Will die europäische Klimapolitik zur Eindämmung des globalen Klimawandels beitragen, so muss sie erstens als Vorbild bei der Emissionsreduktion wirken und sich zweitens um ein weltweit koordiniertes Vorgehen bemühen, so Christoph M. Schmidt.

Im Jahr 2019 erlebten Deutschland und die Europäische Union (EU) eine intensive Debatte über eine Neuorientierung der Klimapolitik, ausgelöst nicht zuletzt durch die in vielen Ländern vorgebrachten Proteste junger Menschen. Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Juli 2019 auf Bitte der Bundesregierung Reformoptionen der nationalen Klimapolitik vorgelegt und ihre Einbettung in die globale Klimapolitik diskutiert.

Der Klimawandel ist ein globales Phänomen, das die biologische Vielfalt und die Landwirtschaft vielerorts massiv zu beeinträchtigen droht und dessen wirtschaftliche Kosten manche Volkswirtschaften überfordern dürften. Die Berechnungen aus Klimamodellen verdeutlichen diese Herausforderung. Bei aller Unsicherheit ist die Botschaft eindeutig: Werden über die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens getroffenen Zusagen der Regierungen zum Klimaschutz hinaus keine weiteren Maßnahmen ergriffen, könnte sich die globale Oberflächentemperatur im Vergleich zum vorindustriellen Niveau bis zum Jahr 2100 um 2,7 bis 3,0 Grad erwärmen.

Um die Erwärmung unter zwei Grad zu halten, dürfte Schätzungen zufolge global insgesamt nur noch ein Volumen an Netto-Emissionen ausgestoßen werden, was gemessen an den Emissionen im Jahr 2018 spätestens bis zur Jahrhundertmitte völlig ausgereizt wäre. Da die Emissionen zudem nur schrittweise reduziert werden können, müssen die Netto-Emissionen selbst im günstigsten Fall spätestens ab dem Jahr 2070 nahe null sein („Klimaneutralität“).

Je stärker die Rückführung ist, umso mehr Ressourcen sind in der Gegenwart dafür aufzuwenden. Diese sind gegen die nur mit hoher Unsicherheit abzuschätzenden Kosten des Klimawandels aufzurechnen. Aktuelle Schätzungen legen nahe, dass eine Erwärmung um zwei bis maximal drei Grad das Niveau der Wirtschaftsleistung um bis zu rund vier Prozent vermindern dürfte; bei drei bis maximal vier Grad wären es bis zu rund 18 Prozent. Allerdings könnte es aufgrund von Nicht-Linearitäten und Kipp-Punkten zu sich gegenseitig verstärkenden Effekten und somit noch weit höheren Kosten kommen.

Der Einsatz von ökonomischen Ressourcen zur Abwendung des Klimawandels ist somit als eine Art Versicherung gegen katastrophale Ereignisse einzuordnen. Den weiteren Temperaturanstieg vollständig zu verhindern, dürfte ohnehin keine realistische Option darstellen. Die Anpassung an seine negativen Folgen sollte daher zwar Teil jeder nationalen klimapolitischen Strategie sein. Gleichzeitig sollte die Weltgemeinschaft jedoch den Klimawandel durch eine koordinierte Anstrengung zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen abschwächen, um so die Kosten dieser Anstrengung für alle zu vermindern.

Potenziale und Grenzen

Um die Erderwärmung wirksam zu begrenzen, müssen unbedingt die globalen Treibhausgas-Emissionen zurückgeführt werden. Doch der mögliche Beitrag, den Deutschland und die EU dazu aus eigener Kraft leisten können, ist begrenzt: Im Jahr 2016 war Deutschland lediglich für 2,3 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, die EU für 10,5 Prozent. Daher könnte die Reduktion der eigenen Emissionen nicht nur den Klimawandel nicht allein aufhalten, sondern auch andere verleiten, in ihren eigenen Bemühungen nachzulassen. Dieses Trittbrettfahrerproblem ist durchaus real: Denn jeder Staat trägt die vollen Kosten seiner Anstrengungen, deren Vorteile alle anderen Staaten umsonst genießen.

Ohne eine Strategie zur verbindlichen Aushandlung koordinierter globaler Anstrengungen besteht also die Gefahr, dass insgesamt unzureichende Anstrengungen unternommen werden. Letztlich sollte der anzustrebende Fixpunkt dieser Strategie die Verabredung zu einer international einheitlichen Bepreisung von Treibhausgasen sein – über alle Regionen, Sektoren und Emittenten hinweg. So ließe sich das ökonomische Prinzip der Arbeitsteilung verwirklichen, um die globalen volkswirtschaftlichen Kosten der Transformation möglichst gering zu halten: Die jeweils nächste Einheit Treibhausgas-Emission sollte dort eingespart werden, wo dies nach dem aktuellen Stand am günstigsten möglich ist – unabhängig davon, wo die Emission entsteht und wer der Emittent ist.

