Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, wirtschaftliche Chancen und soziale Teilhabe gehören zusammen. Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ist nach Ursula Heinen-Esser offen genug, unvermeidliche Zielkonflikte in Einklang zu bringen.

Die Soziale Marktwirtschaft setzt seit Jahrzehnten den Ordnungsrahmen für eine erfolgreiche Wirtschaft, in der die Kräfte verantwortlich handeln können. Gepaart mit dem Ziel der Bewahrung der Schöpfung – Kern unseres politischen Auftrags –, ist es vor allem in den 1970er- bis 1990er-Jahren gelungen, mithilfe von ordnungspolitischen Maßnahmen gravierende Umweltschäden zu beseitigen. Heute ist der Himmel über der Ruhr wieder blau, saurer Regen kein Thema mehr, und der Rhein ein Refugium für bedrohte Fischarten.

Derzeit haben wir es mit qualitativ anderen ökologischen Herausforderungen zu tun. Die Veränderungen des Klimas und der Artenverlust stehen für diese neue Dimension. Gemeinsam ist diesen Umweltproblemen, dass sie sehr schnell eskalieren. Wir haben Schnelligkeit, Intensität und Beständigkeit bei der Änderung des Klimas unterschätzt – die letzten Dürresommer sind der Beleg, dass es nicht bei schmelzenden Eisbergen und tauenden Permafrostböden bleibt.

Die Antworten darauf stellen uns vor große wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufgaben. Es ist nicht mehr mit nachsorgendem Umweltschutz in Form von Abwasser- und Abgasreinigung getan. Gebraucht werden strukturelle Veränderungen und komplexe Lösungsansätze – letztendlich ein fundamentaler Wandel von Technologien, Wirtschaftsweisen und Märkten. Es gibt hierzu einen deutlichen gesellschaftlichen Willen: Viele Menschen haben verstanden, dass wir die Kosten unserer Lebens- und Wirtschaftsweise nicht auf zukünftige Generationen abwälzen können.

Umweltschutz treibt Innovation

In vielen Bereichen ist die Wirtschaft weiter als die Politik: Engagierte Unternehmer gehen über gesetzliche Standards hinaus und begreifen diese Investitionen als Wettbewerbsvorteile. In NRW hat sich ein Global Player der Stahlerzeugung zur klimaneutralen Herstellung bis 2050 verpflichtet; einer der umsatzstärksten Stromerzeuger Deutschlands stellt sich bei den regenerativen Energien neu auf. Dies zeigt: Erfolgreicher Klimaschutz und ein starker Wirtschaftsstandort können so verbunden werden, dass sie den Herausforderungen von Energiewende und Klimawandel genügen. Umweltwirtschaftsprodukte und -dienstleistungen sind am Markt wirtschaftlich erfolgreich. Umweltschutz rechnet sich und ist Innovationstreiber. Unterstützt durch eine Landesstrategie und öffentliche Förderung ist NRW zum bundesweit größten Anbieter in der Umweltwirtschaft geworden.

Das Ziel einer nachhaltigeren Lebens- und Wirtschaftsweise verlangt echte Nachhaltigkeitspolitik auf Bundesebene, die sich über die Länder in die Kreise und Städte hineinziehen muss – zusammen mit einer neuen Integration von Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Dreiklang aus dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, wirtschaftlichen Chancen und sozialer Teilhabe gehört zusammen. Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ist offen genug, die unvermeidlichen Zielkonflikte in Einklang zu bringen, muss aber nachhaltiger werden, um zukunftsfähig zu bleiben.

Vertikale Integration von Nachhaltigkeitspolitik findet ihren Ausdruck beispielsweise in der Verankerung grüner Stadtentwicklung in Richtlinien und Satzungen auf Landes- und kommunaler Ebene. Grüne Infrastruktur – von blühenden Vorgärten über begrünte Flachdächer und Fassaden bis hin zu Freiflächen und Parks – sorgt im Klimawandel für zusätzliche Kühlung überhitzter Innenstädte und dient als Lebensraum für Insekten. Das globale Phänomen des Insektenrückgangs zeigt, dass es nicht die eine Maßnahme in der Umweltpolitik gibt. Es ist notwendig, an vielen Schaltstellen anzusetzen. Eine Biodiversitätsstrategie auf Landesebene enthält daher genauso die Förderung einer die Artenvielfalt unterstützenden Landbewirtschaftung wie Naturschutzmaßnahmen im Wald und ökologisches Grünflächenmanagement auf kommunaler Ebene. Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist eine zentrale Herausforderung unseres Jahrhunderts, vergleichbar mit dem Klimaschutz.

