Die größte Leistung Ludwig Erhards war die Wirtschafts- und Währungsreform von 1948. Heute stehen wir vor den Herausforderungen des überbordenden Versorgungsstaates und der weiter ungelösten Eurokrise. Philipp Bagus wünscht sich Reformen mit Erhard’schem Mut und Weitsicht.

Stabiles und von der Politik nicht beliebig manipulierbares Geld ist die Basis einer freien Gesellschaft. Gutes Geld ermöglicht langfristiges Planen und Kalkulieren. Es befördert das für das Produktionswachstum wichtige Sparen. Schlechtes Geld sabotiert hingegen die wirtschaftliche Entwicklung. Haben Staaten erst einmal die Kontrolle über ein unbegrenzt vermehrbares immaterielles Geld wie den Euro an sich gerissen, ergeben sich mehrere, sich gegenseitig verstärkende Problemfelder.

Banken mit Teildeckung können neues Buchgeld praktisch kostenlos herstellen und machen von diesem Privileg großzügig Gebrauch. Schaffen Banken Geld aus dem Nichts, um es als Kredit an Unternehmen zu vergeben, investieren diese so, als ob reale Ersparnisse zur Verfügung stünden. Es kommt zu einem künstlichen Aufschwung, der früher oder später zusammenbrechen muss, weil mehr und ehrgeizigere Projekte begonnen wurden, als mit den vorhandenen realen Ersparnissen realisierbar sind. Die Korrektur der Fehlinvestitionen läutet eine Wirtschaftskrise ein, wie wir zuletzt mit der Finanzkrise erfahren mussten. Diese Konjunkturzyklen lassen unsere Gesellschaft verarmen, weil reale Ressourcen verschwendet und fehlgeleitet werden.

Zudem macht das stetige Anwachsen der Geldmenge und damit einhergehend das langfristige Ansteigen der Preise den schuldenfinanzierten Erwerb von Vermögenswerten gegenüber dem eigenkapitalfinanzierten Kauf attraktiver. Statt erst zu sparen, um später zu kaufen, wird es attraktiv, sich möglichst früh zu verschulden. Das Ergebnis ist eine höhere gesellschaftliche Verschuldung. Eine überschuldete Gesellschaft ist aber nicht nur fragil, sie ist auch gehetzter, abhängiger und materialistischer. Geld bekommt einen höheren Stellenwert. Schließlich gilt es, die Schulden stets zu bedienen.

Kosten des Versorgungsstaates

Außerdem verschleiert die Geldschöpfung aus dem Nichts die Kosten der Staatstätigkeit, weil die Staatsausgaben nicht über im Parlament beschlossene Steuern, sondern direkt und indirekt über die Produktion neuen Geldes finanziert werden. Auch Kriege werden meist über die Notenpresse finanziert. So wurde im Zweiten Weltkrieg das Sparvermögen der Deutschen enteignet und das Geldsystem erst 1948 durch Ludwig Erhard auf das Fundament gestellt, das das Wirtschaftswunder erst ermöglichte.

Auch der Kampf gegen Armut wird über eine Erhöhung der Staatsschulden und indirekt die Notenpresse finanziert. Die wahren Kosten des Wohlfahrtsstaates, den Ludwig Erhard „Versorgungsstaat“ nannte, sind in den angehäuften und versteckten Staatsschulden verborgen. Wären die Kosten des seit Ende des Bretton-Woods-Systems wuchernden Versorgungsstaates von Beginn an offengelegt worden, hätte er wahrscheinlich nicht so ungehindert wachsen können.

Der Versorgungsstaat zerstört traditionelle Familienbande, indem er ihre Aufgaben an sich reißt. Er behindert durch das Umlagesystem die private kapitalbasierte Altersvorsorge, führt bei offenen Grenzen zur Masseneinwanderung und macht die Menschen tendenziell abhängiger, egoistischer und unverantwortlicher. Auch das heutige Geldsystem trägt zu unverantwortlichem Verhalten bei: Akteure, vor allem im Finanzsektor, können darauf bauen, dass sie bei Problemen mit aus dem Nichts geschaffenem Geld gerettet werden.

Umverteilung zuungunsten Deutschland

Gelingt es, das Geldsystem wieder auf eine solide Basis zu stellen, würde aus dem in den letzten 50 Jahren aufgeblähten Staat der Stöpsel gezogen. Er verlöre die Möglichkeit, seine Ausgaben durch die Produktion neuen Geldes zu finanzieren und seine Schulden durch schleichende Teuerung zu entwerten. Auch die Zinsen auf die Staatsschulden wären höher und würden die Staatstätigkeit  drosseln.

