„… es gibt eine und nur eine soziale Verantwortung der Unternehmen – ihre Ressourcen zu nutzen und sich in Aktivitäten zu engagieren, die darauf abzielen, ihre Gewinne zu steigern, solange sie sich an die Spielregeln halten, d.h. sich im offenen und freien Wettbewerb ohne Täuschung oder Betrug engagieren.“ Das schrieb Milton Friedman im Jahr 1970 und löste damit eine Debatte über die Verantwortung der Unternehmen und zur Begründung des „Shareholdervalue“ aus. Ludwig Erhard sah jedoch die Verantwortung des Unternehmers in der Gesellschaft viel mehr als eine Verpflichtung, die nicht an den Werkstoren endet. „Die soziale Marktwirtschaft schließt alle Schichten unseres Volkes, insbesondere Unternehmer und Arbeiter zu echter Zusammenarbeit an gemeinsamen Zielen zusammen. Unsere Politik dient dem Zwecke, immer weitere Schichten unseres Volkes an einem gehobenen Lebensstandard teilhaben zu lassen.“ (Wohlstand für Alle)

Wer diese Zitate liest, sieht einen Konflikt über die Balance der Interessen in einer modernen Gesellschaft. Bei allen offensichtlichen Unterschieden waren Friedman und Erhard jedoch in einem Punkt einig. Die soziale Verantwortung ist in die Entscheidung der Unternehmen und Unternehmer gelegt und kein allgemein verbindliches Definitionsrecht des Staates. Darauf basiert der Gedanke der Marktwirtschaft und die Souveränität der individuellen Marktteilnehmer. Jeder Einfluss des Staates auf die spezifischen Zwecke des unternehmerischen Handelns reduziert Freiheit, die Effizienz des Marktes und letztlich den Wohlstand.

Ich habe in diesen Kommentaren schon mehrfach über die „Grüne Taxonomie“ im Rahmen des „Green Deal“ der Europäischen Union geschrieben. Diese durch den Streit um die Nachhaltigkeit von Atomstrom und Erdgas einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gewordene Regulierung zielt auf den Finanzmarkt. Kredite und Anleihen, Aktien und andere handelbare Wertpapiere müssen, soweit sie von Instituten der Finanzindustrie ausgegeben und gehandelt werden, in Zukunft Kriterien der Nachhaltigkeit, wie sie genau auf über 600 Seiten geregelt sind, entsprechen. Tun sie das nicht, erhöhen sich die Kosten für die beteiligten Finanzinstitute. Also werden sie es vermeiden. Die grüne Taxonomie ist der umfassendste Eingriff in die unternehmerische Freiheit, seit Ludwig Erhard die Soziale Marktwirtschaft einführte. Unter dem heeren Ziel der Klimapolitik werden Technologien privilegiert oder verboten, Produktionsprozesse und ganze Industrien aus der Finanzierung fast vollständig ausgeschlossen.

Was bisher ein Gerücht war, bestätigt sich in diesen Tagen. Nach der massiven Wirtschaftslenkung im Bereich der Technologie bereitet die Kommission nun einen weiteren und noch schwereren Eingriff in die Freiheit der Unternehmensführung vor. Eine zusätzlich von ihr berufene Expertenkommission hat einen Entwurf für eine „Soziale Taxonomie“ vorgelegt (s. a. Die Welt vom 11.2.). Unternehmen sollen bezüglich ihrer Kreditwürdigkeit oder ihrer Geeignetheit für Investoren in Zukunft auch danach beurteilt werden, ob sie den Mitarbeitern „auskömmliche“ Löhne zahlen, welche Angebote für Kinderbetreuung sie machen oder welche betriebliche Altersversorgung sie anbieten. Der „Nutzen“ der unternehmerischen Leistung für Kunden und Gesamtgesellschaft soll in die Bewertung einfließen.

Dieser Entwurf, der auf Beschluss der Europäischen Kommission entwickelt wurde, schlägt über den Umweg der Finanzierung eine alle Bereiche umfassende zentrale Unternehmenssteuerung vor. Finanzinstitute sollen zur Umwelt- und Sozialpolizei werden. Unternehmen müssten auf jede eigene Strategie in Technologie, Sozialpolitik und gesellschaftliche Verantwortung verzichten, endlose Berichte schreiben und am Ende wären sie abhängig von der Interpretation einer in jedes Detail unternehmerischer Entscheidung vordringenden Regulierung. Das perfide dabei ist, dass die europäische Finanzkultur auf Kredite von Finanzinstituten aufbaut, ganz im Gegensatz zu den weit verbreiteten Finanzierungsinstrumenten über die Kapitalmärkte in den USA. Die neue Polizei, genannt Finanzindustrie, hätte alles im Griff.

Man muss von einer Bundesregierung und einem Wirtschaftsminister, dessen zentraler Konferenzraum „Ludwig-Erhard-Saal“ heißt, verlangen, eine solche Regelung in Bausch und Bogen abzulehnen. Im Augenblick scheint sogar die Kommission mit der endgültigen Veröffentlichung des Berichts vorsichtig geworden zu sein. Ein klares Wort aus Berlin kann diesen erneuten und tiefgehenden Angriff auf die Soziale Marktwirtschaft noch verhindern.

Milton Friedmans Verdikt ist heute umstrittener denn je. Die Unternehmen in Europa sind sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst. Das Wort „Purpose“ als wichtigste Leitidee moderner Unternehmen hat den Shareholdervalue schon bei vielen abgelöst. Die Kunden verlangen das, die Arbeitnehmer machen das zur Bedingung bei der Arbeitsplatzwahl und viele Investoren legen längst auf die Betrachtung der Unternehmensziele in Verantwortung für die Gesellschaft wert. Der Markt macht es, nicht die Bürokraten. Die „Soziale Taxonomie“ wird nicht gebraucht. Sie schadet, denn sie kostet unternehmerische Kreativität, sie macht Europa weniger wettbewerbsfähig und obwohl sie das Wort „sozial“ enthält, schadet sie dem Wohlstand für Alle.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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