Noch immer in den Fängen der Pandemie und zugleich am letzten Tag der offiziellen Sitzungen des Bundestages in dieser Wahlperiode hat unsere Stiftung gestern Abend die Ludwig-Erhard-Preise für Wirtschaftspublizistik für die Jahre 2020 und 2021 verliehen. Mit dem Financial-Times-Journalisten Dan McCrum und dem Manager Wolfgang Reitzle haben zwei sehr exponierte Persönlichkeiten den Preis erhalten: McCrum für seine beharrliche Aufklärungsarbeit im Fall Wirecard und Reitzle für seine immer klare Ansage, wenn es um das Verhältnis von Wirtschaft und Politik geht. Sie können sich den Stream der Verleihung auf dem YouTube-Kanal der Ludwig-Erhard-Stiftung ansehen. Reden und Fotos sind zudem auf unserer Website hier dokumentiert.

Worum ging es uns bei dieser Preisverleihung? Wir wollen die außergewöhnliche Aufmerksamkeit nutzen, die der Name Ludwig Erhard nach wie vor hervorruft. Wie kaum ein anderer verkörpert Ludwig Erhard bis heute Prinzipientreue, die Entschlossenheit und den Mut, politische Realität zu gestalten. Mit der Fähigkeit zum Kompromiss, ohne das eigene Profil zu verlieren, war er ein Fels der Ordnungspolitik und ein Gestalter politischer Mehrheitsentscheidungen zugleich. Genau da liegt auch unser Anspruch heute. An diesen Grundsätzen haben wir heute Bedarf.

Wahlprogramme werden ausschließlich nach dem Kriterium geschrieben, möglichst niemanden durch eine konkrete Forderung zu verletzen. Alle, wirklich alle sollen hoffen, dass der Staat ihnen eine Erleichterung gewährt, eine Subvention zahlt oder eine Absicherung verschafft. Auch wenn alle wissen, dass die Anpassung unserer Lebensweise zugunsten des Schutzes unseres Planeten wesentliche Veränderungen erfordert, sollen sie möglichst schmerzfrei ausgeführt werden. Risiken, wo immer sie entstehen könnten, sollen ausgeschlossen, abgefedert oder entschädigt werden. Politiker wollen schon bei der Entscheidung wissen, dass die Ausführung ihres Projektes zu einem gesicherten Erfolg führt.

Das ist eine schöne Welt. Aber es ist eine Traumwelt. Die Veränderung, die aus den unterschiedlichsten Gründen in unserem Land notwendig ist, wird zunächst Verlierer kennen und hoffentlich dann auch Gewinner. Wenn es gut gemacht wird, können die Verlierer erwarten, dass sie Chancen erhalten, Nachteile wieder auszugleichen und dass es in einem zeitlich und betragsmäßig begrenzten Umfang auch staatliche Mittel bereitgestellt werden. Das wird nicht alle freuen. Und dennoch muss die Politik die Verantwortung dafür übernehmen, diese Entscheidungen zu treffen, selbst wenn sie streitig sind – ja, selbst wenn politische Mehrheiten damit zur Disposition stehen. Dass die Grünen sich zu dieser Ernsthaftigkeit nicht wagen, weil sie fürchten, sonst nicht zu gewinnen, und CDU/CSU ebenfalls sehr zaghaft bleiben, macht Wahlen einerseits langweilig und andererseits gefährlich. Viel zu viele Menschen wissen, dass schmerzhafte Entscheidungen notwendig sind und misstrauen Parteien immer mehr, die ihnen vorgaukeln, dass es auch ohne solche einschneidenden Veränderungsprozesse möglich wäre, Freiheit und Wohlstand für die Zukunft zu erhalten.

„Ich habe in meinem Leben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sich die Freiheit und vor allem der Mut zur Freiheit immer gelohnt haben. Alles, was wir unter diesem Aspekt begonnen haben, hat sich hin zum Guten gewandelt, – überall dort aber, wo uns der Mut zur Freiheit fehlte, sind die Dinge im Unheil steckengeblieben.“ (Ludwig Erhard, 1957)

Freiheit birgt auch Risiken, die gerne verschwiegen werden. Oft bestehen sie gerade in der mangelnden Vorhersehbarkeit. Selbst das Bundesverfassungsgericht ist verunsichert, weil die Bundesregierung nicht alle Maßnahmen für die Beseitigung und Verringerung des CO2-Ausstoßes bis 2040 heute schon benennen kann. Ob wir es schaffen, die gesteckten Ziele zu erreichen, bleibt eben ein Risiko. Das ist das Risiko der Freiheit. Dieses Risiko ist zugleich unsere größte Chance. Alles, was wir in den letzten Jahrhunderten erfahren durften, spricht dafür, dass nur die Freiheit und der Mut, den Dingen ihren Lauf zu lassen, zu wirklich neuen, zukunftsweisenden und wohlstandsfördernden Entwicklungen führen können. Risiko bedeutet aber, dass man gewinnen oder verlieren kann. Das Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft besteht darin, dass niemand in existenzielle Not geraten oder seine Chance zur Teilnahme an unserem gesellschaftlichen Leben verlieren soll. Es besteht nicht darin, dass keiner etwas verliert und alle nur gewinnen. Von jedem, der diese Gesellschaft voranbringen will, wird erwartet, dass er auch für sich selbst ein Teil dieses Risikos auf sich nimmt.

Unsere beiden Preisträger repräsentieren diesen Geist: einerseits der unabhängige Journalist, der mit mutigen Artikeln und unermüdlicher Recherche dafür gesorgt hat, dass einer der großen Wirtschaftsskandale unseres Landes ans Licht kam; andererseits der langjährige erfolgreiche Unternehmer, der immer wieder kein Blatt vor den Mund nimmt, um die politischen Instanzen darauf aufmerksam zu machen, welche Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Erfolg in einer globalisierten Wirtschaft gesetzt werden müssen.

Heute Morgen stehen wir am Anfang eines Bundestagswahlkampfs, der für Deutschland nach der Kanzlerschaft Angela Merkels epochale Bedeutung haben wird. Ich wünsche mir die Kategorie Mut, die gestern Abend unsere Preisträger aus Journalismus und Wirtschaft einte, auch für Politiker und für alle Bürger. Keiner darf mit dem Start seiner Mission warten, bis der Erfolg garantiert ist. Marktwirtschaft braucht Mut, wie uns schon Ludwig Erhard vorgelebt hat.


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