Mithin ist in Zukunft die größte und weitreichendste Herausforderung eine Reform des Geldsystems: eine echte Geldwende. Als Schwierigkeit erweist sich dabei, dass mit der Einführung des Euro die unmittelbare Kontrolle der Nationalstaaten über das Geldwesen aufgegeben wurde. Heute ist der deutsche Wohlstand zusätzlich zu den angeführten Gefahren durch eine Geldpolitik der EZB bedroht, die schon lange nicht mehr von der Politik unabhängig ist. Vielmehr zielt die EZB auf den Erhalt der Eurozone und finanziert die Bedürfnisse hochverschuldeter Regierungen, die nicht bereit sind, ihre Staatsausgaben zurückzufahren. Durch diese Geldpolitik der EZB werden die deutschen Sparer schleichend enteignet und die Alterssicherung wird gefährdet.

Die von der EZB tolerierten Kreditausweitungen in den Südländern laufen auf eine Umverteilung zuungunsten Deutschlands hinaus und reflektieren sich in den steigenden Target-2-Salden. Die Umverteilung läuft ferner über die direkten Anleihekäufe der EZB. Hinzu kommen monetär alimentierte Rettungsschirme und die Staatsanleihekäufe der nationalen Banken und Notenbanken. Durch ihre Staatsanleihekäufe sind die europäischen Banken eng mit den sie rettenden Staaten verbunden und unterkapitalisiert. Weitere Maßnahmen zur Umverteilung und Vergemeinschaftung wie das von Emmanuel Macron angedachte europäische Finanzministerium, ein Eurozonenbudget sowie eine umfassendere Bankenunion sind in Planung.

Euro reformieren oder austreten

Die Situation ist bedrohlich. Die nächste starke Rezession wird den europäischen Bankensektor vor große Schwierigkeiten stellen und zur erneuten Zerreißprobe der Eurozone werden. Es gibt aber zwei Auswege, die in ihrer Tragweite den Erhard’schen Reformen nicht nachstehen:

■ Der erste Ausweg besteht in der Reform der Eurozone. Die Staatsfinanzierung über die Notenpresse muss eingestellt werden. Der EZB ist zu verbieten, Staatsanleihen zu kaufen oder als Sicherheit für Kredite an Geschäftsbanken zu akzeptieren. Die Bankenunion muss rückgängig gemacht und der Rettungsschirm ESM aufgelöst werden. Ein Rahmen für geordnete Staats- und Bankeninsolvenzen ist zu schaffen. Weiterhin sollte die Eurozone ähnlich wie im Bretton-Woods-System dadurch gestärkt werden, dass der Euro in Gold einlösbar wird. Ein Gold-Euro bindet Regierungen die Hände. Sie müssten nach den Regeln der von Erhard favorisierten Goldwährung spielen. Der Gold-Euro würde die Wirtschaft stabilisieren, das Sparen fördern und internationale Investoren anziehen. Europa könnte so zum Wachstumsmotor der Weltwirtschaft werden. Auch die Target-2-Problematik könnte durch den Gold-Euro gelöst werden, da die Salden periodisch durch Goldtransfers glattgestellt werden könnten. Die Umstellung würde zunächst schmerzhaft und anstrengend, denn sie würde – bereits angefallene – Verluste offenbaren. Auch die Arbeitslosigkeit würde kurzfristig steigen, wie nach der Währungsreform 1948.

■ Der zweite Ausweg kommt zum Tragen, falls die Reform des Euro misslingt. Dann sollte beherzt die Reißleine gezogen werden und ein geordneter Rückzug aus dem Euro erfolgen. Die Umstellung auf eine edelmetallgedeckte Währung könnte von Deutschland gemeinsam mit anderen Staaten vollzogen werden – auch wenn dies die Abschreibung der Target-2-Forderungen erforderlich machte. Diese Forderungen bezeichnen bereits angefallene Umverteilungsverluste aus dem Eurosystem.

In diesem zweiten Fall wird es noch turbulenter und schmerzhafter werden; eine Anpassungskrise wird zu überstehen sein. Doch lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Das wusste schon Ludwig Erhard, als er die dysfunktionale Reichsmark durch die D-Mark ersetzte. Wie 1948, als Erhard die Preisbindungen abschaffte, könnte die Umstellung mit einer allgemeinen Deregulierung begleitet werden, die Wachstumskräfte freisetzt. Wie damals stehen die Verantwortlichen vor einer immensen Herausforderung, gerade auch in politischer Hinsicht. Schließlich müssen die Beziehungen zu den anderen Mitgliedstaaten gepflegt werden. Den Verantwortlichen sind die Weitsicht, der Mut und die starken Nerven zu wünschen, die Ludwig Erhard 1948 an den Tag legte.

Prof. Dr. Philipp Bagus lehrt am Institut für angewandte Volkswirtschaftslehre der Universität Madrid. 2016 erhielt er den Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik.


Dieser Beitrag ist zuerst in der Publikation der Ludwig-Erhard-Stiftung „Wohlstand für Alle – 70 Jahre Währungsreform“ aus dem Jahr 2018 erschienen. Laden Sie das gesamte Heft hier als PDF herunter. Die Print-Ausgabe kann über info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden.

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