„Wohlstand hat viele Facetten und Wachstum viel mit Lebens- und Aufstiegschancen und damit auch mit immateriellen Werten zu tun“, meint Linda Teuteberg, stellvertretende Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung. Die Autorin plädiert für Freiheit, Eigentum und Marktwirtschaft – statt unterkomplexer Situationsbeschreibungen, mittels derer manche begleitet von Vorstößen für Etatismus, Interventionismus und Protektionismus für intellektuell gehalten werden möchten.

„Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis“: Für die Jahre vor dem 24. Februar 2022 stellt diese Redensart eine treffende Beschreibung politischer Debatten und Entscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland dar. Obwohl die Staatseinnahmen im Boom stärker gestiegen sind als das Bruttoinlandsprodukt und trotz jahrelanger Friedensdividende wurden Kernaufgaben des Staates vernachlässigt.

Der Staat hat in guten Zeiten nicht Vorsorge getroffen für die Krise. Das gilt für den Katastrophenschutz, für die Ausstattung der Bundeswehr und auch für die finanzielle Stabilität. Statt unser Land widerstands- und zukunftsfähiger zu machen, wurden wider besseres Wissen Sozialleistungsansprüche ausgeweitet und neue Staatsaufgaben und -ausgaben erfunden. Die Liste ließe sich fortsetzen, insbesondere mit Versäumnissen in den Bereichen Bildung, Digitalisierung, Migrationssteuerung und Reform der Alterssicherung. Dass für Teile der Wirtschaft Ähnliches gilt, macht die Sache nicht besser und den Befund nicht weniger zutreffend. Hier wie dort sind Menschen und damit auch Fehlbarkeit am Werk.

Die seltsame Hoffnung auf ein Scheitern des Kapitalismus

Wenn einige die Pandemie, den Klimawandel, die Energiekrise und Verwerfungen im Zuge des russischen Angriffskrieges nutzen, um auf die Marktwirtschaft einzuschlagen, dann befeuern sie nur die antikapitalistischen Ressentiments, die sie zuvor schon gepflegt haben. Die Sehnsucht nach Plan- und Staatswirtschaft haben einige lange vor den aktuellen Krisen bedient. Die Vielfalt der Krisenherde lässt zyklische wie stetige Propheten auf das nunmehr endgültige Scheitern des Kapitalismus hoffen. Die sichere Aussicht, mit Klagen über Ungerechtigkeit und mit sozialistischen Verheißungen für intellektuell gehalten zu werden, tut ihr Übriges.

So wenig es überrascht, dass die aktuellen Krisen Anlass zu neuen Vorstößen für Etatismus, Interventionismus und Protektionismus sind, so bemerkenswert unterkomplex bis unzutreffend sind die häufig zu vernehmenden Situationsbeschreibungen und vermeintlichen Lösungen. Da heißt es beispielsweise, dass „Wohlstand künftig mehr sein muss als die Anhäufung zusätzlicher Produkte“, dass „der Markt ohne massives Eingreifen des Staates nicht zurechtkommt“ und „der Wirtschaft mit diversen Wummsen geholfen werden musste“ sowie ein „anderes Verständnis für Investitionen“ vonnöten sei.

Marktwirtschaft ist jedoch keine Veranstaltung im politikfreien Raum: Sie ist eingebunden in die staatliche Ordnung. So sehr sich kaum jemand in einer Pandemie oder angesichts der Auswirkungen des russischen Angriffskrieges die Wirtschaft ohne den Staat vorstellen will, so gilt umgekehrt auch, dass der Staat ohne Wertschöpfung aus der Wirtschaft und entsprechend leistungsfähige Steuerzahler niemandem helfen kann. Tatsächlich hat unser marktwirtschaftliches System bewiesen, wie effizient und anpassungsfähig es ist. Wenn man es lässt und nicht durch politische Entscheidungen zum Beispiel das Energieangebot verknappt. Auf der Agenda steht viel Ausstieg und wenig Einstieg, etwa bei der Förderung heimischen Schiefergases.

Der Lebensstandard von 1978 ist keine Verheißung

Wohlstand ist immer schon mehr gewesen als die „Anhäufung zusätzlicher Produkte“. Nicht nur, dass die seltsame Verzichtsromantik des „Weniger ist mehr“ zynisch anmutet für alle, die unter Mangel leiden. Selbst in wohlhabenden Milieus und Gesellschaften ist diese pseudomoralisch aufgeladene Erzählung höchst fragwürdig. Wenn uns manche dieser Tage den Lebensstandard etwa des Jahres 1978 anempfehlen, ist Skepsis angebracht: Schon beim Gedanken an einen Zahnarztbesuch, erst recht, aber bei der Frage nach einer Krebstherapie oder Schlaganfallbehandlung auf dem Stand des Jahres 1978 dürfte es mit der Romantik des Schrumpfens vorbei sein. Empathie heißt auch, andere Aspekte als nur die aktuelle eigene Lebenssituation und Lebenserfahrung mitzudenken.

