Das erfolgreiche marktwirtschaftliche Leitbild der alten Bundesrepublik baute auf den mündigen Bürger, dem seine eigene Leistung zu Wohlstand verhilft. Doch trotz der schlimmen Erfahrungen aus 40 Jahren DDR führt die Regierungskoalition mehr und mehr Planwirtschaft ein. „Wer immer mehr bestellt, bezahlt auch immer mehr“, so Oswald Metzger, stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Ludwig Erhard ebnete mit seiner Währungsreform und der Abschaffung der Preisbindung im Juni 1948 den Weg zur Sozialen Marktwirtschaft und damit zum westdeutschen Nachkriegswirtschaftswunder. Seine Botschaft „Wohlstand für alle“ war aber nie gleichzusetzen mit unbegrenzten sozialen Leistungen des Staates. Er wollte keinen umfassenden Versorgungsstaat, keine grenzenlose steuerfinanzierte Umverteilung, sondern eine auf dem Wettbewerbsprinzip fußende Wirtschaft, die leistungsfähig ist und nur deshalb auf Dauer auch sozial sein kann.

Die westdeutsche Erfolgsgeschichte ist bekannt, auch wenn sich die Politik in der Bundesrepublik über die Jahrzehnte hinweg langsam und schleichend von den ordnungspolitischen Idealen Erhards abwandte. Doch es gab das unattraktive Gegenmodell der DDR, deren sozialistische Planwirtschaft sich nur deshalb über Jahrzehnte zu halten vermochte, weil sie ihre Bürger hinter Mauern einsperren konnte. Sonst wären sie millionenfach in den kapitalistischen Westen abgewandert, der Freiheit und Wohlstand bot. Als die Mauer 1989 fiel, kollabierte die marode Kommandowirtschaft der früheren DDR binnen weniger Monate, weil die Staatsunternehmen zu Marktbedingungen schlicht nicht wettbewerbsfähig waren. Nach mehr als vier Jahrzehnten Sozialismus war die DDR bankrott – wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch.

Trotz dieser historischen Erfahrungen erleben wir in Deutschland inzwischen mit zunehmender Beschleunigung ein planwirtschaftliches Dejà-vu. Rolf Mützenich, der eigentlich besonnene Fraktionsvorsitzende der SPD, verstieg sich Ende vergangenen Jahres im Bundestag zu folgender Aussage: „Das derzeit noch gängige Leitbild ‚So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig‘ ist nicht mehr zeitgemäß.“

Der Godesberger Parteitag, auf dem die Sozialdemokratie 1959 ihren Frieden mit der Marktwirtschaft machte, war einmal. Die SPD refundamentalisiert sich in atemberaubender Weise. In Berlin, ausgerechnet der Metropole, die in ihrem Ostteil noch immer Spuren der verwahrlosten DDR-Wohnungswirtschaft aufweist, führt eine rot-rot-grüne Regierung einen Mietpreisstopp für fünf Jahre ein, der dazu führen wird, dass eben die Substanzerhaltung des Wohnungsbestands unterbleiben wird. DDR reloaded! Juso-Bundesvorsitzende wie Kevin Kühnert propagieren gar Enteignungen von Wohnungen und Großbetrieben. Dazu passt, dass die neue SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken Steuersenkungen für die Bürger als „gefährlich“ einstuft. Der Staat muss gefüttert werden, auch wenn den Bürgern immer mehr vom Ertrag ihrer Arbeitsleistung durch Steuern und Abgaben genommen wird.

