Der Krieg in Europa zwingt alle zur Bereitschaft neu zu denken. Wenn auch viele Herausforderungen, etwa die Klimakrise, gleichgeblieben sind, so werden die bisher gefundenen Antworten allesamt auf den Prüfstand müssen. Die Bundesregierung könnte sicher selbstbewusster gegenüber dem kriegerischen Diktator Putin auftreten, was die Gelassenheit bei einem eventuell notwendigen Stopp aller Gas-, Kohle- und Öllieferungen angeht. Richtig ist aber, dass wir die Abhängigkeit von diesen Lieferungen durch Einschränkungen bis hin zu einer Rezession zu verkraften hätten.

Alle Pläne zu einem schnellen Umbau der Energieproduktion in Deutschland waren schon bisher unrealistisch. Aktuell schafft es Deutschland nicht, binnen 10 Jahren neue Überlandleitungen von Nord nach Süd zu bauen. Eigenes Erdgas wollen wir schon lange nicht mehr fördern und die Idee, abgeschiedenes CO² in der Erde zu verpressen, hat auch bis heute keine Mehrheit. Natürlich will die Regierung es beim Nein zur Atomkraft belassen und über den unvermeidlich späteren Ausstieg aus der Kohle, besonders der belastenden Braunkohle, wird vornehm geschwiegen.

Wasserstoff ist einer der möglichen Träger einer belastbaren neuen Energieversorgung. Unabhängig davon, ob man damit PKWs fahren lassen kann, die Industrie wird ohne diese Energieform nicht auskommen. Hochöfen können wahrscheinlich so weiter Eisen schmelzen, LKWs können damit fahren, Gasheizungen werden schon heute so gebaut, dass sie auf Wasserstoff umgestellt werden können, und manche politische Herzen wurden beim bisher als unvermeidlich geltenden Zubau an Gaskraftwerken damit getröstet, dass man auch sie später mit Wasserstoff betreiben könne.

Doch die Einführung einer Wasserstoffwirtschaft steht vor dem allseits bekannten „Henne-Ei-Problem“. Wasserstoff ist zurzeit noch knapp und seine Herstellung teuer, also investieren nur wenige in Produktionsaufbau und Infrastruktur. In Deutschland verschärfen wir dieses Problem dramatisch, weil es bei uns nur „grüner“ Wasserstoff sein darf. Auf ihn werden wir in ausreichender Menge wohl noch ein Jahrzehnt warten müssen. Also bekommen wir keine ausreichenden Volumina zustande, um Produktionsumstellungen attraktiv zu machen, eine sinnvoll genutzte Infrastruktur aufzubauen und über die Menge zu günstigeren Preisen zu kommen. Aber ist das in den Zeiten des Umdenkens wirklich das vernünftige Ende der Diskussion?

Die Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft wird auch hier einerseits unterschätzt und zugleich durch zu viele ideologische Vorgaben unsinnig beschränkt. Es ist klar, dass dann die Staatsplaner auftreten, die meinen, sie könnten in Energieplänen, mit kollektivem Staatseinkauf und Zwangsumbauten von Wohnungen und Industrieunternehmen die Probleme lösen. Eine klare Priorität für Wasserstoff und die Bereitstellung einer entsprechenden Infrastruktur sind staatliche Aufgaben. Anreize zum schnellen Umstieg, etwa durch sogenannte Differenzkontrakte für die umstiegswillige Industrie, sind richtige Instrumente. Der Start mit der Bedingung, es dürfe nur „grünen“ Wasserstoff geben, ist dagegen völlig falsch. Wir brauchen Wasserstoff, woher er auch immer kommt. Der Umstieg in die grüne Stufe geschieht mit einer klugen CO2-Abgabe ohne jede staatliche Zwangsmaßnahme durch den Markt.

Diese Strategie werden die Franzosen einschlagen, die bis 2030 mindestens zwei Gigafabriken für Wasserstoff bauen und dabei Atomstrom nutzen. Diesen Weg wird auch Großbritannien gehen, wo die Wasserstoffproduktion direkt mit den neuen Kernkraftwerken verbunden wird. Auch Saudi-Arabien wird Wasserstoff zunächst aus Erdgas produzieren, um dann zu solargespeistem grünen Wasserstoff zu kommen. Deutschland wird dafür keine Kernkraftwerke nutzen. Aber es muss einen intergierten europäischen Weg in der Stromversorgung, der auch bei der Beschaffung von Wasserstoff gilt, ermöglichen. Nur wenn eine entsprechende Infrastruktur mit Pipelines, nationalen Versorgungsnetzen, Druckspeichern und Lieferstrukturen entsteht, kann der Preis sinken. Wie beim Solarstrom so ist auch hier die Wirtschaftlichkeit von dem gesamten Marktanteil abhängig. Wichtig wäre es, von monolithischen Langzeitlieferverträgen möglichst schnell zu einer Wasserstoffbörse zu kommen.

Am Ende sind wir wieder bei der Frage, was ein ordnungspolitisch konsequent gestaltetes marktwirtschaftliche System erreichen kann. Jedenfalls viel mehr, als jeder Regierungsplaner denkt. Wie seit Ludwig Erhards Zeiten ist das Spezifische einer gewinnorientierten offenen Marktwirtschaft die Tatsache, dass durch Innovation, Investition und Kreativität Ressourcen erschlossen werden – sei es durch Produktion oder Effizienzsteigerung – , mit denen kein noch so erfahrener Planer rechnete. Das waren von 73 Jahren die wie durch ein Wunder gefüllten Regale in allen Läden, das können heute die unerwarteten Lösungen für die befürchteten Versorgungslücken sein.

Wer das als Flucht aus einer nationalen Versorgung betrachtet, kennt die Zahlen nicht. Wir haben heute keine Produktion, keine Infrastruktur, aber große Ziele.  Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 jährlich bis zu 14 TWh grünen Wasserstoff herzustellen. Aber die Bundesregierung erwartet bis 2030 einen Wasserstoffbedarf in Deutschland von 90 bis 110 TWh, also werden wir nach bisherigen Plänen höchsten 20% unseres Bedarfs selbst herstellen. Die Anpassung und Beschleunigung nach Putins Krieg erfordert eine Erhöhung der verfügbaren Menge. Die wird aus dem Ausland, von Europa über die USA bis Afrika und Arabien, kommen müssen. Die Arroganz der Frage nach der Farbe können wir uns am Anfang nicht leisten, das ist der zweite Schritt, der kostenmäßig umso leichter wird, je höher das gehandelte Volumen dann schon ist.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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