Die Große Koalition lässt sich für milliardenschwere Hilfsprogramme zur Bekämpfung der Pandemie feiern. Gleichzeitig hebelt sie die Marktwirtschaft aus – und der Bundestag stimmt seiner eigenen Bedeutungslosigkeit zu.

Das Einfrieren der Wirtschaft beim Versuch, die Folgen der Virus-Pandemie zu bekämpfen, wird katastrophale Folgen für Wohlstand und Beschäftigung haben. Mit dem jetzigen „Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ greift die Bundesregierung allerdings tief in die bisherige Mechanik der Marktwirtschaft ein und zerstört das, was Marktwirtschaft ausmacht: die auf freiwilligen Verträgen beruhende Organisation der Arbeitnehmer, Konsumenten und Unternehmer. Denn der eher harmlos daherkommende Paragraf 240 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird so erweitert, dass Schuldner künftig ihre Zahlungen mit Verweis auf das Virus verweigern und einstellen können. Mit einem Schlag wird damit eine zentrale Säule des gesamten Wirtschaftsrechts zerstört – vorerst längstens bis zum 31. Juli 2021. Es klingt harmlos.

Vom scheinbar harmlosen Mieterschutz zur Stilllegung des Wirtschaftskreislaufs

Zukünftig können praktisch alle Mieter einfach ihre Mietzahlung einstellen. Das klingt plausibel; wer will in der Pandemie schon Wohnungskündigungen oder gar Räumungen durchsetzen? Aber die Vorschläge sind so weich gefasst, dass eine eidesstattliche Erklärung des Mieters genügt. Es beginnt scheinbar harmlos mit dem Mieterschutz – aber hat weitreichende Konsequenzen, die bisher kaum öffentlich vorgestellt und schon gar nicht debattiert werden konnten. Was sozial klingt, schiebt die Probleme einfach weiter: Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten werden auf die Vermieter abgewälzt.

Damit haben CDU und CSU die Argumentation der Linken übernommen, dass Mieten eine Art Ausbeutung, ein „leistungsloses“ Einkommen seien. Das Bild vom Miet-Hai erhält Gesetzeskraft. Dass Vermieter ihrerseits Verträge zu erfüllen haben, Handwerkerrechnungen bezahlen, Darlehen abstottern, Energie- und Wasserrechnungen begleichen müssen oder schlicht von ihren Mieteinkünften leben: Aus Sicht der ganz großen Koalition ist das alles vergessen. Die reichen Unternehmer werden pandemisch begründet zur Kasse gebeten.

Aber das ist nur der Anfang. Denn auch die Vermieter können ihre Zahlungen aufschieben. Pauschal heißt es im Entwurf: „Für den Bereich des Zivilrechts soll mit diesem Gesetz ein Moratorium für die Erfüllung vertraglicher Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen eingeführt werden, das betroffenen Verbrauchern und Kleinstunternehmen, die wegen der COVID-19-Pandemie ihre vertraglich geschuldeten Leistungen nicht erbringen können, einen Aufschub gewährt. Dieser gilt für Geldleistungen und andere Leistungen.“

Den etwas komplizierten Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Eine einfache Erklärung genügt, und Zahlungen können eingestellt werden. Es ist eine Art „Reise-nach-Jerusalem“-Spiel in der Wirtschaft: Wer als erstes erklärt, dass er nicht zahlen kann, sitzt sicher; wer die Zahlung erhalten soll, steht im Leeren. Wenn Mieter nicht zahlen, kann demnach der Vermieter die Handwerker-Rechnung liegen lassen. Damit hängen Handwerker, aber auch Stadtwerke und Wasser- oder Energielieferanten in der Luft.

Rückfall in die Zeit vor der Wirtschafts- und Währungsreform 1948

Damit könnte dieses Gesetz einen verhängnisvollen Prozess in Gang setzen: Niemand zahlt mehr an niemanden. Die Wirtschaft kommt dann nicht wegen der Pandemie endgültig zum Stillstand, sondern weil niemand mehr bezahlt. Der Kreislauf der Wirtschaft wird stillgelegt. Waren und Leistungen werden zurückgehalten. Der Kern der Marktwirtschaft wird zerstört, denn sie beruht auf Verträgen, die Leistung und Gegenleistung festlegen und Zahlungen erzwingen. Im Extremfall heißt das: Zukünftig kann, wer halbwegs vernünftig ist, nur noch gegen sofortige Zahlung oder besser noch gegen Vorauskasse liefern – denn jede Rechnung kann mit Verweis auf Corona stillgelegt werden.

Streng genommen ist es ein Rückfall in die Zeit vor der Währungsreform vom Juni 1948, die das Wirtschaftswunder erst ermöglicht hat: Damals stockte die Wirtschaft, weil es keinerlei solides Geld gab. Warum sollte jemand irgendeine Ware verkaufen, die mit der faktisch wertlosen Reichsmark bezahlt wurde? Erst das Vertrauen in die im Zuge der Währungsreform eingeführte Deutsche Mark flankiert durch die von Ludwig Erhard durchgesetzte Wirtschaftsreform mit der sukzessiven Freigabe der Preise aus der staatlichen Festsetzung ermöglichte fast schlagartig, dass der Wirtschaftskreislauf in Gang kam: Waren wurden verkauft, Handwerksleistungen erbracht, Konsum- und Investitionsgüter hergestellt und verkauft.

