Wie sind die im Koalitionsvertrag formulierten Pläne der Großen Koalition nach den Erhard’schen Prinzipien von Freiheit und Verantwortung zu bewerten? Lesen Sie die Antwort von Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler.

Der Koalitionsvertrag der GroKo steht. Obwohl sich die Union gern auf die Tradition von Ludwig Erhard beruft und auch die Soziale Marktwirtschaft einige Male im Vertrag zwischen Union und SPD vorkommt, atmet die Einigung keinen marktwirtschaftlichen Geist. Es scheint als sei die Erhard’sche Achtung vor echtem Leistungswettbewerb abhandengekommen. Statt Leistungsbremsen im Steuersystem zu lösen, werden weiter teure Ausgabenprogramme aufgelegt.

Trotz aller parteipolitischen Querelen, die Startbedingungen für die neue Bundesregierung könnten wohl besser nicht sein. Die Staatskassen sind voll, die Beschäftigung ist hoch und die Wirtschaft brummt. Die Einnahmen des Gesamtstaates steigen von 735 Milliarden Euro im letzten Jahr auf voraussichtlich rund 858 Milliarden im Jahr 2021 – ein Plus von rund 120 Milliarden Euro.

Mehr als genug Geld also, um dringend nötige Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Gerade das deutsche Steuersystem hat aus ordnungspolitischer Sicht erhebliche Mängel. Die Bürger werden schon seit Jahren über Gebühr belastet. Nach Steuern, Abgaben und Quasi-Steuern (EEG, Rundfunkbeitrag) kommt weniger als die Hälfte bei den Bürgern an. Zudem bremsen der viel zu früh greifende Spitzensteuersatz und der Mittelstandsbau in der Einkommensteuer die Leistung der Bürger aus. Ein Ärgernis, das auch Ludwig Erhard umgetrieben hätte.

1958, als Ludwig Erhard Wirtschaftsminister war, wurde der Spitzensteuersatz bei rund dem 20-fachen des Durchschnitteinkommens fällig. Heute rutschen Arbeitnehmer schon bei dem 1,3-fachen des Durchschnittseinkommens in die Spitzenbesteuerung. Zahlten 2010 noch rund 2 Millionen Personen den Spitzensteuersatz, werden es im Jahr 2021 mehr als 5 Millionen sein. Auch sorgt der Mittelstandsbauch – der besonders steile Anstieg zu Beginn des Einkommensteuertarifs – dafür, dass gerade untere und mittlere Einkommen bei Gehaltsverbesserungen besonders stark belastet werden. Trotz Überstunden oder Gehaltserhöhungen kommt dann enttäuschend wenig im eigenen Portemonnaie an. Deutlich macht das der jüngste Tarifabschluss in der Metallindustrie Baden-Württemberg. Die 4,3 Prozent mehr Gehalt führen bei einem alleinstehenden Durchschnittsverdiener zu rund 8 Prozent mehr Steuern.

Daher war es richtig, dass SPD und Union im Wahlkampf Korrekturen in der Einkommensteuer versprochen haben. Am Ende hat nichts, aber auch gar nichts davon Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Das ist nicht nur ein Ärgernis für die vielen fleißigen Arbeitnehmer und Unternehmer, sondern untergräbt den Leistungswettbewerb, auf den auch unser Sozialstaat angewiesen ist.

Ähnlich enttäuschend ist das Ergebnis der Großkoalitionäre beim Solidaritätszuschlag. Angeblich soll der Soli für 90 Prozent der Soli-Zahler entfallen, woran ich noch nicht glaube. Fakt ist, der Soli wird dem Bund in dieser Legislaturperiode wohl Einnahmen von rund 80 Milliarden Euro bescheren. Die GroKo-Pläne, davon 10 Milliarden zurückzugeben, sind Augenwischerei. Denn die Steuerquote, also der Anteil der Steuern an der Wirtschaftsleistung, wird in den nächsten Jahren weiter steigen. Wenn immer mehr Geld durch den Staat verwaltet wird, greift das zunehmend in den Freiheits- und Verantwortungsbereich des Einzelnen ein.

Statt neuer Ausgabenprogramme gehört es eben auch zur Sozialen Marktwirtschaft, den Bürgern genug (finanzielle) Freiräume zu lassen. Integraler Bestandteil des Wohlstandsversprechens der Sozialen Marktwirtschaft war immer auch der Grundsatz, dass die Bürger zu einem Großteil die Früchte ihrer Arbeit behalten dürfen. Die GroKo-Vereinbarungen sind mit Blick auf die Steuer- und Finanzpolitik ungenügend. Nur mit deutlichen Reformen, die endlich die Leistungsbremse im Steuersystem lösen, wird „eine neue Dynamik für Deutschland“ entfesselt, wie es Union und SPD im Titel ihrer Vereinbarung versprechen.

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