Die derzeitige Flüchtlingskrise stellt Deutschland erneut vor große Herausforderungen. So wie nach dem Zweiten Weltkrieg die Millionen Vertriebenen, müssen nun die ankommenden Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft integriert werden. Damals gelang dies durch die konsequente Umsetzung von Ludwig Erhards Sozialer Marktwirtschaft. Frank Schäffler, Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung, plädiert auch in der aktuellen Situation für mehr Markt und schlägt umfassende Liberalisierungsschritte vor, damit Deutschland flexibler und schneller reagieren kann.

In der Flüchtlingsfrage gewinnt man zunehmend den Eindruck, dass nicht nur die Bundeskanzlerin überfordert ist, sondern der Staat und seine Institutionen insgesamt. Bei Letzterem ist das nicht verwunderlich, denn die Anzahl der Flüchtlinge und ihr plötzliches Auftreten in Deutschland sind in dieser Dimension einmalig. Doch die Überforderung staatlicher Institutionen wird weiter anhalten, denn mit der Erstaufnahme ist es auf Dauer ja nicht getan. Egal, wie die Bundesregierung jetzt auf europäischer Ebene handelt: die einladende Geste der Bundeskanzlerin, fernab jedes Rechtsbewusstseins, hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Deutschland steht als Wunschziel vieler Flüchtlinge an erster Stelle – wohl auch in absehbarer Zukunft.

Überforderung des Wohlfahrtsstaates?

Das wird den Wohlfahrtsstaat fordern, vielleicht sogar überfordern. Das muss nicht zum Nachteil sein, denn der aktuelle Druck auf das deutsche Wohlfahrtsstaatsmodell offenbart nur die wachsende Schwäche dieses Systems. Das Wohlfahrtsstaatsmodell will gesellschaftliche Herausforderungen mit noch mehr Staat lösen: mehr sozialer Wohnungsbau, mehr Arbeitsbeschaffungsprogramme und der Ausbau der Sozialindustrie. Diese absehbare Entwicklung wird das Land verändern – in die falsche Richtung. Denn die sozialen Brennpunkte in München, Berlin oder Frankfurt sind durch den sozialen Wohnungsbau erst entstanden. Dort wurde billiger Wohnraum mit staatlichen Subventionen und kommunalen Wohnungsunternehmen errichtet, deren Problem dann die Sozialindustrie – im wahrsten Sinne des Wortes – dauerhaft beschäftigt.

Doch eigentlich müsste jetzt das Gegenteil von Planwirtschaft gemacht werden: mehr Marktwirtschaft. Es braucht wieder einen Ordnungsrahmen, der die Initiative und die Kreativität des Einzelnen fördert und zulässt. Stattdessen steuert das Land mit einem planwirtschaftlichen Ansatz schnurstracks auf eine Staatsquote von bald 60 Prozent zu. Steuern werden dann auf breiter Front erhöht, das Verschuldungsverbot wird geschleift, und die Sozialversicherungen drohen zu bersten.

Chance für Deregulierung

Eigentlich sollte Deutschland die Herausforderungen als Chance begreifen, um den Staat, seine Allmachtsphantasien, seine Regelungsversessenheit, ja Regulierungssucht, zurückzudrängen. Stattdessen lassen die aktuell noch ökonomisch soliden Daten bei der Arbeitslosigkeit, bei der öffentlichen Verschuldung und bei den Einnahmen des Staates sämtliche Reformanstrengungen zum Erliegen kommen. Seit der kleinen und überschaubaren Liberalisierung der Fernbusse hat in Deutschland keine Liberalisierung und Marktöffnung mehr stattgefunden. Deutschland versinkt in Gefälligkeit und Lethargie.

Die hohe Zahl an Flüchtlingen in Deutschland sollte als Auslöser für eine ohnehin notwendige Rückbesinnung auf eine marktwirtschaftliche Ordnung und auf die Kraft des Einzelnen genutzt werden. Konkret heißt dies

– für den Wohnungsmarkt: Aufhebung der Mietpreisbremse, Senkung der Grunderwerbsteuer, Entbürokratisierung der Bauordnungen und Liberalisierung des Mietrechtes;

– für den Arbeitsmarkt: Aufhebung des gesetzlichen Mindestlohnes, Aufhebung des gesetzlichen Kündigungsschutzes nach Schweizer Vorbild, Anhebung der Verdienstgrenze für geringfügig Beschäftigte, Abschaffung des „Antidiskriminierungsgesetzes“, Abschaffung der Vorrangprüfung durch die Arbeitsagentur, Entrümpelung der Arbeitsstättenverordnung, Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes;

– für Existenzgründer: Zwangsmitgliedschaft in den Kammern beenden, Handwerksordnung liberalisieren, Personenbeförderungsrecht befreien und den Zugang zu den freien Berufen erleichtern;

– bei den Sozialversicherungen: flexibler Renteneintritt mit Zielalter 67, Selbstbeteiligung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Einführung des Kostenerstattungsprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung, Differenzierung in der Beitragserhebung bei der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Abschaffung des Gesundheitsfonds, Privatisierung der gesetzlichen Unfallversicherung;

– bei den Steuern: Solidaritätszuschlag abschaffen, Stufentarif in der Einkommensteuer einführen, Mehrwertsteuerreform durch Vereinheitlichung und generelle Absenkung des Mehrwertsteuersatzes, Abschaffung des Rundfunkbeitrages, Zinsbereinigung bei der Unternehmensteuer einführen;

– bei den öffentlichen Finanzen: Privatisierung von Staatsbeteiligungen, Abschaffung des Länderfinanzausgleichs, Ausgaben- und Einnahmenkongruenz auf Bundes-, Länder- und kommmunaler Ebene durch eigene Steuerhoheit und Hebesatzrecht auf der jeweiligen Ebene unterhalb des Bundes und eine abschließende Ausgabenverantwortung, Einführung eines Insolvenzrechts für Länder und Kommunen;

– bei der Mobilität: Wettbewerb auf der Schiene durch Trennung von Netz und Fahrbetrieb, Privatfinanzierung von Straßenneubauten, Planungsbeschleunigungsgesetz;

– in der Bildungspolitik: Abschaffung des Numerus Clausus und Einführung individueller Eingangstests an Hochschulen, Zentralabitur durch Bildungsvielfalt und diverse Bildungszugänge ersetzen, Schuleinzugsbezirke abschaffen.

– bei der Mitwirkung: Einführung direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene nach Schweizer Vorbild.

Die Auseinandersetzung über den richtigen Weg der Integration vollzieht sich in den nächsten Monaten und Jahren entlang der Koordinaten „mehr Staatswirtschaft“ oder „mehr Marktwirtschaft“. Wir sollten uns für die Marktwirtschaft entscheiden. Nur sie ist in der Lage, das notwendige Kapital für Arbeitsplätze, Wohnungen, Infrastruktur und Bildung bereitzustellen, das notwendig ist, um die Integrationsleistung gesellschaftlich zu bewältigen. Das erfordert Mut, weil es alte und lieb gewordene Zöpfe infrage stellt. Doch wenn nicht jetzt, wann wäre dann der richtige Zeitpunkt? Es nützt auch nicht nur den vielen Flüchtlingen, aus der staatlichen Fürsorge zu entkommen, es nützt jedem Einzelnen in Deutschland, seine persönlichen Ziele und sein Lebensglück nach seinen eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Denn kein Mensch, keine Gruppe, keine noch so demokratisch gewählte Mehrheit und auch kein Staat haben das Recht, Menschen zu zwingen, auf eine bestimmte Art und Weise glücklich zu sein.

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