Kurz nach dem Mauerfall im Jahr 1989 sah Bundeskanzler Helmut Kohl für die neuen Bundesländer „blühende Landschaften“ voraus. Überschwänglich und durch die rosa Brille, wie viele Kritiker meinten. Doch der enorme Kraftakt des Aufbaus Ost trägt unübersehbar Früchte.

Die Feiern zum Mauerfall sind beendet – und eine leichte Fröhlichkeit bleibt, ganz ohne Sekt: Auch wenn es schwer war – die Wiedervereinigung ist geglückt. Helmut Kohl hatte 1989 „blühende Landschaften“ versprochen. Lange wurde er dafür verspottet. Und doch – die Zahlen sprechen dafür, auch wenn viele es in Deutschland nicht wahrhaben wollen. Aber der britische Economist mit seinem kühlen, distanzierten Blick von außen rechnet vor: Die heute noch bestehenden regionalen Unterschiede zwischen Ost und West sind nicht größer als die regionale Schere der wirtschaftlichen Unterschiede beispielsweise in Belgien. Noch liegen die Einkommen in München höher als in Leipzig – aber Leipzig holt auf; und in der Kombination mit niedrigeren Mieten und geringeren Lebenshaltungskosten ist vermutlich im Osten vielerorts die Lebensqualität höher als im Westen. Noch immer arbeiten die Unternehmenszentralen im Westen – aber die Gründerszene in Berlin, in Jena und Dresden lässt darauf hoffen, dass die Arbeitsplätze von morgen dort entstehen, und zwar ohne Subvention und Ansage aus dem Westen.

Ost-Universitäten belegen Spitzenplätze. Der Speckgürtel rund um Berlin boomt und zeigt die Dynamik, die eigentlich nur durch das Gewicht der großen Zahl von Problemfällen in der Metropole Berlin statistisch gebremst wird. Längst belegen in den einschlägigen Untersuchungen Ost-Städte Spitzenplätze, wenn man die wirtschaftliche Dynamik untersucht. Ganz hinten, am finsteren Ende der Rangfolgen, geben sich westdeutsche Städte die rote Laterne in die Hand. Bochum, Bottrop, Herne, Oberhausen – die alten Ruhrgebiets-Städte führen nicht mehr die Reichtumslisten, sondern die Liste der Absteiger an, während Cottbus und Chemnitz aufsteigen.

Es ist Zeit, sich einmal zurückzulehnen: In den neues Bundesländern ist ein nigelnagelneues Land entstanden. Praktisch jede Straße, jedes Bahngleis sind neu; jedes Telefonkabel, fast jede Brücke, jede Wohnung, jedes Fenster; jede Fabrik und jede Schule sind nicht wiederzuerkennen. 25 Jahre sind eine lange Zeit. Aber 25 Jahre sind nur ein kurzer Augenblick, wenn man den Umfang der Erneuerung bedenkt. Die Trabis, die stinkenden Zweitakter-Autos, werden heute liebevoll gepflegt als Andenken an eine Zeit, in der Otto Normalverbraucher 18 Jahre lang warten musste auf die Lieferung eines Neuwagens, der zum Zeitpunkt der Auslieferung schon Jahrzehnte veraltet war. „Sie wollen nur zu den Bananen“ – mit diesem Satz hat der damalige Grünen-Politiker Otto Schily den Freiheitswunsch der Ostdeutschen denunziert. Aber ist es so verkehrt, statt Armut und Unfreiheit lieber Wohlstand und Freiheit einzutauschen, einen funktionierenden Rechtsstaat gegenüber einer Diktatur zu bevorzugen, und die Bananen mitzunehmen?

Sicherlich ist nicht alles Gold, was glänzt, wo gibt es das Glück ohne jeden Schatten? Aber einige Bedingungen sollte man bedenken, die für die blühenden Landschaften notwendig waren: Helmut Kohls wirklich großes Verdienst ist, die Einheit gegen die Nörgler und Bedenkenträger durchgesetzt zu haben. Oskar Lafontaine, damals Spitzenkandidat der SPD, hat vor den Kosten der Wiedervereinigung gewarnt und wollte die Freizügigkeit der DDR-Bürger nach dem Mauerfall blockieren. Diese Mauer des Westens gegen den Osten haben die Deutschen abgewählt. Die Kosten waren enorm; Schätzungen sprechen von 2.000 Milliarden Euro. Aber gefühlt war es nicht zu viel, sondern gerade richtig. Viele Menschen im Osten mussten damit fertig werden, dass ihr Leben und mehr noch ihre Lebensentwürfe tiefgreifend umgekrempelt wurden – wer gestern noch ein Held war, wurde zum Verräter. Alte Ehren wurden entwertet, fast alle Jobs gingen verloren; jeder Lebensbereich veränderte sich in rasender Geschwindigkeit. „Stillstandland Deutschland“, titelt ein Wirtschaftsmagazin zum Mauerfall – eine grotesk falsche Floskel, die weit an der Wirklichkeit vorbei geht. Oder leben die Deutschen in unterschiedlichen Wirklichkeiten?

Denn eine der wirtschaftlichen Bedingungen der Wiedervereinigung wird unter den Teppich gekehrt: Solide Währung und Marktwirtschaft heißt die Zaubermedizin. „Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr“, das war eine der Parolen, die die Wiedervereinigung der Wirtschaft erzwungen hat. Es sind die beiden Säulen, auf die einst Ludwig Erhard „Wohlstand für Alle“ begründet hat. Beide Voraussetzungen gelten auch heute noch für wirtschaftlichen Erfolg. Die Blechwährung der DDR, gesteuert durch die Partei und ihre Machtapparate, hat die Entwicklung des Landes gebremst. Ohne gesunde Währung ist kein erfolgreiches Wirtschaften möglich, denn das Zeitalter des Tauschhandels war und ist das Zeitalter des Elends. Aber wissen wir das noch – oder nehmen wir Manipulationen der Währung neuerdings klaglos hin? Und die staatliche Planbürokratie hat ein Übriges getan, Armut zu produzieren, obwohl alle arbeiten, und die Umwelt zu zerstören – trotz zu wenig Wachstum und zu geringem Wohlstand. Aber wissen wir das noch – oder lassen wir zu, dass immer weitere Bereiche der Wirtschaft und des Lebens den neuen Plan-Beamten ausgeliefert werden, die angeblich alles besser wissen, aber es nicht verwirklichen?

Die Mauer – sie war aber auch Existenznotwendigkeit: Markt und Freiheit wurden ausgesperrt, die Menschen eingesperrt. Jetzt gehören sie wieder zueinander.

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