In diesen Tagen geht es bei den Finanzpolitikern im Bundestag wieder hektisch zu. Das Jahressteuergesetz 2022 muss im Dezember-Fieber noch verabschiedet werden. Das ist jedes Jahr so, und meist handelt es sich um Anpassungen, die eher technischer Natur sind und daher öffentlich wenig auffallen. Doch das ist in diesem Jahr anders: Die Berliner Koalition beabsichtigt, im Schnellverfahren zentrale steuerpolitische Themen möglichst weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit in das Bundesgesetzblatt zu bringen. Das geschieht mittels der Änderung und Ergänzung der Gesetzesvorlage der Bundesregierung durch Anträge der Koalitionsfraktionen. Diese wiederum stammen aber nicht von den Fraktionen, sondern von der Bundesregierung, die sie via „Formulierungshilfen“ in die Gesetzgebung einbringt.

Wichtigster Punkt des steuergesetzlichen Überfalls ist das bisher als „Übergewinnsteuer“ öffentlich bekannte Sonderopfer der Energieindustrie. Diese Abschöpfung von in der Energiekrise gewachsenen Unternehmensgewinnen basiert auf einer europäischen Regelung. Allerdings ist dort das Wort „Steuer“ sorgfältig vermieden worden, und es ist nur die Rede von einem „Energiekrisenbeitrag“. Eine europäische Steuer hätte eines einstimmigen Beschlusses aller EU-Staaten bedurft – und den gab es nicht. Also handelt es sich wohl eher um eine Abgabe.

Mit einer „Abgabe“ wird es aber in Deutschland nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schwierig. Schon 2009 hatte das Gericht entschieden: „Das Grundgesetz enthält keinen abschließenden Kanon zulässiger Abgabetypen. Die grundgesetzliche Finanzverfassung verlöre aber ihren Sinn und ihre Funktion, wenn […] beliebig nichtsteuerliche Abgaben unter Umgehung der finanzverfassungsrechtlichen Verteilungsregeln begründet werden könnten und damit zugleich ein weiterer Zugriff auf die Ressourcen der Bürger eröffnet würde. Die Finanzverfassung schützt insofern auch die Bürger.“

Also wird es jetzt eine Steuer. Sie gilt für „Fossile Energieunternehmen, die von der kriegsbedingten Preisentwicklung besonders stark profitiert haben“. Der Beitrag soll für 2022 (rückwirkend) und 2023 erhoben werden und für die Gewinne gelten, die mehr als 20 Prozent über den Gewinnen der Jahre 2018 bis 2021 liegen. Darauf wird dann der Steuersatz von 33 Prozent erhoben.

Schon vor einigen Monaten habe ich an dieser Stelle grundsätzliche Bedenken gegen die Idee einer Übergewinnsteuer erhoben (vgl. ERHARD HEUTE vom 10. Juni 2022). Die jetzigen verkrampften Gesetzesvorlagen und die sehr verhaltene Verteidigung durch das Bundesfinanzministerium bestätigen meine Einwände. Es ist davon auszugehen, dass diese Steuer eine verfassungsrechtliche Prüfung nicht überstehen wird, denn die Auswahl der Unternehmen ist willkürlich. Steuern aber müssen dem Grundsatz der Belastungsgleichheit genügen – hier aber regiert die Willkür. Es war richtig, die Gewinne der Medizin-Unternehmen, die uns in der Pandemie gerettet haben, nicht zu besteuern. Aber daraus wird nun auch ein Vergleichsmaßstab. Solange nicht der Grundsatz „wenn Unternehmen besonders gut verdienen, zahlen sie eine Sondersteuer“ für alle gilt, gilt er für keinen. Und einen solchen, allgemein gültigen Grundsatz zu etablieren, ist wohl auch dieser Koalition zu absurd.

Hohe Gewinne sind die Chance für große Investitionen: Zukauf von Energieproduzenten, schnellere Entwicklung von Speicherkapazitäten, Geld, um schnell und umfangreich in CCS-Technik (Nutzung von CO² als Rohstoff) einsteigen zu können – Ideen gibt es genug. Eine Übergewinnsteuer wird solchen Investitionen schaden. Sie ist ein Irrweg und sollte im Bundesrat gestoppt werden.

Aber diese selbstherrliche Staatsfinanzierung durch Extra-Steuern ist nicht die einzige mit diesem Gesetz verbundene Fehlentscheidung. Zugleich werden öffentliche Unternehmen weiterhin entgegen den Vorschriften der EU privilegiert. Schon seit 2015 sind öffentliche Unternehmen europaweit verpflichtet, Umsatzsteuer auf ihre Leistungen zu erheben. Das dient der Fairness im Wettbewerb, wenn bundeseigene und kommunale Unternehmen mit privaten Unternehmen als Dienstleister konkurrieren. Die Kommunen bekamen 2015 eine satte Übergangsfrist bis zum Ende dieses Jahres. Ohne jeden Grund soll die Wettbewerbsverzerrung aber jetzt noch um weitere zwei Jahre verlängert werden. Und das obwohl den öffentlichen Betrieben an jeder Stelle Konkurrenz gut täte.

Es soll nicht vergessen werden, dass eine ebenfalls sehr technisch versteckte Änderung der Bewertungsregeln für Gebäude im Erbschaftsrecht dazu führen wird, dass sich in städtischen Gebieten die Erbschaftssteuer für das Einfamilienhaus der Eltern leicht verdoppeln kann, ohne dass Freibeträge angepasst werden. Als ob die Lasten in diesen Tagen nicht schon genug steigen würden! Schenkungen zu Weihnachten können das zwar noch vermeiden, aber auch diese zusätzliche Belastung wird die Staatsverdrossenheit in der Mittelschicht nur steigern.

Das unsystematische Manipulieren an einzelnen Hebeln des Steuerrechts zerstört Logik und Berechenbarkeit. Ohne Stabilität aber bremst das Steuerrecht neue Investitionen, die ja mit der Hoffnung auf Erfolg in einem fairen Wettbewerb und auf gute wirtschaftliche Gewinne getätigt werden. Willkür im Steuerrecht ist eine kostspielige Angelegenheit.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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