Fast 600 Seiten stark kommt das „Osterpaket“, wie es die Bundesregierung selbst nennt, daher. Nach den offiziellen Angaben ist die am Mittwoch im Kabinett beschlossene Gesetzesinitiative der Beschleuniger für den Ausbau der erneuerbaren Energien. So soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt fast verdoppelt werden und die Geschwindigkeit beim Ausbau der „Erneuerbaren“ – zu Wasser, zu Land und auf dem Dach – verdreifacht werden.

Bei aller Skepsis dem Gesamtprojekt gegenüber, ist klarzustellen: Eine Ordnung der Regeln des Energiemarktes angesichts der demokratisch legitimierten Ziele der Energiewende und der neuen Herausforderungen durch die Rückkehr des Krieges nach Europa ist notwendig. Ohne staatliche Rahmenvorgaben kann Energieproduktion nicht wirtschaftlich betrieben werden, und daher wird ohne verlässliche Regeln kein privater Investor in die Energieversorgung investieren. Früher galt dieser Satz nur für einige große Versorger und den internationalen Kapitalmarkt. In der neuen Welt betrifft er Hausbesitzer, Wohnungsbaugesellschaften und klimaengagierte Bürgergenossenschaften ebenso.

Viele der jetzt in Angriff genommenen Regelungen sind überfällig. Die vorgeschlagene Beschleunigung der Genehmigungsverfahren versucht immer noch, behutsam die juristische Überregulierung durch eine klare Priorität der Energieversorgung einzudämmen. Stromtrassen, Kraftwerke und – ob sie einem persönlich gefallen oder nicht – auch Windräder müssen von den Bürgern ertragen und können durch Naturschutz nicht ausgebremst werden. So richtig das für die Energie ist, schön wäre es, wenn es bald auch vergleichbare Regelungen für zentrale Projekte der Verkehrsinfrastruktur oder der Telekommunikation geben würde.

Auch die Abschaffung der Regelungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) bezüglich der Energieeinspeisung ist längst überfällig und eine wichtige Entlastung. Die absurde Belastung des selbst produzierten und auch selbst genutzten Stroms mit staatlichen Abgaben findet zu Recht ein Ende.

Und dennoch, das Paket von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat ein leider alles überstrahlendes Problem: Niemand in diesem Land glaubt ernsthaft, dass die Ziele erreicht werden. Selbst der Koalitionspartner zweifelt. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler hält die Ziele für „wünschenswert, aber in Deutschland kaum zu erreichen“. Es kann ja nicht ignoriert werden, dass im Jahr 2021 nur 25 Prozent der 2017 errichteten Windräder platziert wurden. Der Bauverzug bei den Stromtrassen von Nord nach Süd hat Verzögerungen von bis zu 10 Jahren. Im letzten Jahr ging kein einziges neues Windrad auf See in Betrieb.

Es ist ein Irrtum der Regierung zu hoffen, dass allein neue Subventionen ausreichen, ein solches Programmgesetz zu untermauern. Denn das genau ist es: ein Programmgesetz. Und zwar ein ideologisch einseitig aufgeladenes Programmgesetz. Was hier gerade geschieht ist, ist, dass die Erreichung der sehr ambitionierten (oder unwahrscheinlichen) Ziele als „Gesetzesbefehl“ vorausgesetzt wird. Es geht eben nicht mehr um die sichere Stromversorgung im Allgemeinen, sondern es geht nur um die sichere grüne Stromversorgung. Alles andere wird im Gegenzug zu einer Hoffnung aufgegeben. Der isolierte deutsche Sonderweg bei der Kernenergie, der immer mehr beschleunigte Abbau der Kohleverstromung und ein Konzept von Gaskraftwerken, die vom russischen Präsidenten Putin gerade zur Waffe gemacht werden, nimmt Deutschland in  Geiselhaft und vereitelt den Erfolg des Osterpakets. Wir werden dafür mit Milliarden aus dem Staatshaushalt zahlen. In der Gesetzesvorlage wird ein Betrag von 112 Milliarden Euro bis 2030 genannt. Das ist aber nur ein kleiner Teil. Allein auf 114 Milliarden Euro wird der Anteil der Privatwirtschaft für den Ausbau der Nord-Süd-Stromnetze geschätzt. Dann erst kommen beispielsweise Windparks auf Land und See, Wasserstoffnetze und Speicher.

Diese Zweifel haben Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungskraft Deutschlands. Bürger und Unternehmen fragen sich: Können wir noch in energieabhängige deutsche Produktionsstandorte investieren? Verzinsen sich die Investitionen in regenerative Energien in einer planbaren Zeit auch ohne staatliche Zuschüsse? Haben wir angesichts der offensichtlichen Zweifel an der Realisierbarkeit des Konzepts und der Zweifel an der künftigen Gasversorgung einen Plan B? Ohne Antworten auf diese Fragen gibt es keinen verlässlichen Wachstumspfad mehr. Alle unsere Nachbarn haben einen Plan B. Und oft lautet er: Zubau von Kernkraft.

Darüber hinaus kann bei allen richtigen und nötigen Rahmensetzungen nicht unterschlagen werden, dass Preisregulierungen neu eingeführt werden sollen, von denen wir hofften, sie mit dem EEG gerade abgeschafft zu haben. Eine neue garantierte Einspeisevergütung für Strom aus Privathaushalten ist eine unkalkulierbare wirtschaftliche Größe. Sie kann leicht zu ebenso absurden Gewinnmitnahmen führen, wie viele Landwirte sie mit der garantierten Einspeisevergütung aus Windrädern genießen durften. Im Gesetz findet sich da der Hinweis, die Kosten würden nicht den Bundeshaushalt belasten, sondern würden durch die Netz- und Energiewirtschaft getragen. In Wirklichkeit zahlen es alle Verbraucher durch einen weiteren, dem Markt entzogenen, Preisanteil.

Fassen wir zusammen: Die Energiewende braucht neue rechtliche Rahmensetzungen. Viele der Vorschläge sind notwendig, um Kurs auf die gesetzten Ziele zu nehmen. Neue Preisregulierungen sind der falsche Weg. Vor allem aber muss die Politik die unangenehme Aufgabe lösen, einen wirtschaftlich vertretbaren Reservepfad zu beschreiben, der die Energieversorgung zu angemessenen Preisen auch sicherstellt, wenn die sehr ambitionierten – und damit zweifelhaften – Ziele nicht erreicht werden. Denn ein Grundsatz unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung bleibt in jedem Fall erhalten: Niemand riskiert, in Ziele zu investieren, an deren Erreichbarkeit er nicht glaubt.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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