwer. Sie setzt einen Blick in die Zukunft voraus. Wir können aber nie wissen, was die Zukunft bringen wird, etwa an weiteren technischen Erfindungen.

Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels ist Vorsitzender des Instituts für Gesellschaftswissenschaften Walberberg in Bonn. Er ist Mitglied der Ludwig-Erhard- Stiftung.


Dieser Beitrag ist zuerst im Heft „Wohlstand für Alle – Klimaschutz und Marktwirtschaft“ aus dem Jahr 2020 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

DRUCKEN
DRUCKEN