Das 9-Euro-Ticket hat bei manchen Phantasien geweckt. In Deutschland gibt es deshalb eine facettenreiche Debatte über „politische Preise“. „Politisch“ ist jeder Preis, der sich nicht aus dem Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage auf Basis der Kosten der Leistungserbringung abspielt. Eine auf freiem Wettbewerb basierende Preisbildung wird hierzulande in etlichen Branchen durch staatliche Einmischungen über Subventionen, Finanzhilfen, Entlastungspakete, Zuschüsse, etc. verhindert.

Das Ticket mit dem politischen Preis hat einen politischen Grund. Es sollte die Belastung der Bürger durch die höheren Energiepreise wenigstens teilweise durch attraktive Nahverkehrsangebote kompensieren und war das politische Gegengeschäft zur Erhöhung der Pendlerpauschale, rückwirkend ab 1.1.2022. Natürlich müssen die drei Monate des politischen Tickets erst vollständig ausgewertet werden. Aber Verkehrsforscher und die Organisation der öffentlichen Verkehrsbetriebe sind sich heute schon einig: Das Ticket hat den Autoverkehr nicht reduziert, das Ticket wurde für längere Fahrten über einzelne Nahverkehrsgebiete hinaus genutzt, und vor allem touristische Ziele waren im Interesse der zusätzlichen Bus- und Bahn-Fahrer. Das 9-Euro-Ticket hat die erwünschte Verlagerung von der Straße auf die Schiene nachweislich nicht erbracht. Also müsste damit das Thema erledigt sein.

Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil: Interessengruppen und Verkehrsforscher wollen für einen willkürlichen, deutschlandweiten Preis irgendwo zwischen 29 und 69 Euro auch den Fernverkehr und sogar das Taxi zum Bahnhof einbeziehen. Wie viele Milliarden das kostet, wird man später sehen. Wenn man den Autofahrern den Dieselpreis erhöhe und die Pendlerpauschale streiche, könne das ja klappen, meint etwa Prof. Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung in einem Interview mit ntv.

Vergessen wir für einen Augenblick die Milchmädchenrechnung, wie etwa die Pendlerpauschalen-Streichung, die bei Einführung eines Fahrtenbuches für Arbeitnehmer unbestritten zu höheren Belastungen des öffentlichen Haushalts führen würde. Konzentrieren wir uns auf die Rolle des Preises: Dann nämlich sind wir sehr schnell bei der alten Frage, warum eine Planwirtschaft weniger effizient ist als eine Marktwirtschaft.

Was erleben alle Bürger an den Passausgabe-Stellen der Rathäuser? Man hat das Gefühl, man müsse letztlich froh sein, wenn man seinen Pass bekommt – geradezu eine Freundlichkeit der Verwaltung. Das ist schwer zu beheben; hier gibt es unvermeidlich das Staatsmonopol. Aber sollte man nicht die Gefahr sehen, dass ein Monopolunternehmen, das ganz überwiegend von Subventionen lebt, auch in die Versuchung gerät, die Subventionen mit möglichst wenig Anstrengung zu bekommen, also weniger Kunden oder weniger Fahrten? Nach welchen sachlichen Kriterien werden im Fall der Deutschen Bahn AG knappe Mittel für Beschaffung von Fahrzeugen und Schienenbau vergeben, wenn die Frage, ob sich die Investition rechnet, von Anfang an unbedeutend ist? Die Deutsche Bahn hat heute mit Flix einen Mitbewerber, der ihr in Preis und Qualität Beine macht. Flix musste in den vergangenen drei Monaten viele Strecken einstellen und wird eine neue Runde politischer Tickets wahrscheinlich nicht überstehen. Ein Glück für die Bahn –aber auch für ihre Kunden?

Der Fernverkehr der Bahn ist bis heute abzüglich der Investitionen in die Schiene kostendeckend. Will man das auch noch durch politische Preise in Frage stellen? Eine Trennung zwischen der öffentlichen Schiene (wie bei der öffentlichen Straße) und dem darauf betriebenen Beförderungsgeschäft ist lange überfällig. Aber durch politische Preise der Beförderung gewinnen die Ideologen zugleich auch die Schlacht gegen eine solche Trennung von Schiene und Betrieb.

Es mag sein, dass auch bei einem insgesamt wirtschaftlich arbeitenden Betrieb der Nahverkehr einen Zuschuss benötigt. Der Party-Bus um zwei Uhr nachts und die Erschließung der Vororte am Sonntag wird niemals wirtschaftlich werden. Hier sollte der Staat so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich ausgleichend agieren. In seinen Parlamenten können Strecke für Strecke der Bedarf und seine Kosten abgewogen werden. Auch der Pendler-Parkplatz am Stadtrand ist möglicherweise im öffentlichen Interesse. Aber ein deutschlandweites 9-Euro-Ticket, dass die Punks bis Sylt bringt, gehört nicht in den Topf der Steuerzahler.

Die Ökonomen kennen das „Gesetz der Allmende“: Alles, was keinen angemessenen, auf die Leistung bezogenen Preis hat, wird weder gut verwaltet noch verantwortungsvoll genutzt. Der Glaube, auch das Bahn- und Bus-Ticket sei ein geeignetes Instrument für gesellschaftliche Umverteilung, ist ohnehin ein Irrtum.

Eines sollte nicht unterschlagen werden. Das 9-Euro-Ticket wurde endlich online verkauft und bundesweit gegenseitig anerkannt. Das dies erst jetzt passierte, ist ein eindrucksvoller Beweis der langjährigen Unfähigkeit, mehr wohl noch der Unwilligkeit der öffentlichen Verkehrsbetriebe, die Wünsche Ihrer Kunden zu berücksichtigen. Aber auch das war nur im sicheren Schutz der Monopol-Stellungmöglich. Die Erwartung allerdings, dass mit politischen Preisen die Planwirtschaften auf Kundenwünsche Rücksicht nehmen, kennt historisch keinen Beleg.

Wenn der Preis seiner Lenkungsfunktion beraubt wird, ist es eigentlich egal, ob das Ticket 69, 29 oder 9 Euro kostet. Man kann es dann auch verschenken. Schon der politische Preis des 9-Euro-Ticket war eine Verschwendung. Die Fortsetzung in welcher Form auch immer wäre ein schwerer Schaden.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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