Eigentlich hätte heute hier ein Kommentar zum Thema Wohnungsbau gestanden und der ist auch nur aufgeschoben. Aber in diesen Stunden, in denen unsere europäische Friedenszeit nach mehr als 75 Jahren dramatisch zerbrochen ist, muss die Frage gestellt werden, welchen Beitrag Wirtschaft und Handel in den Zeiten eines Krieges leisten können. Ludwig Erhard war ein Freund des freien Welthandels. Das Instrument der Wirtschaftssanktionen war damals kein Thema. So war seine Position im Grundsätzlichen: „Ich glaube, dass es der Denkkategorie einer hoffentlich überwundenen Vergangenheit angehört, die Handelspolitik als eine Dienerin der Außenpolitik oder gar als Instrument staatlicher Machtpolitik aufzufassen.“ Hätte man ihn heute also an der Seite der ganz Wenigen in Deutschland gesehen, die die Ausrufung der Sanktionen gegen Putins illegale Landnahme ablehnen?

Ich bin überzeugt, dass dies nicht der Fall wäre. Schon in den Debatten der Korea-Krise Anfang der 50er Jahre stellte er klar: „Es ist … darauf hinzuweisen, dass sich die ganze wirtschaftliche Entwicklung im Schatten des Korea-Krieges, also eines tragischen politischen Ereignisses, vollzogen hat und dass sich daraus für die ganze demokratische Welt die Notwendigkeit ergibt, Teile ihrer Arbeit, Teile des Sozialprodukts zur Verteidigung der Demokratie, zur Verteidigung der menschlichen Freiheiten bereitzustellen.“ (Rede im Deutschen Bundestag am 14.3.1951)

Sanktionen jedweder Art sind ein Verstoß gegen die Regeln des freien Handels. Sie schädigen Wirtschaftszweige und einzelne Unternehmen, sie beeinträchtigen die Rohstoffversorgung und machen das Leben teurer. Diese Opfer verlangen, dass nur im Notfall ein solcher Eingriff legitimiert ist.

In diesen Tagen ist ein solcher Notfall eingetreten. Putin hatte die Ukraine 2014 schon fast wieder unter seine hegemoniale Gewalt gebracht, als eine Welle des Freiheitswillens vom Kiewer Majdan durch das Land ging. Die Ukrainer suchten Freiheit, Wohlstand und Unabhängigkeit von Moskau. Das war und ist ihr gutes Recht. Die offensichtliche Erwartung Putins, die Nachbarvölker Russlands müssten arm und unfrei bleiben, damit die Funken der Veränderung nicht bis nach Moskau sprühen, ist in jeder Hinsicht illegitim. Wir Deutschen haben vor dem Hintergrund unserer Geschichte entschieden, Kampfeinsätze unserer Soldaten ausschließlich zur Verteidigung im Rahmen der NATO einzusetzen, und das ist gut so. Ob die Verweigerung von Panzerabwehrwaffen bei gleichzeitiger Bereitstellung von 5000 Helmen angemessen ist, bleibt eine andere Frage.

Sanktionen sind immer mit Opfern verbunden. Sie sind nach dem Verzicht auf militärischen Beistand die einzige Möglichkeit, einen offensichtlich völkerrechtswidrigen Angriff auf einen Staat in unserer unmittelbaren Nachbarschaft irgendwie zu beantworten. Darauf zu verzichten hieße, die Hände in den Schoß zu legen und jeden gewähren zu lassen, der Gewalt über Recht stellt. Das aber widerspricht all unserer geschichtlichen Erfahrung und macht den Gedanken des Menschenrechts auf Freiheit hohl und brüchig.

In solchen Tagen gibt es eine große Verantwortung der Regierungen. Sanktionen müssen definiert werden, Schäden im eigenen Land müssen bewertet werden, und daraus muss eine Strategie entstehen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat mit Simulationen in den letzten Stunden errechnet, dass ein Gasembargo wahrscheinlich die größeren Schäden in Russland auslöst, während in Deutschland das Wirtschaftswachstum sogar mittelfristig um 0,1 Prozent steigern würde. Die westlichen Verbündeten könnten nämlich die fehlenden Importe Russlands durch Produkte der Bündnispartner ersetzen. Und hier ist Deutschland besonders wettbewerbsfähig. Das IfW führt weiter aus, dass Deutschland dann „bei der energieintensiven Produktion bzw. Verarbeitung von Metallen einen Kostenvorteil“ hätte, weil der „Energiemix nur zu verhältnismäßig geringen Teilen aus russischem Gas besteht.“ Aber dazu braucht die Bundesregierung einen hochrangigen Beauftragten, der Deutschland im internationalen Gasmarkt positioniert. Ferner liefert Deutschland noch immer Produkte, die für militärische Produkte eingesetzt werden können. Das muss sofort aufhören. Der Ausschluss Russlands aus den Finanzmärkten muss Stufe für Stufe erfolgen. Wir brauchen eine solche transparente Strategie, damit die Lasten im eigenen Land verstanden und getragen werden. Und den betroffenen Industrien muss zumindest mit Krediten und Steuerstundungen im Falle existenzieller Not geholfen werden.

Ja, wir stellen damit Teile unseres Sozialprodukts, unserer Arbeitsleistung, in den Dienst der Verteidigung der Demokratie und der menschlichen Freiheiten, wie es Ludwig Erhard ausgedrückt hat. Aber wir sollten uns nicht einbilden, wir täten es nur für „die anderen“. Der neue Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, einer der erfahrensten und anerkanntesten Diplomaten unseres Landes und wahrlich kein Falke, hat es auf den Punkt gebracht: „Wer den Oppositionsführer vergiftet, wer vor unserer Nase im Tiergarten einen Gegner umbringen lässt, wer den Massenmörder Assad in Syrien unterstützt und russische Söldner in Afrika ihr Unwesen treiben lässt, der scheut auch nicht davor zurück, seine Nachbarn zu überfallen. Nettigkeiten sind als Reaktion fehl am Platz.“ Das muss der Maßstab für die Wahrnehmung deutscher und europäischer Interessen sein.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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