Staatliche Kommandowirtschaft

Aberwitzig agieren die Berliner Regierungskoalition und der überwiegende Teil der Bundestagsopposition in der Klimaschutzpolitik. Obwohl bereits die deutsche „Energiewendepolitik“ seit vielen Jahren beweist, wie man mit möglichst viel Geld der Stromverbraucher einen relativ bescheidenen ökologischen Nutzen erzielt, erleben wir jetzt in der aktuellen Klimapolitik eine Wiederauflage dieses Desasters. Der Staat will uns batteriebetriebene Elektroautos schmackhaft machen, indem er hohe Kaufprämien auslobt. Er will Milliarden in die Ladesäuleninfrastruktur stecken. Bisher hält sich der Run aufs E-Mobil im Land trotzdem sehr im Rahmen. Doch wenn jetzt die großen Hersteller, allen voran VW, ihre neue E-Modellpalette in die Märkte drücken, weil sie sonst die EU-Vorgaben bei ihren Flottenverbräuchen nicht einhalten und deftige Vertragsstrafen riskieren, wird mit der Zahl der Fahrzeuge auch der Strombedarf wachsen.

Steigender Stromverbrauch tritt dann auf immer weniger Grundlaststrom. Denn die sechs Atomkraftwerke, die derzeit noch am Netz sind, werden bis Ende 2022 abgeschaltet. Wenn der Strom nicht durch importierten Atomstrom aus Frankreich oder Kohlestrom aus Polen ersetzt werden soll, dann müsste nicht nur der Zubau bei der Windkraft gewaltig forciert werden, sondern die Politik sollte eine Standleitung zum Wettergott einrichten, damit der für beständigen Wind und für möglichst lange Sonnenscheindauer sorgt.

Denn Grundlaststrom durch volatilen regenerativen Wind- und Sonnenstrom zu ersetzen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, vor allem dann, wenn sowohl die Speicher im Netz fehlen als auch die Leitungen vom windreichen Norden in den energiehungrigen Süden Deutschlands. Hier hat die Politik dann auch häufig noch den Störenfried Bürger im Nacken sitzen, der sich an vielen Orten vehement gegen Windkraftanlagen und den Speicher- und Leitungsbau zur Wehr setzt. Deshalb wird jetzt für die Bürger einfach der Rechtsschutz verkürzt, das Planungsrecht beschleunigt. Das Grundproblem des Strombedarfs und -angebots ist damit aber mitnichten gelöst.

Mehr Steuern und Abgaben

Auf den Atomausstieg folgt dann in Deutschland der Ausstieg aus der schmutzigen Kohleverstromung, die bisher ebenfalls zum Rückgrat der Grundlaststromversorgung zählt. 40 Milliarden Euro an Subventionen nennt die Bundesregierung offiziell für diesen Ausstieg: für Strukturhilfen an die Kohleregionen in Ost- und Westdeutschland, für die Prämien der ihre Arbeit verlierenden Kohlekumpel, als Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber fürs vorzeitige Abschalten.

In Wirklichkeit dürfte sich die Summe im Laufe der kommenden 18 Jahre eher auf 100 Milliarden Euro belaufen. Erst im Januar hat der in Sachen Steuerentlastung für die Bürger ansonsten sehr knauserige Bundesfinanzminister Olaf Scholz den Kraftwerksbetreibern gut vier Milliarden Euro Entschädigung für das vorzeitige Abschalten zugesagt. Dabei hat das vergangene Jahr bewiesen, dass ein marktwirtschaftliches Instrument die Betreiber der Stein- und Braunkohlekraftwerke zur Reduktion der Kohleverstromung anhält – völlig ohne Subventionen.

Denn weil die für die Kohlstromproduktion nötigen Emissionszertifikate im europäischen Handelssystem 2019 teurer wurden, sank die Stromerzeugung aus Steinkohle in Deutschland um 31 Prozent, bei Braunkohle um 22 Prozent. Zwar stieg dafür die Stromproduktion mit dem fossilen Energieträger Erdgas um elf Prozent, trotzdem sank der CO2-Ausstoß aus der Stromerzeugung in Deutschland um 50 Millionen Tonnen.

Doch die deutsche Politik glaubt nicht an dieses wirksame Instrument, das den Marktteilnehmern zwar eine CO2-Mengenreduktion vorgibt, sie aber selbst entscheiden lässt, wo sie die Einsparungen vornehmen. Stattdessen legte die Politik für jedes Kohlkraftwerk genaue Stilllegungszeiten fest, um dafür dann noch Milliardenbeträge an Entschädigungen an die Anlagenbetreiber zu bezahlen. Das ist Irrsinn!