Langfristig aus Verantwortung

Die klimatischen Veränderungen haben unmittelbare Auswirkungen in der Land- und Forstwirtschaft. In der Forstwirtschaft – übrigens dem Sektor, in dem der Nachhaltigkeitsbegriff entstanden ist – wurde durch Trockenheit und Schädlingsbefall in einem Sommer vieles vernichtet, was für Generationen gepflanzt war. Ein breit aufgestellter Wirtschaftszweig, der gerade in ländlichen, oft strukturschwachen Regionen Wertschöpfung ermöglicht, ist durch die Folgen des Klimawandels gefährdet. Diese Gefahr bedroht nicht nur Artenvielfalt, Klimaschutz und mit der Forstwirtschaft verbundene Existenzen, sondern zunehmend auch Leib und Leben – das haben großflächige Waldbrände im Frühjahr deutlich gemacht.

Verantwortungsvolle Politik bedeutet, langfristig zu denken. Für die Zukunft des Waldes bedeutet dies konkret: Auf Länderebene müssen wir durch strategische Planung und finanzielle Förderung die Weichen so stellen, dass mit der Wiederbewaldung der verlorenen Flächen ein klimastabiler Mischwald entsteht, der weniger gefährdet durch Dürre, Schädlinge und Waldbrände ist. Ziel sind Wälder, die ökologisch und klimatisch wertvoll sind, aber auch forstwirtschaftlich genutzt werden können.

Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist eine zentrale Herausforderung unseres Jahrhunderts, vergleichbar mit dem Klimaschutz.

Am Beispiel landwirtschaftlicher Produkte sieht man, dass der Markt nicht alles zum Guten regelt. Die Wertschätzung von Landwirten und ihren Produkten ist verloren gegangen, weil die Mittel zum Leben verramscht werden. Das Dreiecksverhältnis Erzeuger–Handel–Verbraucher ist aus den Fugen geraten: Landwirte werden als Umweltzerstörer diffamiert und leiden unter niedrigen Erzeugerpreisen, der Handel klagt über niedrige Margen, der Verbraucher will mehr Umweltschutz im Essen, dafür aber möglichst nicht mehr bezahlen – in der jetzigen Situation scheint es nur Verlierer zu geben. Es ist Zeit für ein Umdenken.

Einmalige Gelegenheit

In einer Marktwirtschaft ist es Aufgabe der Politik, einen verlässlichen Handlungsrahmen zu setzen. Planungssicherheit ist Grundbedingung für erfolgreiches Handeln. Dazu gehört, einer Landwirtschaft im Umbruch eine wirtschaftliche Perspektive für ihre Betriebe aufzuzeigen. In NRW haben wir im Dialog mit den Landwirten eine Strategie für nachhaltige Nutztierhaltung entworfen, die tier- und umweltgerecht, aber auch ökonomisch und sozial fair ist. Unabdingbar für ein anständiges Miteinander in der Lebensmittelkette ist ein Preis, der auch die Kosten für Umwelt und Tierwohl abbildet. Dazu gehört die Transparenz der Bedingungen, unter denen unser Essen erzeugt wurde. Nur so kann mehr Wertschätzung unserer Nahrung und ihrer Erzeuger erreicht werden – im Übrigen eine der wenigen positiven Begleiterscheinungen der aktuellen Corona-Krise.

Durch die unmittelbare persönliche Bedrohung der Pandemie ist die Sicherung unserer natürlichen Ressourcen in den Hintergrund geraten. Covid-19 hat jedoch die planetaren Belastungsgrenzen nicht verschoben, sondern im Gegenteil nahegelegt, dass eine weitgehend intakte Umwelt – im konkreten Fall eine geringe Luftverschmutzung – als Vorsorge dient und zur Widerstandsfähigkeit gegenüber solchen Krisen beitragen kann.

Es gibt jetzt die einmalige Gelegenheit, beides zu verbinden: Konjunkturprogramme können durch gezielte Förderung jene Kraft wirtschaftlich-technischen Fortschritts mobilisieren, die in der Marktwirtschaft liegt. Bei großen strukturellen Brüchen liegen die Lösungen im Ausschöpfen des Potenzials in Forschung und Entwicklung. Gerade die innovativen Produkte und Dienstleistungen einer umwelt- und klimafreundlichen Wirtschaft schaffen zukunftssichere und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und ermöglichen dadurch nachhaltiges Wirtschaftswachstum – und legen damit für Staat und Gesellschaft das Fundament für die Bewältigung von Krisen in der Zukunft.

Ursula Heinen-Esser ist Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung.


Dieser Beitrag ist zuerst im Heft „Wohlstand für Alle – Klimaschutz und Marktwirtschaft“ aus dem Jahr 2020 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

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