Will die deutsche und europäische Klimapolitik wirksam zur Eindämmung des globalen Klimawandels beitragen, muss sie auf zwei Ebenen Fortschritte erzielen: Erstens muss sie selbst als Vorbild bei der Emissionsreduktion wirken. Dies kann gelingen, indem sie die international vereinbarten Ziele für die Emissionsreduktion (i) volkswirtschaftlich effizient, (ii) ohne gesellschaftliche Verwerfungen und (iii) ohne erhebliche Verluste bei der Wettbewerbsfähigkeit erreicht. Da in der EU die Emissionen der Sektoren Energie und Industrie bereits weitgehend vom EU-Emissionshandel (EU-ETS) erfasst sind, unterliegen diese in allen Mitgliedstaaten einem einheitlichen Preis, und es gibt keine nationalen Zielvorgaben. Mittelfristig gilt es, den EU-ETS auf alle anderen Sektoren in allen Mitgliedstaaten auszuweiten und so die getrennte Betrachtung einzelner Sektoren zu überwinden.

Die jeweils nächste Einheit Treibhausgas-Emission sollte dort eingespart werden, wo dies nach dem aktuellen Stand am günstigsten möglich ist – unabhängig davon, wo die Emission entsteht und wer der Emittent ist.

Kurzfristig sollte eine Übergangslösung umgesetzt werden, etwa ein separater Emissionshandel für Wärme und Verkehr, der aber so schnell wie möglich in einen voll integrierten Emissionshandel münden sollte. Gleichzeitig sollte mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit die Verlagerung von Emissionen ins Ausland vermieden werden, etwa durch einen Grenzausgleich. Die vollständige Rückführung der Einnahmen sollte zudem für eine sozial ausgewogene Transformation sorgen.

Auf diese Weise als Vorbild zu wirken, ist zum einen deshalb eine gute Strategie, weil sie die Ernsthaftigkeit der getroffenen Vereinbarungen sichtbar unterstreicht. Zum anderen dürfte der Umstand, dass es selbst einer hoch entwickelten und bislang fossile Energieträger intensiv nutzenden Volkswirtschaft wie der europäischen gelingen kann, die Ziele wirtschaftlich effizient und ohne größere gesellschaftliche Verwerfungen zu erreichen, ermutigend wirken. Bislang hat die deutsche Politik diese positive Wirkung nicht hinreichend beachtet.

Zweitens muss sich die Politik ernsthaft um ein weltweit koordiniertes Vorgehen bemühen. Dabei würden die Möglichkeiten zur Durchsetzung eines weltweit einheitlichen CO2-Preises sogar eher gemindert, wenn Europa statt einer Vorbild- eine Vorreiterrolle einnähme. Als Vorreiter würde man sich mit einer ehrgeizigeren Rückführung der Emissionen positionieren, als bisher vereinbart wurde. Mit dieser Strategie würde sich zwar die Hoffnung verbinden, andere Staaten ließen sich zu größeren Vermeidungsanstrengungen mitreißen. Doch die Forschung zu strategischem Verhalten in Verhandlungen legt den Schluss nahe, dass ein solches Vorpreschen nicht nur wirkungslos bliebe, sondern stattdessen die Neigung zum Trittbrettfahrerverhalten befördern könnte.

Eine Vorreiterrolle würde somit lediglich zu hohen Kosten führen, ohne damit entscheidende Verbesserungen des Weltklimas zu erreichen. Aussichtsreicher wäre es für die EU, die eigene Glaubwürdigkeit durch den Einsatz wirtschaftlich effizienter Instrumente, also eine Vorbildfunktion, zu festigen. Zudem sollte sie versuchen, dem Prinzip der Reziprozität folgend im Gegenzug zu eigenen verbindlichen Zusagen eine stärkere Kooperation der Verhandlungspartner zu erreichen. Dies wird nicht gelingen, ohne eine Lösung für die internationale Verteilung der globalen Kosten der Transformation zu finden, etwa durch umfangreiche Transfers über einen Klimafonds.

Ich bedanke mich für hilfreiche Kommentare bei Wolf Reuter.

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Bis Februar 2020 war er Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.


Dieser Beitrag ist zuerst im Heft „Wohlstand für Alle – Klimaschutz und Marktwirtschaft“ aus dem Jahr 2020 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

DRUCKEN
DRUCKEN