Die Europäische Kommission prüft zurzeit einen Regulierungsentwurf, der vorsieht, in Krisenfällen direkt in die Produktion eingreifen zu können. Gleichzeitig legt die Bundesregierung den Entwurf eines sogenannten „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetzes“ vor, der kartellrechtliche Eingriffe gerade in Krisenzeiten entscheidend erleichtern soll.

Beide Regelungen haben große Gemeinsamkeiten und zeigen eine bedenkliche Entwicklung: Der Staat, der wahrlich nicht besonders effizient im Krisenmanagement der vergangenen Jahre war, sucht nach weitergehenden, schnelleren und direkteren Eingriffsmöglichkeiten in das Wirtschaftsgeschehen. Es besteht offensichtlich die Überzeugung, dass bürokratische Instanzen besonders geeignet seien, komplexe ökonomische Steuerungsprozesse im Krisenfall zu übernehmen und damit eine im weitesten Sinne „bessere“ Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.

In Krisen wie der Corona-Pandemie oder dem anhaltenden Krieg in der Ukraine will die EU-Kommission Firmen Produktionsvorgaben machen können, zum Beispiel „krisenrelevante Güter“ vorrangig zu produzieren oder zusätzliche Vorräte anzulegen.

Die Bundesregierung beruft sich in ihrem Gesetzentwurf auf eine aktive Durchsetzung des Wettbewerbsprinzips. Besonders die sogenannten Sektoruntersuchungen, die das Verhalten der Mineralölindustrie seit Februar dieses Jahres untersuchen sollen, werden als „scharfes Schwert“ gesehen. Das Gesetz nennt das Recht der Regierung, Unternehmen „Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter und struktureller Art“ aufzuerlegen. Das ist alles andere als harmlos. Unternehmen können dann nämlich verpflichtet werden, andere Unternehmen zu beliefern oder bestimmte Unternehmensbereiche organisatorisch zu trennen. Selbst eine Unternehmens-Entflechtung als gravierendstem Eingriff in das Eigentumsrecht soll vereinfacht werden. Bis heute ist für eine solch bedeutende Veränderung der Wettbewerbssituation ein klarer und erwiesener Rechtsverstoß eines Unternehmens nötig. In Zukunft rechtfertigt eine wettbewerbspolitische Gestaltung des Marktes auch Eingriffe in die Eigentumsrechte sich rechtstreu verhaltender Unternehmen. Dazu kommt eine stark vereinfachte Regelung zur Vermögensabschöpfung.

Das Wettbewerbsrecht gehört zur „fordernden Hand“ eines starken Staates in einer Sozialen Marktwirtschaft. Daran gibt es keinen Zweifel. Es gibt einen Bedarf, wettbewerbsschädliche Verhältnisse durch Gebote, Verbote und — als letztes Mittel – auch Zerschlagungen durchzusetzen. Ludwig Erhard musste im Nachkriegsdeutschland lange für effektive Wettbewerbsregeln kämpfen. Das hat aber nichts mehr mit den genannten Eingriffen gemein.

Denn all diese Maßnahmen sind Operationen am offenen Herzen des Eigentums. Es muss jedoch gewährleistet sein, dass immer nur das mildeste Mittel zur Behebung eines Marktversagens gewählt wird. Die Daten für das angenommene Marktversagen müssen transparent und überzeugend, eine gerichtliche Überprüfung gewährleistet sein.

Alle Abweichungen davon unterfallen den Regeln des Notstandsrecht. Sie müssen nachträglich überprüfbar und mit entsprechenden Schadensersatzansprüchen bewehrt sein. Der Staat hat die Pflicht, durch ordnungsrechtliche Vorsorge solche Situationen in seine Planungen einzubeziehen und damit die Notfallsituation möglichst zu vermeiden. Was übrig bleibt, ist Notstands- oder Kriegsrecht, aber eben nur das.

Die Verpflichtung für Unternehmen, Mindestvorräte anzulegen und ihre Kosten in die Marktpreise zu integrieren, ist richtig und nötig. Hier wird man aus den gemachten Erfahrungen heraus nachsteuern müssen. Das gilt besonders für Rohstoffe und auch sonst gefährdete Lieferketten. Wer strategisch wichtige Güter produziert und sie aus Kostengründen in Übersee produziert, muss gegebenenfalls höhere Kosten für größere Vorräte im Vergleich zum ortsnahen Produktionsbetrieb einrechnen. Da die „Grenzzäune“ höher werden, kommt solchen langfristigen Regeln eine höhere Bedeutung zu.

Generell muss es jedoch auch in Krisenzeiten dabei bleiben, dass Preise Knappheitsindikatoren und damit Verteilungsinstrumente sind. Die immer stärker werdende Erwartung, dass der Staat im Krisenfall die Verantwortung hat, die Preise stabil zu halten, ist gefährlich und falsch. Auch der Gedanke, dass jeder Gewinn aus Knappheit in Krisen illegitim und deshalb als „Zufallsgewinn“ zu beschlagnahmen sei, geht in eine fundamental falsche Richtung.

Auch in Zeiten schwerer Krisen ist der Markt die beste Steuerung. Die Hoffnung auf gute Gewinne beflügelt die Mobilisierung von Ressourcen und beschleunigt die bestmögliche Versorgung.

Die von Europäischer Union und Bundesregierung an den beiden Beispielen genannte Bestrebung, im Krisenfall die Verantwortung für Versorgung und auch noch für Preise weitgehend an sich zu ziehen, schwächt die Widerstandsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft. Keine Investition mit der Absicht, in Krisenzeiten Gewinne mit der Befriedigung der Nachfrage trotz Knappheit zu machen, ist verwerflich. Wenn kein Unternehmer diese Geschäfte mehr im Auge hat, wird die Versorgung schlechter werden.

In den letzten Monaten haben die Mitarbeiter von Minister Habeck alles getan, um ärmeren asiatischen Staaten um nahezu jeden Preis das Flüssiggas vor der Nase wegzukaufen. Die damit geschaffenen Kosten trägt jetzt der Steuerzahler. Das war jetzt wahrscheinlich unvermeidlich. In Zukunft muss aber möglichst viel Verantwortung zurück in den Markt. Es ist auch jetzt nicht die Zeit für staatliche Planungs- und Preiskommissare.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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