Gleich in zwei Politikbereichen hat Bundeskanzler Scholz „Ballast“ abgeworfen. Oder anders ausgedrückt, er hat die Koordination wichtiger Aufgaben in ein Fachressort abgegeben. Das trifft zum einen die Verantwortung im Bereich Digitalisierung (die Staatsministerin für Digitales gibt es nicht mehr und der Verkehrsminister hat die Aufgabe) und zum anderen die Verwaltungsmodernisierung (den Normenkontrollrat soll es zwar noch geben, aber eben nicht mehr im Kanzleramt, sondern im Bundesjustizministerium).

Beide Aufgaben liegen nun bei Ministern der FDP und die werden alles daransetzen, ihre Aufgaben gut zu erledigen. Die Entscheidungen des Bundeskanzlers sind nach meiner Erfahrung falsch, nicht wegen der Kompetenz in den Ressorts, sondern wegen der Struktur von Regierungsarbeit. Bei beiden Themen, der Digitalisierung sowie der Verwaltungsmodernisierung und Normenkontrolle gibt es immer Gewinner und Verlierer. Ressortminister führen nach unserem Grundgesetz ihre jeweiligen Ministerien in eigener Verantwortung. Die Entscheidung über Prioritäten, die Intensität der Zusammenarbeit mit anderen Ministerien oder gar die Zurücknahmen von eigenen Ressortinteressen ist eindeutig nicht bei „der Bundesregierung“, sondern den Ministern. Nur zwei Instanzen können dort eingreifen. Das ist zum einen der Gesetzgeber, der ja auch über den Haushalt viel regeln kann, und vor allem der Bundeskanzler mit seiner Richtlinienkompetenz. Seine Prioritäten, auch wenn Ressortinteressen dahinter zurückstehen, müssen befolgt werden.

Wie sehr sich auch die Minister Wissing und Buschmann bei Digitalisierung oder Verwaltungsmodernisierung anstrengen, kein Ministerium muss ihnen folgen. Nur das Machtwort des Kanzlers kann sie schützen. Die Versuche von Ressorts, sich gegenseitig zu blockieren, um jeweils eigene Ideen vollziehen zu können oder aber auch, um einfach nicht transparent werden zu müssen, füllen Bücher. Und dann kommt noch hinzu. Dass die Richtlinienkompetenz des SPD-Kanzlers dauernd für FDP-Ressorts eingesetzt wird, ist nicht lebensnah.

Gerade das Thema Digitalisierung hat auf diese Weise einen rasanten Abstieg hinter sich. Nach wie vor fehlt für Bürger und Wirtschaft enorm viel, um mit anderen Staaten wettbewerbsfähig zu sein. Ob ein Digitalministerium besser gewesen wäre als die Konzentration der Aufgabe im Kanzleramt, darüber mag man streiten. Aber dass der Verkehrsminister jetzt auch für Datenautobahnen zuständig ist, macht daraus keine Schnellstrecken. Was fehlt ist eine einheitliche Verantwortung für die Governance und die Architektur der digitalen Verwaltung. Datensysteme müssen miteinander verbindbar sein, zentrale Rechenzentren müssen von allen genutzt werden, und die Anwenderprogramme müssen ressortübergreifend standardisiert sein. Im Klartext, kein Minister darf seine eigene digitale Welt bauen, er muss sich mit einem Zimmer im gemeinsamen Haus begnügen. Man darf gespannt sein, wer das durchsetzt.

Der Normenkontrollrat wurde 2006 von Angela Merkel als eine unabhängige kritische Beratungsinstanz der Bundesregierung gegründet. Diese Rolle hat der Rat trotz vieler Schwierigkeiten und mancher Geringschätzung unter der Führung von Johannes Ludewig gut erfüllt. Die Debatte um Normkosten jedes einzelnen Gesetzes, der Grundsatz für jede neue Regelung eine bestehende aufzuheben, die Anstöße für moderne Verfahren zur Gesetzgebung sind dafür Beispiele. Eine fundierte Regulierungsfolgenabschätzung ist im Gegensatz zu der etablierten Technologiefolgenabschätzung allerdings noch immer nicht auf der Tagesordnung der Regierung.

Keines dieser Themen ist alleinige Ressortaufgabe des Justizministeriums. Kanzler Scholz wollte Thema und Gremium einfach loswerden. Minister Buschmann nennt als Begründung ja auch lediglich, dass er damit eine Entscheidung aus dem Organisationserlass des Bundeskanzlers umsetze. Aufbruch ist das nicht. Und die amtierende Vorsitzende des Normenkontrollrates begrüßt die fortbestehende Unabhängigkeit des Rates, um dann diplomatisch festzustellen: „Der Wechsel zum Bundesministerium der Justiz bringt aber auch Herausforderungen mit sich.“

Ein für den Bürger und die Wirtschaft barrierefrei digital erreichbarer Staat und der beständige Versuch, weniger staatliche Regulierung zu leben, finden am Start der neuen Regierung keine gute Heimat. Es bleibt zu hoffen, dass das Interesse der neuen Verantwortlichen doch dazu führt, dass die Themen nicht aufs Abstellgleis geraten.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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