Deutschland strotzt vor Selbstbewusstsein. Die Bürger konsumieren nicht nur in der Vorweihnachtszeit auf Teufel komm raus. Billige Kreditzinsen und eine gute Beschäftigungssituation mit steigenden Realeinkommen befeuern die gute Laune der Kundschaft.

Selbst ein dreimonatiges Regierungsvakuum seit der Bundestagswahl verdirbt die Laune nicht. Weil die ökonomische Lage so rosig scheint, lassen sich jetzt schon Wetten darauf abschließen, dass die sich in den kommenden Monaten zusammenraufende kleine (53 Prozent der Wählerstimmen) „Große Koalition“ aus Union und SPD ein höchst spendables Regierungsprogramm verabreden wird.

Dabei verbergen sich unter der Oberfläche gewaltige Risiken. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) flutet nach wie vor mit ihrer Nullzinspolitik und ihren Anleihekäufen die Konjunktur, als ob sich Europa, erst recht Deutschland, nicht in einer stabilen Aufschwungphase befinden würde. Während die Zinsdifferenz zu den USA wächst, weil die US-Notenbank den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik bereits seit mehr als einem Jahr vorantreibt, gibt Mario Draghi weiter Vollgas mit seiner Geldpolitik – mit unübersehbaren Folgen für die wirtschaftliche Stabilität.

Zu dieser Einschätzung passt die Analyse einer Creditreform-Studie zu den Fallzahlen der Insolvenzen in Deutschland. Zwar wurde in allen Medien die in der Studie enthaltene Botschaft freudig verkündet, dass die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland auf den niedrigsten Stand seit 1994 gesunken ist. Unterschlagen wurde allerdings, dass die Analyse von 7.400 Unternehmen ergeben hat, dass fast jede siebte Firma vor dem Bankrott stünde, wenn die Zinsen um drei Prozentpunkte steigen würden. Ein Zinsanstieg um 1,5 Prozent und ein gleichzeitiger 20-prozentiger Gewinnrückgang führten laut Creditreform zum gleichen fatalen Ergebnis. Im Klartext bedeutet das nichts anderes, als dass diese Unternehmen keinen ausreichenden operativen Gewinn (vor Steuern und Zinsen) erwirtschaften und deshalb von der Substanz leben und ihr Kapital aufzehren.

Wer den Zins als Risikoprämie ausschaltet, wie es die EZB konsequent praktiziert, der ist verantwortlich für Zombie-Banken und Zombie-Unternehmen. Der ist auch verantwortlich für den mangelnden Reformwillen der Politik. Denn wo die Zinsen für alte Staatsschulden seit Jahren sinken, da stellt sich die bekannte Haltung der Politik ein: Sind die Staatskassen voll, dann werden neue teure Leistungen beschlossen. Dann interessieren weder die absehbaren Folgen der Alterung unserer Gesellschaft, die zu massiv steigenden Ausgaben für Rente, Pflege und Krankheit führen. Dann sorgt man sich auch nicht angesichts einer amerikanischen Unternehmensteuerreform, die zu massiven Investitionsverlagerungen von Deutschland in die USA führen wird – mit allen Konsequenzen für die Beschäftigung im Land und das Steueraufkommen für den Fiskus.

Doch ökonomische Grundwahrheiten stören bei Koalitionsbildungen. Schließlich muss die Parteibasis der SPD mit sozialen Wohlfahrtsversprechungen gewonnen werden, um ihr eine Regierungsbeteiligung unter Federführung der Union schmackhaft zu machen. Und die CDU will Kanzler-Partei bleiben. Da sind die Kosten Nebensache.

Oswald Metzger ist stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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