Die christliche Urgemeinde in Jerusalem gab all ihr persönliches Eigentum auf, um eine Familie mit gemeinschaftlichem Eigentum zu bilden. Thomas von Aquin rechtfertigte das persönliche Eigentum nur mit der Erwartung, dass Menschen für eigene Dinge größere Anstrengungen unternehmen würden. Hegel, Fichte und Kant bemühten sich sehr um die freiheitsbegründende Funktion des Eigentums. Karl Marx war schlicht dagegen.

Ohne persönliches Eigentum gibt es keine Freiheit. Nur die eigenständige Verfügung über Dinge, auf die kein anderer Zugriff hat, schafft das Mindestmaß an unabhängiger Entscheidungsmöglichkeit, was Freiheit bedeutet. In vielen Gesellschaften der Erde ist das private Eigentum nicht vorgesehen oder auf minimale persönliche Habseligkeiten begrenzt.

Wenn Eigentum wichtig, aber nicht selbstverständlich ist, dann entscheidet jede Gesellschaft immer wieder neu, wie sie mit dem Recht auf Eigentum umgeht. In Deutschland gewährt Artikel 14 des Grundgesetzes das Recht auf Eigentum, lässt aber auch erhebliche Einschränkungen zu. Bundestagswahlen entscheiden darüber, wie viel Respekt das Eigentum erfährt oder wie gefährdet seine Bedeutung ist. Umso verwunderlicher ist es, dass die politischen Parteien auf die Stellung des persönlichen Eigentums in ihren Texten sehr wenig Rücksicht nehmen. In den Parteiprogrammen ist Eigentum unterschiedlich erwähnt, jedenfalls scheint es den einen schlicht selbstverständlich und den anderen nicht so wichtig.

Die Ludwig-Erhard-Stiftung hat daher gemeinsam mit dem Verband Die Familienunternehmer eine Studie zum Stellenwert des Eigentums in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien in Auftrag gegeben, die vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) unabhängig erstellt wurde („Der Eigentumsbegriff in den Parteiprogrammen zur Bundestagswahl 2021: Eine ökonomische Analyse“). Untersucht wurden fünf Politikfelder: die Steuer- und Finanzpolitik, Wohnungspolitik, Klimapolitik, Unternehmenspolitik sowie der Umgang mit geistigem Eigentum.

Wenn man die Ergebnisse der Analyse betrachtet, stellt man zunächst einmal fest, dass der Wahlkampf in diesen Tagen arm ist an inhaltlichen Auseinandersetzungen. Die Formulierungen in den Parteiprogrammen sind darauf ausgerichtet, möglichst wenig Kontroversen auszulösen, obwohl man von allen Parteien in einer historisch wichtigen Situation das Gegenteil erwarten sollte. Dennoch lässt sich sagen, dass die Wertschätzung des Eigentums in den Wahlprogrammen generell fehlt, bei einigen Parteien natürlich ganz besonders. Aber: Je nebulöser das Bekenntnis zum Eigentum und seinem Schutz ausfällt, umso mehr Gefahr lauert bei jeder Koalitionsverhandlung.

„Zu einer dynamischen Sozialpolitik gehört die weitere Förderung der Eigentums- und Vermögensbildung in breiten Schichten unseres Volkes, weil sie mehr als alles andere dazu geeignet ist, die Freiheit, Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des Einzelnen in der modernen Gesellschaft zu stützen.“ (Ludwig Erhard, 1965)

Bei genauerem Hinsehen gibt es allerdings erhebliche Unterschiede im Ausmaß der Beschränkungen des Eigentums. Auffällig in der Analyse des HWWI ist zum Beispiel, dass die Vorschläge zur Einschränkung der Verfügungsrechte im Wohnungsmarkt deutlich zahlreicher sind als die Vorschläge zur Ausweitung, Förderung oder Stärkung der Verfügungsrechte. Linke, Grüne und SPD wollen die Reglementierungen verschärfen und die Verfügungsrechte von Eigentümern noch weiter einschränken. Die Linke geht noch weiter, indem sie bundesweit einen Mietendeckel einführen will. Die Enteignungsdebatte im Berliner Wohnungsbau, unterstützt von Grünen und Linkspartei, bringt das deutlich zum Ausdruck.

Ein durchaus geeigneter Gradmesser für den Respekt vor dem Eigentum sind die Positionen zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer. CDU und FDP sind klar dagegen, Linke und Grüne klar dafür, und die SPD ist etwas vorsichtiger, aber letztlich auch für eine Wiedereinführung. Bei den Grünen soll die Vermögenssteuer für „Vermögen oberhalb 2 Millionen Euro pro Person gelten“, was den wichtigen Unterschied zwischen Freigrenze (die unteren 2 Millionen werden besteuert) und Freibetrag (die unteren 2 Millionen werden nicht besteuert) offenlässt. Für mittelständische Unternehmer, aber auch für Hausbesitzer in und nahe den großen Städten ist das eine fast existenzielle Frage. Aber wenn man so formuliert, können noch viele hoffen, sie seien nicht betroffen, und das Erwachen käme nach der Wahl.

Selbstverständlich bedeutet Eigentum auch Verantwortung. Und die nehmen etwa die Familienunternehmen in Deutschland jeden Tag wahr. Sie sind die Hauptbetroffenen der Angriffe auf das Eigentum. Sie stellen 60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze und 80 Prozent der Ausbildungsplätze. Über die Lohnzusatzkosten sind sie die Hauptfinanzierer des sozialen Netzes in Deutschland, vor allem aber ermöglichen sie ihren Arbeitnehmern über ihr Einkommen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. In der Corona-Krise haben zudem viele Familienunternehmer auf ihre Eigenkapitalreserven zurückgegriffen, um ihren Betrieb zu retten und Mitarbeiter zu halten. Familienunternehmer mit wettbewerbsfähigen Betrieben garantieren den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft – ohne Eigentum und ohne Betriebsvermögen wäre das überhaupt nicht möglich.

Schaut man auf die Tabellen in der Studie (Seite 31), entsteht aus den vereinzelten Bemerkungen zum Eigentum dann doch ein Bild. Eigentum stabilisieren und fördern ist eher schwarz und gelb, Eigentum einschränken ist eher grün, rot und dunkelrot, wobei die traditionelle rote Farbe auch noch bei der Förderung zu finden ist. Für Wähler verschafft das Gutachten ein klareres Bild zum Thema Eigentum. Es gibt Unterschiede. Die Wähler sollten sie kennen.

Privates Eigentum schafft erst die Voraussetzung, dass die Bürger ein freiheitliches und eigenverantwortliches Leben führen und – um es mit Ludwig Erhard zu sagen – „dass sie mehr an menschlicher Würde entfalten können, weil sie dann nicht mehr auf die Gnade anderer, auch nicht auf die Gnade des Staates angewiesen“ sind. Und weiter: „Es ist darum ein bedeutsames politisches Ziel, möglichst vielen Menschen die Eigentumsbildung in eigener freier Verfügung zu ermöglichen.“


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