Droht eine Inflation wie beispielsweise in den 1970er Jahren? Die Meinungen darüber gehen deutlich auseinander. Dietrich Schönwitz, Rektor der Hochschule der Deutschen Bundesbank i.R., gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Debatte.

Geldwertstabilität ist in ordnungspolitischer Sicht erstens konstituierendes Element der marktwirtschaftlichen Ordnung. Sie ist darüber hinaus zweitens wesentlicher Beitrag des Sozialen in der Sozialen Marktwirtschaft, indem sie Voraussetzung marktwirtschaftlicher Effizienz und damit sozialpolitischer Gestaltungsmöglichkeiten ist, aber auch die Grundlage für Selbstvorsorge gemäß dem Subsidiaritätsprinzip legt, weil die Ersparnisbildung und Risikovorsorge für die Wechselfälle des Lebens nicht durch Inflation beeinträchtigt wird. Die Geldpolitik hat dem Rechnung zu tragen, indem Inflationsgefahren konsequent gegengesteuert wird. Wenn die Inflationsaussichten nachhaltig zunehmen, müssen daher – eingeleitet durch eine sequentielle Rückführung der Anleihekäufe durch die Notenbank („Tapering“) – die Zinsen steigen.

Vorübergehende Inflationsimpulse?

Gegenwärtig übersteigen die Preisniveausteigerungsraten in der Eurozone mit 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr, in den USA mit 5 Prozent und in Großbritannien mit 4 Prozent deutlich die geldpolitische Grenze von 2 Prozent pro Jahr. Für Deutschland ist bis Ende 2021 eine Preissteigerungsrate von 5 Prozent und mehr nicht auszuschließen.

Für die ökonomische Beurteilung dieser Entwicklung stehen sich zwei Lager kontrovers gegenüber – prominent angeführt von den Nobelpreisträgern für Wirtschaft Paul Krugman und Larry Summers. Während Krugman die Preissteigerungen als transitorisches Phänomen verursacht durch Auswirkungen der Corona-Pandemie – also Angebotsverknappungen bei nachholendem Konsum, Lieferkettenstörungen und anziehende Energiepreise – beurteilt und eine weiter expansive Geld- und Fiskalpolitik empfiehlt, nimmt Summers die Gegenposition ein. Er warnt: „Die Inflationsrisiken werden unterschätzt. In den USA und global.“ Es sei so wie in den 1960er Jahren, als sich Inflationsrisiken langsam aufbauten. „Die Inflation droht dauerhaft zu steigen“ mahnt ebenso Gabriel Felbermayr, bis Ende September 2021 Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.

Nachhaltig preistreibende Einflussfaktoren

Eine neue Sichtweise auf Inflationsaussichten haben Charles Goodhart, früherer Chefberater der Bank of England und emeritierter Professor der London School of Economics, und Manoj Pradhan mit ihrer viel diskutierten Studie „The Great Demographic Revival – Ageing Societies, Waning Inequality and an Inflation Revival“ vorgelegt. Danach wirkt der in westlichen Industrieländern festzustellende demographische Wandel mit einem Anstieg des Anteils von über 65Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Kombination mit tendenziell sinkender volkswirtschaftlicher Produktivität inflationär. Sie schlussfolgern auf der Grundlage einer ökonometrischen Studie „…a rise in the dependency ratio will be inflationary (too many mouths chasing too little food).“

Als weiterer preistreibender Einflussfaktor kommen Deglobalisierungstendenzen infolge der Corona-Pandemie hinzu. Weil die Neuausrichtung von Fertigungsprozessen der Unternehmen durch strategisches „Redesign, Recycling und Regionalisierung“ zu einer Verlagerung der Beschaffung von zuvor günstigeren ausländischen Anbietern auf inländische Produktion ebenfalls zu Preiserhöhungstendenzen führt. Ein dritter gewichtiger Einflussfaktor ist schließlich der anstehende Umbau der Volkswirtschaften zur Klimaneutralität. Diesbezüglich kommt eine Modellrechnung des von Zentralbanken und Bankenaufsichtsbehörden gegründeten „Network for Greening the Financial System“ (NGFS) zu dem Befund, dass die dadurch entstehenden Kosten in den nächsten 15 Jahren mit einem Prozentpunkt zum Anstieg des Preisniveaus beitragen können.

Fed: Rechtzeitig Gegensteuern

All das kann dazu führen, dass sich die Inflation in Kombination mit den bereits wirkenden pandemiebedingten Einflussfaktoren verfestigt, wenn nicht rechtzeitig Signale des Gegensteuerns gesendet werden. Mit Blick auf das geldpolitische Timing ist zu berücksichtigen, dass der hauptsächliche Einfluss der Geldpolitik auf die inflationäre Entwicklung mit einer Wirkungsverzögerung von einem Jahr und mehr eintreten kann, Inflationsbekämpfung ist deshalb mit Vorlauf zu betreiben.

