Es gibt hierzulande keine Zensur, aber jede Menge Selbst-Zensur. Eine Schere im Kopf. Die Wirkungsweise der „Schweigespirale“ hat Elisabeth Noelle-Neumann vor über dreißig Jahren beschrieben. Menschen trauen sich nicht mehr, ihre wahre Meinung zu sagen, weil sie aus Furcht vor sozialer Isolation sich der angeblichen Mehrheitsmeinung anpassen. Seit dreißig Jahren erleben wir, wie eine linksgerichtete „Political Correctness“ es in Europa immer schwieriger macht, über viele Probleme offen zu debattieren. Die eine (linke) Seite oktroyiert der anderen Seite eine „korrekte“ Meinung auf, bestimmte Begriffe und ideelle Konzepte darf man kaum noch aussprechen, ohne dass – Neudeutsch gesprochen – ein Shitstorm inszeniert wird.

Das erleben wir etwa, wenn es um die Folgen der Zuwanderung geht. Ich bestreite nicht, dass Deutschland (qualifizierte) Zuwanderung braucht, aber die Politik hat über Jahrzehnte versagt, die Zuwanderung entsprechend zu steuern. Die Schattenseiten versuchen viele Journalisten nun dadurch auszublenden, indem sie systematisch Fakten (etwa über die ethnische Herkunft von Kriminellen) unter den Teppich kehren und verschweigen. Das ist peinlich, weil die Leser sich inzwischen im Internet leicht anderswo informieren können. Ein Beispiel waren neulich die Randale eines libanesisch-kurdischen Clans in Hameln – in vielen Medien war nur von einer ominösen „Großfamilie“ die Rede. Wenn systematisch Fakten unterdrückt werden, kann ich den Ärger der Leser gut verstehen.

Nach den Terror-Anschlägen mehrerer Islamisten in Paris auf die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ konnte man viel Anteilnahme, aber auch viel Heuchelei beobachten. Unter den Regierungschefs, die sich in Paris „solidarisch“ zeigten und angeblich für die Pressefreiheit demonstrierten, waren jede Menge mehr oder weniger harte Despoten, die zuhause die Presse kujonieren. Und zweitens: Obwohl die Täter sich ja eindeutig auf den Islam beziehen, dessen Geschichte von Mohammed an voller Gewalt ist, beeilte sich fast die gesamte politische und intellektuelle Klasse zu behaupten, „das hat nichts mit dem Islam zu tun“. Erst später trauten sich Einzelne, etwas differenzierter zu sprechen.

Und die Meinungs- und Pressefreiheit? Ist sie durch die Reaktionen und Demonstrationen nach dem Massenmord von Paris gestärkt worden? Ich bezweifle das. Die Angst, bissig-kritisch über den Islam zu sprechen, ist überall greifbar. Jetzt kam heraus, dass sie beim Kölner Karneval einen prämierten Entwurf für einen Wagen aus Furcht vor islamischen Reaktionen abgesagt haben: Darauf war zu sehen, wie ein Mann/Zeichner/Journalist einem islamischen Terroristen einen Bleistift in den Gewehrlauf rammt. Wie feige von dem Karnevalsverein, diesen Wagen aus dem Programm zu nehmen. Vielleicht sollte man einen neuen Wagen mit einem neuen Symbol für die geistige Verfassung des Westens konzipieren. Was wäre das geeignete Symbol? Ich schlage vor: eine sehr große Schere, die viele im Kopf tragen.

Der Text erschien zuerst auf der Internet-Seite des Autors: www.pplickert.de

Philip Plickert ist Redakteur im Ressort Wirtschaft bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Jahr 2009 erhielt er den Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik.

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