Was Staatswirtschaft im Strommarkt bedeutet, zeigt auch ein Blick auf die Zusammensetzung unseres Strompreises, für den die Verbraucher in diesem Jahr im gesamtdeutschen Durchschnitt so viel bezahlen wie noch nie: 30,01 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Obwohl die Regierung letzten Herbst verkündete, die Verbraucher sollten beim Strompreis entlastet werden, stieg allein die EEG-Umlage im Januar um rund fünf Prozent. Auch für steigende Netzentgelte wegen der immer aufwendigeren Regelung des Stromangebots wurden Preisaufschläge fällig.

Der Staat zeichnet direkt für 53,8 Prozent der Stromkosten, also mehr als 16 Cent pro kWh verantwortlich: Stromsteuer, Konzessionsabgaben an die Kommunen, Abgaben als Folge des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes und des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, Umlage für abschaltbare Lasten, Offshore-Netzumlage sowie die darauf jeweils zusätzliche erhobene Mehrwertsteuer von 19 Prozent. Als Angela Merkel vor gut 14 Jahren die Nachfolge des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder antrat, lag die Steuerquote in Deutschland bei relativ niedrigen 20,3 Prozent. Derzeit liegt sie bei 23,8 Prozent. Die Steuerquote setzt das gesamte Steueraufkommen aller staatlichen Ebenen ins Verhältnis zum jährlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Der starke Anstieg von 3,5 Prozent des BIP bedeutet für die Steuerpflichtigen eine zusätzliche Last von rund 120 Milliarden Euro im Jahr, vergleicht man Schröders letztes mit Merkels aktuellem Regierungsjahr.

Doch das viele zusätzliche Geld floss in Deutschland überwiegend nicht in den Ausbau der Infrastruktur oder in Bildung und Forschung. Denn alle Welt beklagt einen gewaltigen Investitionsstau bei Verkehrswegen, der digitalen Infrastruktur und im Bildungswesen. Gestiegen sind allerdings – und das trotz eines langen positiven Konjunkturzyklus mit Rekordbeschäftigung – vor allem die Sozialausgaben. Sie liegen inzwischen bei rund einer Billion Euro im Jahr und damit fast um 150 Milliarden Euro höher als zu Beginn von Merkels Kanzlerschaft. Der Sozialstaat hinterlässt allein im Bundeshaushalt gewaltige Spuren. Im Etat 2020 wird er für gut 50 Prozent aller Ausgaben in Anspruch genommen. Und in der mittelfristigen Finanzplanung steigen die Anteile für Soziales weiter; in Richtung 53 Prozent.

Ludwig Erhard warnte in den 1950er-Jahren vor dem umverteilenden Versorgungsstaat, der die Menschen unfrei und wirtschaftlich bequem macht. Doch Deutschland hat diesen Status bereits erreicht. Immer mehr Bürger verzichten auf Leistung, ob als Arbeitnehmer oder als Unternehmer, weil sie sich durch Steuern und Abgaben sowie durch staatliche Überregulierung geschröpft und gegängelt fühlen. Schon Facharbeiter in der Industrie mit ihren Einkommen von bis zu 7000 Euro monatlich bezahlen als Single auf den letztverdienten Euro den Spitzensteuersatz.

Der politische Frust über diesen ausufernden Sozialstaat hat nicht zuletzt den starken Aufstieg der AfD befördert. Dabei lässt sich der gewaltige Kostenaufwuchs bei Weitem nicht allein mit der Rekordmigration in den Jahren 2015 und 2016 und ihren Langzeitfolgen erklären. Hauptkostentreiber waren und sind die Ausweitung von Sozialleistungen in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, aber auch im Hartz-IV-Bezug.

