Die US-Notenbank will ihre geldpolitische Strategie ändern: Die Ziele Preisstabilität und Vollbeschäftigung werden neu definiert. Die Europäische Zentralbank sollte dem nicht folgen, denn der beabsichtigte Strategiewechsel sei in mehrfacher Hinsicht problematisch, so Dietrich Schönwitz.

Angesichts geänderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen mit Preissteigerungsraten unter zwei Prozent und niedrigen, teilweise sogar negativen Zinssätzen haben sowohl die US-Federal Reserve Bank (Fed) als auch die Europäische Zentralbank (EZB) eine Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie angekündigt. Während die Überlegungen bei der EZB noch anhalten, wurden für die Fed die Ergebnisse von Jerome Powell, ihrem Präsidenten, anlässlich der internationalen Notenbankkonferenz der Federal Reserve Bank of Kansas City am 27. August 2020 in einem ausführlichen Referat, das Grundlage der folgenden Ausführungen ist, vorgestellt (federalreserve.gov). Aufgrund der Bedeutung der Fed könnten sie Modellcharakter für die EZB und andere Notenbanken haben.

Modifikation des Beschäftigungsziels

Die Fed hat im Gegensatz zur EZB traditionell eine duale Zielsetzung: Preisstabilität und Vollbeschäftigung. Das Beschäftigungsziel erfährt nunmehr eine Modifikation und wird nicht mehr als Arbeitsmarktauslastung im Sinne einer neutralen Wirkung auf die Preisstabilität interpretiert, sondern – ohne numerische Vorgabe – als Maximalauslastung der Beschäftigung. Begründet wird die Änderung mit einem empirisch festgestellten flachen Verlauf der Phillips-Kurve, wonach trotz zunehmender Auslastung des Arbeitsmarktes keine Erhöhung der Preissteigerungsraten festzustellen war.

Die jahrzehntelange Diskussion um den Verlauf der Phillips-Kurve hat jedoch gezeigt, dass diese lediglich eine im Zeitablauf veränderliche statistische Relation und keineswegs eine verlässliche, allgemein gültige Gesetzmäßigkeit wiedergibt. Als Grundlage einer dauerhaften geldpolitischen Strategie ist sie deswegen wenig geeignet. Mit dem Rückgriff auf einen flachen Verlauf ist somit Inflationspotenzial angelegt, wenn sich beim Anstreben der Maximalauslastung dennoch Preissteigerungstendenzen ergeben. In Volkswirtschaften mit gewerkschaftlicher Verhandlungsmacht und nicht vollkommener Wettbewerbsintensität auf den Dienstleistungs- und Gütermärkten ist dies, wie die historische Erfahrung zeigt, mit möglichen Lohn-Preis- oder Preis-Lohn-Spiralen nicht unwahrscheinlich.

Ordnungspolitische Problematik

Ordnungspolitisch problematisch ist, dass der Fed nunmehr eine höhere, direkte Verantwortung für das Beschäftigungsziel zugewiesen wird. Die Fed hatte zwar schon bisher, wie bereits erwähnt, eine duale Zielsetzung. Bislang lag der Fokus jedoch auf der Sicherung von Preisstabilität, mit der Vorgabe von zwei Prozent als Primärzielsetzung (inflation targeting). Bei der Ausrichtung auf eine im Hinblick auf das Primärziel neutrale Arbeitsmarktauslastung entsprach die Strategie der Fed im Ergebnis dem Auftrag der EZB in der Tradition der Deutschen Bundesbank, die nachrangig unter Wahrung ihres klaren geldpolitischen Mandats die allgemeine Wirtschaftspolitik zu unterstützen hat.

Preisstabilität ist nach dieser wirtschaftspolitischen Tradition das Fundament für angemessenes Wachstum und Beschäftigung. Die direkte Verantwortung zur Erreichung dieser realwirtschaftlichen Ziele wird anderen Politikbereichen zugeordnet, zum Beispiel der Gestaltung flexibler Arbeits- und Güter- sowie Dienstleistungsmärkte durch Wirtschaftsordnungs- und Wettbewerbspolitik.

Indem von der Fed Maximalbeschäftigung als bester Beitrag (key national goal) der Notenbank zum Zusammenhalt der US-Gesellschaft bezeichnet wird, rückt die realwirtschaftliche Beschäftigungszielsetzung hochrangig neben die monetäre Zielsetzung Preisstabilität. Monetäre und realwirtschaftliche Zuständigkeiten werden vermischt und damit ein eindeutig definiertes Mandat aufgegeben. Letztlich kann das dazu führen, dass bei reduziertem geldpolitischem Spielraum für Zinssenkungen inflationäre Entwicklungen in Kauf genommen werden, um gesellschaftspolitisch den Zusammenhalt zu fördern.

Flexibles Inflation Targeting

In diese Richtung weist auch die Neudefinition des Preisstabilitätsziels im Sinne eines flexiblen „inflation targeting“. Das Ziel soll nunmehr als Durchschnitt von zwei Prozent Preissteigerung „im Zeitablauf“ angestrebt werden. Dabei wird keine konkrete numerische Aussage gemacht, was mit „im Zeitablauf“ gemeint ist. Zeitweilige Überschreitungen der Zweiprozentnorm werden zugelassen, ja sogar angestrebt, um bei vorangegangenen Unterschreitungen den Durchschnitt von zwei Prozent zu erreichen.

Begründet wird dies damit, dass bei mehrperiodischer, später nicht kompensierter Unterschreitung des Zielwertes die Gefahr einer Abwärtsspirale und damit eines konjunkturellen Abschwungs mit zunehmender Arbeitslosigkeit bestehe. An dieser Stelle ist die Argumentation der Fed asymmetrisch, denn auf die Gefahr einer inflationären Aufwärtsspirale bei Überschreitung des Zielwertes, die – wie schon ausgeführt – bei Marktmacht durchaus besteht, wird nicht Bezug genommen. Vermutlich wirkt sich diesbezüglich der Glaube an eine flach verlaufende Phillips-Kurve aus.

Kritisch anzumerken ist zudem, dass trotz Lockerung des Preisstabilitätsziels eine Festlegung des Zeitraums, in dem Über- beziehungsweise Unterschreitungen zur Erreichung des Durchschnitts von zwei Prozent auszugleichen sind, nicht vorgenommen wird. Das trägt nicht zu einer gefestigten Erwartungsbildung an den Märkten bei und erinnert in der Unbestimmtheit der Kommunikation an die Zeiten des früheren Fed-Präsidenten Alan Greenspan.

Eindeutiges Mandat vorziehen

Der von der Fed beabsichtigte Strategiewechsel erweist sich somit in mehrfacher Hinsicht als problematisch. Angesichts der nicht mehr strikten Trennung von monetären und realwirtschaftlichen Zuständigkeiten der Notenbank zeigt sich eine Tendenz zur Überfrachtung mit Aufgabenzuweisungen, denen die Zentralbank entweder nicht oder nur um den Preis der Zulassung inflationärer Tendenzen gerecht werden kann.

Es gilt deshalb das Urteil, das Lars Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, in einem Interview mit Gabor Steingart am 1. September 2020 fällte (Steingarts Morning Briefing): Es bestehe kein Anlass, die Vorgehensweise der Fed in Europa zu kopieren. Die EZB solle ihr eindeutig definiertes Mandat nicht ändern.

Prof. Dr. Dietrich Schönwitz, Rektor der Hochschule der Deutschen Bundesbank i.R., war vormals wissenschaftlicher Mitarbeiter der Deutschen Monopolkommission.

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