„Was wirtschaftlich verkehrt ist, kann politisch nicht richtig sein.“ Mit diesem Satz stemmte sich der damalige FAZ-Kommentator und spätere Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung Hans D. Barbier in den 1990ern gegen die Europäische Währungsunion. Seither hat sich Europa verändert: Was politisch wünschbar ist, wird gemacht; die Wirtschaft hat zu folgen. Und mit Wirtschaft werden einseitig Konzerne und Unternehmer verstanden. Das Leben der Menschen dagegen ist Politik, die per Gesetz gestaltet wird.

Nirgendwo wird dies deutlicher als in der Debatte um die Griechenland-Krise, in der Phantasien gepflegt werden und Rationalität vermieden wird. Man macht halt Politik statt zu rechnen, wie man mit möglichst wenigen Ressourcen das maximale Ergebnis erzeugt – Wirtschaft eben. Aber Wirtschaft braucht keiner mehr, wenn die Politik sie außer Kraft setzt. Griechenlands Regierung ist der Höhepunkt dieser Entwicklung, in der die Politik triumphiert und die Wirtschaft nicht mehr zählt. Sie argumentiert immer „politisch“, und das ist ein neues Synonym für Wunschdenken. Nicht mit den Zahlenknechten, den Finanzministern, wollte man verhandeln – sondern auf Ebene der Regierungschefs; denn ihr Wort ist Gesetz der Wunscherfüllung.

Die Wirtschaft ist nur noch da, dieses Wunschdenken zu realisieren. Europa – auch Deutschland – hat sich in einen Rausch der politischen Möglichkeiten gesteigert, in dem Wirtschaft nur noch die Dienstmagd ist, die den Politikern an ihren übervollen Tisch die nächste Flasche aus dem Keller zu bringen hat. Höhere Renten? Das ist nur gerecht. Höhere Löhne? Jede Arbeit muss nicht nur bezahlt, sondern auch „wertgeschätzt“ werden. Mindestlöhne? Im Zweifelsfall zu niedrig; die Unternehmer verweigern höhere Löhne nur aus Hartherzigkeit. Geld? Kann gedruckt werden, dafür sorgt Mario Draghi in seinem Glaspalast. Schulden? Dehnbar, verschiebbar, verhandelbar.

Die neue Demokratie

Mit den Worten haben sich die Werte verschoben: Alles ist irgendwie Demokratie, alles verhandelbar, alles per Mehrheitsentscheidung herstellbar. Warum sollen die Griechen nicht darüber abstimmen, wie viel Geld ihnen aus Europa zufließen soll oder ob sie die Rückzahlung alter Schulden begleichen? Demokratie ist, wenn für höhere Renten gestimmt wird, ohne zu überlegen, wer sie finanziert. Dass Griechenland ähnlich überaltert ist wie Deutschland und in den kommenden Jahrzehnten zu einem verarmenden Altersheim wird, interessiert nicht. Fakten werden gerne weggestimmt. Die Vorherrschaft des Politischen feiert ihre Triumphe.

In Deutschland erzwang die politische Logik der Koalitionsverhandlung, dass man gegen jede Realitätsnotwendigkeit Mütterrenten und Frühverrentung gleichzeitig verabschiedet hat. Die Wirtschaft, also das, was die Menschen erschaffen, hat zu erbringen, was Berliner Phantasien sich so herbeifabulieren. Man sollte sich auf die Gedanken des Nobelpreisträgers James Buchanan besinnen. Er hat dem lautstark bejammerten „Marktversagen“ den Begriff des „Politikversagens“ entgegengestellt. Politik ist danach kein Wahrheitsbetrieb, hat nichts mit dem Gemeinwohl zu tun, sondern ist ein Interessenkampf; und Politiker sind keine Engel, sondern auch nur Menschen. Ihr Handeln ist eher auf ihre Wiederwahl oder ein möglichst hohes Steueraufkommen ausgerichtet als auf das Gemeinwohl.

Und deshalb muss der Einfluss der Politik begrenzt werden, aber die Begrenzung des Politischen wird im Gegenteil zunehmend aufgehoben. Das beste Beispiel ist der Euro und der Umgang mit den dazu gefundenen Regeln: Vermutlich gibt es keine Regel im Maastricht-Vertrag, die nicht gebrochen wurde, wenn es der Politik notwendig erschien, um ihr „Projekt“ gegen die Realität zu verteidigen. Deutsche „Ordnungspolitik“, die die unterschiedlichen Sphären abgrenzte und damit Politik begrenzte, ist altmodisch in Europa.

Die Einführung des Euro: ein Politikversagen

Ein grandioseres Politikversagen als die Einführung des Euro kann man sich kaum vorstellen. Die Währungsunion funktioniert halt nicht, so lange Wirtschaft, Soziales, Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht, Wirtschaftskraft und Wirtschaftsverständnis, Finanzpolitik und Finanzverstand nicht wenigstens halbwegs harmonisiert sind in Europa. Was wirtschaftlich falsch ist, kann politisch eben nicht zurechtgebogen werden. Deshalb werden die Deutschen für die Fehler einer wirtschaftsfernen Politik zahlen; mit 80 Milliarden für Griechenland und mit 250 Milliarden in Form von Zinsverlusten für Lebens-, Riester- und Bausparverträge – kurz: mit ihrer Altersvorsorge.

Die Kosten steigen. Ob Europa diese Lehre aus dem Griechenland-Desaster zieht? Wohl kaum. Während die Wähler dem obskuren Projekt eines europäischen Zentralstaats davon laufen, basteln seine Profiteure genau daran. Politik ist eben zu schön für die, die sie betreiben.

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