Das nun unter Kanzlerin Angela Merkel geplante Gesetz zerstört diesen Ansatz Ludwig Erhards, indem sie ihn umdreht: Schlagartig würde der Wirtschaftskreislauf abgestellt. Formal bleibt der Euro als Währung bestehen. Aber Rechnungen müssen vorerst nicht mehr bezahlt werden. Die SPD triumphiert: Es ist wie ein später Sieg, den sie gegen die damalige Einführung der Marktwirtschaft erringt. Damals hatte sie mit den Gewerkschaften zusammen einen Generalstreik organisiert – gegen Wohlstand und Wachstum und für Staatswirtschaft.

Abschaffung der Marktwirtschaft auf Dauer?

Nun soll diese Regelung nur bis 30. September gelten, was vordergründig ganz vernünftig klingt. Aber auch am 30. September wird kein Gläubiger schlagartig in der Lage sein, seine bis dahin aufgelaufenen Schulden zu bezahlen. Wie auch? Schon ist vorgesehen, dass der Wirtschaftsminister zusammen mit dem Justizminister den generellen Zahlungsaufschub bis 31. Juli 2021 verlängern kann. Was dann passiert, ist klar: Weil massenhaft Zahlungen eingestellt sind und wahrscheinlich Massenarbeitslosigkeit herrscht, kommt es zur Verlängerung der Verlängerung. Die linke Mehrheit – einschließlich CDU und CSU – steht.

Aus der Vertragswirtschaft wird eine Willkürwirtschaft: Der Dumme ist, wer zahlt. Denn Pandemie hin oder her: Angesichts der Millionen und Abermillionen von Verträgen ist eine gerichtliche Überprüfung, ob hinter der Zahlungseinstellung wirklich die Pandemie steht, nicht möglich. Und letztlich ist doch alles Pandemie, oder? Und es gibt noch weitere Dumme: Das sind die, die im Vertrauen auf zukünftige Zahlungen noch Leistungen erbringen, Güter verkaufen oder herstellen. Denn die Käufer sind von der Zahlung freigestellt – zunächst bis auf Weiteres, schließlich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.

Deutschland stellt damit ein, was nach 1948 sein Erfolgsmodell war: die Marktwirtschaft, und kehrt zu einer Verordnungswirtschaft zurück. Der Staat und seine Bürokratien ziehen sich fein heraus. Zwar werden Milliarden über Milliarden zur Verfügung gestellt und dafür Schulden aufgenommen, die zukünftige Generationen schwer belasten, weil die Wirtschaftskraft ja durch diese Regelung eingeschränkt wird. Schon jetzt heißt es aber in der Begründung des Gesetzes: Es sei „nicht mit Sicherheit zu sagen, ob es den für diese Leistungen zuständigen Behörden in jedem Fall gelingen wird, den Antrag kurzfristig zu bearbeiten und die Gelder so zeitig auszuzahlen, dass ein kündigungsrelevanter Mietrückstand verhindert werden kann. Gleiches gilt für Unternehmen, die zur Überwindung des pandemiebedingten finanziellen Engpasses auf staatliche Hilfen angewiesen sind.“

Mit anderen Worten: Die Mühlen der Staatsbürokratie mahlen langsam, die Wirtschaft erstickt. Statt Gelder schnell auszuzahlen, werden also lieber alle Verträge auf Zahlungsverzögerung gestellt. Mehr Hohn und Spott für Bürger und Unternehmen, die arbeiten, hat sich noch keine Regierung erlaubt.

Der Bundestag? – Zum Ja-Sager-Apparat der Bundesregierung degradiert

Das alles geschieht praktisch unter Umgehung des Bundestags. Denn der findet nicht mehr statt – die Demokratie ist in Quarantäne. Dafür wurde ein Weg gelegt, der den Bundestag endgültig zum Ja-Sager-Apparat der Regierung degradiert. So heißt es in einem Schreiben des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Grosse-Brömer an die Abgeordneten: „Derzeit läuft die fachliche Abstimmung der Regierungsentwürfe mit den zuständigen Arbeitsgruppen und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Die Fraktion ist somit außerordentlich eng und frühzeitig in die Erstellung der Kabinettsvorlagen eingebunden“.

Ein entlarvender Satz: Nicht mehr die Abgeordneten werden informiert, sondern die Spitzen der Fraktion, die letztlich von der Kanzlerin gesteuert werden. Man wirft den Abgeordneten in Gestalt der Fraktionsfunktionäre ein paar Brocken hin – das war’s. Danach werden die Entwürfe an die Abgeordneten versandt, die wiederum ihren Partei- und Fraktionsfunktionären Fragen stellen dürfen.

Wie in einem Untertanen-Staat verläuft also die Kommunikation von der Regierung an ihre Fraktion; Abgeordnete haben das außergewöhnliche Recht, Fragen zu stellen. Abgeordnete, die Kritik daran haben oder sich der Stimme enthalten wollen „teilen dies bis Dienstag, dem 24.3. dem Büro des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers schriftlich mit“. Damit erhält die Fraktionsspitze eine Übersicht über aufmüpfige Abgeordnete. Noch schlimmer: „Die Abgabe von zustimmenden Voten ist nicht gesondert nötig. Schweigen wird mit Fristablauf als Zustimmung gewertet.“ Nahezu stolz heißt es weiter, das Verfahren trage „dem Gesundheitsschutz Rechnung“, „zugleich“ sei „die politische Willensbildung und Beschlussfassung“ gewährleistet.

Darüber abgestimmt wird am heutigen Mittwoch in einer Plenarsitzung. Es kann ja auch nichts mehr schiefgehen. Nur noch pro forma werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestags zustimmen dürfen, wenn Freiheit, Rechtsstaat und Marktwirtschaft auf zunächst begrenzte, bald unbestimmte Zeit suspendiert werden.

Roland Tichy ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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