Überregulierter Arbeitsmarkt

Waren das noch Zeiten, als linke Gewerkschafter wie der damalige Stuttgarter IGM-Bezirksleiter Willi Bleicher einen gesetzlichen Mindestlohn vehement ablehnten, weil sie dadurch die Tarifhoheit der Gewerkschaften eingeschränkt sahen. Wenn sich die Politik in die Lohnfindung einmischt, dann werden Gewerkschaften als Interessenvertretung der Arbeitnehmer überflüssig, war sein Credo.

Längst haben wir einen gesetzlichen Mindestlohn, längst sehen sich Politiker aller Couleur als Oberregulierer des Arbeitsmarkts. Tarifverträge werden für allgemeinverbindlich erklärt, nicht tarifgebundene Unternehmen durch den Gesetzgeber zunehmende diskriminiert. Immer häufiger führen sich Sozialpolitiker als Ersatzgewerkschaften auf, die anstelle der Tarifparteien Arbeitsbedingungen und betriebliche Ablaufplanungen en détail regulieren wollen. Bei öffentlichen Vergaben werden sachfremde Auflagen zur Auftragsbedingung gemacht. Arbeitnehmer sollen von Teilzeit zu Vollzeit wechseln können und umgekehrt. Bei Ablehnung liegt die Beweislast selbstverständlich beim Arbeitgeber, was diesen mit zusätzlichen Dokumentationspflichten belastet.

Unter Gerhard Schröder wurde der Arbeitsmarkt flexibilisiert. Viele Experten sehen den Grund für den phänomenalen Aufschwung des deutschen Arbeitsmarkts genau in dessen Agenda-2010-Politik begründet. Die Zeitarbeit konnte sich etablieren. Bald wurden in dieser Branche Tarifverträge geschlossen, die Arbeitnehmern vergleichbare Rechte wie in anderen Betrieben verschafften. Dass in den von der IG-Metall dominierten Industriebranchen in der letzten Wirtschaftskrise 2009 so gut wie keine Kündigungen der Kernbelegschaften erfolgten, hatte ganz entscheidend damit zu tun, dass die Kündigung von dort beschäftigten Zeitarbeitern den Arbeitsrückgang kompensieren half. Trotzdem bekämpfen die Gewerkschaften die Zeitarbeit nach wie vor. Die Politik schränkt die Einsatzmöglichkeiten dieser Branche, die in vielen Unternehmen zur Abfederung von Lastspitzen unerlässlich ist, immer weiter ein. Wer einen Arbeitnehmer einstellt, muss diesem einen beamtenähnlichen Beschäftigungsstatus einräumen – auf Lebenszeit! Dabei lebt der öffentliche Dienst vorwiegend von der Wertschöpfung der Privatwirtschaft und nicht umgekehrt.

Doch nicht nur die Politik setzt auf mehr Staat, auch Industrievertreter stoßen manchmal ins gleiche Horn. Die Automobilbranche bettelt beim Staat um Subventionen, um den technologischen Strukturwandel in der Mobilität bestehen zu können. Obwohl die Krise am Arbeitsmarkt auch nicht in Ansätzen vergleichbar ist mit der letzten Rezession, appellieren Arbeitgeber und Gewerkschaft unisono an den Arbeitsminister, die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld schon mal vorsorglich auf 24 Monate zu erhöhen. So etwas nannte man früher Verträge zulasten Dritter.

Vollkasko-Mentalität der Bürger

Auch Vox populi darf bei der Reflexion über die zunehmende Wiederkehr des allzuständigen Staates nicht vergessen werden. Immer mehr Menschen setzen in ihrer Staatsgläubigkeit nicht nur auf den starken Staat, der innere und äußere Sicherheit garantiert, sondern missverstehen ihn als Vollkaskoversicherung gegen alle Unwägbarkeiten des Lebens. Eigenverantwortung und Subsidiarität sind aber eine notwendige Bedingung dafür, dass uns der moderne Sozialstaat nicht immer höhere Rechnungen präsentiert, über die sich Steuer- und Abgabenpflichtige dann häufig genug echauffieren. Wer immer mehr bestellt, bezahlt auch immer mehr. Das gilt nicht nur in der Kneipe, sondern auch beim Staat.

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