Langsam beginnen die Boom-Jahre abzuflauen: Die Wirtschaftsforschungsinstitute reduzieren die erwarteten Wachstumsraten, der Bundesfinanzminister verkündet das Ende der sprudelnden Immer-noch-mehr-Steuereinnahmen: „Die fetten Jahre sind vorbei.“

Noch sind die Zeiten fett. Noch nie wurden so viele Lohnsteuerkarten gezählt: 45 Millionen Menschen sind derzeit in Deutschland beschäftigt. – Noch. Aber spürbar nehmen die Sorgen zu. Viele große Unternehmen entlassen Mitarbeiter: der Chemieriese Bayer, die Autokonzerne VW, Opel und Ford, Bosch, der Mittelständler Vorwerk. In keiner Pressemitteilung fehlt sinngemäß der Passus vom „sozialverträglichen Abbau“.

Aber was bedeutet „sozialverträglich“? Gemeint ist damit ein sanfter Abbau aus Sicht der Beschäftigten: Bei Kündigung durch den Arbeitnehmer wird dessen Stelle nicht mehr neu besetzt. Wer in Rente geht, wird nicht durch einen Jüngeren ersetzt; die Personalabteilungen werben für vorzeitigen Renteneintritt. Andere werden mit Vorruhestandsregelung und häufig hohen Abfindungen zur Aufgabe ihrer Jobs verführt.

Beschönigungsformel „sozialverträglich“

Das ist vorteilhaft für die Beschäftigten und soll nicht kritisiert werden, auch wenn es dann meist doch härter zugeht: Zeit- und Leiharbeiter werden gekündigt. Das ist ja aus Arbeitgebersicht Sinn dieser Beschäftigungsform: Soll die Leiharbeitsfirma sich um ihre Beschäftigten kümmern und sie notfalls aufs Amt schicken! Das wirkt dann nicht so spektakulär wie die Meldungen vom „Stellenabbau bei XY“. Für die Betroffenen ist diese Art der Sozialverträglichkeit dann schon nicht mehr „sozial“, sondern ein harter Bruch in der Erwerbsbiographie mit gravierenden Folgen und Einkommensverlusten. Das wohlklingende Wort „sozialverträglich“ wird zur Floskel, zur Beschönigungsformel.

Aber welche Form auch immer für den Einzelnen mehr oder weniger „sozialverträglich“ gefunden wird, so bleibt eine Tatsache bestehen: Die Jobs sind weg. Und mit den Jobs, die verschwinden, verdunsten Steuerzahlungen und Beitragsleistungen sowie Zukunftschancen für die Jüngeren. Die Einkommen der Arbeitsplatz-Verlierer werden nicht mehr von ihnen selbst erwirtschaftet, sondern von der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten, von der Renten- und Arbeitslosenversicherung geleistet. Die mehr oder weniger erzwungene Freizeit für die „sozialverträglich Abgebauten“ wird von denen finanziert, die noch arbeiten, und das sind zukünftig immer weniger.

Achtung Irrweg!

Noch ist Deutschland ein Beschäftigungs-Wunderland – auf den ersten Blick. Aber Tatsache ist, dass die meisten Jobs in Billigbranchen entstehen, bei Paketdiensten, vom Billig-Service bis zum Pizzadienst. Auch wenn jetzt der Mindestlohn erhöht wird – es braucht fünf solcher Billig-Jobs, um die Lohnsumme zu erwirtschaften, die in der bisherigen Hochleistungswirtschaft wie der Auto-, Chemie- oder Maschinenbauindustrie verdient wurden. Deutschland wird umgebaut: hin zum Billiglohnland – das aber sozialverträglich. Jedenfalls für die, die noch die Verträge von gestern haben.

Die Weichen sind dafür gestellt, dass sich das beschleunigt: Ungelernte Zuwanderer drängen auf den Arbeitsmarkt, viele hochbezahlte Arbeitsplätze wandern aus. Eigentlich sollte es anders herum gehen. Deutschland braucht wegen der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung Top-Jobs mit hohen Löhnen, damit die immer weniger werdenden Beschäftigten die Lasten der Altersversorgung tragen können. Die Politik wirkt genau in die andere Richtung: Sie erleichtert den angeblich sozialverträglichen Übergang in die altersbedingte Arbeitslosigkeit und den Ersatz gutbezahlter Top-Jobs durch Mindestlöhner. Beschäftigungsabbau und Umbau zum Niedriglohnsektor werden als „sozial“ dargestellt. Es ist ein Irrweg.

Da hilft ein Lehrsatz aus unserer jahrzehntelangen Erfahrung mit der Sozialen Marktwirtschaft: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Heute müsste man ergänzen: „Sozial ist, was hochwertige Arbeit mit entsprechend hohen Löhnen schafft.“ Darüber entscheiden aber weder ein Ministerium noch eine Mindestlohn-Kommission, sondern die Marktteilnehmer: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Produzenten und Verbraucher. Die Politik soll sie dabei nicht behindern.

Roland Tichy ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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