Die EZB hat sich in einer entscheidenden Frage offensichtlich geirrt. Die hohen Teuerungsraten sind kein kurzfristiger Pandemieeffekt, die Ankündigung, dieses Ereignis regungslos auszusitzen war falsch. Wissenschaftler und Politiker zeigen in diesen Tagen nur allzu oft, das rasante Entwicklungen nicht immer korrekt vorausgesagt werden können und Korrekturen unvermeidlich sind.

Wenn Notenbanken sich irren, ist das schlimmer als bei Politikern. Wenn beide falsch handeln, endet das in einer Katastrophe. Das zeigt uns gerade die Türkei, wo der türkische Präsident Erdogan meint, man könne Inflation mit niedrigen Zinsen bekämpfen. Die gefährdete Stabilität einer Währung kann zumindest zu großen Irritationen führen. Mangelndes Vertrauen in die Prognosen der Zentralbanken erzeugt zudem gefährliche Unsicherheiten an den Kapitalmärkten der Welt, die im schlimmsten Fall zum Crash führen.

Die EZB ist unter den Notenbanken sehr zögerlich. Die US-Notenbank FED als amerikanisches Pendant dagegen hat schon länger zu einem klareren Kurs gefunden. Die Fehleinschätzung wurde früher bemerkt und die Kommunikation der Folgen bleibt somit berechenbarer. Deshalb kam die US-Ankündigung der bis zu vier Zinsschritten allein in diesem Jahr und der Start der Rückführung der Bilanz. Unsicherheit, wie sie die EZB zulässt, indem sie außer eingeräumter eigener Neubewertung keine klaren und berechenbaren Schritte und Instrumente für die nächsten Monate ankündigt, löst weitere Fragen aus. Schließlich hat die Bundesbank schon länger gemahnt, und die Zahl der europäischen Notenbank-Gouverneure, die sich besorgt äußern, wächst. Die Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, bleibt in einem seltsamen Modus der Unentschlossenheit.

„Das Kardinalproblem der Wirtschaftspolitik besteht deshalb darin, den weiteren Wirtschaftsaufschwung frei von inflationistischen Tendenzen zu halten. Die Aufrechterhaltung der Geldwertstabilität ist die unabdingbare Voraussetzung für ein gleichgewichtiges wirtschaftliches Wachstum und für einen echten und gesicherten sozialen Fortschritt.“ (Ludwig Erhard, 1957)

Das ist aus drei Gründen hoch gefährlich. Zum einen führen die verweigerten Zinsschritte zu einem weiteren deutlichen Vermögensverfall in allen Euro-Ländern, und eine ansteigende Inflation gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Außerdem verstärkt die ökonomisch nicht nachvollziehbare Enthaltsamkeit den Verdacht, die Gremien der EZB hätten sich seit Draghi so weit in die Staatsfinanzierung einbinden lassen, dass ihre Sorge vor fiskalischer Instabilität einiger Euro-Länder größer ist als die ureigene Verantwortung für Währungsstabilität.

Da fällt der Blick trotz des öffentlichen Eindrucks in Deutschland eben nicht nur auf das Italien Draghis. Frankreich, für das die EZB-Präsidentin lange Zeit an führender Stelle Verantwortung trug, ist wahrscheinlich in noch schwererem Wasser. Schon vor Corona musste Frankreich neue Schulden aufnehmen, um die alten zu bedienen; in Italien war das lange Jahre nicht der Fall. Das Haushaltsdefizit des vergangenen Jahres dürfte bei rund 8 Prozent landen. Das führt zu einer Gesamtverschuldung von 116 Prozent, also rund doppelt so viel, wie nach den Europäischen Verträgen zulässig.

Es kann nicht bestritten werden, dass Zinsschritte Auswirkungen auf die Staatshaushalte haben, sowie ein notwendiges Ende der Anleihekäufe die privaten Finanzierungsmärkte und die Aktienmärkte beeinflussen werden. Deshalb ist gegen Behutsamkeit nichts zu sagen, aber erlebbare Unentschlossenheit ist keine Behutsamkeit. Die Europäische Zentralbank verantwortet eine herausfordernde Währung. Das Währungsgebiet ist nicht ideal, die politische Union neben der Währungsunion ist gefährlich unvollständig. In einer solchen Situation ist Unentschlossenheit und damit einhergehender Vertrauensverlust besonders riskant.

Der Zentralbankrat der EZB trifft sich im März erneut. Die Präsidentin war vor wenigen Tagen in einer die Märkte irritierenden Weise uneindeutig. Das geht nicht mehr lange gut. Die Nationen, die ihre Währungssouveränität an die EZB abgegeben haben, müssen erwarten und müssen auch damit leben, dass die vertragliche Verpflichtung zur Geldwertstabilität das Entscheidungskriterium ist. Die Zinsen müssen in mehreren Schritten nach oben, die Mitgliedsländer müssen ihre Verschuldung den neuen Spielräumen anpassen, und die Zeit des lockeren Geldes muss ein Ende haben.

Ein Nachsatz sei erlaubt: Von einer Notenbank sollte man auch erwarten, dass sie die geopolitischen Veränderungen in ihre Prognosen einbezieht. Das Abkommen von Paris, der Green Deal der Europäischen Nationalstaaten und die teure Energiepolitik wichtiger Länder wie Deutschland, müssen bezahlt werden. Das geschieht durch höhere Preise in nahezu jedem Sektor und in nahezu jeder Wertschöpfungsstufe. Die Gelassenheit, mit der die EZB dieses offensichtliche Phänomen gerade erst zu entdecken scheint, muss ebenfalls ein Ende haben.

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