Vor 55 Jahren wurden Volkswagen-Aktien das erste Mal an der Börse gehandelt. Die damalige Bundesregierung und das Land Niedersachsen verkauften 60 Prozent ihrer VW-Anteile als „Volksaktien“. Das hatte vor allem politische Gründe: Unter dem Motto „Eigentum für alle“ sollten auch die weniger vermögenden Schichten zu Aktionären werden.

Die „Was-wäre-wenn-Frage“ hilft im Leben nicht weiter, weil ist, was ist und damit umgegangen werden muss. Aber historisch hat sie ihre Berechtigung, um Fehlentwicklungen zu erkennen. Unter dem Slogan „Eigentum für alle“ kamen am 7. April 1961 VW-Papiere für die damals unglaubliche Summe von 350 D-Mark pro Stück unters Volk. Das konnte sein Glück kaum fassen, als daraus kurze Zeit später 750 D-Mark wurden.

Natürlich ging es nicht immer so rasant weiter, schließlich ist die Börse kein Lift in den Kurshimmel. Aber die Idee war ja auch nicht der ganz schnelle Reichtum. Die „Klassenkämpfer von einst“ sollten sich durch den Erwerb von Volksaktien in „Wirtschaftsbürger einer echten Wirtschaftsdemokratie“ verwandeln – damals träumte die SPD noch von einer sozialistischen Revolution. So weit kam es nicht. Aber sehr entschieden wurde nach Ludwig Erhards Ausscheiden aus dem Amt des Bundeskanzlers das Konzept auch nicht mehr verfolgt.

„Mit dem Blick nach vorwärts aber und angesichts der Hebung der materiellen Lebensverhältnisse der in abhängiger Arbeit stehenden Menschen wird es nützlich sein, innerhalb unserer Sozialordnung der individuellen Verantwortung breiteren Raum zu geben“ (Ludwig Erhard 1963).

Was wäre, wenn das Konzept ausgeweitet worden wäre? Die Deutschen wären vielleicht doch zu einem Volk der Aktionäre geworden; sie hätten neben der gesetzlichen Rentenversicherung die private Vorsorge breiter genutzt, den Unternehmen Kapital zur Verfügung gestellt, mehr Eigenverantwortung übernommen. Vielleicht hätte das sogar das krampfhafte Bemühen in der Regierungsära Gerhard Schröder um eine zweite Säule der Altersversorgung unnötig gemacht, die angesichts der langfristigen Auszehrung der gesetzlichen Rentenversicherung dann in Form überbürokratisierter Produkte wie der „Riester-Rente“ notwendig erschien.

Bürger werden von Marktentwicklungen ferngehalten

Wer sich mit Aktienkäufen beschäftigt, sammelt Erfahrungen – vielleicht wäre sogar das überhitzte Telekom-Desaster der „Nuller-Jahre“ vermieden worden, das die meisten endgültig von privater Vorsorge abschreckte. Dass heute Deutschlands Aktiengesellschaften zu mehr als der Hälfte Ausländern gehören, auch das hätte sich verhindern lassen und den Wohlstand im Inland gehalten. Die Deutschen arbeiten hart und bekommen hohe Löhne – aber am Unternehmensgewinn sind sie kaum beteiligt. Es geht nicht um die Aktienkultur, es geht um eine Kultur der Vorsorge und der Beschäftigung mit unterschiedlichen Anlageformen. Wer sich aber damit beschäftigt, wird gerne als Spekulant denunziert.

In der heutigen Mainstream-Ideologie gilt die staatliche Vorsorge privaten Anlageformen gegenüber als in jeder Hinsicht überlegen. Schließlich steht der Staat für Fairness, Stabilität und Sicherheit. Soweit die aktuelle Ideologie, die allerdings im Gegensatz zur tatsächlichen Entwicklung steht: Neue Regulierungen stellen jede Aktivität in diesem Bereich unter den Generalverdacht des Fast-Betrugs. Die Deutschen sind unerfahren, und begrenzende Formulare sind das Mittel der Wahl, statt Möglichkeiten zu schaffen. Faktisch werden die Bürger von den Entwicklungen der Märkte ferngehalten, weil Marktwirtschaft per se nicht mehr als Wohlstandsmotor, sondern als böse Spekulation gilt. Verängstigt weichen sie auf schlichte Sparformen aus: das Zinssparen. Und schon sitzen sie in der zweiten Falle. Die Niedrigzinsfalle schnappt zu.

Mehr Eigenvorsorge in der Alterssicherung!

„Früher konnte jemand, der sein Leben lang gespart hat, davon ausgehen, dass er im Alter zweimal so viel Rente aus Zins und Zinseszins erhielt, wie er aufgrund seiner Sparanstrengung allein zur Verfügung gehabt hätte. Heute bleibt ihm häufig nur noch das Sparkapital selbst, und vielfach nicht einmal das, weil Inflation und Scheinzinsbesteuerung durch den Staat sogar Teile des Kapitals selbst vernichtet haben“, rechnet Professor Hans-Werner Sinn vor.

„Immerhin aber kann nicht übersehen werden, dass die Fähigkeit und die Bereitschaft zur eigenverantwortlichen Vorsorge in enger Beziehung und Abhängigkeit von Art und Umfang der kollektiven Sicherheit stehen“ (Ludwig Erhard 1963).

Die „Was-wäre-wenn-Frage“ erlaubt damit eine klare Antwort: Das Wirtschaftswunder und der langfristige Erfolg der deutschen Wirtschaft sind mit einer seltsamen Unwucht verbunden. Die private Teilhabe daran erfolgt unzureichend. Die Deutschen haben gelernt, wie ihre Unternehmen erfolgreich wirtschaften, aber nicht, wie sie als Private diesen Erfolg für sich nutzen. Vielleicht wären mit einer Ausweitung der echten Volksaktie und der privaten Vorsorge die Deutschen am Wohlstand des Wirtschaftswunders weit aktiver und umfassender beteiligt worden. Heute zeigt sich, dass die Bevölkerung in vermeintlichen Euro-Krisenländern über höheren Wohlstand verfügen als die Deutschen, die sich zu weiten Teilen auf staatliche Vorsorgeformen verlassen haben.

Geschichte wiederholt sich nicht. Aber lernen sollte man daraus. Und daher kann die Antwort nur lauten: Stärkt die private Vorsorge! Sie ist besser als die staatliche Zwangsversorgung.

DRUCKEN
DRUCKEN