Freier Handel und offene Märkte intensivieren den Wettbewerb und erzwingen damit Produktivitätsfortschritte. Dadurch kann auch die Zahl der Konkurse in einem bestimmten Land zunehmen.

Im Jahr 1817, also vor genau 200 Jahren, hat David Ricardo sein Buch „The Principles of Political Economy and Taxation“ veröffentlicht. Sein berühmtes Theorem der komparativen Kostenvorteile unterlegt die Vorteilhaftigkeit des internationalen Handels. Doch nun erleben wir, dass sich die politische Führung der USA nach einem Treffen der G-20 vom März gegen eine Passage zum freien Welthandel im Schlusscommuniqué gesperrt hat. US-Präsident Donald Trump bezeichnet den Freihandel als schädlich für die USA und droht, den Import ausländischer Güter, insbesondere aus China und der EU, mit Strafzöllen und steuerlichen Maßnahmen zurückzudrängen.

„America first“, lautet Trumps Devise. Das ist eine Losung aus der Zeit des Merkantilismus im 17. und 18. Jahrhundert. Während dieser Epoche, die besonders durch Frankreich geprägt wurde, versuchten die Herrscher mit interventionistischen Methoden einen Exportüberschuss zu erzielen, da der daraus resultierende Goldzufluss die heimische Wirtschaft belebe und Arbeitsplätze schaffe. Importe wurden als Verlustgeschäfte angesehen, weil Arbeitsplätze verloren gingen; es sei denn, es handle sich um unentbehrliche Rohstoffe. Die Sicht des Außenhandels war konfliktorientiert. Der schottische Philosoph David Hume setzte ihr seine kooperative Haltung entgegen. Er wünsche aus nationalem Interesse, dass es Frankreich wohl ergehe, da das auch seinem Land zugutekomme. Er wies auch nach, dass kein Land einen dauerhaften Handelsbilanzüberschuss erzielen könne, da der Goldzufluss inflationär wirke, der Goldabfluss dagegen deflationär; daher tendierten die Leistungsbilanzen in Richtung eines Gleichgewichts.

Für Humes Freund und Kollegen Adam Smith war freier Handel vorteilhaft, weil sich die internationale Arbeitsteilung nach den jeweiligen absoluten Kostenvorteilen richte und so das Weltsozialprodukt gesteigert werde, doch zählten dann die Nationen mit höheren Kosten zu den Verlierern. Diesen Ländern hat David Ricardo Mut gemacht, da er nachweisen konnte, dass nicht die absoluten, sondern die komparativen Kostenvorteile entscheidend seien. Mit Ricardos Theorem lässt sich zeigen, dass bei Spezialisierung das Weltsozialprodukt ansteigt, weil nun die Ressource Arbeit effizienter genutzt wird.

Nun sind aber die Ängste vieler Menschen vor der Globalisierung nicht unberechtigt. Sie fühlen sich von der Entwicklung abgehängt. Ihre Kenntnisse werden nicht mehr gebraucht. Sie sehen, dass in ihrer Nachbarschaft Fabriken geschlossen werden. Der Versicherung, dass dafür an anderer Stelle hochwertige Arbeitsplätze entstünden, trauen sie nicht. Donald Trump hat seine Wahl mit den Stimmen aus der Mitte Amerikas gewonnen, deren Bewohner sich von der Globalisierung abgehängt und von den bisherigen US-Präsidenten vernachlässigt fühlten. Überall in der Welt mobilisieren Lobbyorganisationen Hunderttausende gegen Globalisierung und weitere Freihandelsabkommen. Diese Ängste können nicht einfach vom Tisch gefegt werden.

Es wird übersehen, dass bei Ricardo nicht Nationen (also volkswirtschaftliche Aggregate) handeln, sondern Individuen, die so lange importieren und exportieren, bis die relativen Preise ausgeglichen sind. Die Gewinne fallen bei den handelnden Individuen an. Daraus können wir nicht unmittelbar schließen, dass auch die beteiligten Volkswirtschaften einen Vorteil davon haben. In Ricardos Modell vollziehen sich die bei internationalem Handel notwendigen Anpassungsprozesse mit unendlicher Geschwindigkeit, wobei Umschulung und Raumüberwindung, die mit einem hohen Zeitaufwand verbunden sein können, nicht berücksichtigt werden.

Wir wissen mit Sicherheit, dass freier Handel und offene Märkte den Wettbewerb intensivieren und damit Produktivitätsfortschritte erzwingen, doch kann auch die Zahl der Konkurse in einem bestimmten Land zunehmen. Aber auch das ist ein Beitrag zum weltweiten Produktivitätsfortschritt. Ein Blick auf die sozialpolitische Praxis, die Organisation der Arbeitslosenversicherung und des Arbeitsmarktes (Kündigungsschutz und Abfindungen), auf Aus- und Weiterbildung und auf die Möglichkeiten zur Kapitalbildung lassen erwarten, dass Nationen vom wachsenden Freihandel unterschiedlich profitieren. Es ist also nicht auszuschließen, womöglich sogar wahrscheinlich, dass einige Länder und zumindest bestimmte soziale Schichten bei zunehmendem Freihandel abgehängt werden. Wenn sich US-Präsident Trump aber gegen Freihandel und Importe sperrt, so setzt er den Hebel falsch an. Wer das macht, sichert nicht Arbeitsplätze, sondern fällt im internationalen Wettbewerb weiter zurück.

Um bei dem sich verstärkenden Wettbewerb nicht zu den Verlierern zu gehören, müssen Regierungen die Ausbildungssysteme verbessern, die Flexibilität auf den Arbeitsmärkten erhöhen, die Sozialpolitik überprüfen und über eine passende Steuerpolitik die betriebliche Kapitalbildung fördern. Oder, wie es der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem Umbau des deutschen Sozialstaates im Jahre 2003 gesagt hat: „Wir müssen unsere Sozialsysteme modernisieren, sonst werden wir modernisiert.“

Prof. Dr. Joachim Starbatty MdEP ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung. Sein Beitrag ist zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung vom 19. April 2017 erschienen. Die Veröffentlichung hier geschieht mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung. – Das dem Beitrag vorangestellte Bild zeigt ein Portrait von David Ricardo, gemalt von Thomas Phillips.

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