Nach Hessen und Baden-Württemberg werden noch nach aller Wahrscheinlichkeit und mit durchaus deutlichen Mehrheiten Koalitionen aus CDU und Grünen in weiteren Bundesländern regieren. Damit werden mehr als 38 Millionen Menschen in sehr vielen Frage der Infrastruktur, der Wirtschaftsförderung, der Bildung und der öffentlichen Verwaltung mit dieser noch vor einigen Jahren noch eher ausgeschlossenen Konstellation konfrontiert. In einem oder auch zwei Bundesländern können die Parteien das durchaus zähneknirschend als Notlösung darstellen, bei fast der Hälfte der Bevölkerung als Betroffenen muss daraus eine inhaltliche Konzeption werden.

Als im August 1983 ein grüner Landtagsabgeordneter den Befehlshaber des V. US-Corps, General Paul S. Williams, mit Blut bespritze, um mit dem „Blutanschlag“ gegen die Außen- und Militärpolitik der US-Regierung zu protestieren, wäre das alles undenkbar geworden. Wer heute die klaren Bekenntnisse der Außenministerin zur NATO hört, merkt, wieviel sich verändert hat. Die Grünen haben das Vertrauen einer großen Zahl von Wählerinnen und Wählern, weil sie offensichtlich glaubwürdig die Rücksicht auf die Überlebensperspektiven zu ihrem Identitätsthema gemacht haben, aber heute auch in Fragen der Außenpolitik die Mitte der Gesellschaft erreichen. Ihre Herausforderung liegt bei den Themen Wohlstand und Wachstum, die aber für die meisten existenziell ist.

Die CDU steht vor der Herausforderung, dass ihre Wirtschaftskompetenz auch deshalb geringer wurde, weil sie auf die Herausforderungen von Umweltzerstörung bis zumindest gefühlt wachsender sozialer Ungleichheit keine verständlichen Antworten gefunden hat. Ihre Repräsentanten waren oft von den neu entwickelten Erwartungen und Lebensgefühlen zu weit entfernt. Ohne eine Korrektur dieser Einschätzungen ist sie, keineswegs nur für junge Leute, nicht attraktiv genug.

Schon in einer nationalen Jamaika-Konstellation hätten beide Parteien an ihren Defiziten arbeiten können, und für die CDU wäre das in Partnerschaft mit der FDP auch einfacher geworden. Jetzt werden 50 Prozent aller Deutschen den Anlauf durch praktische Politik in den Ländern erfahren. Zu Zeiten von Gerhard Schröder und Joschka Fischer wurde eine solche Anstrengung ein „Projekt“ genannt. Das Scheitern hat alle mit diesem Wort vorsichtig werden lassen. Wie man es jetzt auch nennt, es muss eine über den Tag hinausgehende Strategie für die Zukunft unserer Gesellschaft werden.

Wenn man sich Veränderungen in beiden Parteien ansieht, so kann man das so zusammenfassen: Das Ziel einer CO²-minimierten ökologisch verantwortlichen Welt ist auch bei der CDU inzwischen Teil der Programm-DNA. Und die Erkenntnis, dass Planwirtschaft nicht in angemessener Zeit zu den gewünschten ökologischen Ergebnissen führt, ohne den Wohlstand auch der eigenen Wähler massiv zu gefährden, wird bei den Grünen heute jedenfalls in der Führung zur Kenntnis genommen.

Die ersten Schritte waren vergleichsweise einfach. Man hatte seit Fukushima keinen Grundsatzkonflikt zur Kernenergie mehr, Wind und Sonne waren grundsätzlich als Energieträger der Zukunft anerkannt, man förderte den öffentlichen Personennahverkehr und fand pragmatische erste Schritte zum Umbau der Landwirtschaft. Heute haben zum Beispiel in Hessen immer mehr Bevölkerungsgruppen ein landesweites ÖPNV-Ticket, aber es werden alle in früheren Zeiten geplanten Autobahnen und der Frankfurter Flughafen konsequent zu Ende gebaut.

Jetzt geht es um mehr. Schwarz-Grün muss CO² in sehr ehrgeizigen Schritten reduzieren, die Produktivität am Standort Deutschland erhöhen, mehr Innovation in den internationalen Wettbewerb stellen, die Bildung endlich ins 21.Jahrhundert bringen und Schulden vermeiden. Das erfordert eine Anstrengung, die dem Erhard‘schen Wirtschaftswunder gar nicht so unähnlich ist. Wieder gilt, dass zwar alle von einem perfekten Plan träumen, aber in Wahrheit die egoistische und gewinnsuchende Kreativität von unzähligen Erfindern, Unternehmern und Investoren nötig ist, um irgendwie zum Ziel zu kommen. Der aktuelle Überfall Putins in der Ukraine hat dies alles noch einmal schwerer gemacht.

Wahrscheinlich würde eine schnelle und angemessene Bepreisung von CO² von Wohnen und Verkehr die besten Effekte haben. Aber das wird wegen des Widerstandes in Europa und auf nationaler Ebene der SPD wahrscheinlich nicht passieren. Aber von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze kann eine Wasserstoff-Infrastruktur entstehen bei der für eine Übergangszeit nicht nur grüner Wasserstoff akzeptiert wird. Der Bau der Energieleitungen kann Priorität bekommen, schnell marktfähige Innovationen für Energieeffizienz können in Hochschulen, bei StartUps und in der gewerblichen Wirtschaft nach dem Motto, je schneller desto mehr Förderung, vorangebracht werden.

Die Verbindung von Nahverkehrsangeboten mit neu auszuweisenden Flächen für Wohnungsbau in Ballungsraumnähe kann die unerträglichen Preise senken. Autonom fahrende Kleinbusse und effektive Carsharing-Strukturen in den Großstädten könne Wirkung haben. Eine moderne digitale Schule mit Computern und weniger starren Klassenverbünden kann mehr individuelle Förderung ohne weitere sowieso nicht vorhandene Lehrer ermöglichen.

Wenn die Politik längerfristig verbindliche allgemeine Ziele setzt und die Menschen ansonsten selbst entscheiden lässt, kann ein ökologisches Wirtschaftswunder durchaus möglich werden. Die Regierungen müssen nur verkraften, dass sie nicht alles planen können, sondern auf Freiheit, Kreativität, Besonnenheit und Wirtschaftsgeist setzen müssen. Da hätte Ludwig Erhard wahrscheinlich empfohlen, die schwarz-grüne Strategiediskussion zu beginnen.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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