Wohlstand hat viele Facetten und Wachstum viel mit Lebens- und Aufstiegschancen und damit auch mit immateriellen Werten zu tun. Auch ein Vergleich der pro Person zur Verfügung stehenden Wohnfläche damals und heute etwa ist da aufschlussreich. Neben den immer wieder ignorierten historischen Erfahrungen mit sämtlich gescheiterten planwirtschaftlichen Systemen liegt ein Plausibilitätsproblem der allgegenwärtigen Wachstumskritik so sehr auf der Hand, dass es offenbar wie der Wald vor lauter Bäumen übersehen wird: Wie soll eigentlich zusammenpassen, dass die Rufer nach Verzicht und Verächter von Wachstum zugleich ständig irgendwelche „Bedarfe“ anmelden und zusätzliche Ausgaben fordern? Bedarfslogik und Verteilfreude passen nicht zum Genügsamkeitspathos.

Der Staat soll die Chancen seiner Bürger mehren

Die Debatte über die Rolle des Staates sollten wir führen. Dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist, bleibt dabei richtig. Der Staat kann vorübergehend Einkommen ersetzen – wie etwa während der Frühphase der Pandemie – aber nicht die letztlich notwendige Wertschöpfung. In modernen marktwirtschaftlichen Systemen spielt der Staat eine wesentliche – aber eben nicht allzuständige – Rolle. Er beeinflusst durch viele Interventionen das Wirtschaftsgeschehen und spannt ein soziales Netz. Erst im Zusammenspiel von Markt und Staat stellen sich die bestmöglichen Ergebnisse ein. Der Staat ist nicht dann gut, wenn er möglichst viel Geld ausgibt, sondern wenn er die Chancen der Bürger mehrt. Weniger versprechen und mehr halten ist das Gebot der Stunde: Liefern und Funktionieren bei den Pflichtaufgaben statt immer neuer Ankündigungen und höherer Ziele bei der Kür.

Die vermeintlich romantische Idee vom Nullwachstum ist zynisch und für die meisten Menschen keine Perspektive. Wenn wir unser Land deindustrialisieren, werden wir zum abschreckenden Beispiel für andere. Diese Gefahr ist realer als einige wahrhaben wollen, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie in existenzieller Weise gefährdet. Die Sicherheit und Bezahlbarkeit ihrer Energieversorgung eignet sich nicht für auf Kante genähte und von Quartal zu Quartal neu zu verhandelnde Lösungen. Gerade die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern, die einen legitimen Hunger nach Wohlstand und Mobilität haben, überzeugen wir nur, wenn wir Klimaschutz mit Freiheit und Wohlstand verbinden. Nur was funktioniert, kann attraktiv sein. Allein, was zur Nachahmung motiviert, hilft auch dem Weltklima.

Mehr Zulieferer statt weniger Globalisierung

Wenn wir merken, dass wir uns zu abhängig gemacht haben von Lieferketten Richtung Asien oder sonst wohin, dann heißt die Lösung nicht weniger Globalisierung, sondern mehr Zulieferer, um nicht von einzelnen, insbesondere autokratischen Regimen abhängig zu werden. Das ist eine Managementaufgabe und keine Systemfrage. Wir brauchen mehr und nicht weniger Wettbewerb. Mehr und nicht weniger Freihandel. Übrigens auch mehr und nicht weniger Arbeit.

Frei nach Winston Churchill gilt: Verschwende nie eine Krise, die Gelegenheit bietet, die Dinge zu ändern und zu verbessern. Diese Devise sollten wir nicht den Feinden der Marktwirtschaft überlassen, sondern gerade ihre Verteidiger sollten sie zu ihrem Anspruch machen. Die soziale Marktwirtschaft ist ein Konzept gegen die Krise, sie ist aus einer solchen erwachsen. Sie ist kein Schönwettermodell, wie viele Apologeten des Staatsinterventionismus behaupten. Das Gegenteil ist der Fall: Nur mit Respekt vor dem freien Markt und dem freien Unternehmertum, vor Leistung und Eigentum werden die Spielräume für Investitionen und sozialen Ausgleich erwirtschaftet. Gefragt sind Ideen für eine freiheitliche Ordnung, die Innovationskraft, sozialen Ausgleich und die Beachtung ökologischer Grenzen gleichermaßen ermöglicht.


Der vorliegende Beitrag ist zunächst online in der Wirtschaftswoche vom 6. Januar 2023 erschienen.

DRUCKEN
DRUCKEN