In diese Sichtweise fügt es sich, dass die US-amerikanische Federal Reserve Bank (Fed) in ihrer Pressemitteilung vom 22. September 2021 angekündigt hat, „…that a moderation in the pace of asset purchases may be soon warranted.“ Damit wird ein baldiger Wandel zu einer weniger expansiven Geldpolitik in Aussicht gestellt, dem ein Anstieg des Notenbankzinses noch im Jahr 2022 folgen kann – und damit früher als bisher angenommen. Wenn auch mit der Einschränkung versehen, dass sich die wirtschaftliche Erholung so vollzieht, wie zum Zeitpunkt der Beschlussfassung erwartet, ist dies ein starkes Signal zur Veränderung des geldpolitischen Kurses.

EZB wartet ab

Die Europäische Zentralbank (EZB) folgt dem noch nicht. In ihrer Pressekonferenz vom 9. September 2021 wurde mitgeteilt, dass der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte weiterhin bei 0,00 Prozent belassen wird und dass die Anleihekäufe im Rahmen des Asset Purchase Programme (APP) fortgesetzt werden. Allenfalls beim Erwerb von Vermögenswerten beim Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) kann eine moderate Reduzierung erfolgen, was aber eher einer Kalibrierung des Volumens als einer Änderung des geldpolitischen Kurses gleicht. Die gegenwärtige Kommunikation der Vertreter der EZB besteht darin, pandemiebedingte und damit vorübergehende Einflussfaktoren auf das Preisniveau zu betonen und vor der Gefahr, Inflationserwartungen herbeizureden, zu warnen. Man sollte dabei jedoch beachten, dass es zu einem Vertrauensverlust gegenüber der Politik kommen kann, wenn die Menschen, besonders bei kleinen und mittleren Einkommen, die Geldentwertung in einer Beeinträchtigung ihres Konsumbudgets spüren, ohne dass Gegenmaßnahmen zu erwarten sind. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, betont, dass ihn die Inflationszahlen derzeit nicht sorgen, stellt aber auch fest: „Entgegen manchen Behauptungen ist die Inflation nicht tot. Die aktuelle Diskussion unterstreicht, dass die Notenbanken nicht nur auf etwaige Deflationsrisiken schauen dürfen.“

Angesichts nicht nur vorübergehender Inflationsrisiken und gewiss nicht bestehender Deflationstendenzen wäre es nach Auffassung des Verfassers angebracht, wenn die EZB – so wie die Fed es bereits vorgemacht hat – die Öffentlichkeit auf eine moderate Änderung der geldpolitischen Haltung vorbereiten würde. Vielleicht kommen dann irgendwann wieder die Zeiten, in denen – was in Vergessenheit zu geraten droht – der Notenbankzins sowie die Bereitstellung von Liquidität über Banken mittels Tendergeschäften und nicht Anleihekäufe von Eurostaaten das Hauptinstrument zur Sicherung der Geldwertstabilität waren. Zur deutlichen Trennung von Geldpolitik und Fiskalpolitik und zur Betonung der Unabhängigkeit der EZB von politischen Zwängen wäre das ordnungspolitisch ein wünschenswertes Ergebnis.

Literaturhinweise

Bofinger, Peter: Zielkonforme Preisentwicklung im Euroraum: Implikationen für die deutsche Wirtschaftspolitik, in: Wirtschaftsdienst, Heft 9, 2021.

Braunberger, Gerald: Zurück in die Siebziger, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.10. 2021.

Felbermayr, Gabriel: Interview, in: Die Zeit, 9.9.2021.

Goodhart, Charles und Pradhan, Manoj: The Great Demographic Reversal – Ageing Societies, Waning Inequality and an Inflation Revival, Cham 2020.

Jakobs, Hans-Jürgen: Wie die Angst vor der Inflation wirkt, in: Handelsblatt Morning Briefing, 1.10.2021.

Network for Greening the Financial System: NGFS Climate Scenarios for central banks and supervisors, June 2021, ngfs.net.

Powell, Jerome: Monetary Policy in the Time of COVID, in: federalreserve.gov/newsevents/speech/powell20210827a.htm.

Smialek, Jeanna: Federal Reserve Signals a Shift Away From Pandemic Support, in: nytimes.com/2021/09/22/business/economy/fed-taper-interest-rate-increase.html?referringSource=articleshare.

Summers, Larry: Interview, in: Die Zeit, 24.6.2021.

Weidmann, Jens: Vergemeinschaftung der Fiskalpolitik in der Währungsunion nicht vorgesehen (Interview), in: Wohlstand für Alle – Vorteil Marktwirtschaft, Sonderveröffentlichung der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn 2021.


Prof. Dr. Dietrich Schönwitz ist Rektor der Hochschule der Deutschen Bundesbank im Ruhestand

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